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Auseinander reißen, was zusammen gehört: Das bedingungslose Grundeinkommen

Dirk Löhr

Die Schweiz stimmt am 5. Juni über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (bGE) ab.

BGE-Logo Schweiz

Die Initiative verfolgt dabei den „humanistischen Ansatz“, nach dem das bedingungslose Grundeinkommen so hoch bemessen sein soll, dass es ein lebenswürdiges Leben erlaubt. Nicht verfolgt wird die „neoliberale Variante“, die das bedingungslose Grundeinkommen mit einem sozialpolitischen Kahlschlag verbindet. Entsprechende Initiativen gibt es mittlerweile in vielen europäischen Ländern.

Europ. GE

Das bedingungslose Grundeinkommen möchte Arbeit und Einkommen entkoppeln. Das ist allerdings nichts grundsätzlich Neues: Wir haben es schon bei den Beziehern von ökonomischen Renten und Zinsen einerseits und den Empfängern von Sozialtransfers andererseits. Zwei Seiten derselben Medaille, die man mit „Kapitalismus“ umschreiben darf (s. unten mehr). Nachfolgend wird erläutert, warum die durch das bGE fortgeführte Logik der Entkopplung nicht die Lösung, sondern das eigentliche Problem in unserer Wirtschaftsordnung darstellt.

 

Entkopplung von Bedarf und Nachfrage

Begründet wird das bGE unter anderem mit dem technischen Fortschritt, der nach Ansicht der Befürworter des bGE immer mehr Menschen in die Arbeitlosigkeit getrieben hat und treiben wird. Dies ist indessen eine uralte Befürchtung, die schon einmal in der Maschinenstürmerei gipfelte. Die Freisetzung von Arbeitskräften im Zuge des technischen Fortschritts ist aber ein fortlaufender und ganz normaler Prozess, wenngleich dieser natürlich für das Individuum mit Härten verbunden ist. Wichtig ist daher, dass die freigesetzten Arbeitskräfte schnell an anderer Stelle in der Wirtschaft wieder aufgenommen werden. Und dies passiert gegenwärtig unzureichend – obwohl genug Bedarf in der Gesellschaft vorhanden ist, z.B. nach erneuerter Infrastruktur, neuen Formen der Energieerzeugung, nach vielerlei Dienstleistungen wie Sozial- und Pflegediensten etc. etc. Allein es fehlt das Geld, also die Nachfrage. Diese ist zwar vorhanden, allerdings sind Vermögen und Einkommen sehr ungleich verteilt. Auch der Staat hat kein Geld. Also: Bedarf ohne Nachfrage einerseits, Nachfrage ohne Bedarf andererseits. Eine Entkopplung. Maßnahmen wie die Einführung einer Umlaufsicherungsgebühr, die das Geld ohne zusätzliche öffentliche Verschuldung in die Wirtschaft treiben und die Konjunktur stimulieren könnte, werden zu wenig diskutiert. Stattdessen sprechen wir über das bGE. Kann dieses Nachfrage und Bedarf wirklich zusammenbringen, also eine Kopplung herstellen?

 

Entkopplungen im Steuerstaat: Privatisierung gemeinschaftlicher und Sozialisierung privater Leistungen

Das bGE stellt auch den existierenden Steuerstaat im Grundsatz nicht infrage. Der Steuerstaat ist aber der Inbegriff der Entkopplung von Leistung und Gegenleistung: Steuern sind schon als eine Zwangsleistung an den Staat ohne einen konkreten Anspruch auf Gegenleistung definiert (§ 3 Abs. 1 Abgabenordnung). Die Steuern fließen ohne eine Zweckbindung in einen großen Topf („Nonaffektationsprinzip“), aus denen Politiker sich nach eigennützigen Motiven bedienen. Wieder eine Entkopplung. Die Folge dieser doppelten Entkopplung: Einerseits Akrobatik in der Steuervermeidung und die repressive Antwort des Staates darauf. Andererseits öffentliche Verschwendung, wovon u.a. die Berichte der Rechnungshöfe oder das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes Bände füllen. Oder: Erhebliche Teile der Steuern werden nicht dort eingesetzt, wo sie entstehen (Finanzausgleich). Folge dieser Entkopplung ist, dass die öffentliche pro-Kopf-Verschuldung ausgerechnet in den großen kreisfreien Städten – wo das Steuersubstrat am größten ist – regelrecht überläuft.

