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Vollgeld: Ein Blick zurück nach Wuppertal

Dirk Löhr

Am 11. und 12. März 2017 fand in Wuppertal (Silvio Gesell-Tagungsstätte) eine Tagung der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft statt, die das Vollgeld (https://www.vollgeld.de/) kritisch beleuchtete. Thomas Betz – als Vertreter der „Monetative-Bewegung“ (https://www.monetative.de/) – stellte dabei die Diagnose der Vollgeld-Befürworter vor: Die monetären Aggregate und das Geldvermögen lösen sich danach immer mehr von der Realwirtschaft ab.

Fisher
Irving Fisher

Hierfür wird die private Geldschöpfung der Banken verantwortlich gemacht. Ähnlich wie der 100 %-Money-Vorschlag von Irving Fisher möchte das von Joseph Huber in Deutschland bekannt gemachte Vollgeld eine Abkopplung der Geldmenge bzw. des  Geldvermögens und der Schulden vom realen Sektor unterbinden, und zwar durch eine „Verstaatlichung“ der Geldschöpfung.

Huber
Joseph Huber

Diese soll ausschließlich in staatlicher Hand sein, einer unabhängigen Zentralbank („Monetative“ genannt). Geldschöpfung und Kreditvergabe sollen also – im Gegensatz zum heutigen „fraktionalen System“ getrennt werden: Erstere geschieht durch die Zentralbank, die Letztere durch die Geschäftsbanken (als Finanzintermediäre).

Unterschiede in der Diagnose: Wozu überhaupt Vollgeld?

Die Vollgeld-Skeptiker leugnen gar nicht den Befund, dass die Schulden in der Wirtschaft mit einer höheren Dynamik als die Wirtschaftsleistung gestiegen sind. Allerdings handelt es sich bei der Wirtschaftsleistung (z.B. als Bruttoinlandsprodukt gemessen) um eine Stromgröße, bei der Vermögensausstattung um eine Bestandsgröße. Dass die Letztere ein Mehrfaches der Wirtschaftsleistung betragen muss, kommt im Kapitalkoeffizienten zum Ausdruck. Der Wert des Sachanlagevermögens betrug 2015 ungefähr 13,5 Billionen Euro und das Bruttoinlandsprodukt ca. 3 Billionen Euro. Natürlich wird dabei ein erheblicher Teil des Nettoanlagevermögens durch Verbindlichkeiten finanziert (denen dann bei den anderen Sektoren Forderungen und ganz am Ende Eigenkapital gegenüber stehen müssen). Diese Beziehungen haben unmittelbar wenig mit der Geldschöpfungsfähigkeit der Geschäftsbanken zu tun; sie würden grundsätzlich auch in einem Vollgeldsystem gelten. Im Übrigen kann auch der Zinseszinsmechanismus nur sehr begrenzt zur Begründung der Schere zwischen Wirtschaftsleistung und Verschuldung herangezogen werden. So wird also kein Schuh aus der Entkopplungsthese.

Dies gilt umso mehr, als die Vollgeldbefürworter genauso wenig wie Neoklassiker zwischen der Verwendung der Kredite für normale Kapitalgütern einerseits sowie „Land“ und ähnlichen Assets andererseits einen grundsätzlichen Unterschied machen. Bei der heutigen Finanzierung von normalen Kapitalgütern durch Kredite entsteht im Zuge der Kreditaufnahme Geld – die Geschäftsbanken räumen den Schuldnern Guthaben auf der Passivseite ihrer Bilanz ein (Bilanzverlängerung). Die Schuldner kaufen mit diesem Guthaben Vermögensgegenstände, die dem Anlage- oder Umlaufvermögen zugeordnet werden. Die Kredite werden dann entweder aus den Abschreibungen (soweit diese verdient werden) oder aus dem Umschlag des Umlaufvermögens wieder getilgt. Am Ende verschwinden der Kredit und damit das geschaffene Geld (zusammen mit dem betreffenden Vermögensgegenstand) sowohl aus der Bilanz des Kreditnehmers (nach Vollabschreibung bzw. Umschlag) wie auch das geschaffene Geld aus der Bankbilanz. Insoweit ist also ebenfalls keine Entkopplung von finanziellem und realem Sektor möglich.

Der reale und der monetäre Sektor entkoppeln sich erst dort, wo die aufgenommenen Kredite (und das damit geschaffene neue Geld) nicht in die Realwirtschaft, sondern in die „Finanzstratosphäre“ fließen. Die wichtigsten Bereiche sind dabei v.a. die Immobilien- und die Aktienmärkte. Was die Immobilienmärkte angeht, werden die Preissteigerungen dabei nicht primär durch das aufstehende Gebäude, sondern durch die Werterhöhungen von Grund und Boden getrieben. Häuserpreisblasen sind somit im Wesen „Landpreisblasen“. Auch der Kern der Unternehmensgewinne sind ökonomische Renten, was in diesem Blog wiederholt beschrieben wurde.

Bärenmärkte

Quelle: Schulmeister (2016)

Das größte Volumen dieser drei Bärenmärkte hat der Immobilienmärkt mit derzeit ca. 10 Billionen Euro, wovon in grober Schätzung zwischen 30 % und 40 % auf Grund und Boden entfallen dürften (die offiziellen Statistiken haben in der Abbildung dieses Befundes aus verschiedensten Gründen erhebliche Defizite). Mit weitem Abstand folgen der Aktienmarkt mit ca. 1,6 Billionen Euro, und die Rohstoffmärkte stellen wiederum nur einen kleinen Teil hiervon dar.

Nun pumpt die EZB derzeit bekanntlich jeden Monat viele Milliarden Euro in die Märkte, um die hinkenden Volkswirtschaften der südlichen Peripherie der EU am Laufen zu halten. Dieses Geld landet allerdings zu einem erheblichen Teil nicht in der Realwirtschaft, sondern in der Finanzstratosphäre, was in der sinkenden Umlaufsgeschwindigkeit der engeren Geldmengenaggregate abgelesen werden kann.

Sowohl eine Aufblähung der Bodenpreise wie auch eine Aufblähung der Aktienkurse werden dabei von ökonomischen Renten getrieben – eine Kategorie, die den meisten Vertretern der Vollgeldbewegung offenbar unbekannt ist. Oft werden die betreffenden Assets über (partielle) Kreditfinanzierung angeschafft, ohne dass der unmittelbare Umschlag beabsichtigt ist. Auch eine Schuldentilgung über Abschreibungen ist Seitens des Kreditnehmers erst einmal nicht möglich, da es sich bei Land und Unternehmensanteilen um nicht abnutzbare Vermögensgegenstände handelt.

Nun könnte auch Vollgeld das Aufblasen dieser rentenbasierten Aktiva nicht verhindern, allenfalls ein wenig abdämpfen. Wollte die Zentralbank (Monetative) ein Aufpumpen der Finanzstratosphäre verhindern, so könnte auch sie nicht zwischen der realwirtschaftlichen Sphäre und der Finanzstratosphäre differenzieren. Vielmehr kann sie nur beide Sektoren zusammen befeuern oder abwürgen. Selbst wenn die Monetative eine potentialorientierte Geldpolitik verfolgt, ändert sich nichts an dieser Ohnmacht. Auch der Vorschlag, bei der Messung des Preisniveaus für Zwecke des Vollgeldes Bestandsaktiva wie Aktien und Immobilien mit zu berücksichtigen erscheint, als ob man den Klimawandel mit einer Neueichung der Thermometer bekämpfen wolle.

Um die Finanzstratosphäre gezielt in den Griff zu bekommen, empfiehlt sich vielmehr eine „Entkapitalisierung“ von „Land“ und Aktien durch die Abschöpfung der ökonomischen Renten. Insoweit geht es um Finanz- und Steuerpolitik. Auch die Eindämmung der Rohstoffspekulation über entsprechende Regulierungen ist diskutabel. Insofern ergäbe sich kein Anreiz mehr, Kredite zum Zwecke des Erwerbs von Boden bzw. Aktien aufzunehmen.

Die Problematik ist also nicht die Geld- und Kreditschöpfung an sich, sondern die Art und Weise der Verwendung der Kredite (s. auch Schulmeister 2016). Und genau dies lässt sich nicht durch Vollgeld steuern, sondern besser durch andere, zielgerichtete Instrumente. Dies korrespondiert mit der von Jan Tinbergen (1952) formulierten Einsatzregel für wirtschaftspolitische Instrumente, wonach voneinander unabhängige wirtschaftspolitische Ziele mit unabhängigen Instrumenten verfolgt werden sollen. Allerdings setzt die Anwendung der Tinbergen-Regel die Erkenntnis voraus, dass das Aufblasen der Finanzstratosphäre ihre eigentlichen Ursachen nicht in der Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken hat, sondern in den ökonomischen Renten, die an Land und an Unternehmensanteilen haften.

Vollgeld als Panazee?

Demgegenüber wird der Vollgeldvorschlag von einigen Befürwortern als eine Art Allheilmittel präsentiert. U.a. wird behauptet, dass der Vorschlag die Konjunktur stabilisiert, dass sich das wirtschaftliche Wachstum eindämmen lässt, dass die Einkommensverteilung gerechter wird etc. etc.

