Gewinne und Renten: Die Deutsche Bahn AG auf dem Abstellgleis

Dirk Löhr

Noch ist die Deutsche Bahn AG zu 100 % in der Hand des Bundes. Allerdings hätte sie nie und nimmer eine Chance, den „Duck-Test“ zu bestehen: „If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.” Auch, wenn nach wie vor die Anteile an der DB AG in der Hand des Bundes sind, und obwohl mehrere Privatisierungsanläufe bislang scheiterten (zuletzt wegen der Finanzkrise 2008), agiert die Gesellschaft wie ein privates erwerbswirtschaftliches Unternehmen. Von Politik und Verwaltung wird dies geduldet, erhofft man sich doch, dass Unternehmensgewinne die chronisch klammen öffentlichen Kassen aufbessern.

Der Systemtheoretiker weiß, dass jedes lebende System gleichzeitig mehreren Leitwerten gehorchen muss (Bossel 1998). Neben „Effizienz“ gehören z.B. auch Versorgung, Wandlungsfähigkeit, Gerechtigkeit etc. dazu. Einseitige Übertreibungen bestimmter Leitwerte können ein System schwächen oder im schlimmsten Falle sogar zerstören. In der alten “Behördenbahn” hatte der Leitwert der Versorgung (mit Mobilität) eine hervorgehobene Bedeutung. Ein gut ausgebautes Schienennetz sorgte für Anbindung selbst in entlegeneren ländlichen Gegenden. Eigentlich sollte man annehmen, dass angesichts der künftig zu erwartenden Änderungen der Mobilitätsmuster (weg vom Individualverkehr, hin zum öffentlichen Nahverkehr) der Ausbau des Netzes als vordringliche Aufgabe eingestuft worden wäre. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Hintergrund waren die Klagen über die mangelnde Effizienz der alten „Behördenbahn“. Um diese zu steigern, wurde im Rahmen des Privatisierungsprozesses seit 1990 das Schienennetz um ca. 8.000 km auf nunmehr 33.500 km reduziert (Engartner 2012). Während die Schweiz eine Bahnhofsdichte von 50 Stationen pro 1.000 km2 aufweist, sind es in Deutschland nur noch ca. 16 Stationen pro km2 (Neumann 2012). So missachtete die DB AG auch grundlegend die “Goldene Regel” des öffentlichen Nahverkehrs, wonach das Angebot seine eigene Nachfrage schafft.

Stattdessen konzentrierte man sich auf den Fernverkehr und Hochgeschwindigkeitszüge – auf Kosten der Wartung und Verbesserung des verbliebenen Netzes. 90% aller Bahnfahrten finden im Nahverkehr statt; allerdings wurden nur 10 % aller Mittel in den Nahverkehr gelenkt. Allerdings ergibt diese Strategie aus Unternehmenssicht durchaus Sinn: Nennenswerter Wettbewerb findet eben nur im Nahverkehr statt, während die DB AG im Fernverkehr ein de facto-Monopol hat. Die betreffende Politik zielt auch auf eine andere Klientel ab: Geschäftsreisende und Erste-Klasse-Kunden mit hoher Zahlungsbereitschaft. Die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit wurden darüber vernachlässigt (Engartner 2012).

Ein weiterer Indikator für die Übertreibung des Leitwertes „Effizienz“ und die damit einhergehende Vernachlässigung des Leitwertes „Versorgung“ ist die Strategie, zum weltweit führenden Mobilitäts- und Logistikunternehmen zu werden. Beteiligungskäufe an Unternehmen wie Schenker, Hangartner und Joyau, der britischen Eisenbahnfrachtgesellschaft EWS, des US Luft- und Seefrachtspezialisten Bax Global, der dänischen Busgesellschaft Pan Bus und der britischen Verkehrsgesellschaft Arriva kosteten viele Milliarden Euro. Mittlerweile ist die DB AG in mehr als 150 Ländern als Anbieter von Transport- und Logistikdienstleistungen präsent (Engartner 2012). 105.000 der insgesamt rund 300.000 Konzernmitarbeiter arbeiten im Ausland (DB Networks Mobility Logistics 2013). Diese Strategie soll das Unternehmen für den Börsengang fit machen, der immer noch nicht ganz aufgegeben wurde.

Die wichtigsten Gewinnquellen stellen jedoch das Netz und der Regionalverkehr dar. Beide Sektoren tragen 2/3 zum Unternehmensgewinn bei, obwohl sie nur ¼ der Einnahmen generieren. Allerdings erhalten beide Sektoren auch hohe Subventionen (ca. 7 Mrd. Euro für den Nahverkehr und um die 4 Mrd. Euro für das Netz). Die Investition dieser Gelder in globale Unternehmensaktivitäten sowie in den Fernverkehr und in Hochgeschwindigkeitszüge wird von vielen Kritikern als missbräuchliche Quersubventionierung gesehen (Kirnich 2013).

So liegt der Hase bei der Deutschen Bahn AG v.a. beim Netz im Pfeffer. Die DB AG stellt einen “integrierten Schienenkonzern” dar, einen Konzern also, bei dem sich Netz und Betrieb unter dem Dach derselben Gesellschaft befinden. Dies kommt zwar den Wünschen des Managements entgegen, nicht aber den Bedürfnissen der Allgemeinheit:

– Das erste Problem ist das der Blockade von Konkurrenten. Obwohl das Gesetz gleichen Zugang für die private Konkurrenz fordert, geschahen in der Vergangenheit immer wieder versteckte Blockaden (in früheren Zeiten beispielsweise über intransparente Preisgestaltung).

– Das zweite Problem ist regulatorischer Art, zumal es sich beim Schienennetz um ein sog. „natürliches Monopol” handelt. Die DB AG ist sich über die strategische Bedeutung dieses Monopols durchaus im Klaren. Die Trassenpreise sollen in Zukunft noch weiter steigen. Der DB AG selbst schadet dies nicht: So lange sie Netz wie Betrieb unter einem Dach vereint, wandert das Geld infolge solcher Preiserhöhungen von der linken in die rechte Tasche (Böll et al. 2013). Anders als ihre Konkurrenten verliert die DB AG also nichts. Die Möglichkeiten der Regulierungsbehörden, den Missbrauch des natürlichen Monopols Netz zu verhindern, sind de facto beschränkt. Obwohl viele Verkehrsexperten seit langer Zeit eine unabhängige Netzgesellschaft in öffentlicher Hand einfordern, wird der „integrierte Schienenkonzern“ von einer unheiligen Allianz aus DB AG-Managern, den großen politischen Parteien und Gewerkschaften verteidigt. Allerdings handelt es sich beim staatlichen Eigentum an einem natürlichen Monopol keineswegs um eine bolschewistische, sondern um eine klassisch-liberale Idee.

– Das dritte Problem sind die mangelhaften Wartungen und Reinvestitionen in das Netz. Über lange Zeit wurde zu wenig Geld in das Netz gesteckt, um reibungslose Betriebsabläufe zu garantieren. In Deutschland wird die Wartung des Netzes durch die DB AG (1/4 der netzbezogenen Ausgaben) finanziert, (Re-) Investitionen (Ersatzbeschaffungen und Netzerweiterungen) durch den Staat (3/4 der netzbezogenen Ausgaben; DB Mobility Networks Logistics 2011). Dies gibt der DB AG einen Anreiz, die Instandsetzung und Wartung zu minimieren und auf Verschleiß zu fahren – für den Ersatz des verschlissenen Netzes kommt ja der Steuerzahler auf.

Die Unterfinanzierung des Netzes kann jedoch ernsthafte Konsequenzen haben: Im Januar 2011 kollidierten zwei Züge bei Hordorf. Zehn Menschen starben, mehr als 23 wurden teilweise schwer verletzt (N.N. 2011). Der Unfall auf der einspurigen Strecke hätte leicht durch die Installation eines automatischen Bremssystems auf der Strecke vermieden werden können („punktförmige Zugbeeinflussung“, kurz PZB).