Der Steuerstaat ist zudem das Fundament für die Entkopplung von Einkommen (Nutzen) und Kosten (Arbeit). Ohne den Steuerstaat also keine ökonomischen Renten. Beispiel Standortrenten: Nehmen wir an, Hans möchte sich mit seiner Familie in einer deutschen Großstadt – sagen wir Hamburg oder München – niederlassen. Nehmen wir ebenfalls an, Hans hat eine Wohnung im Auge, die ihm zusagt. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Hans ist aber im Glück und bekommt den Zuschlag. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt ein Vielfaches der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer eine höhere Bodenrente als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierten Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer – die aber die mitunter hohen Bodenrenten privat einstreichen. Also: Einerseits hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Zudem behält Hans‘ Arbeitgeber Lohnsteuer ein. Hans kauft auch in München bzw. Hamburg ein, und bei fast jedem Einkauf sind Umsatzsteuer und andere Verbrauchsteuern fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat – was dem Vermieter indirekt zugutekommt. Nutznießer ist also in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte. Dank der Steuern werden somit gemeinschaftliche Leistungen privatisiert, und die Früchte privater Anstrengungen sozialisiert. Der Steuerstaat schafft durch die ihm eigenen Entkopplungen erst die Voraussetzung für die Privatisierung der ökonomischen Renten.

Trotz des sinkenden Zinsniveaus der letzten Jahre ist der Anteil der Einkommen aus Arbeit am Volkseinkommen nicht gestiegen. Auch der Anteil der Kapitaleinkommen sank ab; die Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit konnte das sinkende Zinsniveau bei Weitem nicht kompensieren. Dies illustriert Abbildung 1:

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Was stieg, waren die Bodenrenten – als die Urform der ökonomischen Rente: Dies machte sich u.a. in steigenden Mieten und Bodenpreisen in den Ballungsräumen bemerkbar. Im angloamerikanischen Raum wurde auf diese Phänomene u.a. von Stiglitz und Rognlie aufmerksam gemacht. Doch auch in Deutschland profitierten in den letzten Jahre neben Großunternehmen v.a. die Eigentümer von privilegierten Lagen (öffentlich diskutiert wurde dies indessen kaum). Ändert das bGE hieran irgendetwas? Ist das bGE vor diesem Hintergrund wirklich ein Weg, um Bedarf und Nachfrage in Deckung zu bringen? Im Übrigen erhält unser exemplarischer Hans dasselbe bGE wie ein Bewohner im Hunsrück, wo der Quadratmeter Wohnung für 4 Euro anstatt für 14 anzumieten ist. Ist die Qualität des bGE wirklich dieselbe, wenn die Kosten der Miete in der Peripherie 10 Prozent, im Zentrum aber um die 40 Prozent des Nettoeinkommens ausmachen?

Der Steuerstaat begründet im Übrigen nicht nur eine verteilungspolitische Schieflage – er ist auch bei Weitem nicht in der Lage, das öffentliche Finanzierungspotential auszuschöpfen. Steuern erzeugen „Zusatzlasten“, weil die Wirtschaftsteilnehmer „Umwege“ nehmen oder sich entmutigt fühlen. Raumwirtschaftlich gesehen strangulieren sie die Wirtschaftstätigkeit speziell in der Peripherie. Dies illustriert Abbildung 2 unten:

Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung

Das Einkommen im Zentrum ist am höchsten, in der Peripherie am geringsten. Aus dem erwirtschafteten Einkommen werden zunächst die Kosten für die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bezahlt. Der Rest ist die Standort- oder Bodenrente. Umsatzsteuern schmälern das effektiv zur Verfügung stehende Einkommen, Kostensteuern (wie die Lohnsteuer oder die Einkommensteuer auf die Risikoprämien in Gewinnen) erhöhen die Kosten der mobilen Produktionsfaktoren. Abbildung 2 zeigt, dass als Konsequenz einer steigenden Umsatz- oder Einkommensteuer die Wirtschaftstätigkeit in der Peripherie besonders stark beeinträchtigt wird – das Grenzland, auf dem gerade noch kostendeckend gewirtschaftet werden kann, verschiebt sich in der Folge in Richtung Zentrum. Dabei ist aus verschiedenen Gründen die Umsatzsteuer noch schädlicher als die Einkommensteuer (soweit diese die Kosten des Wirtschaftens noch weiter erhöht).

Über ein öffentliches Finanzsystem, das sich am Henry George-Theorem orientiert, könnte die Finanzierung des Staates in wesentlich effektiverer Weise und ohne derartige Einbussen durch die Abschöpfung ökonomischer Renten vonstatten gehen.

 

BGE und Steuerstaat

Die Bodenrenten als öffentliches Finanzierungspotential werden aber im Kontext der bGE-Vorschläge so gut wie nicht angetastet. Das Repressionsregime der herkömmlichen Steuern bleibt auch im bGE erhalten, ja wird sogar weiter ausgebaut. In einem anderen Beitrag hatte ich berechnet, dass dem Staat schon durch das gegenwärtige Steuersystem ein Finanzierungspotential von ca. einem Bundeshaushalt pro Jahr entgeht – wenn man es mit dem Betrag vergleicht der im Rahmen eines Abgabensystems à la Henry George durch die konsequente Abschöpfung der ökonomischen Renten ausgeschöpft werden könnte. Das Ergebnis ist öffentliche Armut. Kinderbetreuung, Pflege- und Sozialdienste etc. werden unzureichend bereitgestellt. Die Infrastruktur verkommt bzw. wird – wie bei Elektromobilität oder Breitband – gar nicht erst richtig ausgebaut. Die Bezahlung insbesondere der öffentlich Bediensteten ist mager. Dies gilt insbesondere für dringend benötigte Berufe, wie in der Pflege oder Kinderbetreuung.