Tatsächlich kann lediglich die Geldmenge effektiver als heute gesteuert werden, wenngleich auch hier das Problem privat geschaffener Zahlungsmittel nicht per se aus der Welt geschafft ist (man denke z.B. an Bitcoins) und es wie ausgeführt eben nicht in der Hand der „Monetative“ liegt, wofür die aufgenommenen Kredite (bzw. das neu geschöpfte Geld) Verwendung finden. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kann ebenso wenig kontrolliert werden, und damit folglich auch nicht die gesamte Geldseite der Wirtschaft (s. die Fisher-Verkehrsgleichung). Die Umlaufgeschwindigkeit kann beispielsweise einbrechen aufgrund klassischer Hortung bzw. Kaufzurückhaltung oder der Speisung der Finanzstratosphäre mit neuem oder altem Geld.

Was z.B. das Wachstum angeht, wird die „Goldene Regel der Kapitalakkumulation“ (Allais / Phelps, S. Löhr 2012) nicht adressiert. Hiernach ist ein Nullwachstum ohne Nullzins nur unter sehr fragilen Bedingungen längerfristig vorstellbar. Und der Zins als solcher steht nun einmal nicht auf der schwarzen Liste der Vollgeldbefürworter.

Der Vollgeldvorschlag hat von seiner Problemlösungsfähigkeit im Prinzip nur eine ähnliche Reichweite wie der „naive Monetarismus“ eines Milton Friedman (der im Übrigen ein Befürworter des 100%-Money von Irving Fisher und damit eines Vollgeld-Vorläufers war).

Generell drückt den Bürger in Deutschland heutzutage Jobunsicherheit, eine hohe Differenz zwischen Brutto- und Nettoeinkommen, hohe Mieten in den Ballungsräumen etc. etc. All dies kann der Vollgeldvorschlag nicht adressieren.

Unbeantwortete Fragen

Darüber hinaus gibt es eine Menge unbeantworteter Frage. Beispielsweise ist die Zweckmäßigkeit der Geldmengensteuerung unklar. Nicht ohne Grund gingen die Zentralbanken hiervon zugunsten der Verfolgung von Zins- und Inflationszielen wieder ab, wenngleich die Geldmengenausweitung weiter beobachtet und auch hierüber berichtet wird. Also Geldmengensteuerung als Selbstzweck?

Entscheidende Parameter der Geldschöpfung, wie der Bargeldabzugskoeffizient oder die Überschussreserve der Banken, könnten im Übrigen auch über eine Umlaufsicherung des Geldes sehr gut gesteuert werden – dieser Vorschlag geht auf Silvio Gesell zurück.

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Silvio Gesell

Dies gilt im Übrigen auch bezüglich der Fristentransformation (aus kurz mach lang). Wie man hier ein Mismatch (kurzfristige Kredite an Banken, kurzfristige Kredite von Banken) angehen will, wird ebenfalls nicht thematisiert. Für die meisten Vollgeldbefürworter ist dies heutzutage zwar deswegen kein Thema, weil die Kreditvergabe angeblich ohne vorherige Investition möglich sein soll. Stattdessen sei „eine Kreditschöpfung aus dem Nichts“, also ohne vorherige Ersparnisse möglich. Geschäftsbanken – so die Vollgeldbefürworter – seien also gar keine Intermediäre. Diese Idee ist jedoch absurd.

An dieser Stelle sei ein kurzer Exkurs gestattet: Selbst für den denkbaren, aber extremen Fall, dass sich die kreditgebende Bank komplett bei derjenigen Bank refinanziert, auf die durch den Kreditnehmer sein eingeräumtes Guthaben überwiesen wurde, muss diesen Vorgängen immer irgend eine realwirtschaftliche Vorleistungen vorausgehen, di e über den eingeräumten Kredit in Anspruch genommen werden: Seien es schon existente Kapitalgüter oder aber nur die Lebensmittel für die Arbeiter. Die Idee von einem Kredit, von dem man sich nichts kaufen kann, ist gelinde gesagt abwegig. Betrachtet man die realwirtschaftliche Seite mit, erscheint die Idee der Vollgeldbefürworter eines voraussetzungslosen Investierens absurd.

Zwar kann man sich (wenn man von Überschuss- bzw. Mindestreserven der Geschäftsbanken absieht) rein buchungstechnisch Extremfälle vorstellen, bei denen zwischen mehreren Banken Kredite ohne vorherige Einlagen geschaffen werden. Nachdem im Zuge der Kreditvergabe ein Guthaben eingeräumt wurde und der Schuldner dieses nutzt, um eine Anschaffung zu tätigen (s. unten mehr), entsteht jedoch auf der Passivseite ein Loch – die Geschäftsbank muss sich refinanzieren. So betreiben die Banken nicht nur aus Jux ein Management der Fristentransformation.

Im Vollgeldsystem müsste die Bedeutung der Fristentransformation eigentlich unstrittig sein. Im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung lässt sich die Fristentransformation jedoch durchaus im Rahmen eines fraktionalen Systems effektiv beinflussen. Entsprechende Vorschläge wurden von Jenetzky und mir schon im Jahr 1995 getätigt (die auf eine Belastung einer vorgeschriebenen Mindestreserve durch eine Gebühr hinausläuft). Ähnliche Mechanismen wären auch bei Vollgeld denkbar, wurden meines Wissens aber bislang noch nicht diskutiert.

Schließlich ist den Vollgeldbefürwortern auch die „Seignorage“ beim privat geschaffenen Giralgeld ein Dorn im Auge. Die Zinsseignorage (nur diese ist hier bedeutsam) kann aber – im Rahmen des Gesellschen Paradigmas – auch mit anderen Mitteln (Umlaufsicherung) gezielt angegangen werden.

In der Wuppertaler Veranstaltung wurden eine Reihe von weiteren intelligenten Fragen durch Ferdinand Wenzlaff gestellt, die hier nicht sämtlich referiert werden können – aus monetärkeynesianischer Perspektive.

Fazit

Obwohl viele offene Fragen verbleiben, verdient der Vollgeldvorschlag die weitere Erörterung. Dabei sollte an erster Stelle die Frage danach stehen, was mit dem Vollgeld eigentlich genau erreicht werden soll. Der vorliegende Beitrag will nicht sagen, dass der Vorschlag nicht Ziel führend ist. Die Ziele sollten aber präzise benannt werden, und mit Bezug auf die Problemlösungspotentiale ist dabei (vor dem Hintergrund der Tinbergen-Regel) auch ein wenig mehr Bescheidenheit geboten, als sie manch ein Vollgeld-Befürworter zur Schau trägt (in Wuppertal fiel der Satz „wir sind die Sieger“). Die Problemlösungsfähigkeit des Vollgeldes erscheint nämlich bei genauerem Hinsehen wesentlich geringer zu sein, als es sich in der öffentlichen Diskussion hierüber abbildet. Auch mögliche Kollateralschäden einer Substitution des fraktalen Systems durch Vollgeld sollten beachtet werden.

Mit Blick auf die auch von Gesell erhobene Forderung einer „Verstaatlichung“ des Geldwesens stehen im Übrigen insbesondere viele Anhänger der Freiwirtschaft dem Vollgeld-Vorschlag mit Sympathie gegenüber.  Vollgeld ist tatsächlich insofern ein „starkes Konzept“, als dass eine Verbindung mit anderen Aspekten (wie Umlaufsicherung und besserer Steuerung der Fristenkongruenz) durchaus denkbar ist. Andererseits kam in der Wuppertaler Diskussion deutlich zum Ausdruck, dass eine solche Diskussion viel zu wenig stattfindet. Es handelt sich bei der Debatte um das Vollgeld bislang leider (noch) nicht um einen wissenschaftlicher Austausch im Sinne eines „Lernen voneinander“, der diesen Namen verdient. Vorbildlich in diesem Sinne war im Rahmen der Wuppertaler Veranstaltung der Vortrag von Prof. Johann Walter, einem bekennenden Vollgeld-Sympathisanten. Dennoch wurde in der Diskussion deutlich, dass die Vollgeldidee zu oft wie eine Monstranz vor Gläubigen hergetragen wird, der man entweder folgt (= „Freund“) oder nicht (= „Gegner“). Wohl gibt es sehr viele Vollgeldbefürworter, die anders agieren (auch in Wuppertal). An diese geht der Appell eines ergebnisoffenen Austauschs.

Literatur

Löhr D., Jenetzky, J. (1995): Neutrale Liquidität, Frankfurt a.M.

Löhr, D. (2012): The Euthanasia of the Rentier – a Way towards a Steady-State Economy?, in: Ecological Economics 84, S. 232-239.

Schulmeister, S. (2016): Das “Vollgeldsystem” – notwendige Reform oder gefährliches Allheilmittel? WIFO Working Papers 518, Wien.

Tinbergen, J., (1952): On the Theory of Economic Policy. North-Holland, Amsterdam, Netherlands.

Geldschöpfung und kein Ende: Robinson und die Eichhörnchen

Dirk Löhr

Um die Geldschöpfungsdebatte habe ich bewusst immer einen großen Bogen gemacht – die Chance, sich einen Shitstorm einzufangen und arbeitsunfähig zu werden, ist kaum irgendwo größer als hier. Doch sei’s drum. Ich sehe mich nun genötigt, das Thema in diesem Blog aufzugreifen. Denn manche Befürworter der „autonomen Geldschöpfung“ der Geschäftsbanken gehen so weit zu behaupten, Kredite könnten vergeben werden, ohne dass zuvor Ersparnisse gebildet worden wären. Dies würde bedeuten, dass das auf die Physiokraten zurückgehende und von Gesell und Keynes aufgegriffene volkswirtschaftliche Kreislaufdenken obsolet wäre. M.E. ist dies harter Tobak, der zustande kommt, weil

  • die realwirtschaftliche „Parallelwelt“ in der Argumentation nicht beachtet wird und
  • die Argumentation genauso wenig wie die Neoklassik zwischen Kapital und Land differenziert.