Weniger gefährlich, aber dennoch ärgerlich sind die laufenden Verspätungen. Heutzutage ist es sicherer, auf ein Pferd zu wetten, als auf einen pünktlichen Zug. Ein großer Teil der Verspätungen wird durch Langsamfahrstrecken verursacht, die wiederum ihre Ursache in dem heruntergekommenen Schienennetz haben. Die Misere manifestierte sich insbesondere an den Stellwerken. Zwischen 2002 und 2012 reduzierte die DB Netz AG ihre Mitarbeiter von 51.918 auf 35.249. Parallel hierzu kam allerdings die Digitalisierung der Stellwerke nicht richtig voran – auch wegen der damit einhergehenden hohen Kosten. Während der letzten acht Jahre investierte die Gesellschaft 1,8 Milliarden Euro in neue elektronische Stellwerke, die bislang jedoch lediglich 1/3 des Netzes abdecken. Die unvermeidliche Konsequenz sind Engpässe. Der Netzzustandsbericht 2012 stellte eine Zunahme an Verspätungen und Zugausfällen von 4,5 % fest, die durch Stellwerksprobleme verursacht wurden. Allerdings dürfte es sich hierbei um eine Untertreibung handeln, zumal die DB AG ihre eigene Definition von Pünktlichkeit entwickelt hat (Tagesschau.de 2011). Der vorläufige Höhepunkt ereignete sich im September 2013, als Mainz mehrere Wochen weitgehend vom Netz abgekoppelt wurde – aufgrund akuter Personalengpässe. Die Aufregung in den Medien war groß, und ein Vorstandsmitglied der DB Netz AG musste seinen Hut nehmen. Das eigentliche Problem war freilich weniger das schlechte Management, als vielmehr die sklavische Befolgung der von der Politik gesetzten Vorgaben.

Natürlich war die Eisenbahn auch vor der Privatisierung chronisch unterfinanziert. Ist aber die chronische Unterfinanzierung der Infrastruktur, die v.a. bei privatem Eigentum hervortritt, wirklich alternativlos? Das Beispiel Hong Kongs weist in eine andere Richtung. Dort wurde die MTR Aktiengesellschaft 1975 als Betreibergesellschaft der Bahn eingerichtet. Ursprünglich war die Regierung zu 77 % beteiligt (in 2000 wurde die Gesellschaft privatisiert, was hier nicht als vorbildlich dargestellt werden soll). Das Entscheidende aber war jedoch: Die MTR fungierte gleichzeitig als Immobiliengesellschaft. Neu angelegte Bahntrassen führen zu einer Steigerung der Bodenerträge und Bodenwerte. Da die Gesellschaft sich vorher in den Besitz der betroffenen Areale gebracht hatte, brachten die erhöhten Mieten und Pachten genügend Geld ein, um die Netzinfrastruktur zu finanzieren. Erstaunlich: Obwohl die Gesellschaft durchaus nach kommerziellen Prinzipien agierte, konnten die Ticketpreise ab 1997 für viele Jahre eingefroren werden – dennoch wurden Gewinne erzielt (Harrison 2006). Die MTR wandte an, was in der Finanzwissenschaft als George-Hotelling-Vickrey-Theorem bekannt ist (z.B. Arnott / Stiglitz 1979; s. auch den Blogbeitrag „Fahrpreiserhöhungen der Deutsche Bahn AG: Alle Jahre wieder“). Hiernach ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, die gesamten Fixkosten der öffentlichen Güter aus den Bodenerträgen zu finanzieren. Werden entsprechend – wie in Hong Kong – Bodenerträge verwendet, um die Kosten der Netzinfrastruktur zu decken, können sich die Ticketpreise auf die sog. „Grenzkosten“ des Betriebes der Bahnen beschränken. Mit BahnCard 50-Preisen für alle könnte Verkehr auf die Schiene gelenkt und diese gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig gemacht werden.

Erst die öffentliche Infrastruktur setzt den Boden in Wert. In Deutschland ist die Privatisierung dieser öffentlich, größtenteils durch den Steuerzahler geschaffenen Werte allerdings eine heilige Kuh. Für die Bahn sind u.a. höhere Fahrpreise die Folgen. Doch auch diese vermögen nicht die Kosten der Infrastruktur zu decken. Während der letzten zehn Jahre stiegen die Fahrpreise um mehr als 30 % – weswegen das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu lenken, auch zu scheitern droht (Bahn für alle 2012).

Literatur

Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 93, Nr. 4, S. 471-500.

Bahn für alle (2012): Die wahre Bilanz der Deutschen Bahn – oder: Was Rüdiger Grube lieber verschweigt. Alternativer Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2011, Berlin.

Böll, S., Kaiser, S., Wassermann, A. (2013): Mainz bleibt Mainz, Spiegel Nr. 34, S. 75-76.

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, Droemer, München.

DB Mobility Networks Logistics (2012): Die Finanzierung der Eisenbahn des Bundes, position paper, Berlin.

DB Networks Mobility Logistics (2013): „Mitarbeiter in Zahlen“, online: http://www.deutschebahn.com/de/konzern/konzernprofil/zahlen_fakten/mitarbeiter.html (eingesehen: September 2013).

Engartner, T. (2012): Börsenparkett statt Bürgernähe. Die Deutsche Bahn zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Universitas, Vol. 67., Nr. 792, S. 39-55.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune, Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, The Institute of Economic Affairs, London 2006, S. 87-94.

Kirnich, P. (2013): „Schwarz subventioniert“, Frankfurter Rundschau, March 20, online: http://www.fr-online.de/wirtschaft/deutsche-bahn-schwarz-subventioniert,1472780,22157028.html (eingesehen: September 2013).

Neumann, L., Wolter, C., Balzer, I. (2012): Leistungsanalyse des Schienenverkehrs in Europa, SCI Verkehr GmbH, Berlin.

N.N. (2011): Tote und Verletzte bei schwerem Zugunglück, in: DIE ZEIT online, Januar 2011, online: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-01/zugunglueck-sachsen-anhalt (eingesehen: September 2013).

Tagesschau.de (2011): „Wie die Bahn Pünktlichkeit definiert“, online: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bahnpuenktlichkeit100.html (eingesehen: September 2013).

Zöttl, I. (2001): „Weichenstellung ins Chaos“, Wirtschaftswoche Nr. 17, S. 31.

Kommentar: Totgeburt Südsudan

Dirk Löhr

Indische Blauhelmsoldaten werden getötet, Massengräber werden gefunden, ein Putschversuch scheitert, das junge Land Südsudan gleitet langsam aber sicher in einen grausamen Bürgerkrieg ab. In mehreren Regionen des vor zweieinhalb Jahren unabhängig gewordenen Staates von der Größe Frankreichs wird inzwischen gekämpft. Die ölreiche Unity-Provinz ist nach Angaben des Putschistenführers Riek Machar bereits in die Hände der ihm loyalen Truppenteile gefallen, dort soll es auch zu blutigen Zusammenstößen zwischen Angehörigen der beiden größten Bevölkerungsgruppen des Landes, Dinka und Nuer, gekommen sein. In Bor, der Hauptstadt der Jonglei-Provinz, bahnt sich unterdessen eine gewalttätige Konfrontation zwischen Machars Truppen und Regierungssoldaten an, die derzeit aus der 200 Kilometer weiter südlich gelegenen südsudanesischen Hauptstadt Juba verlegt werden. Der Konflikt breitet sich weiter aus.

Dabei bereitet zunehmend Sorge, dass sich die Konfliktlinien anhand der ethnischen Zugehörigkeit bewegen. Kiir, dem zunehmend diktatorischer Regierungsstil vorgeworfen wird, gehört dem größten südsudanesischen Volk der Dinka an, Machar dem zweitgrößten Volk der Nuer. Machar hatte sich bereits während des Bürgerkriegs gegen den Nordsudan vorübergehend von der nunmehr herrschenden Rebellenorganisation SPLA abgespalten: 1991 schloss er sich den Feinden aus dem Norden an. Schon damals kam es in Bor zu einem Massaker. Rund 2.000 Dinkas wurden von Nuer-Kämpfern umgebracht.

In den Medien hört man die Tage, trotz der unglaublichen Ölreserven drohe der Südsudan als Staat zu scheitern. Nein. Nicht trotz der Ölreserven, sondern WEGEN der Ölreserven. Der Südsudan ist ein typisches Opfer des Ressourcenfluchs. Die Rebellenarmee SPLM, welche die Abspaltung bewirkte, hatte von Anfang an kein politisches Programm. Der bewaffnete Kampf gegen den Norden war ihre einzige Daseinsberechtigung. Und bei diesem Kampf stand wieder einmal die Ressource Öl und ihre Erträge (die Ölrenten) im Mittelpunkt. Die rivalisierenden Führer wollten sich diese Schlüsselressourcen und ihre Renten unter den Nagel reißen. Die Unabhängigkeit war lediglich ein Mittel hierzu, sie war aber nicht der eigentliche Zweck.