Aber auch in der Privatwirtschaft leiden die Angestellten und Arbeiter unter der hohen Kluft zwischen Brutto- und Netto: Deutschland liegt hier an Platz 3 in der OECD. Gelänge es, über bessere eine Abschöpfung der ökonomischen Renten die Abgabenbelastung zu senken und den gewonnenen Spielraum auch nur teilweise für Lohnerhöhungen zu nutzen („tax shift“), könnte ein menschenwürdiges Dasein durch Arbeit bequem gesichert werden – ganz ohne bgE. Zudem würde (unabhängig von anderen Maßnahmen wie z.B. einer Umlaufsicherung des Geldes) bei geringeren Lohnnebenkosten auch die Nachfrage nach Arbeit steigen.

Stattdessen möchte ein Teil der Befürworter des bGE dieses durch eine weitere Belastung der Einkommen finanzieren. Selbst dann, wenn Sozialabgaben reduziert würden, erhöhte sich der Keil zwischen Brutto und Netto noch ein weiteres Mal. Problematisch ist dies v.a. beim Mittelstand, der in weiten Teilen per Saldo draufzahlen dürfte. Schon heute wird v.a. der Mittelstand steuerlich geschröpft; für Hochverdiener ist Deutschland hingegen ein Steuerparadies. Diese Schieflage dürfte sich über die Finanzierung des bGE aus der Einkommensteuer noch weiter verstärken. Es würde also genau der Mittelstand geschröpft, bei dem die Kopplung zwischen Arbeit und Einkommen noch einigermaßen gegeben ist (die Oberschicht lebt immer stärker von Boden- und Kapitalrenten, die Unterschicht von Sozialtransfers). Die sozialen Folgen einer noch stärkeren Erosion der schon heute bröckelnden Mittelschicht sind indessen nicht zu übersehen – sie wurden ja noch nicht einmal thematisiert. Im Übrigen wäre eine derartige Finanzierungsform auch arbeitsmarktpolitisch schädlich, wenn die Kosten des Faktors Arbeit weiter ansteigen. Auch hierdurch werden Bedarf und Nachfrage nicht zusammengebracht.

Die v.a. von Götz Werner vertretene Alternative, nämlich die Finanzierung des bGE aus der Umsatzsteuer, ist ebenfalls nicht besser – eher im Gegenteil. Noch stärker als die Einkommensteuer „schießt die Umsatzsteuer auf alles, was sich bewegt.“ Der Beschäftigung generierende Kapitalumschlag wird „bestraft“. Im Übrigen hat die Umsatzsteuer ähnliche Wirkungen wie eine Flat-Rate-Einkommensteuer unter Ausschluss der Ersparnis. Wer so viel verdient, dass er nur einen geringen Teil davon ausgeben kann, profitiert. Die Umverteilung von unten nach oben wird weiter angeheizt. Weil die raumwirtschaftliche Peripherie stranguliert wird (s. oben), steigen die ohnehin schon hohen Preise und Renten für Wohnraum in den Zentren noch ein weiter an. Auch dies führt Bedarf und Nachfrage nicht zusammen. Götz Werner propagiert die Umsatzsteuer sogar als „single tax“ – alle anderen Steuern sollen abgeschafft werden. Dies würde einen Umsatzsteuersatz von weit über 50 % bedeuten. Einem Single-Tax-Vorschlag kann man ja grundsätzlich zustimmen – diesbezüglich gab es jedoch von den Physiokraten bis hin zu Henry George weitaus durchdachtere Vorschläge (die eben auf der Abschöpfung der ökonomischen Renten basierten), die von der zeitgenössischen Grundeinkommensbewegung offenbar noch nicht einmal zur Kenntnis genommen wurden.

Es gibt unterschiedliche Definitionen von „Kapitalismus“. Wenn man diesen Begriff überhaupt für Ziel führend hält, gefällt mir die Auffassung am besten, welche die kapitalistische Wirtschaft über die Entkopplung von Einkommen und Arbeit definiert (Kapitalismus ist demnach kein neuzeitliches Phänomen). Kapitalismus manifestiert sich danach v.a. in den Zins- und Renteneinkommen, wobei die ökonomischen Renten im Zuge der Niedrigzinsphase relativ und absolut an Bedeutung gewonnen haben. Hierin liegt auch das Auseinanderfallen von Bedarf und Nachfrage wesentlich begründet.

Das Problem der bGE-Befürworter ist, dass sie gedanklich nicht aus der Entkopplungslogik des kapitalistischen Systems ausbrechen: Den Probleme der Entkopplung von Arbeit und Einkommen, Nutzen und Kosten, Einnahmen und Ausgaben (Staat), soll statt dessen durch eine weitere Entkopplung entgegengetreten werden.