In einem ersten Schritt soll nachfolgend der Geldschöpfungsvorgang anhand einer Robinsonade so dargestellt werden, wie das auch die Deutsche Bundesbank in ihren Veröffentlichungen macht. In einem zweiten Schritt wird dann die Erweiterung um die realwirtschaftliche Parallelwelt vorgenommen. Der dritte Schritt macht die Konsequenzen einer Differenzierung zwischen Land und Kapital deutlich. In einem Schlussteil werden noch ein paar Anmerkungen zur Rolle des Zinses und der ökonomischen Renten gemacht.

 

Das Geldschöpfungsphänomen

Anders als einige Autoren v.a. aus dem freiwirtschaftlichen Spektrum folgen wir der Auffassung, dass eine Geldschöpfung der Banken existiert. Die nachfolgenden Ausführungen sind bewusst z.T. wörtlich an diejenigen der Deutschen Bundesbank zu diesem Thema angelehnt:

In der Regel gewährt die Bank einem Kunden einen Kredit und schreibt ihm den entsprechenden Betrag auf dessen Girokonto als Sichteinlage gut. Wird einem Kunden ein Kredit über 1.000 GE gewährt (z. B. Laufzeit 1 Periode), erhöht sich die Sichteinlage des Kunden auf seinem Girokonto um 1.000 GE. Es ist Buchgeld entstanden oder es wurden 1.000 GE Buchgeld geschaffen.

Vergibt die A-Bank also den Kredit an Robinson, so kann sie diesen in einem ersten Schritt dadurch finanzieren, dass sie den entsprechenden Betrag an Buchgeld selbst schafft. Sie verbucht auf der Aktivseite ihrer Bilanz den gewährten Kredit als Forderung an den Kreditnehmer, auf der Passivseite ihrer Bilanz schreibt sie dem Kreditnehmer den Kreditbetrag auf dessen Konto als Sichteinlage gut. Aus Sicht der Bank ist diese Sichteinlage eine Verbindlichkeit – sie schuldet dem Kontoinhaber dieses Geld.

In der stilisierten Bilanz der A-Bank sieht dies folgendermaßen aus:

A-Bank
Aktiva Passiva
1.000 GE Kredit an Robinson Sichtguthaben Robinson 1.000 GE

Die Kritik, die Banken würden an dieser Stelle wegen der Zinsdifferenz zwischen Kreditzinsen und Zinsen auf Sichtguthaben hohe Zinsgewinne erzielen, hält allerdings nicht. Robinson wird nämlich das ihm eingeräumte Sichtguthaben schnellstens für eine Zahlung (an Freitag) verwenden, von dem er z.B. einen Speer kauft. Dabei überweist Robinson die 1.000 Euro auf ein Girokonto von Freitag bei der B-Bank. Für die Kredit gebende A-Bank bedeutet dies, dass die Sichteinlage des Kunden, also das selbst geschaffene Buchgeld, abfließt – und dass sie den Kredit nun “refinanzieren” muss. Laufen alle Vorgänge in einer einzigen “logischen Sekunde” ab (dazu unten mehr), kann ihr dazu die B-Bank einen Kredit gewähren – viele Banken haben tatsächlich untereinander entsprechende Vereinbarungen.

A-Bank
Aktiva Passiva
1.000 GE Kredit an Robinson Sichtguthaben Robinson 0 GE
Verbindlichkeit ggü. B-Bank 1.000 GE

In der Bilanz der B-Bank wird dies wie folgt abgebildet:

B-Bank
Aktiva Passiva
1.000 GE Kredit an A-Bank Sichtguthaben Freitag 1.000 GE

Die A-Bank hat somit eine täglich fällige Verbindlichkeit gegenüber der B-Bank. Die A-Bank muss nun den Zinsertrag aus dem Kundenkredit an Robinson zum Teil an die B-Bank abgeben – und damit einen Teil ihres Gewinns aus der Buchgeldschöpfung.

Fazit: Ohne auf Zentralbankgeld zurückgreifen zu müssen, wird im obigen Beispiel ein neues Guthaben erzeugt – das definitionsgemäß als „Geld“ gilt. Definitionen können nun nicht richtig oder falsch, sondern nur zweckmäßig oder unzweckmäßig sein. Schließt man sich der allgemein gültigen Gelddefinition an, hat das Bankensystem unabhängig von der Zentralbank Geldschöpfung vollzogen. Angemerkt sei allerdings, dass der oben beschriebene Vorgang in einer “logischen Sekunde” geschah. Soweit die verschiedenen Schritte in der Realität zeitlich aufeinander folgend ablaufen, kann der Vorgang sich nicht so unabhängig von der Zentralbank wie beschrieben vollziehen. Hinzu kommt auch das Erfordernis, wegen unvorhersehbarer (Bar-) Geldabflüsse Liquiditätsreserven sowie die vorgeschriebene Mindestreserve zu halten. Die Bank wird sich allerdings v.a. im Wege von Clearingprozessen zu einem beträchtlichen Teil tatsächlich zeitgleich refinanzieren können. Sofern dies unsicher oder unmöglich ist, müssen die entsprechenden Finanzierungsmittel (bereit gestellt durch andere Banken, Unternehmen oder durch private Sparer) schon vor der Kreditvergabe für die Kredit gebende Bank zur Verfügung stehen. Doch selbst im oben dargestellten Fall der zeitgleichen Refinanzierung müssen schon realwirtschaftliche Ersparnisse VOR der Kreditvorgabe existieren. Diese realwirtschaftliche Perspektive wird nachfolgend illustriert.

 

Die realwirtschaftliche Seite

Die meisten Betrachtungen über die Geldschöpfungsvorgänge enden nach dem oben dargestellten ersten Schritt. Dabei wird es nun eigentlich erst interessant. Was ist nämlich realwirtschaftlich passiert? Robinson hat von Freitag einen Speer gekauft. Dieses Kapitalgut wurde bereits vorher von Freitag hergestellt – es stellte eine realwirtschaftliche Ersparnis (durch Freitag) dar. Diese wird nun mittels Kreditfinanzierung durch Robinson in Anspruch genommen. Realwirtschaftlich muss bei einer Kreditbeziehung also auf schon vorhandene Vermögenswerte zurückgegriffen werden; eine „Kreditvergabe aus dem Nichts“ wäre unsinnig, wenn es nichts gäbe, was man für diesen Kredit kaufen könnte. Es fand also durchaus eine Ersparnisbildung statt – nämlich vorliegend durch Freitag, der den Speer (Kapitalgut) herstellte, aber vor dem Deal mit Robinson nichts mit dessen A-Bank zu tun hatte (die Hausbank von Freitag ist die B-Bank). Die Eingangsbilanz des Robinson sieht nach Kauf des Speers via Kreditaufnahme folgendermaßen aus:

Robinson: Eingangsbilanz (1.1.)
Aktiva Passiva
1.000 GE Speer Verbindlichkeit A-Bank 1.000 GE
 Eigenkapital  0 GE

Nehmen wir nun an, Robinson jagt mit dem Speer Eichhörnchen. Die Viecher sind schnell, und viele Würfe treffen daneben, nämlich auf Steine und Felsen. Durch das Jagen nutzt sich während der Periode also der Speer ab. Am Anfang der Periode war er noch 1.000 GE wert, am Ende nichts mehr. Die gemeuchelten Eichhörnchen wiederum verkauft Robinson gesalzen und gepökelt an Freitag; die Erlöse i.H.v. 1.000 werden in einem Betrag am Ende der Periode von Freitag an Robinson gezahlt. In der stilisierten Schlussbilanz Robinsons wird der Vorgang wie folgt abgebildet:

Robinson: Schlussbbilanz (31.12.)

Aktiva

Passiva

0 GE Anfangsbest.1.1. AB Verbindlichkeiten 1.1.

0 GE

1.000 GE Anschaffung Speer Verbindlichkeit A-Bank

1.000 GE

./. 1.000 GE ./. Abschreibungen Tilgung aus Abschreibungen

./. 1.000 GE

0 GE Endbestand 31.12. EB Verbindlichkeiten 31.12.

0 GE

AB Eigenkapital 1.1.GuV-Konto:Erlöse:                     1.000 GEAbschreib.:      ./. 1.000 GEGewinn:                         0 GE  0 GE
EB Eigenkapital 31.12.

0 GE

Die Struktur der Bilanz wurde geändert, um die Korrespondenz zwischen Abschreibungen und Kredittilgungen deutlich zu machen: Denn während der Periode wird aus dem Gegenwert der Abschreibungen der laufende Kredit des Robinson getilgt.

