Plusminus: Schienennetz verrottet

Dirk Löhr

Das deutsche Schienennetz verrottet. Auf rd. 30 Mrd. Euro werden die Investitionsrückstände geschätzt.

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Es geht dabei nicht nur um Langsamfahrstrecken und Verspätungen, sondern mittlerweile auch um die Gefährdung von Leib und Leben. Siehe hierzu den Beitrag in Plusminus (ARD) vom 30. Juli:

http://www.ardmediathek.de/tv/Plusminus/Schienennetz-Tut-die-Bahn-genug-bei-de/Das-Erste/Video?documentId=22683032&bcastId=432744

Anreize zu Investitionen bestehen nicht – wie auch, wenn die Profiteure am Ende private Grundstückseigentümer sind, nicht aber die Bahn. Also melkt die Bahn die Infrastruktur, ohne zu reinvestieren und steckt das Geld in ganz andere Bereiche wie z.B. Auslandsbeteiligungen, die mit der Versorgung der Bevölkerung mit Mobilität nichts zu tun haben. Man behilft sich mit systematischer Flickschusterei und verlässt sich darauf, dass am Ende der Bund (= Steuerzahler) einspringt, wenn die Strecken so heruntergekommen sind, dass eine größere Sanierung unausweichlich ist. Bis dahin hoffen wir, dass alles gut geht.

Das ist aber nicht Schuld der Bahn und ihrer Manager, sondern erstens einer vollkommen verkorksten Bahnreform (danke, Roland Berger!), die Netz und Betrieb nicht trennte und die Bahn auf Gewinnorientierung trimmte. Schuld trägt aber auch Wissenschaft und Politik mit der Kultivierung des Unwillens, die “heilige Kuh” Bodenrente zur Finanzierung der Infrastruktur zu schlachten. Dass es vollkommen anders ginge, zeigt u.a. das Beispiel Hong Kong:

http://www.theatlantic.com/china/archive/2013/09/the-unique-genius-of-hong-kongs-public-transportation-system/279528/

Hier wird das Henry George-Prinzip praktiziert: Die durch die Infrastruktur erhöhten Bodenrenten werden durch die Bahngesellschaft wieder eingesammelt und in die Infrastruktur reinvestiert (“self-financing infrastructure”). Ergebnis: Wohl mit das beste Bahnsystem auf diesem Planeten. Das Prinzip der Selbstfinanzierung der Infrastruktur lässt sich aber nicht nur im Nah-, sondern auch im Fernverkehr anwenden.

Wie immer: Der Beitrag aus Plusminus sollte schnell angesehen werden, da er demnächst wieder aus der Mediathek gelöscht wird, um die ökonomischen Renten aus geistigen Eigentumsrechten nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.

 

Der Fall Yukos: Drama in drei Akten

Dirk Löhr

Ein Paukenschlag: Der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag spricht den früheren Mehrheitsaktionären des Unternehmens des Michail Chodorkowski die Rekordsumme von 50 Milliarden US-Dollar (37,2 Mrd Euro) zu.

86px-Erdöl_BohrturmDer vorrangige Grund für die Yukos-Zerschlagung sei nicht das Eintreiben von Steuern gewesen, sondern den Konzern in den Bankrott zu treiben, hieß es in der Entscheidung der drei Richter. Es handelt sich um den vorläufigen Abschluss eines Drama in drei Akten:

 

Erster Akt: Der Raub des Michail Chodorkowski

Wie kam es zum Aufstieg von Yukos? Die gesamte Geschichte ist lang, hier sind nur einige markante Meilensteine genannt: Im Vorfeld der Präsidentenwahlen 1996 stand es um Boris Jelzin schlecht. Ende 1995 stand er nur noch bei 2 % in der Wählergunst. Auch die Oligarchen der ersten Stunde erkannten die Gefahr, die von den kommunistischen Kandidaten für ihr Bereicherungsstreben ausging. In dieser Situation schloss Jelzin ein Bündnis mit den Oligarchen der ersten Stunde, auf Kosten der russischen Bevölkerung: Im März 1995 stellte der damalige Vizepremier Jelzins und Oligarch Potanin seinen „Share for Loans“-Plan vor, der Ende August genehmigt wurde. Ein Bankenkonsortium bot dem klammen russischen Staat einen 1-Jahres-Kredit über 1,8 Mrd. US-Dollar an. Als Sicherheit dienten Anteile an Staatskonzernen. Nach Ende der Kreditlaufzeit sollte der Staat die Anteile wieder zurückkaufen können. Für den Fall, dass Unregelmäßigkeiten beim Schuldendienst auftraten, sollten die Anteile an die Kreditgeber übergehen. Noch vor den kritischen Präsidentschaftswahlen wurden die Filetstücke dann im Rahmen des Share for Loans-Programms an Private versteigert. Die Versteigerung fand allerdings in einem engen, ausgewählten Kreis statt. Das intransparente Verfahren hatte ebenfalls Potanin entwickelt. Der Kaufpreis lag in den meisten Fällen nur knapp über dem Mindestgebot. Zumal der Staat seinen Kreditverpflichtungen nicht nachkommen konnte, verblieben die Anteile bei den Oligarchen. Dies war der Moment des Michail Chodorkowski.