Eigentlich wäre sogar ein friedlicher Pfad nach der Abspaltung vorgezeichnet gewesen. Der Südsudan ist nämlich als Staat nicht lebensfähig. Nordsudan und Südsudan brauchen einander. Im Süden liegen die größten Ölfelder Gesamt-Sudans. Die Raffinerien, der Ölverladehafen und die Pipelines dorthin aber befinden sich im Norden. Laut dem 2005 ausgehandelten Friedensvertrag hatte Sudan eine Hälfte der Öleinnahmen behalten dürfen, Südsudan die andere. Das funktionierte. Dann wurde der Südsudan unabhängig und nahm drei Viertel der sudanesischen Ölproduktion mit sich. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden gekappt. Dies geschah zwar auch zum Schaden der südsudanesischen Bevölkerung, was aber die SPLM nicht kümmerte.

Der Regierung des jungen Staates war jedoch reichlich unbekümmert – konnte sie doch auf den Westen setzen, der von Anfang an als Geburtshelfer an seiner Seite stand: Mit Entwicklungshilfe, aber auch militärischer Unterstützung. Jeweils 300 Millionen Euro zahlen die EU und Amerika dafür allein bis 2013, viele Dutzend privater Hilfsorganisationen im Schlepptau. Dies waren nichts anderes als Eintrittsgelder der westlichen Konzerne zu den südsudanesischen Ressourcen und ihren Renten. Umgekehrt hingen die Südsudanesen von Anfang an am Tropf westlicher Entwicklungshilfe. Die Helferarmada ließ ihnen keine andere Chance. Das zementierte wiederum die Macht der SPLM. Wahrlich keine soliden Fundamente für das neue Staatsgebäude.

Zwar ließ die Rebellenarmee pro Tag mehrere hunderttausend Barrel Öl fördern. Eigentlich hätte dies reichen sollen, um davon für ein Acht-Millionen-Volk Schulen, Straßen und Krankenhäuser zu bauen. Doch die Gelder fließen in die Taschen der Warlords, und die elementarsten staatlichen Funktionen werden durch Entwicklungsgelder aufrecht erhalten.

Dennoch: Für Medien und Politik waren gut und böse wieder einmal deutlich: Die guten Christen aus dem Süden im Aufstand gegen die Unterdrückung durch den arabischen Kriegsverbrecher aus dem Norden. Wenig kam hingegen über das Interesse des Westens an den Ölvorkommen zur Sprache.

Bleibt zu sagen: Frohe Weihnachten, Juba.

Kommentar: Chodorkowski is back … und die Katze ist grau …

Dirk Löhr

U.a. bewirkt durch die Aktivitäten von Hans-Dietrich Genscher hinter den Kulissen des Polittheaters, entließ Putin in vorweihnachtlicher Milde den wohl prominentesten russischen Häftling in die Freiheit (der sich am 20.12. umgehend auf den Weg zu seinem Retter nach Deutschland machte). Die Freude in den deutschen Medien ist ungeteilt und einstimmig. Glaubt man den deutschen Medien, hat sich Chodorkowski hauptsächlich dadurch schuldig gemacht, Oppositionspolitik zu betreiben und Putins Gegner zu unterstützen. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Kein Wort zu den Schattenseiten des „Märtyrers“, seinen skrupellosen Aktionen und der Herkunft seines unermesslichen Reichtums. Chodorkowski ist ein Emporkömmling des „Anarchokapitalismus“ der Ära Boris Jelzin. Er wurde eigentlich aber erst möglich gemacht durch die wirtschaftliche Schocktherapie, die dem nicht immer nüchternen Boris Jelzin von US-amerikanischen Beratern, internationalen Organisationen und Banken eingeflüstert wurde (ähnliches geschieht derzeit mit der Führung Pekings).

“Privatisierung” hieß schon damals das Zauberwort. Das Tafelsilber des Landes wurde an die späteren Oligarchen für den berühmten Appel und das Ei verhökert. Insbesondere die staatlichen Ölfirmen Yukos, Sibneft, Surgut Neftegas, Teile von Lukoil, der Nickelproduzent Norilsk Nikel und andere wurden nahezu unkontrolliert verramscht. Es handelte sich um einen Raubzug an den russischen Ressourcen und seinen Renten – auf Kosten des russischen Volkes. Für Russland hatte dies auch deshalb dramatische Folgen, weil der Staat mehr und mehr in den Einfluss des organisierten Verbrechens geriet.  Erpressung, Bestechung, Mord und Raub waren während der Jelzin-Ära an der Tagesordnung. Doch Chodorkowski war innerhalb kürzester Zeit der reichste Mann Russlands. Zum Dank für die Wohltaten wurde die Wiederwahl Boris Jelzins im Jahr 1996 wesentlich durch sieben Oligarchen ermöglicht, zu denen unter anderem Boris ­Beresowski, Wladimir ­Potatin sowie Michail Chodorkowski gehörten.

Es war erst der von der westlichen Presse viel geschmähte Wladimir Putin, der den Oligarchen konsequent Einhalt gebot. Er warnte vor weiteren Einmischungen und drohte mit rückwirkenden Untersuchungen über die Herkunft der Vermögen. Beresowski und Gussinski zogen die Konsequenz und verließen Russland. Chodorkowski blieb. Als er die Konzerne Yukos und Sibneft (Letzterer gehörte dem Oligarchen Romas Abramowitsch) fusionieren und dann an ExxonMobile (Rockefeller) verkaufen wollte, reichte es Putin. Chodorkowski handelte ganz offensichtlich als Türöffner für den Westen zu den russischen Ressourcen. Heute sind die Ressourcenrenten aus dem Gas- und Ölexport der mit Abstand größte Einnahmenposten der russischen Volkswirtschaft. Ohne diese Einnahmen wäre das Land womöglich kollabiert und zum Armenhaus Eurasiens geworden. Europa wäre politisch destabilisiert. Aus Sicht des russischen Volkes war Putins Vorgehen gegen Chodorkowski und Co. vollkommen richtig. Aus Sicht der westlichen Unternehmen und der Finanzmärkte war es falsch – und die westlichen Medien machen sich diese Sicht kritiklos zu Eigen.

Putin ließ vor gut 10 Jahren also die Akte Chodorkowski untersuchen und ihn festnehmen. Auch ein unabhängiges Gericht, das nach westlichen Regeln geurteilt hätte, hätte Chodorkowski kaum laufen lassen können. Natürlich waren der Prozess und das Urteil willkürlich. Hätte man auch an die anderen Oligarchen ähnliche Maßstäbe angelegt, hätte eine massive Zwangsemigration von den Villenvierteln in Sotchi in sibirische Strafläger stattgefunden. Unschuldig ist Chodorkowski deswegen allerdings nicht. Chordorkowskis Rechnung, dass sein Reichtum und seine Freunde und deren Lobby im Westen ihn schützen würden, ging nicht auf. Klar, Putin ist alles andere als ein Engel. Doch die Katzen in diesem Spiel sind nicht weiß oder schwarz. Sie sind grau.

Apropos Haarfarbe: Zur Räuberbande gehört auch die blonde Unschuld Julia Timoschenko, die in der Ukraine wegen Amtsmissbrauchs, Veruntreuung und Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Auch hier wurden Ressourcen und ihre Renten von der Allgemeinheit gestohlen, und auch hier bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Berechtigung des Urteils. Dennoch ist es für die westlichen Medien eine ausgemachte Sache, dass Timoschenko eine „politische Gefangene“ ist.

Boden behalten – Basel gestalten: Rückzug und Neulancierung

Dirk Löhr

Niemand weiß, was in 100 Jahren in städtebaulicher Hinsicht “richtig” sein wird. Und niemand weiß, was sich in 100 Jahren an der Stelle eines Hauses in einer Stadt richtigerweise befinden sollte. Vielleicht ein Park? Vielleicht ein Neubau? Und weil das so ist, muss eine Stadt ihre Fähigkeit wahren, zu handeln und zu gestalten. Am besten kann sie das, wenn die Abgabe von Boden im (Erb-) Baurecht zur Norm wird. Nur so bleibt eine Stadt flexibel und behält die Fähigkeit, die langfristigen Entwicklungen des Wohnraums demokratisch legitimiert zu steuern. Zudem zahlt sich eine Abgabe im Baurecht langfristig stabil und finanziell sicher aus in Form des Baurechtszinses.

Die Initiative “Boden behalten, Basel gestalten!” hat dies erkannt und fordert daher, dass Liegenschaften und Grundstücke des Kantons Basel grundsätzlich nicht verkauft, sondern Dritten allenfalls im (Erb-) Baurecht überlassen werden. Die Initiative verfolgt zudem eine langfristige Änderung der Bodenpolitik des Kantons. Er soll deutlich mehr gemeinnütziges, familien- und umweltschonendes Bauen ermöglichen, und sein Land behalten für die künftige Stadtentwicklung.

