Category Archives: Free Trade

Outbound-Investment-Screening durch die EU?

Dirk Löhr

Wie Gabor Steingart in seinem Pioneer-Briefing vom 31. März 2022 (auch abgedruckt im Focus desselben Tages) berichtet, beabsichtigt Ursula von der Leyen, die deutschen Auslandsinvestitionen zu kontrollieren bzw. ein Genehmigungsverfahren einzuführen. “Managed Trade” heißt das auf neudeutsch; es scheint eines der Ergebnisse ihres Besuchs in den USA gewesen zu sein. Die EU würde sich mit einer solchen “wirtschaftlichen Sicherheitsstrategie” die Einteilung in Freund und Feind der USA zu Eigen machen, ohne Berücksichtigung eigener wirtschaftlicher Interessen. Dies trifft auch und gerade Deutschland: China, welches die sich im Abstieg befindliche Weltmacht USA unbedingt eindämmen will, ist der größte Handelspartner Deutschlands in Asien. Das Handelsvolumen übertrifft mit das 300 Mrd. Euro den Wert der Austauschbeziehungen mit den USA, den Niederlanden und Frankreich zusammen. Von größter Bedeutung ist der Austausch mit China für die deutschen Kernindustrien Chemie, Automobile sowie dem Maschinen- und Anlagenbau. Auch der industrielle Mittelstand setzt zunehmend auf China. Während große Teile von SPD und FDP sich gegen eine zunehmende Abkopplung stellen, sind im anderen Lage große Teile der CDU und der Grünen vereint. Die Fronten gehen also quer durch Regierung und Opposition. Fazit: Die EU – und insbesondere Deutschland – sollte keinen wirtschaftlichen Stellvertreterkrieg für die USA führen, sondern sich auf ihre eigenen Interessen besinnen.

Wohlstand für alle – was bringen Freihandelsabkommen?

ARD / Tilman Achtnich

Aus dem Begleittext der “Story im Ersten”:

“Zwischenzeitlich ist es in aller Munde – das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, kurz TTIP.

TTIP-neu

Viele neue Jobs soll es bringen, mehr Wohlstand: jährlich 500 Euro pro deutschem Haushalt, so die Versprechungen der Befürworter aus Wirtschaft und Politik. Auf der anderen Seite wächst die Skepsis der Gegner. Sie fürchten den Abbau von Verbraucher- und Sozialstandards. Wer hat Recht im Kampf um die Deutungs- und Meinungshoheit?”

Hier der Link zur “Story im Ersten”, die erstmals am 18.05. ausgestrahlt wurde:

Wohlstand für alle – was bringen Freihandelsabkommen? (bitte klicken)

Analytisch lassen sich viele der im Film beschriebenen negativen Wirkungen von Freihandel mit dem Ricardo-Schema erfassen.

Erweiterte-R-Wirtschaftszone

Durch das Freihandelsabkommen wird der relevante Wirtschaftsraum erweitert. Besteht eine Lohndifferenz, entsteht notwendigerweise eine Angleichung nach unten. Dazu bedarf es noch nicht einmal einer “Wanderung” von Arbeitskräften; die “Wanderung” der Güter und Dienstleistungen selbst genügt. Als Konsequenz steigen die Renten (Differenz zwischen Einkommen und den Kosten für die mobilen Produktionsfaktoren) – die Umverteilungsmaschine läuft dann auf vollen Touren.

Allerdings dürfte dieser Effekt bei TTIP wegen des vergleichbaren Lebensstandards der USA und des EU-Raumes nicht der Wesentliche sein (zu befürchten ist dies eher hinsichtlich der EU-Erweiterung, z.B. hinsichtlich Ländern wie Rumänien oder Bulgarien). M.E. bedenklicher ist die Möglichkeit privater Schiedsgerichte, die Absenkung von Standards, die Ausweitung nicht Ziel führender Regimes von Eigentumsrechten sowie der undemokratische und intransparente Verhandlungsprozess als solcher.

Kommunale Spitzenverbände: Gemeinsames Positionspapier zu Freihandelsabkommen

Dirk Löhr

Teile und herrsche. Dieses schon in der Antike angewandte politische Rezept ist immer noch aktuell.

TTIP-neu

Aktuell wird es konkret in den Freihandelsabkommen (insbesondere TTIP und TiSA) verfolgt, mit denen die (durchaus kritikwürdige) Welthandelsorganisation immer mehr über bilaterale Abkommen (oft mit schwächeren “Partnern”) in die Bedeutungslosigkeit geschickt wird. In einem – bezeichnenderweise in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommenen – Positionspapier haben sich die kommunalen Spitzenverbände schon im Oktober letzten Jahres zu dieser Entwicklung kritisch geäußert. Dieses gute und vernünftige Papier sei hier noch einmal zur Lektüre empfohlen:

Gemeinsames Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen (bitte klicken)

U.a. wird gefordert, die kommunale Daseinsvorsorge von den Marktzugangsverpflichtungen (am besten über die Nicht-Erwähnung in einer “Positivliste”) auszunehmen, beim öffentlichen Beschaffungswesen nicht über das EU-Vergabe- und Konzessionspaket hinauszugehen und keine privaten Schiedsgerichte zur Schlichtung zuzulassen.