Die A-Bank hat daher am 31.12. weder einen ausstehenden Kredit gegenüber Robinson gebucht, noch hat sie Verbindlichkeiten gegenüber der B-Bank, da sie aus den zufließenden Geldmitteln die Verbindlichkeit gegenüber der B-Bank begleicht. Zumal die Zahlung für die Eichhörnchen an Robinson durch Freitag ebenfalls via Überweisung vorgenommen wurde, ist zum Periodenende auch dessen Konto leer geräumt. Die Schlussbilanzen der A-Bank und der B-Bank sehen dann stilisiert folgendermaßen aus:

Schlussbilanz A-Bank
Aktiva Passiva
0 GE Kredit an Robinson Sichtguthaben Robinson 0 GE
Verbindlichkeit ggü. B-Bank 0 GE
Schlussbilanz B-Bank
Aktiva Passiva
0 GE Kredit an A-Bank Sichtguthaben Freitag 0 GE

Fazit: Die Existenz des geschöpften Geldes währte so lange, wie das Kapitalgut abgeschrieben wurde und aus den Abschreibungen die Kredittilgung erfolgte. Im vorliegenden Beispiel war dies aus didaktischen Gründen nur eine Periode. Und in der Realität ist die Übereinstimmung zwischen Abschreibungs- und Kredittilgungsdauer natürlich nicht perfekt. In der Summe hält sie aber. Die angestellte Betrachtung zeigt, dass sich durch die Geldschöpfung der Banken die geldwirtschaftliche Seite nicht von der realwirtschaftlichen Seite lösen kann. Wo zusätzliches Geld geschöpft wurde, gab es auch zusätzliche (Kapital-) Güter. Mit dem Verschwinden der Letzteren verschwindet auch das geschöpfte Geld.

 

Störfaktor: Nicht abnutzbare Vermögenswerte

Anders sieht es freilich aus, wenn nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter über Kredite finanziert werden. Klassischerweise sind dies Grund und Boden sowie Beteiligungen. Im Buch „Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird“ […] habe ich dargestellt, dass auch Beteiligungen an Unternehmen als „indirekte Investitionen“ in Land (als Genusbegriff) verstanden werden können. Wichtig sind nun folgende Aspekte:

  • Versteht man unter „Sparen“ im volkswirtschaftlichen Sinne den realwirtschaftlichen Aufbau von Vermögenswerten zum Zweck des späteren Gebrauchs / Verbrauchs, so kann man in Land nicht sparen. Man kann lediglich den Wert von Land „aufblasen“- mit dem Risiko, dass diese Blase irgendwann einmal platzt. Ähnliches gilt für Beteiligungen an Unternehmen.
  • Genauso wenig kann man aus den Abschreibungen auf Land Kredittilgungen vornehmen – hier gibt es nämlich keine Normalabschreibungen. Für Unternehmensbeteiligungen gilt Entsprechendes.
  • Zinsen könnten allerdings aus Land gezahlt werden, nämlich aus den Bodenrenten. Oftmals wird übersehen, dass über Kreditzinsen de facto Renten an die Kreditgeber weitergeleitet werden.

Wenn also Robinson von Freitag keinen Speer, sondern eine Parzelle kauft, kann der im vorangehenden Abschnitt beschriebene Mechanismus nicht funktionieren. Das Bankensystem kann zwar Geld schöpfen;  dieses geschöpfte Geld kann aber nicht zurückgeführt werden. Vielmehr erhöht sich einerseits die umlaufende Geldmenge, und spiegelbildlich werden die nicht abschreibungsfähigen, rententragenden Assets aufgeblasen. Die Kreditaufnahme erfolgt nicht zum Zwecke der Verfügung über realwirtschaftliche Ersparnisse; insoweit sind auch keine neuen Güter und Dienstleistungen entstanden.  In der Fisherschen Verkehrsgleichung zeigt sich die Inflationierung der Finanzstratosphäre in einer Abnahme der Umlaufgeschwindigkeit der jeweiligen Geldmengenaggregate – wie wir sie ja auch tatsächlich im säkularen Trend beobachten können.

Eine „Bereinigung“ via Geldvernichtung (incl. Vernichtung der entsprechenden Forderungen im Bankensystem) findet erst dann statt, wenn die Blase eines schönen Tages platzt. Die „Geldvernichtung“ erfolgt dann aber nicht in kontrollierten Bahnen (wie bei abnutzbaren Kapitalgütern), sondern eben im Rahmen einer Krise.

Fazit: Heikel wird es für die Wirtschaft insbesondere bei kreditfinanzierten Immobilenbooms. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass sowohl die räumlichen Preisunterschiede (z.B. zwischen einem Haus desselben Typs in Mecklenburg-Vorpommern und München) als auch die zeitlichen Preisunterschiede (z.B. die Immobilienpreisentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern und München im Laufe der Zeit) zu einem erheblichen Teil auf die Boden- und nicht die Gebäudekomponente zurückzuführen sind (auch dies haben wir in diesem Blog immer wieder beschrieben). Für Beteiligungen an Unternehmen gilt Entsprechendes, weswegen Formen wie kreditfinanzierte „Management Buy Outs“ u. dgl. aus volkswirtschaftlicher Perspektive grundsätzlich kritisch zu beurteilen sind.

 

Anmerkungen zum Schluss

Aus den Ausführungen sollte hervorgegangen sein, dass Kreditvergaben und Investitionen ohne vorherige (realwirtschaftliche) Ersparnisse nicht möglich sind (allerdings muss die Ersparnisbildung nicht unbedingt immer einen unmittelbaren Bezug zur kreditgebenden Bank aufweisen). Die Kreislaufbetrachtung der Wirtschaft ist somit nicht obsolet.

Der Text wollte auch darstellen, dass ein wesentliches Problem nicht die Geldschöpfungsfähigkeit der Geschäftsbanken an sich ist. Das Problem liegt vielmehr darin, dass rententragende, nicht abnutzbare Vermögenswerte (v.a. Grund und Boden sowie Unternehmensanteile) von den ausgegebenen Krediten gekauft werden können. Dies führt zu immer größeren Geldmengen, denen keine Güter und Dienstleistungen gegenüberstehen, und die nicht wieder vernichtet werden können. Die Folge ist eine Assetpreisinflation.

Die sauberste Lösung wäre die Dekapitalisierung von Land über eine Bodenwertsteuer oder eine Erbbaurechtslösung, über die in diesem Blog immer wieder diskutiert wurde (ergänzend wäre u.a. auch das Urheber- und Patentrecht zu ändern, das ein Abklatsch der Eigentumsrechte an Grund und Boden darstellt). Ist Land in privater Hand wertlos, erfolgt auch keine Kreditfinanzierung desselben. Eine drittbeste Lösung (weil sie die eigentlichen Probleme ebenfalls nicht auf die Hörner nimmt) wäre eine Regulierung dahingehend, dass Kreditvergaben zum Zwecke des Kaufs von Grund und Boden sowie Unternehmensbeteiligungen möglichst unterbunden werden.  In eine solche Richtung ging z.B. die in den letzten Jahren durchgeführte Politik der VR China – in Gestalt von Restriktionen bei Krediten zum Kauf von Immobilien. Schließlich sind Vollgeld und 100%-Money leider nur Scheinlösungen, da sie das hier dargestellte Schlüsselproblem nicht grundsätzlich angehen.

Weil ich den vernachlässigten Aspekt der rententragenden Assets hervorheben wollte, habe ich in diesem Beitrag bewusst das Problem der Verzinsung von Einlagen und Krediten in den Hintergrund gestellt, die ebenfalls Schieflagen in das Finanzsystem tragen kann.

Kein Bargeld mehr? Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet

Dirk Löhr

Wie der ehemalige US-Finanzminister und Ökonom Larry Summers und der US-Ökonom Kenneth Rogoff plädiert nun auch der Wirtschaftsweise Peter Bofinger für eine Abschaffung des Bargeldes.

Peter Bofinger (Quelle: Wikipedia)
Peter Bofinger (Quelle: Wikipedia)

Siehe hierzu den Spiegel Online-Artikel vom 16.05.:

Einfluss für Notenbanken: Wirtschaftsweiser Bofinger fordert Ende des Bargelds (bitte klicken)

Aufgrund der Existenz des Bargeldes hätten die Leitzinsen von Notenbanken weniger Durchschlagskraft, wenn Banken oder Verbraucher statt Guthaben Bargeld horten. Bofinger liegt mit der Analyse des Phänomens zwar richtig, schüttet aber dennoch das Kind mit dem Bade aus. Mehr hierzu finden Sie im Artikel aus der Zeitschrift für Sozialökonomie (184./185. Folge, April 2015):

“Negativzinspolitik: Die EZB als jene Kraft, die Gutes will und doch das Böse schafft?” (bitte klicken)

Geldregen der EZB: Verteilungspolitischer Segen?

Dirk Löhr

Im Blogartikel vom 7.3. „UNTERNEHMEN ALS VERDECKTE „LAND BANKS“ – DIE SPIEGELBILDHYPOTHESE“ haben wir gezeigt, warum zumindest die erfolgreichen Unternehmen als „hidden land banks“ betrachtet werden können. Investitionen in Unternehmensanteile sind demnach als indirekte Investitionen in den Faktor Land zu verstehen. “Land” ist dabei  als Genus zu betrachten, der auch Assets mit ähnlichen Eigenschaften wie Land, wie etwa Patente umfasst. Investitionen in Unternehmensanteile sind hingegen – anders als die herkömmliche ökonomische Meinung verlautbart – keine Investitionen in den Faktor Kapital. Der Kern der ökonomischen Gewinne sind dementsprechend Renten (hinzu kommt noch eine Risikoprämie und bei Personenunternehmen der kalkulatorische Unternehmerlohn); Gewinne haben hingegen keinen „Zinscharakter“, wie der Mainstream behauptet.

Bubble about to explode by a needle
Haben wir schon eine Vermögenspreisblase? Wann platzt sie?