Bedauerlicherweise hat die Initiative gestern, am 18.12.20 im Grossen Rat mit 47 zu 46 Stimmen (bei einer Enthaltung) eine Abstimmungsniederlage gegen die bürgerliche Mehrheit des Parlaments erlitten. Das Initiativkomitee von „Boden behalten – Basel gestalten! (Bodeninitiative)“ ist enttäuscht über diesen Grossratsentscheid, welcher stark von Ideologie geprägt war und fernab der künftigen Herausforderungen für den Kanton Basel gefällt wurde. Mit dem neuen baselstädtischen Wohnraumfördergesetz wurden allerdings bereits wichtige Forderungen der Bodeninitiative umgesetzt. Das Initiativkomitee wird deshalb seine ursprüngliche Initiative zurückziehen und den verbleibenden zentralen Teil der Initiative – dass der Kanton seinen Boden grundsätzlich nicht mehr verkauft – Anfang 2014 neu lancieren. Dies soll in Form einer neuen Volksinitiative geschehen. Über den Einsatz des (Erb-) Baurechts soll eine sinnvolle Stadtentwicklung ermöglicht, privaten Bauherren Raum für Investitionen gelassen und auch weniger kapitalkräftigen Bauträgern erlaubt werden, Projekte zu realisieren. Mit dieser neuen Initiative soll das zentrale Anliegen der Bodeninitiative – Nein zum Ausverkauf des Tafelsilbers – verbindlich verankert werden.

Mehr Informationen:

http://www.bodeninitiative-basel.ch/bodeninitiative-basel/Initiative/Weshalb-diese-Initiative.html

Gewinne und Renten: Alles Aldi oder was?

Dirk Löhr

Die kritische Diskussion über unsere Wirtschaftsordnung konzentriert sich in Deutschland hauptsächlich auf die Themen Geld und Banken. Um nicht missverstanden zu werden: diese Themen sind wichtig. Die reichsten Deutschen sind jedoch nicht etwa Bankiers, sondern die Gebrüder Albrecht (Aldi). Mit ihren Discount-Ketten bringt jeder der Albrecht-Brüder rund 17 Mrd. Euro auf die Waage, s. o.V. / Fokus Money Online 2008). Gefolgt werden sie von Dieter Schwarz (u.a. Lidl) mit rund 11 Mrd. Euro Vermögen.

Wie kam es zu diesem Siegeszug der Supermärkte? Typisch für Discounter wie Aldi oder Lidl sind z.B. die hohe Konzentration auf ein relativ begrenztes Warensortiment, wenige, jedoch umsatzstarke und umschlagsintensive Produkte, eine einfache Warenpräsentation und ein hoher Anteil sog. Handelsmarken (Letzteres hängt wiederum mit der „Rückwärtsintegration“ infolge ihrer Marktmacht zusammen). Dieses Konzept ermöglicht den Anbietern einen großen Flächenumsatz bei relativ niedrigen Laden- und Personalkosten. Niedrige Handelsmargen, kombiniert mit niedrigen Einkaufspreisen (aufgrund der großen Mengen in Verbindung mit Logistikvorteilen) erlauben den Discountern, ihre Produkte zu niedrigen Verkaufspreisen an den Mann oder die Frau zu bringen (Milchindustrie-Verband 2013).

Doch entgegen einer landläufigen Meinung ist nicht nur die Effizienz von Aldi & Co. der Grund für ihren Erfolg. Ein unterschätzter Faktor ist die Okkupation von Standorten – womit wir wieder beim vergessenen Faktor Boden und dessen Erträgen (Bodenrenten) angelangt wären. Ohne die großen und weit verzweigten Verkaufsflächen wären Aldi & Co. nicht das, was sie heute tatsächlich sind. Ohne diese Flächen geht es nicht – wie das Scheitern von Wal Mart in Deutschland eindrucksvoll belegt (Knorr / Arndt 2003). Man könnte sagen „good luck!“ und sich interessanteren Dingen zuwenden.

Aber: Aldi & Co. sind nicht so preiswert, wie sie scheinen. Und die versteckten Preise zahlt die Öffentlichkeit:
Die vergrößerten Betriebsflächen entstehen oft an neuen Standorten an der Peripherie der Siedlungen. Sie entstehen auf der grünen Wiese, an neuen, weder städtebaulich noch verkehrsbezogen gut integrierten Standorten – meist ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr. Die Wettbewerber suchen dabei die räumliche Nähe zueinander (Fühlungsvorteile); so entstehen größere Einzelstandorte mit überörtlicher Funktion. Ein Vollsortimenter (Umsatzleistung rund 5.000 Euro pro m²) mit etwa 1.500 m² Verkaufsflächen benötigt für einen wirtschaftlichen Betrieb einen Umsatz von rund 7,5 Mio. Euro. Eine Umsatzleistung in dieser Größenordnung entspricht in etwa der Lebensmittelkaufkraft von rund 5.000 Einwohnern. Ungefähr das gleiche gilt für einen Discounter mit 800 m² Verkaufsfläche (1,5 bis 2-fache Flächenproduktivität bei geringerer sortimentsspezifischer Kaufkraft). Die deutschen Verkaufsflächen sind (in qm/Einwohner gerechnet) wesentlich größer als diejenigen in Frankreich oder Großbritannien (Knorr / Arndt 2003). Durch die zunehmende Verbreitung der Discounter mit immer größeren und neuen Verkaufsflächen werden v.a. inhabergeführte Lebensmittel- und Facheinzelhändler, die ihre Produkte auf kleinen Verkaufsflächen anbieten, zunehmend verdrängt. So ist z.B. die Anzahl von Geschäften mit einer Verkaufsfläche von unter 400 Quadratmetern von 56.000 1993 auf rund 33.000 2006 gesunken (Milchindustrie-Verband 2013). Verstärkt wird dieser Trend durch andere Faktoren wie z.B. die Deregulierung des Ladenschlussrechts, wodurch der mittelständisch geprägte und oft an städtebaulich integrierten Standorten etablierte Facheinzelhandel unter Druck gerät.

Durch die Verdrängung inhabergeführter, etablierter Unternehmen in integrierten Lagen wird jedoch die Versorgungsfunktion der Innenstädte ausgehöhlt. Gemischt genutzte Ortszentren verlieren ihre bewährte Funktion. Früher getätigte öffentliche Investitionen in zentrale Infrastrukturen werden entwertet. Bemerkbar macht sich dies u.a. in der Verödung und Auszehrung der Ortskerne, in denen nach dem Auszug des Lebensmittelhandels der Auszug des Fachhandels droht. Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch andere Dienstleistungen (Banken, Post, …) schließen und die Ortskerne damit endgültig verkommen.

Es ist pervers: Einerseits wurden in den letzten Jahrzehnten mit Milliarden privater und öffentlicher Gelder Innenstädte saniert und neu gestaltet. So hat allein das Land Baden-Württemberg zwischen 1974 und 2004 rund 4,7 Mrd. Euro Städtebaufördermittel zur Sanierung und Aufwertung der Ortskerne aufgewendet, die durch viele zusätzliche kommunale und private Mittel ergänzt wurden. Die Verlagerung des Einzelhandels auf autoaffine Standorte auf der grünen Wiese entwertet aber diese öffentlichen und privaten Investitionen (NABU 2013).

Die vier größten Handelsunternehmen vereinen inzwischen rund 85% des Absatzmarktes in Deutschland auf sich (Bundeskartellamt 2011). Diese führt heute schon zu einem enormen Druck auf die Produzenten – es ist eine Frage der Zeit, wann die Marktmacht sich auch gegenüber den Kunden bemerkbar macht.

Dass es hierzu überhaupt kommen konnte, hat viel mit der verfehlten Flächenausweisungspolitik der Kommunen zu tun. Es ist zu vermuten, dass Einzelhandelsvorhaben bereits ab einer Größe von rund 700 m² Verkaufsflächen bzw. 1.200 m² Geschossfläche überörtliche Wirkungen entfalten. Doch fast alle derzeit diskutierten Einzelhandelsformen überschreiten die Schwelle dieser Regelvermutung (§ 11 Abs. 3 der BauNVO; NABU 2013). Dennoch überbieten sich die Kommunen mit großzügigen Ausweisungen. Dies folgt einer destruktiven Logik: Ist die eine Kommune mit ihren Anforderungen an Aldi & Co. zu rigide, wandert der großflächige Einzelhandel eben in die konkurrierende Nachbarkommune und zahlt dort die Gewerbesteuern. Zwar gibt es in der Mehrzahl der Bundesländer Regelungen in den Landesraumordnungsprogrammen sowie Einzelhandelserlasse zu der Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetrieben. Am Ende wird jedoch zumeist „einzelfallbezogen“ entschieden – zugunsten der betreffenden Märkte.

