Grundsteuerreform: Die verpasste Chance

Dirk Löhr

Anbei im Rahmen eines Editorials für den BetriebsBerater 8/2019 ein Kurzkommentar zur Chance, welche die Politik bei der anstehenden Grundsteuerreform zu vergeben droht: Grundsteuerreform: Die verpasste Chance.

Bei der Grundsteuerreform geht es um wesentlich mehr als um den Erhalt der mit 14 Mrd. Euro Aufkommen zweitwichtigsten Kommunalsteuer – es geht um den ersten Schritt hin zu einer Umstellung der Besteuerung: Weg von der Belastung von Arbeit, Verbrauch und produktiven Investitionen, hin zu einer höheren Besteuerung der Nutzung von Land und Natur. Leider sieht es diesbezüglich düster aus.

Der Berg kreißte …: Zum Grundsteuer-Kompromissmodell

Dirk Löhr

Der Berg kreißte, und gebar … ein Kompromissmodell. Am 1.2.2019 tagten die Länderfinanzminister, um sich über die zukünftige Ausgestaltung der Grundsteuer zu verständigen. Damit wurde die Diskussion weitergeführt, die Bundesfinanzminister Scholz Ende November 2018 mit der Vorstellung zweier möglicher Reformmodelle eröffnet hatte:

  • Ein wertunabhängiges Modell („WUM“), dessen Bemessungsgrundlage sich lediglich an der Boden- und Gebäudefläche orientiert und
  • ein wertabhängiges Modell („WAM“), das letztlich eine Aktualisierung der Einheitsbewertung darstellt. Es nähert sich jedoch stärker als das alte Ertragswertverfahren dem im Rahmen der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) geregelten Ertragswertverfahren zur Verkehrswertermittlung an. Nichtwohngrundstücke, wofür Mieten schwer feststellbar sind, sollen in einem Sachwertverfahren ermittelt werden, wobei ebenfalls das Sachwertverfahren der ImmoWertV als Vorbild dient.

Während das WUM offenbar von weiten Teilen der CDU/CSU- und auch der FDP-Bundestagsfraktion favorisiert wurde, stand die SPD-Bundestagsfraktion wohl mehrheitlich hinter dem WAM. Gleiches galt auch für den Bundesfinanzminister selbst. Sympathien hinsichtlich des WAM gab es auch von Teilen der Grünen und der Linkspartei. Das WUM ist mittlerweile aus dem Rennen; offenbar erschien es den Finanzministern nicht vermittelbar, wenn eine geringwertige Immobilie in einer Stadtrandlage genauso hoch besteuert wird wie eine hochwertige in einer zentralen Lage.

Bei dem neuen Kompromissmodell handelt es sich offensichtlich um eine vereinfachende „Abschichtung“ des wertabhängigen Modells (WAM). Wie schon im WAM sollen Bodenrichtwerte in die Bemessungsgrundlage eingehen. Allerdings soll nun grundsätzlich auf amtlich ermittelte Durchschnittsmieten abgestellt werden (Nettokaltmieten aus dem Mikrozensus, die nach Mietstufen gestaffelt werden). Nur in den Fällen einer sehr niedrigen tatsächlichen Miete (die tiefer als 30 Prozent der durchschnittlichen Nettokaltmiete ist) soll auf diese zurückgegriffen werden.

Das Kompromissmodell erscheint trotz der „Abschichtungen“ immer noch sehr komplex. Beispielsweise müssen wohl im Rahmen des subsidiär anzuwendenden Sachwertverfahrens bei gemischt genutzten Grundstücken oder Geschäftsgrundstücken erst einmal die Betriebsvorrichtungen vom Grundvermögen abgesondert werden. Ein Beispiel: Sind die “Etagen” in einer Fabrikhalle Teilgeschosse (Grundvermögen) oder Arbeitsbühnen (Betriebsvorrichtungen)? Auch für die Land- und Forstwirtschaft sind komplexe Bewertungsregeln vorgesehen, die sich am Ertragswertverfahren orientieren, das im Gesetzentwurf des Bundesrats im Jahre 2016 vorgestellt wurde (BR-Drs. 515/16).