 

Auch Kursgewinne bei Aktien sind im Prinzip nichts anderes wie Steigerungen der Bodenpreise, und Konzerngewinne sind grundsätzlich nicht anders als Bodenrenten zu beurteilen. Diese Sicht der Dinge hat Konsequenzen – auch für die Wirkung der jüngst eingeleiteten Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

 

Das Anleihekaufprogramm der EZB

EZB-Chef Draghi gab am 22. Januar 2015 ein “erweitertes Anleihenkaufprogramm” bekannt, das über den bereits laufenden Ankauf von Unternehmensanleihen nun bald auch Schuldscheine europäischer Staaten umfasst [1].

Mario Draghi
Mario Draghi

Die EZB beabsichtigt, von Anfang März 2015 bis mindestens Ende September 2016 jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro zu kaufen, rund 80 Prozent davon als Staatsanleihen. Das Gesamtvolumen des Programms beträgt damit zunächst gut 1,1 Billionen Euro, rund 920 Milliarden Euro davon sind Staatsanleihen [2]. Eine Vielzahl von Indizien (z.B. die sinkende Geldumlaufgeschwindigkeit v.a. für kurzfristige Geldmengenaggregate) deutet allerdings darauf hin, dass der Geldsegen der EZB bislang kaum die Realwirtschaft erreicht, sondern vor allem in der “Finanzstratosphäre” landet. Was sind vor diesem Hintergrund die verteilungspolitischen Folgen dieser Politik?

 

Gewinnsteigerungen und funktionale Einkommensverteilung

In der Realwirtschaft machen sich die niedrigeren Zinsen wohl bemerkbar – allerdings in einer anderen Weise als erhofft. Niedrigere Zinsen (Faktor „Kapital“) können nämlich zu höheren Löhnen und Gehältern (Faktor „Arbeit“) oder aber zu höheren Gewinnen und Renten (Faktor „Land“, s. den o.a. Blogbeitrag!) führen. Wie im o.a. Blogbeitrag dargestellt, besteht der Kern der Unternehmensgewinne der „Highperformer“ aus ökonomischen Renten. Diese stellen ein Residuum dar, das sich ergibt, wenn von den Einnahmen die Kosten für Kapital und Arbeit in Abzug gebracht werden.

Nun bestand eine Hoffnung auch vieler Geldreformer darin, dass sich die Niedrig- bzw. Negativzinspolitik auch in höheren Löhnen und Gehältern niederschlägt. Diese Hoffnung wurde allerdings enttäuscht. Eine Begründung hierfür kann die ricardianische Betrachtung liefern [3]. Hiernach werden dabei die Löhne für unqualifizierte Arbeit in der raumwirtschaftlichen Peripherie, also im „Grenzland“ bestimmt. In der EU sind dies die neu aufgenommenen, „schwachen“ Länder der Peripherie. Über Freizügigkeit, die Dienstleistungsrichtlinie etc. wird von dort aus auch ein entsprechender Druck auf die Löhne und Gehälter v.a. von wenig qualifizierten Arbeitnehmern in den raumwirtschaftlichen Zentren (z.B. Deutschland) entfaltet. Mit zunehmender Öffnung der Wirtschaft (Globalisierung) verschieben sich zudem die Grenzen der relevanten Wirtschaftsräume noch hin zu Niedriglohnländern außerhalb der EU. Hinzu kommen noch interne Faktoren wie z.B. die Hartz IV, Leiharbeitsgesetze etc., mit denen die Arbeitsmärkte in den raumwirtschaftlichen Zentren wettbewerbsfähiger gemacht werden sollten. In den raumwirtschaftlichen Zentren werden allerdings Aufschläge auf die Löhne und Gehälter von qualifizierter Arbeit bezahlt, da diese hier vermehrt in Anspruch genommen wird. Zudem ist die Produktivität in den Zentren höher, was zumindest teilweise auch an den Faktor Arbeit weitergegeben wird. Somit sind die Arbeitseinkommen – wenngleich sie von den Rändern der Peripherie unter Druck geraten – absolut höher als in der Peripherie [4]; wenngleich in den letzten Jahren eine zunehmende Spreizung zwischen den Einkommen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit zu beobachten war. Begünstigt wird die Divergenz zwischen Zentrum und Peripherie in der EU durch eine eingeschränkte Mobilität des Faktors Arbeit, die u.a. auf sprachliche und kulturelle Barrieren zurückzuführen ist.

Was die Zinsen angeht, so sollte sich eigentlich ebenfalls ein Ausgleich zwischen Zentrum und Peripherie ergeben; seitdem die Eurozone in eine Schieflage geraten ist, sind die Zinsen im raumwirtschaftlichen Zentrum (v.a. in Deutschland) aber deutlich geringer als in der Peripherie (Griechenland, Portugal etc.).

Die untenstehende Abbildung stellt vor diesem Hintergrund dar, dass einerseits in den raumwirtschaftlichen Zentren (z.B. Deutschland) ein höheres Einkommen als in der Peripherie (z.B. Griechenland) erzielbar ist. In der Peripherie reicht es möglicherweise nur für die Erwirtschaftung der Kosten für Arbeit und Kapital, ein großes Residuum ist nicht mehr zu erzielen. V.a. wegen der Unvollkommenheiten auf dem Arbeitsmarkt ist in Deutschland sowohl das Volkseinkommen pro Kopf wie auch die Summe aus Arbeits- und Kapitaleinkommen zwar noch vergleichsweise höher als z.B. in Griechenland; allerdings besteht ein latenter Druck auf Absenkung v.a. der Einkommen gering qualifizierter Arbeitnehmer. Die Einkommen der mobilen Faktoren Arbeit und Kapital (die zugleich Kosten darstellen) sind in der untenstehenden Abbildung zusammengefasst und separat von den ökonomischen Renten dargestellt, die auf Land und ähnliche Vermögenswerte entfallen (und Residualeinkommen, also keine Kosten darstellen).

Verteilung

Abbildung: Die ricardianische Sicht – Druck auf die Löhne von den Rändern der EU

Vor dem Hintergrund der Abbildung wird deutlich, warum trotz der permanent sinkenden Zinsen in den letzten 15 Jahren seit der Einführung des Euro die Reallöhne in Deutschland nicht mehr anstiegen: Nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums sank die bereinigte Bruttolohnquote von 72,8 % (2000) auf 68,1 % (2010) und 68,3 % (8/2013). Die unbereinigte Bruttolohnquote entwickelte sich von 72,1 % (2000) auf 66,8 % (2010) auf 67,0 % (8/2013) [5]. Von den im Betrachtungszeitraum sinkenden Zinsen profitierte also in Deutschland nicht der Faktor Arbeit. Doch offenbar verlor auch das Kapital – hier verstanden als Geldvermögen ohne Unternehmensanteile [sic!] [6]: Die sinkende Entlohnung dieses Faktors („Preiseffekt“) wurde offenbar nicht durch eine Steigerung des Volumens („Mengeneffekt“) kompensiert. Stattdessen stiegen die ökonomischen Renten, was sich sowohl in den Gewinnen der Großunternehmen [7] wie auch in den Bodenrenten bemerkbar machte: Sowohl das operative Ergebnis nichtfinanzieller börsennotierter Großunternehmen als auch die Mieten in Großstädten wie München, Hamburg, Frankfurt oder Berlin stiegen zwischen 2005 und 2013 um ca. 30 % an [8]. Die Werte von Unternehmen und Boden stiegen während der Niedrigzinsphase also, weil diese sich in wachsenden Erträgen niederschlug. Die niedrigeren Zinsen verhinderten zwar weitere offene oder verdeckte Steuererhöhungen (v.a. zu Lasten der Arbeitnehmer). Dies hat den dargestellten Trend in der Einkommensverteilung aber nur abgeschwächt und nicht etwa umgekehrt [9].

Der Preis für die Erträge aus Unternehmen und Boden ist hingegen seit der Finanzkrise 2008 wenig gestiegen: So erhöhte sich der KGV der DAX-Unternehmen zwar bis Ende 2014 leicht auf ca. 17, lag damit aber immer noch in einem moderaten Bereich [10]. Bei den Liegenschaftszinssätzen von Immobilien (die in grober Annäherung den Reinertrag von Immobilien ins Verhältnis zum Kaufpreis setzen und damit eine Art „inverser KGV“ für Immobilien darstellen) [11] verhält es sich ähnlich; erst seit 2010 ist ein moderates Absinken zu verzeichnen [12]. Das Fazit: Wie nach der ricardianischen Sichtweise zu erwarten, profitierten von der Niedrigzinsphase v.a. die Bezieher ökonomischer Renten, sei es in Gestalt von Unternehmen oder durch unmittelbaren Bezug der Bodenrenten. Steigende Preise für Aktien und Immobilien indizieren im Übrigen solange keine Blase, wie diesen steigende Erträge gegenüber stehen.

 

Kurs- und Wertsteigerungen: Vermögensverteilung

Das Verhältnis von Preisen zu Erträgen steigt erst wieder seit 2010 langsam, aber sicher an. Ein erheblicher Anstieg dürfte sich jedoch als Folge des eingangs dargestellten Anleihenkaufprogramms der EZB ergeben; erste Hinweise zeigen sich schon – so z.B. bei der Entwicklung des DAX. Dies deutet auf eine einsetzende Aufblähung der Assets hin und hat zunehmend Auswirkungen auf die Vermögensverteilung, die nicht nur in Deutschland wesentlich ungleicher ist als diejenige der Einkommen. Ein wichtiges Kennzeichen einer Vermögenspreisinflation ist, dass sich die Vermögensumverteilung mit höherer Geschwindigkeit als die Einkommensumverteilung vollzieht. Die sich aufblähenden Assetpreise bedeuten, dass immer mehr Ansprüche auf das in der Realwirtschaft erzeugte Sozialprodukt in die Finanzstratosphäre kanalisiert werden.