Als 26-jähriger Jungfunktionär der KP wurde Chodorkowski 1990 – während des Niedergangs der damaligen Sowjetunion – zum Chef der Menatep-Bank berufen, die mit der Privatisierung von Staatsunternehmen befasst war. Drei Jahre wurde Chodorkowski von Jelzin zum stellvertretenden Minister für Energie und Brennstoffe sowie Berater für die neoliberal inspirierte Schocktherapie berufen, die der damalige Premier Gaidar Russlands Ökonomie verordnet hatte. Im Rahmen des Share for Loans-Programms griff nun auch Chodorkowski zu, der schon ab 1990 den Yukos-Ölkonzern führte. Hilfreich waren dabei seine Kontakte zur Menatep-Bank, die auch die Hausbank von Yukos darstellte. Die Anteile an dem Konzern erwarb er für einen Spottpreis. So – über de facto gestohlenes Volksvermögen – wurde Chodorkowski in kürzester Zeit zu einem der reichsten Männer Russlands. Der Diebstahl war formal-rechtlich legal, entsprechend den Gesetzen, die die russische Elite für sich gemacht hatte. Er war aber nicht legitim. Die Oligarchen dankten Jelzin den Raub, indem sie die Kampagne finanzierten, die seine Wiederwahl ermöglichte.

Chodorkowskis private Taschen wurden nun gut durch die Rohstoffrenten gefüllt, die u.a. mit Briefkasten-Firmen im Ausland am russischen Fiskus vorbei erzielt wurden. Dem russischen Steuerzahler entgingen über solche Auslandsdeals schätzungsweise 20 Milliarden Dollar. In jedem Rechtsstaat hätte Chodorkowski mit langjährigen Gefängnisstrafen wegen Unterschlagung, Betrug und Steuerhinterziehung rechnen müssen. Da Chodorkowski damals noch nicht in Ungnade gefallen war, sah man in Russland geraume Zeit darüber hinweg.

Zweiter Akt: Der Fall des Michail Chodorkowski

Dies änderte sich, als Chodorkowski ab 2002 das russische Öl zum Ausverkauf an westliche Konzerne freigab und mit den US-Öl-Giganten Exxon Mobil Corporation und Chevron Corporation über eine Übernahme von Yukos-Anteilen verhandelte. Erschwerend kam hinzu, dass er kurz vor der Duma-Wahl am 7.12.2003 noch damit geprahlt hatte, er könne Parteien und sogar Wahlergebnisse kaufen. Chodorkowski fing zudem auf der Grundlage seiner wirtschaftlichen Macht an, sich aktiv in Politik und Medien einzumischen.

Angesichts des Drecks, den Chodorkowski am Stecken hatte, war es für Putin nicht schwer, die Gelegenheit zu nutzen. An Chodorkowski wurde ein Exempel zu statuiert. Der Oligarchen-Clique sollte angezeigt werden, dass die Jelzin-Ära ein für allemal vorbei ist. Sie durften zwar weiterhin ihr Rent-Grabbing betreiben, aber das Interesse des Staates wurde als vorrangig erklärt.

Chodorkowski wurde im Mai 2005 zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. 2009 folgten in einem weiteren Verfahren sechs Jahre Haft wegen Geldwäsche. Urteile, die zwar politisch motiviert gewesen sein mögen, angesichts des Raubes am russischen Volksvermögen nicht unverhältnismäßig ist.

Im Zuge der Prozess verkaufte Chodorkowski seine Anteile dem nach Israel geflohenen Leonid Nevzlin. Ihm hatte Chodorkowski, der im vergangenen Dezember frei kam, seine Yukos-Anteile im Zuge der Prozesse „überschrieben“ – was immer das im Detail auch heißen mag. Nevzlin ist mit 70 % mehrheitlicher Anteilseigner der Gesellschaft GML Ltd., die die Anteile an Yukos als Holding hielt und die Klage betrieb. Zwischenzeitig wurde Yukos vom russischen Staat filetiert; ein großer Teil ging an das staatseigene Energieunternehmen Rosneft.

Dritter Akt: Die Klage

Das Verfahren vor dem Schiedsgericht in Den Haag zog sich nunmehr fast zehn Jahre lang hin. Derartige Schiedsgerichte stellen eine international anerkannte Paralleljustiz dar. Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit spielt keine Rolle. Die betreffenden Gerichte werden häufig als „wirtschaftsfreundlich“ kritisiert. Allerdings stand Russland die Nominierung eines Richters zu. Dennoch fällte das mit drei Richtern besetzte Schiedsgericht das Urteil einstimmig. Vorrangiges Ziel sei es nicht gewesen, ausstehende Steuern einzutreiben, sondern den Konzern in den Bankrott zutreiben, heißt es in dem Urteil. Das Gericht berief sich in seiner Entscheidung vor allem auf Regelungen in der Energy Charter, die Russland unterzeichnet, jedoch allerdings nicht ratifiziert hat. Dementsprechend wird Russland seine rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Position zu verteidigen. Beide Seiten haben auch das Recht, die Entscheidung vor einem ordentlichen niederländischen Gericht anfechten zu lassen.

Der vierte Akt steht noch aus.

Rückschau

Wir fassen zusammen: Chodorkowski raubt russische Ressourcen und wird von Putin ins Gefängnis gesteckt, als er das strategisch wichtige russische Volksvermögen an amerikanische Energiekonzerne verhökern will. In den westlichen Medien wird er als politischer Gefangener dargestellt.