Kommunale Spitzenverbände

Was sich hier so spröde anhört, hat große Auswirkungen auf das tägliche Leben eines jeden Bürgers. Es bleibt zu hoffen, dass die kommunalen Spitzenverbände ihren politischen Einfluss geltend machen können. Und: Jeder einzelne Bürger ist aufgerufen, in diesem Sinne Druck auf die politischen Mandatsträger auszuüben.

TTIP: Gentechnik durch die Hintertür (Frontal 21, ZDF)

Dirk Löhr

Das derzeit verhandelte transatlantische Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) treibt die Globalisierung weiter voran.

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Globalisierung: Das ist auch eine Globalisierung von Institututionen – nicht zuletzt auch solchen des Rent Seeking. Es geht dabei auch um die “Einfriedung” ehemaliger von Allmenden – wie die biogenetischen Ressourcen. Genveränderte Organismen (GVOs) drohen über das TTIP-Abkommen in geheimen Verhandlungen auch auf die deutschen Teller zu schwappen. Dies, obwohl mehr als 70 % der Deutschen dies ablehnen. Hierüber berichtete der Beitrag in Frontal 21 (ZDF) vom 27.01.2015

TTIP: Gentechnik durch die Hintertür (bitte klicken)

Bei GVOs geht es v.a. um die Patente – mit ihren Monopolrenten. Eigentlich sollte der Verbrauch der Sinn des Wirtschaftens sein, und die Akkumulationssphäre nur ein Mittel dazu. Regiert jedoch das Rentabilitätsprinzip, verkehren sich Mittel und Zweck. Shareholder Value wird zum Selbstzweck.

 

Das Investorenschutzabkommen im Europäischen Parlament: Die rote Garde vor Mammons Thron

Dirk Löhr

Gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, kurz „TTIP“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership), regt sich derzeit großer zivilgesellschaftlicher Widerstand. Das Verfahren wurde größtenteils im Geheimen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit – aber unter Beteiligung der Industrielobby – ausgehandelt.

Bedenklich sind vor allem die geplanten Sonderrechte für internationale Großkonzerne – denn nichts anderes sind die sogenannten Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren (auch bekannt als „ISDS“, also Investor-State Dispute Settlement), die sowohl die USA als auch die EU-Kommission gern in dem Abkommen verankern wollen.

Investoren bekommen so die Möglichkeit, an nationalen Gerichten vorbei Staaten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn ihre Eigentumsrechte beeinträchtigt werden. Derartige Klagemöglichkeiten sind schon aus bilateralen Handels- und Investitionsschutzabkommen bekannt. Sie ergeben einen gewissen Sinn, wenn es um Investitionen in schwache Staaten geht, die man nicht als Rechtsstaaten bezeichnen kann. In einem Abkommen zwischen zwei Wirtschaftsräumen, die auf ihre Rechtsstaatlichkeit viel halten, dienen sie jedoch ganz anderen Zwecken.

So sollen die Eigentumsrechte der Investoren geschützt werden (darüber, dass der Begriff „Investitionen“ bis zur Konturlosigkeit weit gefasst wird und bei den Eigentumsrechten nicht zwischen solchen an Land und Kapital unterschieden wird, wollen wir hier gar nicht reden).

Fast jede regulatorische Maßnahme zur Internalisierung von externen Kosten (z.B. über Steuern und Auflagen) greift aber in die Eigentumsrechte ein. Dementsprechend bestimmt ja auch Art. 14 GG, dass Inhalt und Schranken des Eigentumsrechts durch Einzelgesetze bestimmt werden müssen. Das Schiedsgerichtsverfahren könnte jedoch ein vollkommen neues Verständnis von Eigentumsrechten eröffnen – jenseits des grundgesetzlich festgelegten. Negative Beispiele gibt es aus bilateralen Investitionsschutzabkommen genug. So wurde in 2010 Uruguay vom Tabakkonzern Philip Morris wegen Rauchverboten und Erhöhung der Tabaksteuer auf Basis eines Investitionsschutzabkommens verklagt (Klagesumme 2 Mrd. US-Dollar).

Zudem geht es um die Absicherung von rechtlich festgelegten Privilegien. Die Kampfarena sind hier v.a. die geistigen Eigentumsrechte. Als Resultat drohen Klagen wie gegen Kanada: 2013 hatte ein kanadisches Gericht zwei Patente des Pharmakonzerns Lilly Pharma wegen Wirkungslosigkeit außer Kraft gesetzt. Das Unternehmen verklagte prompt den kanadischen Staat auf Basis eines Investorenschutzabkommens auf Schadensersatz (500 Mio. Dollar).

Die Politik verliert zudem an Handlungsspielräumen. Exemplarisch: Der Energiekonzern Vattenfall verklagte 2012 Deutschland wegen des Atomausstiegs. Hierbei geht es um 3,5 Mrd. Euro.