Interessant sind dabei auch Stiglitz’ Aussagen [13] hinsichtlich der Zusammensetzung der Assets: Während der normale “Mittelklassesparer” sein Geld eher in zinstragenden Investments hält (die kaum mehr Erträge erbringen), sind die Reichen und die Superreichen v.a. in rententragenden Assets (v.a. Unternehmensanteilen und Land) investiert [14]. Dies ist in Deutschland möglicherweise noch extremer als im Ausland der Fall, zumal die Eigentumsquote bei Immobilien mit ca. 50 % im europäischen Vergleich ziemlich gering ist [15]. Dementsprechend ist das Medianvermögen in Deutschland auch geringer als in jedem anderen Euroland [16]. Wird nun die Finanzstratosphäre mit ihren rententragenden Assets im Vergleich zur Realwirtschaft immer größer, müssen die relativ wenigen Großeigentümer der rententragenden Assets relativ an Vermögen hinzugewinnen.

Hält die Niedrigzinsphase an, dürfte dies also dazu führen, dass die im internationalen Vergleich ohnehin hohe Vermögensungleichheit in Deutschland noch weiter ansteigt.

Das Lamento vieler Sparer, Banken und Versicherungen, dass also aufgrund der niedrigen Zinsen die “kleinen Leute” leiden, ist also – trotz der grobschlächtigen Denke dahinter – nicht so verkehrt.

Schließlich hängt noch eine andere dunkle Wolke am Himmel: Je länger das Anleihenkaufprogramm von Draghi wirkt, umso mehr kann die nun entstehende Blase wachsen. Wenn die amerikanische Konjunktur es zulässt oder gar nötig macht, wird jedoch wahrscheinlich die Präsidentin der FED, Janet Yellen, die Reißleine ziehen und eine Zinswende einleiten [17]. Draghi wird sich hiervon nicht vollkommen abkoppeln können. Dann droht die Blase zu platzen. Die Folgen für Wirtschaftstätigkeit und Beschäftigung kann man sich anhand der Erfahrungen aus der Krise 2008 ausmalen. Man kann nur hoffen, dass die Zinswende der USA früher als später geschieht, damit die Auswirkungen des Platzens der Blase begrenzt bleiben.

 

Literatur:

[1] Schultz, S. / Rickens, R. (2015): EZB-Anleihenkauf: Die große Geldflut, in: SpiegelOnline vom 22.1. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/europaeische-zentralbank-analyse-zum-kauf-von-staatsanleihen-der-ezb-a-1014353.html.

[2] Ebenda.

[3] Hierzu Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, in: Wirtschaftsdienst Oktober 2013, Jg. 93, Heft 10, S. 702-709.

[4] Dies sagt nichts über die Entwicklung der Lohnstückkosten aus; diese können sich gerade im Zentrum mit geringerer Dynamik als in der Peripherie bewegen.

[5] Bundesfinanzministerium (2015): Tabelle 4: Einkommensverteilung. Online: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2014/12/Inhalte/Kapitel-5-Statistiken/5-4-04-einkommensverteilung.html?view=renderPrint.

[6] Das vermehrbare Sachkapital auf der Aktivseite wird im Durchschnitt der Volkswirtschaft durch Geldkapital auf der Passivseite der Bilanz finanziert, die schwer vermehrbaren Werte (Patente, Boden etc.) durch Eigenkapital. Hierzu Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg, S. 110 ff.

[7] Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt: allgemeine Tendenzen und Veränderungen in der Finanzkrise, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank 9, S. 19-33, hier: S. 22.

[8] Deutsche Bundesbank (2015), Tabelle BBDB1.A.DE.N.A.C.IFRS.B.A.K.E.E039.ABA.A. Online: http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_list_node.html?listId=www_s32b_guv_n_insg_a.- Held, T. et al. (2014): Aktuelle Mietenentwicklung und ortsübliche Vergleichsmiete: Liegen die erzielbaren Mietpreise mittlerweile deutlich über dem örtlichen Bestandsmietenniveau? Hintergrundpapier des BBSR, Bonn, S. 29 ff.- Online: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/WohnenImmobilien/Immobilienmarktbeobachtung/ProjekteFachbeitraege/Mietsteigerungen/hintergrundpapier_mieten.pdf;jsessionid=855A34C55D8AC3C10A110A5BC7997860.live1041?__blob=publicationFile&v=6.- Will man die Mietentwicklung mit der Gewinnentwicklung der Top-Unternehmen vergleichbar machen, muss man sich auf die Metropolen konzentrieren, und nicht auf die Durchschnittsmieten.

[9] Vgl. Boysen-Hogrefe, J. (2013): Low bond yields have saved the German government € 80 billion in interest since 2009“; Kiel Institute Focus, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Nr. 22. Online: http://www.ifw-kiel.de/media/kiel-institute-focus/2013/kiel-institute-focus-22. Zur Entwicklung der Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sowie aus Arbeit s. http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/themen_showpicture.htm?id=52443&chunk=1.

[10] Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt …, a.a.O., S. 22.

[11] Will man präzise vorgehen, muss das Ertragswertverfahren „rückwärts“ gerechnet und die zugrundeliegende Formel nach dem Liegenschaftszinssatz gelöst werden.

[12] Beispielsweise lag der Index für den durchschnittlichen Liegenschaftszinssatz nach Sprengnetter für Mehrfamilienhäuser lag 2005 bis 2010 bei 100 und sank erst danach bis auf 94,7 ab.- Für Ballungsräume vgl. VDP Immobilienpreisindex (2014), online: http://www.vdpresearch.de/wordpress/wp-content/uploads/2014/11/vdp_ImmoIndex_2014.Q3_DE.pdf.- Die Dynamik ist je nach Region und Immobilientyp unterschiedlich hoch.

[13] Stiglitz, J. (2014): New Theoretical Perspectives on the Distribution of Income and Wealth Among Individuals. Online: http://ineteconomics.org/institute-blog/new-theoretical-perspectives-distribution-income-and-wealth-among-individuals.

[14] Dabei sind auf den deutschen Aktienmärkten institutionelle Anleger aus dem Ausland besonders aktiv.- Vgl. Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt …, a.a.O., S. 23-24.

[15] Deutsche Bundesbank (2013): Private Haushalte und ihre Finanzen – Ergebnisse der Panelstudie zu Vermögensstruktur und Vermögensverteilung, Pressenotiz vom 21.3. Online: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/BBK/2013/2013_03_21_phf.html.

[16] Ruhkamp, S. (2015): Deutsche sind die Ärmsten im Euroraum, FAZ vom 18.02. Online: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/armut-und-reichtum/ezb-umfrage-deutsche-sind-die-aermsten-im-euroraum-12142944.html.

[17] o.V. / ARD (2015): FED: Kommt die Zinswende jetzt? Boerse.ARD.de vom 17.3. Online:  http://boerse.ard.de/anlagestrategie/regionen/fed-kommt-die-zinswende-jetzt100.html

Bei dem Artikel handelt es sich um einen überarbeiteten Ausschnitt aus:

Löhr, D. (2015): Negativzinspolitik: Die EZB als jene Kraft, die Gutes will und doch das Böse schafft? In: Zeitschrift für Sozialökonomie, 52. Jg., 184./185. Folge, April (Vorabausdruck – bitte klicken).

 

Negativzinspolitik: Die EZB als jene Kraft, die Gutes will und doch das Böse schafft?

Dirk Löhr

Das Wetter in Frankfurt war gestern schlechter als anderswo in Deutschland. Dunkle Rauchwolken über der Stadt. Verletzte Polizisten, verletzte Blockupy-Demonstranten. Die EZB als Sündenbock. Zu Recht? Eine auf Deutschland bezogene Analyse ihrer Politik liefert der Vorabdruck aus  der Zeitschrift für Sozialökonomie (184./185. Folge, April 2015):

“Negativzinspolitik: Die EZB als jene Kraft, die Gutes will und doch das Böse schafft?” (bitte klicken)

Das Thema wird in den 55. Mündener Gesprächen (bitte klicken) vertieft, die am Samstag und Sonntag (21./22.3.) in der Reinhardswaldschule bei Kassel stattfinden. Auch unangemeldete “Nachzügler” sind willkommen, müssen allerdings Einschränkungen bei Kost und Logis hinnehmen.

Veranstaltungshinweis: Negative Zinsen im wissenschaftlichen und interkulturellen Dialog

Aus der Tagungsankündigung:

EZB-Präsident Draghi kündigte kürzlich an, dass die EZB bis zum September 2016 Staats- und Unternehmensanleihen mit Wert von 1,1 Billionen Euro kaufen werde. Angesichts von Inflationsraten weit unter der angestrebten Zielgröße der EZB will er damit die drohende Gefahr eines Umkippens in eine Deflation bannen. Die zur Verfügung gestellte Liquidität soll die Inflationsrate und die Inflationserwartungen nach oben bringen und dadurch nicht nur die Konjunktur in Europa stimulieren, sondern auch der EZB negative Leitzinsen ermöglichen.