Sein Vermögen verschiebt er im Zuge des Verfahrens an Kumpel Nevzlin, der gegen den russischen Staat vor ein zweifelhaftes Parallelgericht zieht und auch noch Recht bekommt.

Nun sollen die mittlerweile außerhalb von Russland lebenden Rent-Grabber durch den russischen Steuerzahler für ihren misslungenen Raub am russischen Volksvermögen „entschädigt“ werden. Westliche Medien und Juristen feiern dies als Sieg der Gerechtigkeit.

Geht’s noch?

 

… und die Kohle fällt nach oben: Deutschland verfehlt das Klimaziel

Dirk Löhr

Deutschland hat sich viel vorgenommen. Bis zum Jahr 2020 soll der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid um 40 Prozent gesenkt werden – gemessen am Niveau von 1990. Dieses Ziel – das muss nun auch die Bundesregierung kleinlaut einräumen – ist leider nur ein frommer Wunsch. Im besten Falle wird eine Reduktion von 33 Prozentpunkten erreicht werden, so dass eine Lücke von 7 Prozent besteht. Im besten Fall, wenn Wachstumsschwäche und Wirtschaftskrise nachhelfen (vgl. Knuf 2014).

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Warum diese Zielverfehlung? Seit dem Ausstieg aus der Kernenergie brummen die Kohlekraftwerke umso mehr. Von den zehn europäischen Kohlekraftwerken mit dem höchsten CO2-Ausstoß befinden sich sechs in Deutschland. Wir haben das System „Kohle“ im Blogbeitrag „Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion“ eingehend dargestellt. So erzielen Braunkohlekraftwerke (als Grundlastkraftwerke) die höchsten ökonomischen Renten von allen Kraftwerken – die im Kern aber nichts anderes als Bodenrenten sind: Braunkohlekraftwerke können nämlich nicht irgendwo und überall betrieben werden, sondern nur an bestimmten Standorten, die diese für die Kraftwerksbetreiber besonders wertvoll machen: Man benötigt u.a. Nähe zu Verbrauchsschwerpunkten, man braucht Schienen, Übertragungsnetze, am besten noch schiffbare Flüsse, und last but not least Braunkohlevorkommen – die Standorte mit der Kombination dieser Eigenschaften werden den Kraftwerksbetreibern von der Allgemeinheit für eine lächerliche Gegenleistung zur Verfügung gestellt. Das gleiche gilt für die Atmosphäre, die von den Kraftwerksbetreibern als Deponie genutzt wird – die Preise der CO2-Zertifikate sind derzeit viel zu gering, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Die Lobby stellte sich immer wieder erfolgreich gegen eine Reduzierung der Zertifikate im Europäischen Verschmutzungsrechtehandel – doch nur eine solche Reduzierung könnte die klimapolitisch erforderliche Preiserhöhung bewirken. Denn bei einer – mit Blick auf das 2-Grad-Ziel – adäquaten Bepreisung der Verschmutzungsrechte würde sich wohl kaum mehr ein Braunkohlekraftwerk am Netz befinden – Kohlekraftwerke würden unrentabel (Löhr 2013). Wegen der vielen Kohlekraftwerke gehen die Gaskraftwerke (als Spitzenlastkraftwerke), die mit wesentlich höheren Grenzkosten produzieren, kaum mehr ans Netz und können daher nicht rentabel betrieben werden (o.V. 2014). Doch gerade die flexibel regelbaren Gaskraftwerke wären in einer Übergangsphase für die breite Einführung der Erneuerbarer Energien wichtig. Bislang stehen die Speichertechnologien nämlich noch nicht in dem erforderlichen Ausmaß zur Verfügung, um die Schwankungen bei der Produktion von Strom aus Erneuerbaren Energieträgern (v.a. Wind und Sonne) auffangen zu können. Zumal die Kohlekraftwerke nicht flexibel herunter geregelt werden können, exportiert man derzeit den überschüssigen Strom.

Die Energiewende ist nicht mit dem Atomausstieg beendet (Weiß 2014). Deutschland benötigt vielmehr auch einen Kohleausstieg – hiervon ist aber weit und breit noch nichts zu sehen. Bei gutem Willen könnten zwar auch auf nationaler Ebene entsprechende Instrumente (zusätzliche Abgaben, Ordnungsrecht) angewendet werden (Deutsche Umwelthilfe / BUND 2013). In unserem Blogbeitrag „Internationale Umweltpolitik in der Sackgasse?“ haben wir allerdings beschrieben, dass solche Alleingänge im internationalen Wettbewerb nur bei einem Umbau des Abgabensystems möglich und durchzuhalten sind.

Auch der Netzausbau wird ein einer Weise vorangetrieben, die weniger die Erneuerbaren Energien, dafür aber umso mehr die Renaissance der Kohle unterstützt – natürlich tragen die Verbraucher auch hierbei die Lasten (des Netzausbaus).