Wo Entkopplungen aber bestehen, kommt es zu Rent Seeking und State Capture, zu Staats- oder Marktversagen. Und: Zu arbeitslosem Einkommen. Einerseits in Gestalt von Kapital- und Renteneinkommen, andererseits als Sozialtransfers. Das bGE will Letztere unbedingt machen. Das bGE fügt sich damit nahtlos in die Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems ein, es ist keinesfalls dessen Überwindung. Die systematischen Entkopplungen sind das Problem in unserer Wirtschaft, nicht die Lösung. Die Protagonisten des bGE sind insoweit die gute Kraft, die Schlechtes schafft.

Selbstverständlich: Solidarität ist notwendig – mit Menschen, die sich in besonders belastenden Lebenslagen befinden. Die generelle Entkopplung von Arbeit und Einkommen ist aber nicht Ausdruck von Solidarität, sondern von gesellschaftlicher Korruption. Die breite Diskussion um das bGE ist insoweit auch ein moralisches Problem.

Man verstehe mich nicht falsch. Die Idee des Grundeinkommens ist gut – aber nicht konzipiert als bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen. Sehr viel Sinn ergibt stattdessen ein ökologisches Grundeinkommen – bei dem Ökoabgaben nicht in den Haushalt fließen, sondern an die Bürger zurück verteilt werden. Wer mit der natürlichen Umwelt nicht sorgsam umgeht, zahlt in den Preisen an Umweltabgaben mehr, als er zurückerhält. Wer dies nicht tut, hat über die Rückverteilung der Öko-Abgaben einen positiven Zahlungssaldo. Ein positiver Zahlungssaldo ist also an die Verzichtsleistung hinsichtlich des natürlichen Menschheitserbes zugunsten anderer Teilhaber gekoppelt – und hat damit eine Bedingung. Voraussetzung ist natürlich, dass die Preise die „Wahrheit“ der ökologischen Kosten abbilden. Bei einem ökologischen Grundeinkommen wird jeder Mensch als gleichberechtigter Teilhaber an der natürlichen Umwelt betrachtet. Das ökologische Grundeinkommen ist im Übrigen nicht existenzsichernd. Während heute Umweltschutz die „kleinen Leute“ in Relation zu ihrem Einkommen stärker als die Reichen belastet, können aber die Verteilungswirkungen des ökologischen Grundeinkommens dazu beitragen, dass sich die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen auf demokratischem Wege durchsetzen lässt.

EinsPlus: Nie wieder arbeiten? Das Grundeinkommen für jeden

Dirk Löhr

Dem Macher des Beitrags (EinsPlus, 31.8.2014, um 20.15), Rainer Maria Jilg, kann man nicht mangelnde Begeisterung über den Vorschlag des bedingungslosen Grundeinkommens vorwerfen. Wohl aber die fehlende kritische Distanz des guten Journalisten.

Götz Werner, DM-Gründer und wichtigster Propagandist des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland
Götz Werner, DM-Gründer und wichtigster Propagandist des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland

So wurde die Bedingungslosigkeit des Grundein-kommens als Problem zwar benannt, aber nicht intensiv genug durchleuchtet. Das größte Problem des bedingungslosen Grundeinkommens ist aber m.E. ein prinzipielles, das in der Entkopplung von Arbeit und Einkommen und – damit zusammenhängend – im Anspruch der Existenzsicherung begründet liegt.

Denn jeder Ökonom weiß, dass eine Entkopplung von Nutzen (Einkommen) und Kosten (Arbeit) Marktversagen nach sich zieht. Es verhält sich nicht anders als bei anderen Externalisierungen: Hat der A den Nutzen, der B aber die Kosten aus einem bestimmten Verhalten, geht etwas in die Hose. So kann man die Folgen für den Arbeitsmarkt nur erahnen – wenngleich nicht alle schlecht sein müssen.

So wie aber eine Entkopplung von Nutzen und Kosten in der Privatwirtschaft zu Marktversagen führt, kommt es auch bei der Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben zu Staatsversagen. Damit sind wir bei der problematischen Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens.  1.000 Euro Grundeinkommen pro Monat, wie dies Götz Werner (dem prominentesten Vertreter dieser Idee hierzulande) & Co. vorschwebt – bedeuten bei 82 Mio. Deutschen ein Grundeinkommen i.H.v. 984 Mrd. Euro pro Jahr. Es handelt sich um 46 % des Volkseinkommen des Jahres 2013 (2.118, 8 Mrd. Euro). Das ist gelinde gesagt sehr ambitioniert. Nach dem Konzept von Götz Werner (2007) soll dies über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gestemmt werden, die dann deutlich über 50 % betragen könnte. Alle anderen Steuern und Sozialabgaben sollen im Grundsatz abgeschafft werden. Die Mehrwertsteuer wäre also eine Single-Tax – allerdings ganz und gar nicht im Sinne der Physiokraten oder von Henry George.

Henry George
Henry George

Um die Problematik dieses Vorschlags halbwegs zu verstehen, bedarf es eines kurzen Exkurses vorab: Dabei geht es um einen – in Deutschland leider kaum bekannten – finanzwissenschaftlichen Fundamentalsatz: Der Golden Role of Local Public Finance, auch als Henry George-Theorem (oder George-Hotelling-Vickrey-Theorem) bekannt. Hiernach könnten unter idealen Bedingungen (optimale Bevölkerungsgröße, Wettbewerb unter den Kommunen etc.) alle öffentlichen Güter allein aus der (Boden-) Rente finanziert werden, ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste.