Die Diskussion um Negativzinsen ist in der Fachwelt neu. Noch vor wenigen Jahren hätte man sie für absurd gehalten. Doch nun wird nicht nur gefordert, die Notenbanken müssten die Möglichkeit zu real negativen Leitzinsen erhalten, sondern es werden auch – vorerst auf die Einlagen der Geschäftsbanken bei den Notenbanken, inzwischen aber auch auf große, liquide Guthaben von privaten Haltern bei Geschäftsbanken – negative Nominalzinsen tatsächlich erhoben. Damit bewegt man sich in die Richtung dessen, was die Geldreformer seit über 100 Jahren fordern: eine spürbare Belastung der liquiden Mittel – und damit auf das Ziel, die kurzfristigen Zinsen deutlich in den Minusbereich zu drücken und den mittel- und langfristigen Zinsen die Möglichkeit zu geben, sich bei einem Gleichgewichtsniveau von durchschnittlich Null einzupendeln. Der große britische Ökonom John Maynard Keynes erwartete schon vor 80 Jahren einen „wirtschaftspolitischen Gezeitenwechsel“, bei dem die Renditen von Geld- und Realkapital einmal langfristig gegen Null gehen werden.

Solche Vorstellungen gehen bereits auf die Ursprünge der jüdisch-christlich-muslimischen Religionen zurück. Parallel zum Aufstieg des modernen Kapitalismus wurden sie im Westen weitgehend verdrängt, während sie in der arabischen Welt in Gestalt des „Islamic Banking“ noch präsent sind und auch praktiziert werden. Was also liegt näher in Zeiten, in denen der Westen und der islamische Kulturkreis in tragischer Weise auseinander driften, als eine Brücke zu bauen und die Mündener Gespräche für einen Dialog zu nutzen, der die Überlieferung der islamischen Zinskritik mit den geld- und zinskritischen Ansätzen im westlich-alternativökonomischen Denken verbindet?

Die Tagung findet am 21./22. März in der Reinhardswaldschule bei Kassel statt. Das Programm der Tagung  kann hier heruntergeladen werden.

Die Anmeldungsfrist läuft zwar nur bis zum 15. März (ein download hier des Anmeldeformular ist möglich), “Nachzügler” können jedoch nach individueller Absprache berücksichtigt werden (die Tagungsgebühr beträgt insgesamt 25 Euro, für Tagesgäste 15 Euro). Nachzügler melden sich am besten bei

Der Grexit und die Lizenz zum Lügen

Dirk Löhr

Eine Missgeburt, die der Bevölkerung die ganze Zeit als schönstes politisches Baby verkauft wurde. Eine Niederkunft ganz ohne Risiken. Über Jahre hinweg machten Unternehmen und Banken tolle Gewinne mit dem Griechenlandgeschäft, das nach dem Wegfall des Wechselkursmechanismus endgültig seine Leistungsfähigkeit verlor und immer weitere Schulden auftürmte. Doch Griechenland im Euro wurde der Bevölkerung über die Grenzen der politischen Parteien und Staaten hinweg als “alternativlos” verkauft. Schließlich kam, was kommen musste: Die sog. “Griechenlandrettung”, die in Wirklichkeit nichts anderes als eine Rettung vor allem der deutschen und französischen Banken war – auf Kosten der griechischen Bevölkerung und auf Risiko der Steuerzahler in den “Kernländern”.

griechenland-krise

Schuldenschnitt, Marshall-Plan und v.a. ein geordneter [sic!!] Austritt aus dem Euro: Allein diese Maßnahmen sind wirklich alternativlos, wenn man Griechenland jemals wieder auf die Beine bekommen will. Angebotsseitige (eine Abgabenreform weg von herkömmlichen Steuern und hin zu einer Abschöpfung der auch in Griechenland mehr als auskömmlichen ökonomischen Renten) und nachfrageseitige (Geldumlaufsicherung) Strukturreformen wären ebenfalls nicht verkehrt – man darf ja träumen.

Die Weigerung von Schäuble & Co, einen Schuldenschnitt durchzuführen, ist  nichts anderes als eine gigantische Konkursverschleppung. Dabei gibt es eine positive “Fortführungsprognose” für Griechenland, aber eben nur außerhalb des Euro. Jeder Manager müsste bei nur einem winzigen Bruchteil der zur Debatte stehenden Summe (allein für Deutschland rund 80 Mrd. Euro) bei einer privatwirtschaftlichen Konkursverschleppung seine Zahnbürste einpacken und dürfte ein paar Jahre hinter schwedische Gardinen einfahren.

Griechenland wird niemals seine Schulden zurückzahlen können, immer mehr wird sich auftürmen, wenn nicht endlich die Reißleine gezogen wird. Doch Schäuble & Co sind ja Politiker, denen man Verständnis entgegenbringt, da sie ja “wiedergewählt werden wollen”. Denn der nun zur Debatte stehende Schuldenschnitt wird sich – anders als der erste – unmittelbar im Bundeshaushalt bemerkbar machen. Die Sache kommt nun raus. Offenbar meinen Schäuble & Co, dass dies ihnen die “Lizenz zum Lügen” gibt.

Auf jeden deutschen Erwerbstätigen (und dies sind v.a. die Aldi-Verkäuferin, der Familienvater etc.) entfallen im Rahmen der Abschreibung der griechischen Schulden derzeit ca. 2.000 Euro. Das ist schmerzhaft, aber noch verkraftbar. Viel schlimmer ist: Bleibt Griechenland im Euro, wird der Konkurs weiter verschleppt, kann Europa scheitern, im schlimmsten Falle auseinanderbrechen. Die Töne zwischen Athen und Berlin sind schon heute nicht gerade freundschaftlich.

Viele Ökonomen haben es seit Beginn der 90er Jahre vorausgesagt, doch kaum ein Politiker hörte darauf: Dieser Euro ist ein Spaltpilz für Europa und wird einer bleiben. Die Polit-Kaste geht nicht nur unverantwortlich mit den Steuermitteln um, sondern auch mit der Zukunft Europas. Es ist Zeit, Tacheles zu reden. Zum Thema Grexit zwei sehenswerte ZDF-Reportagen aus dieser Woche:

WiSo vom 16.02.: Griechenland, der Euro und die Folgen (bitte klicken)

Frontal 21 vom 17.02.: Wahrheit und Lüge beim Schuldenschnitt (bitte klicken)

PS: Man musste kein Prophet sein …

Grexit-III

 

 

 

Griechenland, die AfD und die Mainstreammedien

Dirk Löhr

Die Alternative für Deutschland (AfD) gehört wirklich nicht zu meinen Favoriten. Leider ist aber die AfD aber die einzige öffentlich wahrgenommene Partei, die hinsichtlich “Griechenland-Problems” erste Schritte hin zum richtigen Weg fordert:

– Raus aus dem Euro (da Griechenland den Wechselkursmechanismus braucht, um wieder auf die Beine zu kommen);

– Schuldenschnitt.

Andererseits fehlen in den AfD-Forderungen ganz entscheidende Elemente: Die Abschöpfung der ökonomischen Renten zugunsten des Staatshaushalts und eine an einer Umlaufsicherung orientierte Geldpolitik (die bei der Wiedereinführung der Drachme auf eine dosierte Inflation hinauslaufen könnte) – dies würde teure Konjunkturprogramme ersparen. Ebenfalls wäre ein Marshallplan Seitens der EU wünschenswert.

Wir haben dieses Thema diverse Male behandelt, das letze Mal im Blogbeitrag “WAHL IN GRIECHENLAND: EIN GESPENST GEHT UM IN EUROPA …”

Interessant ist hierbei wieder die Darstellung der Medien. Im

Bericht aus Berlin (bitte klicken)

vom Sonntag, den 1. Februar (ZDF, 19.00) wurde behauptet, der AfD-Vorsitzende Lucke wolle den Austritt Griechenlands aus der EU. Dumm nur, dass Lucke daraufhin im O-Ton gezeigt wurde: Es ging ihm im betreffenden Statement um den Austritt Griechenlands aus dem Euro – und nicht aus der EU, wie jeder hören kann, der Ohren hat. Das Scheitern des Euros wird im betreffenden Beitrag also mit dem Scheitern Europas gleichgesetzt – man plappert brav die Devise nach, die Mutti vorgegeben hat.  Dabei gab es doch viele Ökonomen (der Verfasser dieser Zeilen gehört dazu), die vor der Einführung des Euro vorhersagten, dass sich die neue Währung als Spaltpilz für Europa herausstellen wird. Man musste hierzu wahrlich kein Prophet sein.  Genauso plappern die Mainstream-Medien die Statements der hiesigen Mainstream-Politiker nach, dass die Austeritätspolitik (mit Steuererhöhungen, Privatisierungen, Lohnkürzungen etc.) alternativlos sei – ebenfalls ein Lieblingsbegriff von Mutti.

Lügenmedien? Abgesehen von der unschönen historischen Konnotation dieses Begriffs glaube ich persönlich glaube nicht an Lüge – dies würde Vorsatz bedingen. Es ist wohl zutreffender, von einer erschütternden Inkompetenz zu sprechen. Das nicht nur von PEGIDA behauptete Mainstreaming der Medien ist zweifellos vorhanden. Es findet – was den wirtschaftlichen Gehalt angeht – allerdings nicht via Anweisung der Regierung statt, sondern durch eine ideologische Gehirnwäsche, die schon in den Hochschulen beginnt, aus denen die heldenhaften Reporter stammen.