Das Bundesverfassungsgericht ließ in seinem Grundsteuer-Urteil vom 10.4.2018 dem Gesetzgeber zwar einen weiten Spielraum für eine Neugestaltung der Grundsteuer. Allerdings forderte es ein, dass ein Belastungsgrund benannt und dieser “realitäts- und gleichheitsgerecht” umgesetzt wird.  Ein die neue Steuer rechtfertigender Belastungsgrund wurde bislang nicht benannt. Offenbar wurde das neue Modell aber stark vom Leistungsfähigkeitsgedanken inspiriert: Die Rechtfertigung der Grundsteuer durch die „Fundustheorie“ (“fundierte” Einkommen können stärker belastet werden als nicht fundierte) wird in der Steuerrechtslehre mittlerweile nicht mehr als zeitgemäß angesehen, und auch die Begründung über Nutzenäquivalenz (Heranziehung der Steuerpflichtigen entsprechend des Nutzens, der aus den kommunalen Leistungen gezogen wird) wäre zweifelhaft. Der größte Teil der Steuer würde nämlich auch bei dem neuen Modell auf das Gebäude entfallen. Dieses stellt jedoch eine Leistung des Grundstückseigentümers dar, und nicht der Kommune. Nutzenäquivalenz wäre lediglich hinsichtlich der Bodenwertkomponente in der Bemessungsgrundlage ein nachvollziehbarer Belastungsgrund (Löhr, Grundsteuerreform: Abschaffung der Umlagefähigkeit? Betriebs-Berater 3/2019, S. 94-95, s. den vorherigen Blogbeitrag).

Zumal auch andere Steuern (v.a. die Einkommensteuer) auf dieser Rechtfertigung beruhen und es sich bei der Grundsteuer um eine Objektsteuer handelt, ist der Stellenwert des Leistungsfähigkeitsprinzips allerdings unter Juristen umstritten (Kirchhof, Die Reform der Grundsteuer und das Maß des Grundgesetzes, Gutachten im Auftrag des ZIA, 2019). Ob sich diese – vermutliche – Begründung halten lässt, wird sich wohl erst herausstellen, wenn die Sache beim Bundesverfassungsgericht landet (jede Reformvariante würde allerdings diesen Weg nehmen).  Inwieweit die Idee der Belastung der (objektiven) Leistungsfähigkeit folgerichtig umgesetzt wird, dürfte sich erst noch herausstellen, wenn weitere Parameter im Zuge der Anfertigung des Gesetzentwurfs konkretisiert worden sind. Jedenfalls wäre zu fordern, dass die Struktur der Steuerbelastung nicht ohne Grund von den Relationen der Verkehrswerte innerhalb einer Kommune wesentlich abweicht. Wenngleich aus den „Eckpunkten“ keine offensichtlichen Verfassungsverstöße erkennbar sind, wird dementsprechend noch zu sehen sein, inwieweit z.B. das noch verbleibende Nebeneinander von amtlich ermittelten Durchschnittsmieten und tatsächlich gezahlten Mieten, die Orientierung an historischen Baujahren (die nur begrenzt Rückschlüsse über die Restnutzungsdauer des Gebäudes zulassen), die Differenzierung der Steuermesszahl nach Nutzungen oder das bei bestimmten Immobilien anzuwendende Sachwertverfahren diesbezüglich zu systematischen Verzerrungen führen. Hier sind noch Belastungsverschiebungsrechnungen durchzuführen (erst dann wird man auch Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen auf Investitionstätigkeit und bezahlbares Wohnen etc. treffen können). Nahezu sämtliche oben skizzierten Probleme sind auf die Ermittlung des Gebäudewertes zurückzuführen. Es bleibt abzuwarten, welche Modifikationen im Rahmen der Gesetzesberatungen noch in den Gesetzentwurf Einzug halten und inwieweit diese die Vorgaben des Verfassungsgerichts berühren. Schließlich wird vor diesem Hintergrund auch noch eine Diskussion darüber zu führen sein, ob mit Blick auf Art. 105 Abs. 2, Art. 72 Abs. 2 und Art. 125a Abs. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz ohne Weiteres noch beim Bund liegen kann oder nicht doch eine Grundgesetzänderung erforderlich ist (die Vermeidung einer Grundgesetzänderung dürfte im gestrigen Treffen der Finanzminister ein starkes Argument für das Kompromissmodell gewesen sein). Hintergrund: Wenn das alte System grundsätzlich fortgeführt wird, behält der Bund die Gesetzgebungskompetenz, ansonsten nicht.
Sollte eine der genannten Hürden nicht bis Ende des Jahres genommen werden, würde die Zeit vor dem Hintergrund des vom BVerfG gesetzten Zeitrahmens sehr knapp werden. Dabei wird auch das Verhalten der CSU spannend, die wohl noch nicht ganz auf der Kompromisslinie liegt. Möglicherweise fällt in diesem Fall die Gesetzgebungskompetenz an die Länder zurück (Voraussetzung wäre allerdings ein Freigabegesetz). Dies könnte dann die Stunde der Bodenwertsteuer sein, wie sie von der Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” vertreten wird.

Fazit: Es gilt die alte Kritik an den Verbundsteuern auch für das Kompromissmodell, die der Nobelpreisträger William Vickrey auf den Punkt gebracht so beschrieb: „Eine Kombination einer der besten mit einer der schlechtesten Steuern“.