Mit dieser Brille wird das Erfolgsprinzip der Discounter deutlich: Am Ende fußt es ganz maßgeblich auf großzügigen Geschenken der Kommunen in Gestalt großer und billiger Flächen. Damit unterscheidet sich das Grundkonzept des großflächigen Einzelhandels im Prinzip nicht grundlegend von anderen “Erfolgsbranchen”. Nehmen wir die großen Energieversorgungsunternehmen: Diese bekommen im Rahmen ihrer fossilen Stromerzeugung „zu billig“ und sehr üppig Zugang zur Atmosphäre, wo sie ihr CO2 einlagern können (s. den Blogbeitrag „Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion” vom 11.10.2013). Wenn beispielsweise die Bepreisung der Inanspruchnahme der Atmosphäre (mit Blick auf das 2 Grad-Ziel) angemessen erfolgen würde, wäre kein Braunkohlekraftwerk mehr in Betrieb. Während zum Zeitpunkt der Niederschrift die Emission einer Tonne CO2 im europäischen  Emissionshandel um die 5 Euro kostet, wäre vermutlich das 15-20 fache angemessen. Diese einzelwirtschaftliche Ersparnis, von der (ähnlich wie bei den Discountern) auch die Stromverbraucher teilweise profitieren, geht jedoch auch zu Lasten einer diffusen Allgemeinheit (v.a. in vielen Entwicklungsländern, die von klimatischen Extremereignissen betroffen sind). Es gibt eben nichts umsonst: „There is no such thing as a free lunch“; ein großer Teil des Aufwandes wird immer auf andere, schwach organisierte Akteure abgewälzt.

Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Wenn die Fluggesellschaften für die Nutzung der Start- und Landerechte, des Luftraumes und den verursachten Lärm zahlen müssten, wäre der Luftverkehr realistischer bepreist und würde eingedämmt (s. den Blogbeitrag “Gewinne und Renten: Beispiel Luftfahrt” vom 10.10.2013). Heute jedoch trägt die nicht fliegende Allgemeinheit einen großen Teil der Kosten, und zwar in Form von Gesundheitsschäden, sinkenden Immobilienwerten, den Folgen der Treibhausgasemissionen und nicht zuletzt auch in Gestalt der fehlenden Staatseinnahmen, die durch den Steuerzahler ausgeglichen werden muss.

Die Branchenbeispiele könnten fortgesetzt werden.

Das Geheimnis des wirtschaftlichen Erfolges von Aldi & Co. sind also Geschenke des Staates an die betreffenden Unternehmen. Auf diese Weise gelangen „Energieversorger“, Fluggesellschaften und Supermärkte „zu billig“ an die zugrunde liegende Ressourcenbasis können diese im Übermaß in Anspruch nehmen. Bei den Vertriebsstandorten, bei der Atmosphäre als Kohlenstoffspeicher, bei den Time-Slots für Starts und Landungen handelt es sich aber allesamt um „Land“ im Sinne der klassischen Ökonomen, das Seitens des Staates den betreffenden Unternehmen für „‘nen Appel und ein Ei“ zur Verfügung gestellt wird – auf Kosten der Allgemeinheit. Auf diese werden die negativen Effekte abgewälzt. Die steuerzahlende Allgemeinheit hat auch die finanziellen Löcher aufzufüllen, die mit den Geschenken an die betreffenden Unternehmen in die Staatskasse gerissen werden.

Das Gegenmittel bei der Produktion von Strom aus fossilen Energieträgern liegt auf der Hand: Eine Verknappung von Emissionsrechte, und deren Versteigerung. Die Erträge sollten der Allgemeinheit zukommen. Dasselbe Prinzip lässt sich für die Luftfahrt anwenden. Warum werden den Fluglinien Start- und Landerechte geschenkt, die im Einzelfall den Wert der gesamten Flugzeugflotte übersteigen können? Nicht anders verhält es sich aber auch mit den Supermärkten: Bei entsprechendem politischen Willen könnten die Standorte strikt begrenzt und ebenfalls versteigert werden. Die Planung der verbleibenden Standorte müsste freilich mindestens auf regionaler Ebene geschehen, damit die unproduktive Konkurrenz der Kommunen ausgeschaltet wird. Voraussetzung wäre hierbei eine Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltungsautonomie (Art. 28 II GG) – bislang eine heilige Kuh für die Kommunen, selbst wenn diese nicht selten ihre Herren auf die Hörner nimmt. Noch mehr: Die betreffenden Flächen sollten sich auch in öffentlicher Hand befinden. Die über die Versteigerung abgeschöpften Kontingentierungsrenten würden dann in öffentliche Kassen fließen. Sie würden nicht mehr an die Supermärkte verschenkt und würden – anders als heute – auch nicht mehr den harten Kern ihrer Gewinne darstellen.  Stattdessen könnten die Bodenrenten wieder an die Kommunen der Region zurückverteilt werden. Dies würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass auch der inhabergeführte, mittelständische Einzelhandel mit seinem regionalen Bezug wieder eine realistische Chancen hätte. Zudem würde der teils ruinösen Flächenausweisungspraxis der Kommunen der Boden entzogen.

Mehr in:

NABU (2013): http://www.nabu.de/themen/siedlungsentwicklung/praxis/planung/04787.html.

Milchindustrie-Verband (2013), Welches europäische Land besitzt die größte Ladenfläche pro Einwohner?, online: http://www.meine-milch.de/kuh-iz/welches-europaeische-land-besitzt-die-groesste-ladenflaeche-pro-einwohner?fakuh=1

A. Knorr / A. Arndt (2003):  Wal-Mart in Deutschland – eine verfehlte Internationalisierungsstrategie, Materialien des Wissenschaftsschwerpunktes „Globalisierung der Weltwirtschaft“, Band 25, Universität Bremen.

Bundeskartellamt (2011):  Bundeskartellamt startet Marktermittlungen im Rahmen der Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, Pressemeldung vom 16.9., online:

http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Presse/2011/2011-09-16_PM_SU_LEH.pdf

Die neue Landnahme: Patente als virtueller Grundbesitz

Dirk Löhr

„Land“ im weiten Verständnis der klassischen Ökonomen umfasst über Grund und Boden hinaus auch Wasserrechte, Ölförderrechte etc., ja sogar die standörtliche Basis für Infrastrukturanlagen („essential facilities“) mit dem Charakter eines natürlichen Monopols. All dies „Land“ ist in der heutigen Rentenökonomie Gegenstand von „Einfriedungen“ – diese sind das Vehikel für das „rent grabbing.“ Mittlerweile geht es allerdings nicht mehr nur um physische Gegenstände, sondern auch um „virtuelles Land“, also solches, das nur durch Menschen – aufgrund gesetzten Rechts – kreiert wurde. Zu nennen sind hier Rechte am atmosphärischen Aufnahmespeicher (z.B. CO2-Zertifikate) oder v.a. auch „Geistige Eigentumsrechte“ („intellectual property rights“, kurz: „IPR“).