 

 

Wahl in Griechenland: Ein Gespenst geht um in Europa …

Dirk Löhr

„Ein Gespenst geht um in Europa“ (Marx / Engels 1848 / 2009). Mit Blick auf Syriza und Podemos gewinnt dieses einleitende Wort des Kommunistischen Manifestes wieder erstaunliche Aktualität.

griechenland-krise

Mit deutlichem Vorsprung hat das Linksbündnis Syriza die Parlamentswahl in Griechenland gewonnen. Allerdings verfehlte es die absolute Mehrheit der Parlamentssitze, wenngleich nur knapp. Die Konservativen sind abgewählt, die traditionsreiche Pasok ist bis zur Bedeutungslosigkeit degradiert. nur noch eine Mini-Partei. Der Führer von Syriza, Alexis Tsipras, verlautbarte am späten Abend vor Anhängern: “Griechenland lässt die Austerität, die zur Zerstörung geführt hat, hinter sich.” Andererseits signalisierte er seine Bereitschaft, über die Lösung des Problems des griechischen Schuldenberges zu verhandeln (o.V. / n-tv 2015).

Alexis Tsipras
Alexis Tsipras

Große Worte – die Bereitschaft, dem Taten folgen zu lassen, dürfte sich jedoch in Grenzen halten. Betrachten wir die erste Baustelle, die Geldseite. Das kleine wirtschaftliche Einmaleins lautet doch wie folgt: Man nehme zwei Länder (Griechenland und Deutschland), von der das eine nur die Hälfte der Produktivität des anderen hat. Das schwächere Land kann aber dann nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn durch Wechselkursanpassungen laufend für eine Abwertung seiner Währung gesorgt wird. Nimmt man aber das Scharnier „Wechselkurs“ weg, indem man beide Länder unter das Dach ein und derselben Währung steckt, muss der Arbeitsmarkt an die Stelle der Scharnierfunktion des Wechselkurses treten: Die Löhne müssten entsprechend gekürzt werden. Will man diese Preisanpassung auf dem Arbeitsmarkt nicht, bleibt nur noch die Anpassung der Menge. Und das heißt auf deutsch „Arbeitslosigkeit“ (Löhr 2012). Offiziell sind mehr als ein Viertel der griechischen Arbeitnehmer hiervon betroffen, inoffiziell wesentlich mehr. Die Hälfte der jungen Leute hat keine Arbeit – eine verlorene Generation.

Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund, dass die heilige Kuh des Euro nicht auf Tsipras‘ Speisekarte steht. Dabei ist dies wohl die entscheidendste aller derzeit diskutierten Strukturreformen. Die Misere Griechenlands hat mit dem Euro-Beitritt begonnen, und sie wird auch erst mit dem Euro-Austritt wieder enden. Allerdings: Die große Austrittsbarriere sind die griechischen Schulden. Diese wurden zunächst angehäuft, weil die Griechen die Importüberschüsse nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzieren konnten. Sie nahmen daher zunächst gerne das Geld von ausländischen – v.a. deutschen – Banken. Später, als der Schlamassel offenbar wurde, kamen die Griechenland-Rettungskredite hinzu, die zu ca. 80 % nichts anderes als Kredite zur Rettung der Kreditforderungen der Auslandsbanken waren. An dieser Baustelle ist Tsipras übrigens vollständig auf das Wohlwollen der Geldgeber angewiesen. Sollte mit Griechenland kein Kompromiss gefunden werden, könnte das Land auch ohne Euro-Austritt schon bald zahlungsunfähig sein (o.V./n-tv 2015). Führte jedoch – was wirtschaftlich vernünftig wäre – Griechenland wieder die Drachme ein, würden die in Euro nominierten Forderungen zusammen mit dem Euro aufwerten und Griechenland strangulieren. Und ohne die wohlwollende Begleitung der Gläubigerländer gäbe es wohl auch keinen Geldanschluss für Griechenland auf den internationalen Finanzmärkten mehr. Somit ergäbe die Kombination dreier Maßnahmen Sinn:

  • ein Euro-Austritt Griechenlands, der
  • entweder von einem Schuldenschnitt oder aber – besser noch – von einer Umschuldung der griechischen Verbindlichkeiten auf die Drachme begleitet wird;
  • die Abfederung der kurzfristig zu erwartenden wirtschaftlichen Verwerfungen durch einen “Marshall-Plan” der EU.

Dies alles schließt nicht einen späteren Wiedereintritt Griechenlands in den Euro aus – zunächst aber muss der Patient außerhalb des Euro gesunden. Statt dessen wird bislang jedoch nur die Möglichkeit eines Euro-Rauswurfs Griechenlands ohne Hilfe auf der Schuldenseite gehandelt. Das ist aber kein Hilfsangebot, sondern eine handfeste Drohung, falls sich Griechenland dem Diktat der Austeritätspolitik der Troika (IWF, EZB, EU) nicht beugt.

Schuldenkrise-Finanzkrise-Eurokrise-Derivate-Regulierung

Auf der anderen, angebotsseitigen Baustelle werden alle möglichen Dinge diskutiert, v.a. aber Korruptionsbekämpfung und eine Steuerreform. Korruption ist jedoch eine typische Begleiterscheinung in Rentenökonomien. Der Einfluss von Oligarchen, wie z.B. dem Öl-Magnaten Dimitris Melissanidis, ist ein ernstes Problem (Schulz 2015). Öl-Magnaten entstehen nun aber auf dem Boden von Öl-Renten; von diesen hat Griechenland eigentlich mehr als genug, sie fließen aber in private Taschen, anstatt dem Fiskus zugute zu kommen. Hieran sollte schnellstens etwas geändert werden – und zwar deutlich über die Öl-Renten hinaus. Vielleicht hat Tsipras diesbezüglich mehr Kraft als die konservative Vorgängerregierung.

Vor allem wird eine Finanz- und Steuerreform als Notwendigkeit in der Troika und den internationalen Medien diskutiert. Aber: Griechenland darf – als peripheres Land – nicht noch durch höhere Steuern stranguliert werden (Löhr / Harrison 2013). Zudem kann das Kapital der wohlhabenden Griechen flüchten. Die finanzielle Kraft Griechenlands liegt hingegen in seinem Land. Land kann nicht flüchten, und die finanzielle Kraft des Landes gilt es daher zu nutzen: Zuerst müsste ein Finanzkataster erstellt werden. Dies wäre über Luft- und Satellitenbilder ohne großen Aufwand möglich. Im Einvernehmen zwischen den Nachbarn könnten die Grenzen gezogen werden. Wer behauptet, ihm gehöre das betreffende Land nicht (weil er der Abgabe darauf entgehen will), verliert auch den zivilrechtlichen Anspruch darauf – das Finanzkataster wird nämlich in ein ziviles Grundstückskataster überführt. Dann wird eine grobe Bewertung vorgenommen, z.B. in 5 Wertzonen, und ein spürbarer Steuersatz darauf gelegt. Dies erzeugt Nutzungsdruck: Wer sein Land nicht braucht, verkauft. Dies erzeugt wiederum  eine ausreichende Zahl an Vergleichspreisen, anhand derer die Bewertung sukzessive verfeinert werden kann. Das deutsche Gutachterausschusswesen ist hier durchaus ein gutes Vorbild. Mit der Verfeinerung können auch die Steuersätze angezogen werden. Eine einfache, aber höchst effektive und zugleich effiziente Methode, um dem Staat zu Geld zu verhelfen.

Und: Der Zugriff auf die Bodenrenten bringt dem Staat Geld, ohne der Wirtschaft zu schaden. Wird ein Teil der Bodenrenten in Stadt und Land abgeschöpft, wird kein Euro – oder besser: keine Drachme – Sozialprodukt in Griechenland weniger produziert. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wenn vor diesem Hintergrund aus das Anziehen der Steuerschraube verzichtet wird. Ökonomische Renten sind nämlich der Überschuss an Erträgen über die Kosten. Und nur die Kosten der Produzenten (incl. einem angemessenen (sic!) Gewinnzuschlag) müssen abgedeckt werden – alles darüber hinaus sind „unnötige Gewinne“, welche die Umverteilung anheizen, ohne die Wirtschaft zu beflügeln. Dies ist aber genau der Humus, auf dem Oligarchen gedeihen (und zwar nicht nur in Griechenland). Wir haben immer wieder in diesem Blog auf das Henry George-Theorem verwiesen, wonach allein durch die Bodenrenten der Finanzbedarf des Staates gedeckt werden könnte.

Die Vorstellungen der Troika laufen freilich in eine ganz andere Richtung. Und es steht zu befürchten, dass Syriza sich dazu missbrauchen lässt, das „Ownership“ für die Troika-Reformen zu übernehmen, diese also durchzuboxen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine linke Regierung aus Gründen des Machterhalts Maßnahmen in einer Weise durchsetzt, wie dies eine wirtschaftsliberale oder konservative Regierung niemals gewagt hätte.

Hoffentlich irre ich mich. Wenn nicht, sind die Enttäuschungen über Syriza vorprogrammiert und das griechische Siechtum geht weiter. Und es steht zu befürchten, dass es mit Spanien und seiner Podemos im Grundsatz nicht wesentlich anders als mit Griechenland steht.

 

Mehr Information:

Löhr, D. (2012): Gresham und die Drachme, in: Humane Wirtschaft 02, S. 26-27. Online: http://www.humane-wirtschaft.de/2012_02/HW_2012_02_S26-27.pdf

Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, 93. Jg., Heft 10, S. 702-709. Online: https://rentgrabbing.files.wordpress.com/2013/06/ricardo-und-die-troika.pdf

Marx, K. / Engels, F. (1848 / 2009): Manifest der Kommunistischen Partei, Berlin.

o.V./n-tv (2015): „Griechenland lässt den Sparkurs hinter sich“, in: n-tv vom 26.1. Online: http://www.n-tv.de/politik/Griechenland-laesst-den-Sparkurs-hinter-sich-article14388031.html

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