Abbildung: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Volkseinkommen

Zusammensetzung   Verteilung   Charakter
Private Güter und Dienstleistungen

<=>

Löhne (Arbeit)Zinsen (Kapital)

<=>

Kosten
Öffentliche Leistungen

<=>

(Boden-) Renten

<=>

Sozialer Überschuss (Residuum)

Das Henry George-Theorem kann aber auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen. Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird.

Jilg interviewte u.a. die Familie Hohlbein aus München. Die Hälfte ihres Familieneinkommens von ca. 2.500 Euro / Monat geht für die Miete drauf. Wir haben in diesem Blog wieder und wieder dargestellt, dass für die vergleichsweise hohen Mieten in München die relativ hohen Bodenrenten verantwortlich sind. Die hohen Bodenrenten in München, die der Familie Hohlbein zu schaffen machen, werden durch den Vorschlag von Götz Werner aber nicht angetastet.

Werden die durch öffentliche Anstrengungen zustande gekommenen Bodenrenten privatisiert, müssen die Fiskalsteuern

  • die Finanzierung des Gemeinwesens übernehmen und
  • ebenfalls die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens tragen.

Richtig ist: Die Hohlbeins würden zwar keine Einkommensteuer mehr abdrücken, dafür eine umso höhere Umsatzsteuer zahlen dürfen, die ihr Einkommen relativ hoch belastet. Von der Wirkung her ist die Mehrwertsteuer aber nichts anderes als eine Flat-Rate-Einkommensteuer (also ohne eine sozial erwünschte Progressionswirkung) unter Ausnahme der Ersparnis. D.h., diejenigen, die eine geringe Konsumquote und hohe Geldsummen akkumulieren, tragen relativ zu ihrem Einkommen am wenigsten zur  Finanzierung des Grundeinkommens bei. Dies sind wegen ihres hohen Einkommens gerade die Reichen und die Superreichen. Diejenigen Bürger mit hoher Konsumquote und geringer Ersparnis – die Hohlbeins unserer Republik – dürfen sich ihr Grundeinkommen damit im Wesentlichen gegenseitig finanzieren – und daneben auch noch die öffentlichen Leistungen.

Die Mehrwertsteuern der vielen Hohlbeins erhöhen dann über ihre Verausgabung für öffentliches Gesundheitswesen, Universitäten, Sicherheit etc. den Bodenwert z.B. in München noch weiter. Die Hohlbeins dürfen aber noch ein zweites Mal bezahlen, nämlich in Gestalt der Bodenrenten (entsprechend hohe Mieten) an den Eigentümer ihres Grundstücks, der keinen Finger gekrümmt hat.

So sichert erst der Steuerstaat die Privatisierung der ökonomischen Renten – also ein arbeitsloses Grund-Einkommen im Sinne des Wortes – ab. Erst durch den Steuerstaat mit seiner Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben wird die Privatisierung öffentlich geschaffener (Bodenrenten) bei gleichzeitiger Konfiskation privat geschaffener Werte (über Steuern) möglich. Und Götz Werner mit seiner Flat-Rate-Einkommensteuer bei gleichzeitiger Ausnahme der Akkumulation (als Single Tax!) treibt diese Fehlentwicklung geradezu auf die Spitze. So besteht auch beim Vorschlag Götz Werners die für alle Steuerstaaten charakteristische zweifache Entkopplung von Einnahmen und Ausgaben:

  • Steuern sind voraussetzungslose Zwangsabgaben an den Staat. Es existiert kein individueller Anspruch auf Gegenleistung, und keine Äquivalenz zwischen Geben und Nehmen.
  • Zudem fließen gemäß dem sog. „Nonaffektationsprinzip“ alle Steuern in einen „großen Topf“, aus dem dann die Verwaltung für alle möglichen Zwecke Geld entnimmt. Steuern werden also normalerweise nicht zweckgebunden vereinnahmt.

Somit zahlt der Steuerbürger unter Zwang ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung, und auf der anderen Seite wird das Geld ohne Rücksicht auf dessen Herkunft verausgabt. Diese doppelte Entkopplung ist

  • einerseits der Grund für Steuervermeidung und Steuerhinterziehung – eine rationale Reaktion, wenn für den Bürger nur Kosten vorliegen, ohne dass er einen Nutzen hat;
  • Auf der anderen Seite wird der Verschwendung durch die Administration Tür und Tor geöffnet (die mit dem Geld der Bürger eigene Ziele verfolgt; man denke an das Drohnendebakel der Bundeswehr, an Stuttgart 21 oder die “Bankenrettungen”) – es ist ja schließlich nicht das eigene Geld, mit dem man so großzügig umgeht.