Ein Meilenstein für die „Einfriedung der Wissensallmende“ war das 1995 geschlossene TRIPs-Abkommen („Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights“). Was da schon fast wie eine Geschlechtskrankheit klingt, trägt tatsächlich maßgeblich zur Ausbreitung der Seuche der Rentenökonomie über den Globus bei. Das TRIPs-Abkommen wurde durch eine Koalition der 13 wichtigsten – international agierenden – US-Konzerne mit homogener Interessenlage 1986 vorbereitet, bevor es als GATT- bzw. WTO-Abkommen von den Regierungen willfährig umgesetzt wurde. Die EU-Kommission und das US-Patentamt bereiteten einen Fahrplan vor, um die „globale Patentharmonisierung“ voranzutreiben. Als Blaupause für das TRIPs-Abkommen diente das US-amerikanische Patentrecht. In den USA hatte man das Patentrecht und das Copyright (Urheberrecht) u.a. auf neue Schutzgegenstände wie Software, Geschäftsmethoden, Lebensformen und Gen-Sequenzen ausgedehnt. Nach TRIPs können die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO keinen Technologiebereich mehr aus dem IPR-Regime ausschließen (Art. 27 Abs. 1 des TRIPs-Abkommens). Ausdrücklich wird die Patentierbarkeit von genetischem Material und Mikroorganismen zugelassen (Art. 27 Abs. 3b des TRIPs-Abkommens). Seit TRIPs stehen dementsprechend v.a. Software- und Biopatente im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Das ist kein Zufall. Beide Formen stellen neu geschaffenes, „virtuelles Land“ dar und skizzieren neue Trends bei der „Einfriedung der Allmende“:

–   Mit dem Siegeszug der Informationstechnologie wurden nicht nur Informations- und Transaktionskosten, sondern auch die Transportkosten in der Wirtschaft erheblich gesenkt. Heutzutage können z.B. in einem internationalen Konzern Meetings virtuell als Videokonferenzen abgehalten werden. Skizzen und Pläne werden zugemailt, danach wird darüber telefoniert. Man spart den Aufwand (Flugkosten, Zeit), der mit einer Reise verbunden ist. Damit verlieren jedoch tendenziell auch räumliche Standortvorteile (über Agglomerationen) an Bedeutung, die Bodenrente wird gedämpft, obwohl die Produktivität ansteigt. Die „virtuellen“ Einfriedungen, die mit den geistigen Eigentumsrechten (allen voran dem Patentrecht) vorgenommen werden, fangen allerdings die „diffundierende“ Bodenrente wieder ein – sie wird auf die geistigen Eigentumsrechte übertragen. Letztere gewannen daher relativ zu Boden im engen, physischen Sinne im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung.

–   Eigentlich sollten nur Erfindungen, nicht jedoch Entdeckungen patentierbar sein. Gerade in der Biotechnologie verläuft die Grenze zwischen Erfindungen und Entdeckungen aber zunehmend fließend. Längst gilt nicht mehr der Satz: „… was die Natur schafft, kann nicht erfunden werden“ (Kohler 1900, S. 84). DNA enthält – anders als X-beliebige chemische Stoffe – Informationen über die Bildung von Proteinen, die allenfalls teilweise bekannt sind. Ein Patentanmelder kann schwerlich voraussehen, welche biologischen Funktionen eine DNA-Sequenz außer der von ihm erforschten sonst noch hat. Wenn das Patentrecht (wie in den USA) vom Anmelder keineswegs einfordert, alle Funktionen eines DNA-Abschnitts, sondern nur eine der möglichen Funktionen zu kennen, entsteht „ein wissenschaftlich wie wirtschaftlich völlig unsinniges Monopolrecht, das Forschung und Entwicklung sehr viel eher hemmt, als es sie fördern könnte.“ (Greenpeace 2004). Das Patent deckt nämlich alle, auch die noch unerforschten Anwendungen (!) mit ab. Soweit Entdeckungen patentiert werden, geht es ganz offensichtlich nicht mehr um die Stimulierung des Erfindungsprozesses, sondern um das Abstecken von möglichst weiten „Claims“. In Europa ist dieser Aspekt jedoch heftig in der Diskussion – hoffentlich können die diesbezüglichen Fehlentwicklungen nachhaltig verhindert werden.

Nun mögen die Bedenken gegen Eigentumsrechte auf Entdeckungen ja berechtigt sein, doch was ist mit Erfindungen? Die Rechtfertigung der Eigentumsrechtstheoretiker läuft ja über das Effizienzargument: Eigentumsrechte sollen demjenigen, der der Gesellschaft einen Nutzen über seine geistigen Leistungen verschafft, einen Teil davon zukommen lassen. Nutzen und Kosten sollen daher aneinander gekoppelt werden. Was zunächst wie ein durchaus vernünftiger Gedanke aussieht, ist bei näherem Hinsehen aber mit Pferdefüßen behaftet. Patente tragen nämlich durchaus nicht so sehr zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Effizienz bei, wie von ihren Befürwortern vorgegeben. Sie leiden vielmehr an denselben Mängeln, die wir schon mehrfach in diesem Blog bei Privateigentum an Grund und Boden identifiziert haben: Im Mittelpunkt steht die private Vereinnahmung von Nutzen aus ökonomischen Renten und Blockaden durch starke, gut organisierte Gruppen – sowie die Abwälzung der damit verbundenen Kosten auf schwach organisierte Gruppen. Wie wichtig das Renten- und Blockademotiv ist, macht eine Umfrage des IW-Zukunftspanels (2006) deutlich (Eckl 2008, S. 778): Die Motivation für die Patentierung der in Patentindustrien tätigen Unternehmen wurde von der Erzielung von Monopolrenten („exklusive kommerzielle Nutzung“, 87,1 %) und der strategischen Blockade von Konkurrenten (81,9 %) angeführt.

Blicken wir zunächst auf die ökonomischen Renten. Das Patentrecht räumt mit den exklusiven Verwertungsrechten eine Monopolposition ein. Handelt es sich um Produktpatente, können die begünstigten Unternehmen einen erhöhten, weit über den Produktionskosten liegenden Preis verlangen. Dies geht i.d.R. mit einer willkürlichen Angebotsbeschränkung einher. Die Konsequenz ist ein Wohlfahrtsverlust, verglichen mit einem Zustand vollkommener Konkurrenz. Nun haben Produktpatente die wesentlichen Eigenschaften „absoluter Monopole“ – anders als Verfahrenspatente, deren Ähnlichkeit zum „Archetypus“ Land dafür umso stärker ist. V.a. Verfahrenspatente können daher als „virtuelles Land“ begriffen werden. Die meisten Verfahrensinnovationen senken nur die Kosten eines bereits bekannten und eingeführten Produkts. Wenn die Konkurrenten aber von den leistungsfähigen Technologien ausgeschlossen werden, müssen sie auf zweit- oder drittbeste Lösungen zurückgreifen. Sie werden damit also auf zweit- und drittbestes „virtuelles Land“ abgedrängt – mit der Folge einer geringeren Produktivität und höherer (Grenz-) Kosten. Dabei wird der „virtuelle Grenzboden“ durch die bisherige Produktionsweise bestimmt. Dessen Grenzkosten bestimmen auch den Preis, so dass die Segnungen der neuen Technologie nicht beim Verbraucher ankommen. Nur der Inhaber des Verfahrenspatentes profitiert von den Produktivitätsfortschritten. Wird z.B. ein neues Verfahren zur billigeren Herstellung von Lithiumbatterien patentiert, hätte das betreffende Unternehmen einen entscheidenden Kostenvorsprung gegenüber der Konkurrenz, die mit den alten Verfahren produzieren muss. So ergeben sich für die Okkupanten des besten virtuellen Landes Renten.

Was die Kosten der Inwertsetzung betrifft, stellt die Basis für die Forschung einerseits eine größtenteils immer noch öffentlich finanzierte Schul- und Hochschullandschaft dar. Nicht zu vergessen ist die lang zurückreichende Kultur- und Geistesgeschichte: Bei Erfindungen handelt es sich um eine Momentaufnahme aus einem kontinuierlich laufenden, kumulativen und potenziell nicht zu einem Ende kommenden sozialen Prozess, wobei auch die kreativsten Innovatoren ihr Material aus einem bislang allgemein zugänglichen Fundus („Wissensallmende“) beziehen (Stiglitz 2006). Isaac Newton:

„If I have seen further, it is by standing on the shoulders of giants.“

In den meisten Fällen kombiniert ein Neuerer lediglich bestimmte Elemente und Bestandteile neu. Dabei ist oft sehr unklar, welche originäre Leistung ihm wirklich zuzusprechen ist. Dementsprechend wurde schon von Polanyi die Auffassung kritisiert, man könne den wissenschaftlichen Fortschritt beliebig „zerhacken“ und sodann in Form von Eigentumsrechten aussondern und verteilen (Polyani 1944).