Energiewende pervers. Und die Kohle fällt nach oben:

Die ökonomischen Renten aus der Kohlestromproduktion werden von starken Gruppen – nämlich den Kraftwerksbetreibern – privatisiert, die ökologischen und sozialen Kosten hingegen auf die Allgemeinheit abgewälzt. Doch es sind nicht „nur“ die Umweltkosten: Weil die Standortrenten nicht abgeschöpft und die Verschmutzungsrechte nicht sachgerecht verknappt und versteigert werden, entgehen dem Staat enorme Einnahmen – die dafür den Eigentümern der Kraftwerksbetreiber zufließen. Der finanzielle Lückenbüßer ist der Steuerzahler (Löhr 2013). Möglich machen dies u.a. die zuständigen Minister Hendricks und Gabriel, deren sozialdemokratische Partei mit der Kohlelobby traditionell auf’s Engste verbandelt ist. Kein Wunder, dass gerade die SPD immer besonders laut nach Steuererhöhungen schreit – ermöglichen diese doch erst die Geschenke an die Industrie-Klientel. Unsere Kanzlerin sollte es eigentlich – aus ihrer Zeit als Umweltministerin – besser wissen. Doch auch sie hört auf das Gezeter der Lobby. Dennoch tut unsere Regierung am Ende auch den Unternehmen nichts Gutes: Wenn man zu lange an der Droge der staatlich garantierten ökonomischen Rente hängt, wird man abhängig. Die unternehmerische Performance geht dann auf kurz oder lang flöten. So geriet RWE u.a. deswegen ins Straucheln, weil es an überreifen rententragenden Dinosauriertechnologien zwanghaft fest hielt und eine Umorientierung der Unternehmenspolitik viel zu spät einleitete.

 

Mehr Informationen

Deutsche Umwelthilfe / BUND (2013): Rechtliche Instrumente zur Verhinderung neuer Kohlekraftwerke und Braunkohletagebaue in Deutschland, Berlin. Download: http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/pdfs/klima_und_energie/130514_bund_klima_energie_rechtsgutachten_kohlekraftwerke.pdf

T. Knuf (2014): Deutschland droht Kimaziele zu verfehlen, FR online vom 22.7. Online: http://www.fr-online.de/energie/co2-ausstoss-deutschland-droht-klimaziele-zu-verfehlen,1473634,27915136.html

D. Löhr (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

o.V. (2014): Von wegen Vorreiter beim Klimaschutz: Deutschland verfehlt Klimaziele deutlich, The Hufington Post vom 3.5. Online: http://www.huffingtonpost.de/2014/05/03/klimaschutz-deutschland-klimaziele_n_5257855.html

M. Weiß (2014): Vertrackte Lücke, Sueddeutsche.de vom 27.5. Online: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energiewende-vertrackte-luecke-1.1974450

Nachgefragt und nachgehakt: Wohnraumsituation in Großstädten

Dirk Löhr

Am 22. Juni haben wir über die Initiative von Global Change Now e.V.  (GCN) „Wohnraumsituation in den Großstädten“ berichtet.

Mietpreise

Die zugrundeliegende Anfrage an die Parlamentarier des Deutschen Bundestages ist hier einsehbar:
http://globalchangenow.de/mitmachen/hey-parlament/mietpreise/

Dabei wurden die Abgeordneten mit der – wirklich nicht neuen – Erkenntnis konfrontiert, dass Missstände auf dem Mietwohnungsmarkt ihren eigentlichen Grund sehr wesentlich im vorgelagerten Bodenmarkt haben. 

Heute, einen Monat später, schauen wir einmal auf die Antworten. Abgesehen von den Piraten haben ausschließlich Mandatsträger der bürgerlichen Parteien (CDU und FDP) geantwortet – allerdings auch keine CSU. Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke: Fehlanzeige. Verglichen mit der GCN-Anfrage zum TTIP also eine sehr verhaltene Resonanz.

Sehr geehrte Volksvertreter: Nehmen Sie die Nachfrage von Bürgern nicht ernst? Oder ist die Wohnraumsituation für Sie kein Problem? Oder kann es sein, dass Sie die in der Nachfrage dargestellten – durchaus praktisch schon bewährten Lösungen – gar nicht einordnen können? Oder meint insbesondere die mitregierende SPD, sich nun im „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ sonnen zu können, das wahrscheinlich wieder auf eine Neuauflage zahnloser oder (nachhaltigkeitspolitisch) bedenklicher Konzepte hinausläuft? Oder ist die geforderte Beschäftigung einer Nutzung der anstehenden Grundsteuerreform zur Lösung der Wohnprobleme (www.grundsteuerreform.net) und einer Reform des Erbbaurechts innerparteilicher Sprengstoff? All dies wäre kein gutes Zeichen.

Wir bleiben auch im Sommerloch am Thema.

Womit Unternehmen wirklich ihr Geld verdienen

Dirk Löhr

mcdoofWenigstens die erfolgreichen Unternehmen sind – wie u.a. der amerikanische Ökonom Mason Gaffney hervorhob – im Wesentlichen verdeckte “Land Banks”. Hierzu das Interview von Tom Aslan (Global Change Now, Köthen) mit Dirk Löhr:

“Rent-Grabbing und Profiteure”

Hintergrundinformationen finden Sie ebenfalls in diesem Blog:

– McDonald’s ist kein Burger-Bruzzler, sondern ein höchst erfolgreiches Immobilienunternehmen: “Gewinne und Renten: McDonald’s ist einfach gut!