Genauso, wie die Entkopplung von Nutzen und Kosten im privaten Sektor ursächlich für Marktversagen ist, verursacht somit die Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben Staatsversagen (s. auch den Blogbeitrag “Let´s talk about tax: Steuern und Steuerstaat”). Das zentrale Vehikel für die zugrunde liegende Entkopplung bei den öffentlichen Finanzen, der Steuerstaat, wird bei Götz Werner eher gestärkt als geschwächt.

Diesen durch sachwidrige Entkopplungen bedingten Fehlentwicklungen wird durch das bedingungslose Grundeinkommen aber noch eine weitere hinzugesetzt: Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Idee des Grundeinkommens ist grundsätzlich gut, sehr gut sogar. Aber unter ganz anderen Vorzeichen. Wer sich nämlich eingehend mit dem o.a. Henry George-Theorem befasst, stellt fest, dass unter bestimmten Voraussetzungen (die es aber erst herzustellen gilt!) allein die ökonomischen Renten in der Lage wären, die Kosten des Staates abzudecken. Noch mehr: Unter konsequenter Verfolgung des Henry George-Prinzips wäre die Finanzierung des Grundeinkommens von 1.000 Euro pro Monat unproblematisch (Löhr 2013). Dies würde schon für die Rente aus Grund und Boden im engen Sinne als Quelle zutreffen, gilt aber erst recht, wenn man von einem weiten Verständnis von „Land“ ausgeht – das all das erfasst, was von Menschen nicht gemacht wurde: Boden, die Atmosphäre, fossile Rohstoffe, Wind, das elektromagnetische Spektrum etc. etc. Hierin stecken ökonomische Renten, die gehoben und für die Allgemeinheit verfügbar gemacht werden könnten.

Diese ökonomischen Renten könnte der Staat abschöpfen, und zwar möglichst vollständig. Dabei wäre es sinnvoll, wenn die Mittel zunächst für die Planung und Finanzierung der Fixkosten der Infrastruktur verwendet würden. Der darüber hinausgehende Betrag (der für die Abdeckung der Grenzkosten der öffentlichen Leistungen ausreicht) könnte als Grundeinkommen ausgeschüttet werden. Damit würde ein gleichmäßiger Zugang aller Bürger zu den öffentlichen Leistungen gesichert (Gesundheit, Altersversorgung, Sozialversicherung, Bildung etc.). Aber: Die betreffenden Leistungen sollten im Gegenzug zu Grenzkosten an die Bürger abgegeben werden! Die Universalität des Grenzkostenprinzips bei den Preisen gewährleistet gesamtwirtschaftliche Effizienz. Sie schützt beispielsweise vor desinteressierten Studierenden bei kostenlosem Zugang zu Hochschulen (die dann das Grundeinkommen doch lieber verwenden, um in den Urlaub zu fahren) und zugleich vor Mondpreisen im Schienenverkehr (so dass man, wie heute, lieber Auto fährt). Nicht nur staatliche Stellen können so öffentliche Leistungen abgeben, sondern auch freigemeinwirtschaftliche; so wird soziale Vielfalt gesichert. Der Bürger steht zudem nicht in einem Subordinationsverhältnis wie im Götz Werner’schen Steuerstaat, sondern in einem Koordinationsverhältnis: Der Staat ist Garant für öffentliche Leistungen, die gegen eine an den Grenzkosten orientierte Gebühr nachgefragt werden können oder eben nicht.

Also: Das hier vorgeschlagene rentenbasierte Grundeinkommen ist ausdrücklich nicht als Existenzsicherung zum Zwecke der Entkopplung von Arbeit und Einkommen gedacht, sondern als Grundeinkommen zur Sicherung der Teilhabe an den öffentlichen Leistungen. Dies schließt den gleichmäßigen Zugang zu Land und Natur sowie den natürlichen Ressourcen ein (Schreiber-Martens, o.J.). Es sieht jeden einzelnen Bürger als gleichberechtigten Teilhaber hieran (wogegen bei Götz Werner die betreffenden Privatisierungsorgien weiter gehen können). Wird Energie aufgrund von Verknappungen der CO2-Zertifikate teurer, steigt auch die Höhe der Rückverteilung an. Wer viel spart, kann sogar mehr zurückbekommen, als er in den Produktpreisen bezahlt.

Doch die Abschöpfung der Renten ist nicht nur deswegen das überlegene System. Aus der o.a. Abbildung geht hervor, dass es sich bei der Bodenrente um ein Residuum handelt. Fiskalsteuern schmälern dieses Residuum, indem sie die Kosten für Arbeit und Kapital erhöhen und die Akteure demotivieren (steuerliche Zusatzlasten). Andererseits sind Fiskalsteuern und Sozialabgaben als Kostenfaktoren nicht in der Lage, den gesamten sozialen Überschuss auszuschöpfen. Die Wirtschaft würde andernfalls zum Erliegen können.