Wenn man von den ökonomischen Renten absieht, entsteht individueller Nutzen aus Patenten v.a. aus den Blockademöglichkeiten. Im Bereich des Patentrechts sind „offensive“ oder „defensive“ Blockadestrategien zu nennen. Solche Strategien werden eben gerade mit solchen Patenten durchgeführt, bei denen es von vornherein nicht um die Verwertung geht. Von sog. „defensiven Blockaden“ spricht man, wenn Firmen patentieren, um zu verhindern, dass ihr eigener technologischer Spielraum durch Patente anderer verringert wird. Anders bei „offensiven Blockaden“: Hier patentieren Firmen, um andere Unternehmen davon abzuhalten, in gleichen oder angrenzenden Anwendungsfeldern eigene technische Erfindungen zu nutzen. D.h. es werden Patentmauern um die eigene Erfindung errichtet und umfangreicher patentiert, als es für den Schutz der technischen Erfindung notwendig wäre. Zweit- und drittbeste technische Lösungen werden aber nicht nur von den Inhabern der Patente, sondern auch von Konkurrenten patentiert – mit dem Ziel, einen „virtuellen Großgrundbesitz“ zu schaffen, auf dessen Gebiet die Konkurrenz ausgeschaltet ist. Solche Patentierungsstrategien schließen auch das häufig diskutierte Motiv ein, Patentrechtsverletzungsklagen zu begegnen. Möglicherweise kann – bei einem entsprechend ausgestatteten Patentportfolio – bei einem Angriff sogar sofort mit einer Gegenklage „gekontert“ und der größte Schaden durch einen Vergleich oder einen Patenttausch abgewendet werden. Die Möglichkeit strategischer Blockaden prägt dementsprechend auch den Charakter des Wettbewerbs: Nicht Leistungswettbewerb ist angesagt, sondern Behinderungswettbewerb. Um in einer Metapher zu sprechen, richten die Wettstreiter ihre Energien nicht primär darauf, als Schnellste in das Ziel zu gelangen, sondern den Mitbewerbern Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Dieser Behinderungswettbewerb begünstigt gleichzeitig eine Tendenz zur Monopolisierung.

Ein lehrreiches Beispiel für die Schaffung „virtueller Haziendas“ ist die patentintensive Pharma- und Chemieindustrie: So gingen Unternehmen wie Pfizer, AstraZeneca, Sanofi-Aventis etc. allesamt aus Konzentrations- und Fusionswellen hervor. Die privaten Patentpools, die mittels solcher Fusionen geschaffen werden, stellen den besten Beweis dafür dar, wie ineffizient das Patentsystem ist. Weil eben über die „Mauern des Wissens“ der Zugang zu den besten Standorten versperrt war, werden diese von den Konzernlenkern über den Aufkauf von Unternehmen niedergerissen. So entstand u.a. auch der „integrierte Technologiekonzern“ des Edzard Reuter (Daimler), der sich unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch nicht als das „Gelbe vom Ei“ präsentierte (keine Konzentration auf Kernkompetenzen). Die IPRs stimulierten auch hier also keinesfalls die optimale Allokation der Ressourcen. Am Ende scheiterte die Konzeption. Hierbei trugen wenigstens noch die Aktionäre als Nutznießer einen Teil der Kosten. Das ist aber keineswegs die Regel.

Die oben beschriebenen Blockaden betrafen Anwendungen. Schon hier kam zum Ausdruck, dass dem Nutzen des Einen Kosten der Anderen gegenüberstehen. Die Blockade beginnt aber noch viel früher, nämlich bei der Forschung. Nicht unähnlich wie im Roman „Cimarron“ von Edna Ferber, der u.a. die Landnahme im Wilden Westen Amerikas beschreibt, findet auch ein regelrechter „Run“ auf das „virtuelle Land“ statt. Damals stürmten die Kutschen und Pferde los, um als erste vor dem Land Office ihre Claims zu markieren. Nicht immer ging es dabei fair, schon gar nicht kooperativ zu. „First-come, first-served“, war das Motto. Im Wettlauf um das „virtuelle Land“ verhalten sich die verschiedenen Einrichtungen, Labore etc. ähnlich. Sie forschen ohne Austausch am selben Gegenstand vor sich hin, anstatt ihre Kräfte arbeitsteilig zu bündeln und sich gegenseitig zu befruchten. Die Wissenschaftler haben Angst, der „Konkurrenz“ eventuell den entscheidenden Vorsprung beim Rennen zum Patentamt in die Hand zu geben. Ohne Interaktion und Netzwerkbildung ist aber das „soziale Gehirn“ weniger leistungsfähig. Nützliche Erfindungen können nicht das Licht der Welt erblicken; unterlassener Austausch bedeutet stattdessen gesellschaftliche Kosten. Viele Anwendungen sind so sehr mit Patenten belegt, dass – v.a. im mager ausgestatteten öffentlichen Bereich – die Forschung mehr und mehr verunmöglicht wird. Die diversen „Synapsen des gesellschaftlichen Gehirns“ werden also blockiert. Genauso, wie blockierte Synapsen die Leistungsfähigkeit des individuellen Gehirns beeinträchtigen, gilt dies für die Gesamtgesellschaft. Und wieder einmal werden Kosten – diesmal Blockadekosten – auf Dritte abgewälzt: Beispielsweise erregte 1999 die Resistenz des Bakteriums Staphylococcus aureus (der u.a. Lungenentzündungen und Wundinfektionen hervorruft) gegen alle Antibiotika Aufmerksamkeit. Die unkontrollierte Ausbreitung des Bakteriums wurde befürchtet, ohne dass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden konnten. Dafür wurden auch die Genom-Firmen mit ihrer Geheimhaltungspolitik verantwortlich gemacht. Es geht aber noch weiter, denn die Blockademöglichkeiten führen teilweise zu richtigen Auswüchsen. So gibt es Unternehmen, deren Geschäftsmodell vornehmlich darin besteht, Patente zu halten (nicht etwa zu nutzen!) und andere Unternehmen zu verklagen, wenn diese die betreffenden Technologien anwenden. In den vergangenen 20 Jahren wurde der Börsenwert von US-Unternehmen durch derartige Aktivitäten um insgesamt rd. 500 Milliarden Dollar gedrückt. In den USA verbieten Unternehmen ihren Ingenieuren die Lektüre von Patentschriften – aus Furcht, dass diese sich in ihrer täglichen Arbeit daran erinnern könnten. Wissentliche Patentrechtsverletzungen werden nämlich erheblich härter geahndet als unwissentliche. Wie sehr ein solches Vorgehen der Diffusion von Wissen dient, muss nicht erläutert werden.

Es sollte zu denken geben, wenn selbst Landes und Posner als wichtige Protagonisten des eingangs genannten Property Rights-Paradigmas zu dem Schluss kommen, dass die Anreizwirkungen von geistigen Eigentumsrechten auf Basis des gegenwärtigen Wissens nicht überzeugend zu verteidigen sind (Landes / Posner 2003). Soweit das „gesellschaftliche Gehirn“ durch die Blockaden hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, entstehen Kosten und Wohlfahrtsverluste, die zu einem großen Teil von der Gesellschaft getragen werden (z.B. Forschung an Substitutionserfindungen, weil die besten Lösungen blockiert sind).

Am Beispiel des Patentwesens lässt sich ebenfalls gut darstellen, dass nicht nur die Allokation, sondern auch die Verteilung von „Land“ i.w.S. ein gravierendes Problem darstellen kann. Dies betrifft v.a. die Zugangsdiskriminierung zu lebensnotwendigen Produkten. So verunmöglichen monopolistisch überhöhte Preise bei Produktpatenten die angemessene medizinische Behandlung vieler Menschen in Ländern der Dritten Welt, die nicht die erforderliche „Zahlungsbereitschaft“ artikulieren können. Bei der Behandlung von HIV / Aids ist das Problem weniger die mangelnde Forschung als vielmehr der schwierige Zugang zu den Medikamenten. Von ca. zehn Millionen HIV-Infizierten in Entwicklungsländern, die eine antiretrovirale Therapie bräuchten, erhalten sie ungefähr drei Millionen. Dass überhaupt so viele Menschen derzeit Behandlung erhalten, ist auf die Produktion von Generika zurückzuführen. So können z.B. aus Indien noch solche Medikamente billig erworben werden, die noch vor Gründung der WTO erfunden wurden. In bestimmten Situationen sind auch nach TRIPs Zwangslizenzen möglich. Diesen Weg beschritt Thailand im Jahr 2006 in Bezug auf zwei HIV / Aids-Medikamente und ein Herz-Kreislauf-Medikament. Umgehend wurde allerdings massiver politischer Druck auf Thailand ausgeübt, nicht zuletzt von Seiten der EU.

Zusammenfassend unterscheiden sich die Charakteristika des Patentwesens gar nicht so sehr von Grund und Boden: Auch bei Patenten sind Nutzen und Kosten entkoppelt. Wieder kommen die Nutzen v.a. gut organisierten, mächtigen Wirtschaftsinteressen zugute, während die Kosten zu einem hohen Teil externalisiert werden: Individueller Nutzen kann sowohl aus Patentblockaden wie auch aus Monopolrenten entstehen. Die Kosten der Zugangsbeschränkungen tragen Dritte, und auch die Inwertsetzung wird zu einem erheblichen Teil durch die Gemeinschaft getragen (Kultur- und Wissensschatz, öffentliche Bildungseinrichtungen etc.).