Die Klagemöglichkeiten sind faktisch eine Einbahnstraße. Es geht um die Rechte von Konzernen gegenüber Regierungen, nicht umgekehrt. Es gibt keine Berufungsmöglichkeit. Die Verfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – der rechtsstaatliche Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit gilt nicht. Schließlich existiert eine „Drehtür“ der Beteiligten. Wer heute Richter ist, ist morgen Kläger, übermorgen Verteidiger. Befürchtet wird eine strukturelle Voreingenommenheit zugunsten der Konzerninteressen.

Die bisherige Erfahrung mit bereits abgeschlossenen Wirtschaftsabkommen zeigt, dass die undurchsichtigen Sonderrechte von Konzernen missbraucht werden, um Risiken auf die Allgemeinheit, also die Steuerzahler, abzuwälzen.

Selbst die Bundesregierung hält die umstrittenen Schutzklauseln für überflüssig. Hinter den Kulissen plädiert sie für einen Verzicht auf ISDS-Regeln im EU-USA-Abkommen.

Doch die EU-Kommission lässt sich davon nicht beeindrucken. Inzwischen zeichnet sich ein regelrechter Machtkampf zwischen Brüssel und Mitgliedsstaaten wie Deutschland ab. Sie pochen auf ihre Mitspracherechte bei TTIP und auch bei Ceta, dem bereits ausgehandelten, aber noch nicht ratifizierten Abkommen mit Kanada.

Nun hatte die EU-Kommission angesichts des Widerstands das ISDS-Kapitel zwischenzeitig auf Eis gelegt und eine öffentliche Anhörung gestartet, die noch bis Juni läuft. Die Befürworter sind also in der Defensive, die Kritiker haben eigentlich Oberwasser. Genau in diese Situation platzte nun ein Parlamentsbeschluss, mit der im April eine EU-Verordnung durchgewunken wurde, in der die Zuständigkeit in ISDS-Verfahren geregelt wird.

Bisher gibt es nämlich nur bilaterale Investorschutzabkommen, nun soll auch die EU-Kommission mitreden dürfen. Der Text legt fest, ob ein Mitgliedstaat oder die Kommission in einem Verfahren als Beklagte auftreten, wer die Kosten trägt und wer für eventuelle Schadensersatzansprüche aufkommt. Sie gibt der Kommission auch das Recht, Mitgliedstaaten unter Umständen anzuweisen, einen Vergleich zu akzeptieren. Die Verordnung war bereits vor einem Jahr ausgehandelt worden und entspricht längst nicht mehr dem aktuellen Diskussionsstand. Dennoch machte die Kommission Druck auf die Parlamentarier, noch vor den Europawahlen zuzustimmen – damit danach und nach Abschluss der ISDS-Konsultation die Verhandlungen mit den USA wieder aufgenommen werden können. CDU/CSU, SPD und Liberale fügten sich und stimmten dem Text mit großer Mehrheit zu. Somit wurde die letzte Chance für das Parlament, über das Ob und Wie des Investitionsschutzabkommens mitzureden, vertan. Ab jetzt bleibt ihm nur noch das Ja oder Nein zu fertig ausgehandelten Verträgen. Der Parlamentsbeschluss ist offenbar den meisten Abgeordneten so unangenehm, dass sie kein Wort darüber verlieren. Auch im offiziellen Pressedienst des Parlaments  findet sich kein Hinweis auf den erstaunlichen Beschluss.

Deutlich wurde bei der Abstimmung auch, wie scheinheilig der derzeitige Wahlkampf um den Einzug in das EU-Parlament v.a. von SPD-Abgeordneten geführt wird. Im Wahlkampf wird gegen Investor-Staat-Klagerechte mobil gemacht, und in Straßburg wird dann heimlich die Verordnung durchgewinkt, das solche Klagen überhaupt erst ermöglicht. Auf die SPD war immer schon Verlass: Sie ist die „rote Garde vor Mammons Thron“ (S. Gesell). Der Widerstand der Grünen und der Linken war zahlenmäßig zu schwach, um den desaströsen Beschluss aufhalten zu können.

Dieser Beschluss des EU-Parlaments hat weitreichende Folgen nicht nur für TTIP. Damit wird auch der Weg für den Vertrag mit Kanada frei, der fast fertig ist, aber vor allem wegen des Streits über die Investorenrechte in der Warteschleife hing.

 

Mehr Informationen:

S. Liebrich (2014): EU-Parlament winkt Sonderrechte für Großkonzerne durch, Sueddeutsche.de vom 01.05. Online: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplantes-freihandelsabkommen-ttip-eu-parlament-winkt-sonderrechte-fuer-grosskonzerne-durch-1.1947133

o.V. (2014): Investorenschutz durch die Hintertür, in TAZ vom 17.04. Online: http://www.taz.de/Rueckenwind-fuer-Handelsabkommen-TTIP/!136982/