Der soziale Überschuss kann aber DIREKT in beliebiger Höhe abgeschöpft werden, ohne die Wirtschaft zu schädigen. Ökonomische Renten sind nämlich das Delta, um das der Preis die Kosten übersteigt. Der Anbieter muss aber lediglich die Kosten (incl. einer marktüblichen Kapitalverzinsung) mit dem Preis einfahren können. Er benötigt aber nicht das Delta darüber hinaus. Die Instrumentarien zur direkten Abschöpfung der Renten sind vielfältig: Sie reichen von Pachtversteigerungen und der Bodenwertabgabe, bis hin zur Auktionierung von Funkfrequenzen oder Start- und Landerechten etc. Das Finanzierungspotenzial ist hierbei – wie oben angedeutet – weitaus größer als bei Fiskalsteuern. Und es handelt sich um die Herstellung einer Kopplung: Der soziale Überschuss wird zu denjenigen umverteilt, die ihn auch hervorgebracht haben: Die Allgemeinheit.

Was wir in Wirtschaft und Staat dringend brauchen, ist das Gegenteil des Programms von Götz Werner. Es ist die Kopplung von Nutzen und Kosten, von Staatseinnahmen und Staatsausgaben und von Arbeit und Einkommen. Für Proudhon war dieses Prinzip der „Gegenseitigkeit“ auch die Maxime der Gerechtigkeit, nicht nur der Effizienz. Der Sinn eines Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat – das sich unter den genannten Bedingungen bequem darstellen ließe – wäre so die allgemeine Teilhabe an den entgeltlich bereit gestellten öffentlichen Leistungen, nicht die Entkopplung von Arbeit und Einkommen. Es geht um die Wiederherstellung einer Leistungsgesellschaft, und nicht um die Verallgemeinerung einer Rentiersmentalität. Das Götz Werner’sche Konzept ist hingegen nicht nur ein finanzieller, sondern ein kultureller Irrweg. Die Unkultur des Rent Seeking korrumpiert nämlich so auch den einfachen, eigentlich leistungsbereiten Bürger. Arbeitsloses Einkommen, der die Rentiersgesellschaft stützende Steuerstaat und Externalisierungen sind Kernmarken des Kapitalismus – anstatt die zu Grunde liegenden Entkopplungen weiter zu potenzieren, sollte die sachgerechte Kopplung wieder hergestellt werden.

Diese Gedanken sind für jedermann nachzulesen und – zumindest im englischsprachigen Ausland – auch keine Exoten. Leider habe ich nicht das Geld von Götz Werner und die Kamera von Rainer Maria Jilg, um sie hierzulande entsprechend publik zu machen.

Zum Schluss sei angemerkt, dass ich manche Aussage dahingehend, dass Götz Werner seine Vorschläge so intensiv propagiere, weil er persönlich finanziell hiervon profitiere, ganz und gar nicht teile. Letzteres mag zwar stimmen, doch Götz Werner ist mir mehrmals über den Weg gelaufen, so dass ich mir ein anderes Urteil zutraue. M.E. ist er mit seinem Engagement für bedingungslose Grundeinkommen nicht monetär getrieben; vielmehr ist er ein – leider fehlgeleiteter – Idealist und eine honorige Person.

 

Literatur

D. Löhr (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013.

A. Schreiber-Martens (o.J.): Ein Grundeinkommen für alle –
aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, INWO-Standpunkte Nr. 3. Online: http://www.inwo.de/fileadmin/uploads/media/standpunkte/INWO-Standpunkt_3_Grundeinkommen.pdf

G. Werner (2007): Einkommen für alle, Köln.

 

 Mehr kritische Anmerkungen zum Konzept von Götz Werner finden sich u.a. in

http://www.meudalismus.dr-wo.de/html/werner.htm

https://www.youtube.com/watch?v=xdPaXCQurYg

https://www.grundeinkommen.de/08/07/2011/der-konsumsteuer-vorschlag-ein-hindernis-auf-dem-weg-zum-bedingungslosen-grundeinkommen.html

file:///C:/Users/d.loehr/Downloads/KonsumsteuerIV-1%20(1).pdf

http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/sheets/aktuelles/konsumsteuer-kritik.pdf

 

Gedrosselt: Zum Staubsauger-Streich der EU

Dirk Löhr

Die EU verbietet von September 2014 an stromfressende Staubsauger. Ab diesem Termin dürfen nur noch solche Geräte verkauft werden, die weniger als 1600 Watt Leistung erbringen – und damit weniger Strom verbrauchen. 2017 wird auf 900 Watt gedrosselt.

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In den Medien wird die Frage darauf reduziert, ob die „gedrosselten“ Staubsauger noch dieselbe Leistung wie die derzeit gängigen Modelle erbringen. Doch geht es leider um mehr als den Dreck unterm Sofa. Der Staubsaugerfall steht nämlich exemplarisch für die Pervertierung der europäischen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik. Es geht um den Konflikt zwischen Ordnungspolitik und Maßnahmenpolitik, wie er sich in der Vergangenheit an Beispielen wie der Abwrackprämie (in Deutschland), dem „Aus“ für die 100-Watt-Glühbirne (EU) etc. manifestierte – um nur wenige prominenteste Beispiele zu nennen.