– Die großen fünf Mineralölkonzerne verdienen ihr Geld nicht an der Tankstelle, sondern mit dem “Upstream-Geschäft”: “Die Fünf von der Tankstelle – und der übliche Benzinpreisaufreger zu Pfingsten

– Nicht nur der Bauer mit dem Windrad auf seinem verpachteten Grundstück freut sich über die gigantischen Bodenrenten, sondern auch und gerade die großen Energieversorger mit den Grundlastkraftwerken: “Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion”

– Der Erfolg von Microsoft beruht nicht etwa nur auf der tollen Qualität der Produkte, wie jeder Software-Experte weiß. Vielmehr ist Microsoft auf “virtuellen Grundstücken” gebaut: Nämlich auf “geistigen Eigentumsrechten”, die dem Privateigentum an Grund und Boden in vielerlei Hinsicht nachgebildet sind. Siehe hierzu: “Die neue Landnahme: Patente als virtueller Grundbesitz” und “Die wertvollsten Unternehmen der Welt”

– Die Telekom ist – zumindest “auf der letzten Meile” zum Hausanschluss – immer noch ein Monopolist: “Internet: Schmalspur auf der letzten Meile

– Lufthansa & Co. verdanken ihre Renditen v.a. der weitgehenden unentgeltlichen Zuweisung von Landnutzungsrechten (time slots): “Gewinne und Renten: Beispiel Luftfahrt

… und werden dennoch von den Golf-Airlines aufgemischt. Die Golfstaaten finanzieren die Flughafen-Infrastruktur u.a.m. aus ökonomischen Renten anstatt aus Steuern, was in diesem Blog immer wieder propagiert wird:

“Luftkampf – Der Abschuss des Kranichs” oder

“Flughafen Berlin: Kettenreaktion”

Viele andere Beispiele aus der Unternehmenswelt befinden sich in der Kategorie “Branches of Business” (s. die Leiste rechts).

Die “schwarze Null”: Schäubles Mogelpackung

Dirk Löhr

1024px-A_Pothole_in_BroadmoorDie „schwarze Null“: Diese möchte unser Finanzminister Wolfgang Schäuble unbedingt erreichen, zum ersten Mal seit 1969 (Kontraste 2014). Grundsätzlich ist das machbar, allerdings nicht im gegenwärtigen System: Der gesamte Staatshaushalt ließe sich theoretisch bequem aus den ökonomischen Renten finanzieren. Dies besagt das Henry George-Theorem. Dieses kann so interpretiert werden, dass (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen werden. Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Leistungen und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (Marshall 1961). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden (Harrison, 2006) – es ist die öffentliche Hand, welche die rententragenden Vermögensgegenstände in Wert setzt. Dies mündet in die Erkenntnis von Adam Smith, dass – zumal Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte (Smith 1776).

Volkseinkommen

Zusammensetzung

  Verteilung

Private Güter und Dienstleistungen

<=>

Löhne (Arbeit)

Zinsen (Kapital)

Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=>

Renten (Land im weiten Sinne)

Abbildung: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Leistungen aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich also eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen.

Wie Smith bemerkt hatte, setzt das Abschöpfen der Bodenrenten aber gute Regierungsführung voraus. Wenn stattdessen – was heutzutage regelmäßig in den allermeisten Staaten der Fall ist – die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Leistungen verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Leistungen auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen / Einnahmen und Kosten / Ausgaben im Steuerstaat (Löhr 2013). Alternativ wird eben das Angebot an öffentlichen Leistungen zurückgeschraubt (mit der Folge von Unterrichtsausfällen, Notstand in den Pflegeheimen, Schlaglöchern in den Straßen etc.) oder die Kosten über Verschuldung auf künftige Generationen abgewälzt (Schuldendienst). Genau dies macht Schäuble. Damit werden aber ebenfalls Kosten auf künftige Generationen abgewälzt – versteckt. Es besteht ein Instandhaltungsrückstau, für den diese teuer werden zahlen müssen – damit sich die gegenwärtige Regierung im Glanz der schwarzen Null präsentieren kann.

Die Sendung Kontraste vom 17.7.2012 stellte die Problematik eindringlich dar. Laut Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung übersteigt der Verschleiß der Infrastruktur die Investitionen pro Jahr um 40 Mrd. Euro. Allein für die Schulen fehlen heute schon deutschlandweit 22 Milliarden Euro, weil notwendige Sanierungsarbeiten seit Jahren verschoben werden. Das gleiche Desaster besteht bei der Verkehrsinfrastruktur: Nur für ihren Erhalt fehlen pro Jahr 6,5 Milliarden Euro. Das weiß auch der Bundesfinanzminister – und trotzdem rückt der Bund jährlich nur 1, 2 Milliarden zusätzlich heraus. Die versteckten Schulden sind überall.

 

Literatur:

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune – Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, London.

Kontraste (ARD): Mogelpackung „schwarze Null“, Donnerstag 17.07., 22.00. Online nachlesbar: http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-17-07-2014/mogelpackung–schwarze-null—wie-finanzminister-schaeuble-weite.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Marshall, A. (1961): Principles of Economics, ninth variorum edition edited by C W Guilleband,  Macmillan, London.