Wie sieht es mit Alternativen aus? Vollkommen klar ist, dass das Patentrecht nicht ersatzlos gestrichen werden kann. Der Dreh- und Angelpunkt ist wiederum das Zusammenführen von Nutzen und Kosten. Wer externen Nutzen erzeugt und dabei Kosten trägt, soll auch entschädigt werden. Gerade dies wird aber durch das Patentwesen nicht erreicht – genauso wenig wie beim Privateigentum an Grund und Boden.

Ohne Vollständigkeit anzustreben, einige Beispiele für alternative Gestaltungsmöglichkeiten: Es könnten (internationale) Patentpools errichtet werden. Die Teilnehmer (-staaten) zahlen in diese ein. Aus den Pools werden die Erfinder kompensiert (zur Begutachtung der Erfindungen und des Kostenersatzes können Institutionen wie z.B. die Max-Planck- oder Fraunhofer-Gesellschaft eingeschaltet werden). Das betreffende Wissen steht allen Teilnehmern des Patentpools zur Verfügung. Ähnlich funktionieren Forschungsgutscheine. In besonders dringlichen Fällen könnte man an Ausschreibungen denken: Beispielsweise bekommt im Falle einer Grippeepidemie dasjenige Unternehmen eine Summe von sagen wir einmal 50 Mio. Euro, welches als erstes – möglichst bis zum Zeitpunkt Y – ein effektives Medikament bereitstellt. Dieses wird aber – anders als heute – ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc – mit weiteren Literaturverweisen

Weitere Literatur:

J. Eckl (2008): Geistige Eigentumsrechte – Motor oder Bremse der Wirtschaftsentwicklung?, Wirtschaftsdienst 12, S. 767-783.

Greenpeace (2004), Die wahren Kosten der Gen-Patente, Hamburg.

J. Kohler (1900), Handbuch des Deutschen Patentrechts in rechtsvergleichender Darstellung, Mannheim.

W. M. Landes / R. A. Posner (2003), The Economic Structure of Intellectual Property Law. Cambridge / Mass, (The Belknap Press of Harvard University Press).

M. Polanyi (1944): Patent Reform, Review of Economic Studies, Bd. XI, S. 70 / 71.

J. Stiglitz (2006), Making Globalization Work – the Next Steps to Global Justice, London (Penguin group).

Welche Interessen stecken hinter der derzeitigen „dysfunktionalen“ Geldpolitik?

Johann Walter

Die Geldpolitik stellt in jüngster Zeit – fast schon panikartig – sehr viel neues Geld bereit bzw. steigert die Geldbasis. Auch die Geldmengen M1 bis M3 und die Bilanzsummen der Banken wuchsen zuletzt im Vergleich zum BIP überproportional. Denn das neue Geld fließt zu großen Teilen auf Assetmärkte oder bleibt als Spar- oder Termineinlagen bei Banken geparkt (vgl. Blogbeitrag vom 5.11.).

Dies ist in mehrfacher Hinsicht dysfunktional: wird neues Geld über den Bankensektor in die Wirtschaft geleitet, und schöpfen Banken neues Geld dadurch, dass sie Kredit geben oder Vermögenswerte kaufen, so wandert das neue Geld wahrscheinlich von vornherein in die „Liquiditätsfalle“ bzw. in den Assetbereich und steigert dort die Preise. Dann sind Assetpreisinflation (Blasen) und in Finanzkrisen möglich. Bei Kreditgeldschöpfung ist Überschussliquidität zudem Überschussverschuldung. Dann wachsen die Schulden schneller als der Produktionswert; „Polarisierung“, „Instabilität“ und „Wachstumsdruck“ nehmen zu.

Um diese Probleme zu mildern, kann die Art der Geldschöpfung geändert bzw. korrigierend in unrunde Geldumläufe eingegriffen werden. Dazu gibt es eine breite wissenschaftliche Diskussion und bereits konkrete praktikable Vorschläge (vgl. Walter 2013 und 2014).

Warum wird derzeit dennoch weiter auf herkömmliche expansive Geldschöpfung gesetzt – trotz der angesprochenen Probleme? Zur politischen Ökonomie der expansiven Geldpolitik wörtlich Sauga (2013), der die aktuelle sehr expansive japanische Geldpolitik kommentiert:

„Wirtschaftlich ist Japans neues Währungsregiment … zweifelhaft, politisch aber hat es eine hohe Verführungskraft. Geld so billig zu machen wie irgend möglich, erleichtert … das Regierungsgeschäft. … Die Politiker freuen sich, weil sie leichter neue Schulden machen können. Wer seinen Wählern Ausgaben auf Kredit verspricht, schneidet beim Stimmenfang in der Regel besser ab als der Kollege, der Steuern erhöhen oder Renten kürzen will. Die zweite Gewinnergruppe sind die Vermögenden. Seit Jahren fließt das Geld der Zentralbank weniger in die Güterwirtschaft als in die weltweiten Aktien-, Rohstoff- oder Immobilienmärkte – und damit in die Taschen jenes oberen Zehntels der Bevölkerung, dem der Großteil der entsprechenden Anlagen gehört. So sind die US-Börsenkurse in den vergangenen zwei Jahren um 15%, die Goldpreise um 24% und deutsche Immobilienwerte in Großstädten um 20% geklettert. Die größten Renditen freilich schöpfen diejenigen ab, die von jeher an lockerem Geldmanagement und steigenden Vermögenspreisen ein besonderes Interesse haben: die Mächtigen der Finanzindustrie. Sie sind die Ölscheichs des Gewerbes, die mit dem Rohstoff der Zentralbanken ihre Spekulationsprofite sichern“.

Die Verlierer dieser Politik sind zu schwach, sich dagegen zu wehren. Dazu noch mal Sauga: „Als Verlierer der aktuellen Geldpolitik darf sich … jene große Mehrheit der Bürger fühlen, deren Ersparnisse nicht in Sachwerten, sondern in Sparbüchern und Lebensversicherungen angelegt sind. Bei ihnen konzentrieren sich die Verluste, wenn die Zinsen fallen und die Lebenshaltungskosten stärker steigen. Finanzielle Repression nennen Ökonomen den Prozess, der bereits heute in vielen Ländern zu beobachten ist und von einer Währungspolitik im Tokio-Stil weiter befördert würde. Das Resultat wären der Schwund privaten Geldvermögens, mehr staatliche Schulden und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.“

Insgesamt gesehen sind Verlierer all diejenigen, die die Folgekosten einer aktiven „Geld-Asset-Pumpe“ (z.B.: höherer Schuldendienst, höhere Mieten, ökologische Schäden einer forcierten Wachstumsstrategie) zu tragen haben.

Dazu kommen spezielle internationale Probleme: Wird z.B. in Japan überschüssig Geld geschöpft, entsteht dort Kaufkraft, die auch in der Eurozone verwendbar ist – zum Kauf von Importgütern, aber auch von Assets (z.B. Land, Aktien). Zwar profitieren auch bei uns die Verkäufer von Gütern bzw. Assets. Per Saldo gelangen dabei aber Assets aus Europa in die Hände von Akteuren aus Japan. Dies ist also nicht nur eine „beggar my neighbour-policy“ (bei Abwertung des Yen), sondern auch eine „buy my neighbour-policy“! Wenn die OECD der EZB empfiehlt, beim Geldmengenwachstum nicht hinter anderen Währungsräumen zurückzubleiben (vgl. Mildenberger 2013), akzeptiert sie insofern die Anreize zu – allseits! – „aggressiver“ Geldpolitik und die geschilderten Nachteile von Überschussliquidität.

Fazit: an expansiver bis „aggressiver“ Überschuss-Geldpolitik sind vor allem Regierungen, Finanzindustrie und Vermögende interessiert. Diese werden ihre Interessen wahren wollen. Eine geldpolitische Umkehr erfordert demzufolge einen starken politischen Willen – und wohl auch internationale Absprachen.

Literatur:

M. Mildenberger (2013), OECD-Chef ruft EZB zu laxerer Geldpolitik auf Handelsblatt vom 27.5., online: http://handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik

M. Sauga (2013), Prinzip Harakiri, in: Der Spiegel, 5, S. 75.

J. Walter (2013), Geldordnung: Schuldenkrise oder Free Lunch?, in: WiSt 4, S. 197-201.

J. Walter (erscheint 2014), Überschussliquidität: Ursachen, Folgen und mögliche Antworten der Geldpolitik, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 51. Jahrgang, 180./181. Folge.