Smith, A. (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: Methuen & Co. Ltd., online: http://www.econlib.org/library/Smith/smWN.html

Irrsinn in Nahost

Kalaschnikow

Dirk Löhr

Die Hamas entführt drei israelische Youngsters und tötet sie. Israelische Siedler ermorden aus Revanche einen unschuldigen palästinensischen Jugendlichen. Die Hamas terrorisiert – wie auch schon in den Jahren zuvor – die israelische Bevölkerung aus dem Gazastreifen heraus mit Raketenangriffen, und missbraucht dabei ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilder. Israel antwortet mit Militärschlägen, die bis Mitte Juli 2014 bereits mehr als 2oo Palästinenser das Leben gekostet haben. Es ist die Stunde der Hardliner auf beiden Seiten, die sich auch noch gegenseitig in die Hände spielen. Sie rekrutieren sich dabei einerseits aus religiösen Fanatikern, andererseits aus Nationalisten. Die Hamas möchte die Juden am liebsten ins Meer werfen, Palästina den Palästinensern! Israel okkupiert über seine Siedlungspolitik die Westbank – die Siedlungen stehen dabei zu einem erheblichen Teil auf strategisch wichtigen unterirdischen Wasserreserven, deren Kontrolle man heute und in Zukunft ungern den Palästinensern überlassen möchte.

Siedler, es hört sich so harmlos, so friedlich an. Dabei war es der Siedler Kain, der den Nomaden Abel erschlug – ein menschlicher Urkonflikt, der schon in der Bibel beschrieben ist. Es waren auch Siedler, die den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern verübten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bereits der sich ansiedelnde moderne Mensch  vor vielleicht 10.000 Jahren für das Verschwinden der Neandertaler wesentlich mit verantwortlich war. Die Liste ähnlicher Vorkommnisse ist lang. Diese „Erbsünde“ durchzieht die Geschichte der Menschheit seit der neolithischen Revolution.

Die Logik des Konfliktes heißt „Okkupation“, „Exklusivität“ und „Verdrängung“: Land und Wasser soll nur entweder Palästinensern oder Israelis gehören. Steht nicht schon in der Bibel geschrieben, dass das Territorium – und zwar ein viel größeres als das des derzeitigen Israel – den Israeliten zusteht? Andererseits: Waren die Palästinenser nicht viel eher da? Diese Logik ist aber eine Logik der Barbarei. Wer siedelte im Heiligen Land eigentlich vor den Palästinensern? Tatsächlich kultivieren wir über diese Logik einen territorialen Atavismus, der sich offenbar in uns seit den Zeiten der neolithischen Revolution tief eingefressen hat. Nach Grimmel (1996) verhalten wir uns (in einer biologischen Deutung) immer noch wie „… Tiere, die ein bestimmtes Territorium besetzt und andere Tiere daraus vertrieben haben.“ Doch solche kritischen Stimmen, wie auch die von Novalis (1984), werden kaum gehört: „Allen Geschlechtern gehört die Erde – jeder hat Anspruch auf alles.“ Das passt nicht zur Logik der Okkupation, der Exklusivität und der Verdrängung. Es passt nicht zur Idee des Privateigentums, der Idee der Nation oder der Idee des Völkerrechts.

Solange man nicht begreift, dass kein Mensch Land und Natur geschaffen hat, sondern dieses vielmehr das gemeinsame Erbe der Menschheit ist (J. St. Mill 1952), bleiben wir im Kriegszustand. Silvio Gesell (1949) drückte es plastisch wie folgt aus: „Alle Menschen, jeder einzelne Mensch, hat auf den Boden, auf den ganzen Erdball (und dessen grs. unvermehrbaren Naturgüter, D.L.) die gleichen, unveräußerlichen Rechte, und jede Einschränkung dieses Urrechts bedeutet Gewalt, bedeutet Krieg.“

Wir finden das Denken in Okkupation, Exklusivität und Verdrängung beim Privateigentum an Grund und Boden, an Wasser, an mineralischen Ressourcen, bei der unentgeltlichen Zuweisung von CO2-Zerifikaten, von Start- und Landerechten, von Frequenzen etc. etc. Die Ökonomen reden uns ein, dieses Aneignungsregime sei „effizient“. Wir finden es in der Idee des Nationalstaates und im Völkerrecht. Politik- und Rechtswissenschaftler feiern diese Denke in positivistischer Manier als Errungenschaft. Doch: Wir leben nicht in einem Zeitalter der Aufklärung, geschweige denn in einem aufgeklärten Zeitalter. Der Verfasser ist überzeugt, dass Denke in Okkupation, Exklusivität und Verdrängung, die einen großen Teil der Menschheit von den Grundlagen des Überlebens ausschließt, in einigen Jahrhunderten in der Rückschau ähnlich gesehen wird wie die Sklaverei. Auch diese war damals anscheinend ebenso selbstverständlich wie alternativlos.

Sozialtechnische Lösungen zur gemeinschaftlichen Bewirtschaftung von Land und Natur existieren; ich habe sie u.a. breit im „Prinzip Rentenökonomie“ vorgestellt (Löhr 2013). Der Mangel an Alternativen ist nicht das Problem. Das Problem ist eines der (Un-) Kultur: Wir wollen uns mit diesen Alternativen nicht beschäftigen.

 

Literatur:

S. Gesell (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg.

E. Grimmel (1996): Geowissenschaftliche Grundlagen eines umweltverträglichen Rohstoffrechts, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 109, S. 3-14.

D. Löhr (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

J. S. Mill (1952): Grundsätze der politischen Ökonomie nebst einigen Anwendungen auf die Gesellschaftswissenschaft, 2. Bd., Hamburg (Perthes-Besser und Mauke).

Novalis (Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg) (1984): Fragmente und Studien, Stuttgart.

Müllgebühren: Bürger über’s Ohr gehauen

Das Geschäft mit Müll kann einträglich sein. Ein finanziell ruinierter Staat agiert unter diesen Umständen – Hand in Hand mit der Privatwirtschaft – auch gegen die Interessen seiner eigenen Bürger. Und soll dabei seine eigenen Geschäfte kontrollieren … Ein weiteres Beispiel dafür, dass Vater Staat finanziell vernünftig ausgestattet werden muss und bei eigener wirtschaftlicher Betätigung zurückhaltend sein soll, liefert die Reportage von Hans Koberstein und Joe Sperling in Frontal 21 vom 15. Juli. Eine befriedigende finanzielle Ausstattung des Staates kann – was in diesem Blog immer wieder geschildert wird – ohne wirtschaftlich schädliche Folgen (und ohne Steuererhöhungen!!) durch eine konsequentere Abschöpfung der ökonomischen Renten zugunsten der Gemeinschaft erfolgen. Ein finanziell geschwächter Staat kann sich ansonsten nicht über Sonderinteressen stellen – er ist nicht mehr neutral, sondern wird korrupt. Die Farbe der Parteibücher der politisch Verantwortlichen spielt vor diesem Hintergrund kaum eine Rolle.

Wie immer: Wegen privatwirtschaftlicher Privilegien, die als “geistige Eigentumsrechte” firmieren, bitte den Beitrag rasch anschauen – er ist nur zeitlich beschränkt in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Link: http://www.zdf.de/frontal-21/millionenprofite-mit-muellgebuehren-34054992.html

“Gordon Gekko” Berggruen: Good bye, Karstadt?

Dirk Löhr

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Langsam stellt sich Ernüchterung ein. Langsam, nach dem Abgang der ehemaligen Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt. Auch die hochgejubelte Managerin konnte keine Wunder vollbringen, konnte aus dem was von Karstadt noch übrig geblieben ist, keinen profitablen Konzern mehr schmieden. Zumindest nicht ohne Geldspritzen von Berggruen – und diese sind ausgeblieben, entgegen allen Versprechungen. Nach fünf Monaten warf Sjöstedt das Handtuch.

Dem ehemals gefeierten Karstadt-„Retter“ Nicolas Berggruen dürfte das egal sein. Er hat schon Kasse nach altbewährter Gordon Gekko-Manier (“Wall Street”)  gemacht. Berggruen übernahm im Juni 2010 Karstadt für einen symbolischen Preis von einem Euro. Die Versprechungen waren groß, genauso die Hoffnungen bei den Mitarbeitern. Doch anstatt Geld in das Unternehmen zu stecken, filetierte der „Investor“ die Warenhauskette. Die Mehrheit an den Filetstücken wie Karstadt Sports und den drei Luxuswarenhäusern in Berlin, Hamburg und München (incl. dem Berliner KaDeWe insgesamt 17 Karstadt-Häuser in besten Lagen) ging an den österreichischen Investor Rene Benko mit seiner Signa-Gruppe, der diese zusammen mit dem Londoner Diamantenhändler Beny Steinmetz betreibt . Und “Gekko” Berggruen verdiente daran natürlich nicht schlecht. Der Gegenwert wanderte freilich nicht in Karstadt, wie er es ursprünglich versprochen hatte (n-tv 2014).

Nun hat Benko die Möglichkeit, auch den Rest der Gruppe zu übernehmen – für einen symbolischen Euro könnten 75,1 Prozent der kriselnden Karstadt-Stammgesellschaft an ihn übergehen, die die verbliebenen 83 klassischen Warenhäuser betreibt (o.V. 2014). Nichts wäre “Gekko” Berggruen lieber, als den abgenagten Knochen bzw. den schwarzen Peter weiterzugeben. Doch ob Benko die Option zieht, ist mehr als ungewiss. Die Filetstücke hat er ja schon in der Tasche, und Benko dürfte keine Lust haben, sich die Verlustbringer ans Bein zu binden.

Berggruen ist mit Grundstücken in guten Lagen und dem Filetieren von Unternehmen reich geworden. Wir haben in diesem Blog schon diverse Male beschrieben, dass auch Unternehmen als „Land Banks“ gesehen werden können. In jungen Jahren hatte der Sohn des Berliner Galeristen, Kunstsammlers und Mäzens Heinz Berggruen in New York heruntergekommene Immobilien erstanden, saniert und mit Gewinn verkauft. Die Erfolgsgeschichte des “Gekko” Berggruen begann also schon mit Immobilienspekulation. Er wurde schließlich zum Eigentümer an einem Hedgefonds, der sich wiederum an anderen erfolgreichen Hedgefonds beteiligte. Schließlich begann die Berggruen Holding, direkt in Unternehmen zu investieren. So erwarb Berggruen etwa vor zehn Jahren einen amerikanischen Sonnenbrillenhersteller für acht Millionen Dollar. Sechs Jahre später verkaufte er die Firma – für 400 Millionen Dollar. Wie kommt man schnell zu Reichtum? Wer keinen Reichtum anstrebt, arbeitet am besten hart und leistet viel. Wer hingegen schnell reich werden will, raubt am besten die von der Gemeinschaft erzeugten Bodenrenten und bemächtigt sich der Bodenwertzuwächse. Dies ist das Rezept der russischen, ukrainischen, chinesischen, amerikanischen und deutschen Oligarchen.

Wer da glaubte, bei der Übernahme von Karstadt wolle ein Philantrop Gutes tun, muss auf den Deal schon mit sehr blauen Augen geschaut haben. Nun hat der Mohr Karstadt hat seine Schuldigkeit offenbar getan – und man muss wohl kein Prophet sein, schlechte Zeiten für die 17.000 Mitarbeiter vorauszusagen. Ihre Zukunft steht mehr auf der Kippe als jemals zuvor.

Unterdessen verdient “Gekko” Berggruen fleissig weiter – ökonomische Renten natürlich (vgl. Appenzeller 2014). Seit 2005 investierte seine Immobilienholding rund 300 Millionen Euro in den Erwerb und die Sanierung von rund 100 Wohn- und Geschäftshäusern in Berlin und Potsdam. Deren Wert soll inzwischen bei rund 450 Millionen Euro liegen, erfuhr die WirtschaftsWoche aus Immobilienkreisen. Neben typischen Berliner Mietskasernen besitzt Berggruen in Berlin etwa das legendäre Café Moskau, die Sarotti-Höfe und das einst königliche Hauptpostamt in Potsdam. Mitte Mai kaufte seine Holding ein 80.000-Quadratmeter-Grundstück in Berlin-Schöneberg. Im früheren Stammwerk von Knorr-Bremse, das seit August 2012 zu Berggruens Immobilienbesitz gehört, residiert seit kurzem der Onlinehändler und Karstadt-Konkurrent Zalando (Hielscher 2014).

“Gekko” Berggruen geht es nicht um das Handelshaus Karstadt, es geht ihm um die Bodenrenten und den Bodenwertzuwachs. Unmoralisch? “Gekko” Berggruen spielt das Spiel des Systems – und er spielt es gut. Und: Nicht Gordon Gekko Berggruen ist unmoralisch, sondern das Spiel, das mit seinen Regeln ein solches Verhalten geradezu herausfordert.

 

Mehr Informationen

G. Appenzeller (2014): Macht Karstadt dicht, leidet die ganze Stadt, in: Der Tagesspiegel vom 11.7., S. 10.

H. Hielscher (2013): Nicolas Berggruen verdient prächtig mit Berliner Immobilien, in: Wirtschaftswoche Online 22.6. Online: http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/karstadt-inhaber-nicolas-berggruen-verdient-praechtig-mit-berliner-immobilien/8380090.html

n-tv (2014): Verhandlungen mit Benko – Berggruen verliert Interesse an Karstadt vom 11.7. Online: http://www.n-tv.de/wirtschaft/Berggruen-verliert-Interesse-an-Karstadt-article13192006.html

o.V. (2014): Ein Euro für 83 Kaufhäuser, TAZ online vom 11.7. Online: http://www.taz.de/!142255/

Saarland: Grundsteuereinnahmen gehen verloren

Dirk Löhr

Bekanntlich hat es das Saarland ja dicke; saarländische Kommunen schwimmen im Geld. Deswegen kann man es sich offenbar leisten, dass Grundsteuerbescheide nicht bearbeitet werden können oder gar wegen Verjährung Grundsteuereinnahmen ganz verloren gehen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Überlastung der Finanzämter bei der Fortschreibung der Einheitswerte (s. Saarländischer Rundfunk, “Stand der Dinge”  vom 7.7.2014). Diese basieren auf dem Jahr 1964 (im Osten Deutschlands auf 1935), beziehen sich auf Grundstücke und Gebäude und werden fast nur noch für die Grundsteuer benötigt. Die Einheitswerte sind in Niveau (ca. 10 % der Verkehrswerte) und Struktur jenseits von gut und böse. Ein immenser Bewertungsaufwand wird hier betrieben, um etwas auszurechnen, was den Verkehrswerten nicht im entferntesten auch nur ähnelt. Was diese Werte eigentlich abbilden, weiß niemand. Jeder weiß aber, dass das Ergebnis dieses Bewertungspopanz verfassungswidrig ist. Dümmer geht’s nimmer.

Wohl aber intelligenter –  die Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” zeigt, wie: Einfach die Bodenrichtwerte der Gutachterausschüsse nehmen, Steuersätze drauf, fertig. Das schafft ein Computer in Sekundenschnelle, Manpower ist unnötig. Doch: Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht. Das Saarland braucht nicht mehr Steuerbeamte (genauso wenig wie andere Bundesländer), wie von manchen Politikern gefordert wird, sondern eine Reform der Grundsteuer: Weg von der heutigen verbundenen Bemessungsgrundlage  hin zu einer unverbundenen, die sich nur auf den Wert von Grund und Boden bezieht. Und gleichzeitig eine relative Stärkung dieser wohl am meisten unterschätzten und am wenigsten verstandenen Abgabe.