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Ordnungspolitik (Eucken 1990) setzt einen Rahmen und überlässt den Wirtschaftsteilnehmern die wirtschaftlichen Entscheidungen. Der Staat maßt sich dabei nicht das Wissen an, wirtschaftlich vernünftigere Entscheidungen als die Marktteilnehmer treffen zu können. Der Staat verzichtet auch nicht auf den Markt als Entdeckungsmechanismus, indem er bestimmte Technologien vorgibt (Hayek 1996).

Ordnungspolitik gibt lediglich vor, welche Ziele erreicht werden sollen, aber nicht wie. Die Entdeckung der besten Wege zum Ziel bleibt den Marktteilnehmern überlassen. Maßnahmenpolitik interveniert hingegen hoheitlich und diskretionär – sowie gleichheitswidrig. Hierüber bekommt der Staat einen einen gängelnden und dirigistischen Charakter. Genau dies erodiert aber eine freiheitliche (Wirtschafts-) Ordnung von innen.

Walter Eucken
Walter Eucken

Noch mehr: Der Staat wird zum Einfallstor von mächtigen Sonderinteressen, die ihre (oft durch Patente „geschützten“) Technologien durchsetzen wollen (für einen durch Maßnahmenpolitik geschürten Lobbyismus liefert u.a. das EEG Bände von Beispielen). Die EU könnte ihr vorgebliches Ziel – den Klimaschutz – am besten durchsetzen, indem sie Anfang und Ende der Wertkette fest in der Hand hält. Mehr ist nicht notwendig, um den volkswirtschaftlichen Stoffwechsel effektiv und effizient zu steuern. Allerdings auch nicht weniger.

Konkret bedeutet dies beispielsweise:

  • In dem Augenblick, in dem CO2 in den Verkehr gebracht wird, muss dieses durch ein CO2-Zertifikat hinterlegt werden – und nicht erst dann, wenn das CO2 (überspitzt dargestellt) durch den Schornstein (weniger großer Unternehmen, deren Emissionen nur mit hohem Aufwand verwalten kann) rauscht. Und die Zertifikate sollten auch nicht verschenkt, sondern meistbietend versteigert werden.
  • Kraftwerke werden grundsätzlich auf öffentlichem Grund und Boden errichtet, nicht auf privatem. Die Erlaubnis zum Betrieb wird auf Zeit gegeben, und es findet ebenfalls eine Versteigerung des betreffenden Pacht- oder Erbbaurechtes statt. Energieressourcen, wie Wasser- und Kohlevorkommen, sollten grundsätzlich öffentliches Eigentum sein und an die Energieunternehmen zu marktgerechten Konditionen abgegeben werden – und nicht als Geschenk.
  • Mit den Standorten und Ressourcen ist dabei restriktiv umzugehen: Eine leichtfertige Verspargelung der Landschaft durch Windräder ist genauso unerträglich wie ein leichtfertiger Ausbau des Braunkohletagebaus.
  • Würden dann nicht die „umweltintensiven“ Industrien in andere Länder fliehen? Der Exodus würde dieser Industrien würde zumindest wesentlich langsamer verlaufen oder gar nicht stattfinden, wenn das Abgabensystem umgestaltet würde, hin zu einer Abschöpfung der Renten aus Land und Natur (hierzu s. den Blogeitrag „Internationale Umweltpolitik in der Sackgasse?“). Also: Die o.a. Versteigerungserlöse, die Bodenrenten etc. können den Staatshaushalt abdecken, wenn man die ökonomischen Renten nur konsequent abschöpft, also das sog. “Henry George-Prinzip” konsequent durchführt (s. hierzu u.a. den Blogbeitrag “Let’s talk about tax: Steuern und Steuerstaat”).

Ginge der Staat wie beschrieben vor, würde Energie so teuer werden, dass die Verbraucher auch ohne entsprechende Vorschriften auf die Idee kämen, sukzessive mit energiesparenden Haushaltsgeräten nachzurüsten. Natürlich wirken steigende Energiepreise belastend und sind nicht sozial – wenn die Energierenten (also die Differenz zwischen den knappheitsbedingt gestiegenen Preisen und den Kosten der Energieerzeugung) und die Renten aus verknappten Deponien (wie die Atmosphäre für CO2 etc.) in private Taschen fließen. Würden diese aber über ein rentenbasiertes Grundeinkommen an die Bürger zurückverteilt, hätte jeder einzelne Bürger den gleichen Zugang zu Energie, der Atmosphäre etc. (Barnes / Pomerance 2000). Wer viel Energie verbraucht und Atmosphäre in Anspruch nimmt, zahlt – über die umweltgerecht erhöhten Preise – entsprechend mehr als derjenige, der wenig Energie und Atmosphäre verbraucht. Nach Rückverteilung sieht der Saldo für den Vielverbraucher negativ aus, der Saldo des sparsamen Verbrauchers wesentlich besser, vielleicht sogar positiv. So würde noch ein weiterer Anreiz für den sparsamen Anreiz mit Land und Natur geschaffen.

Eine Umorientierung der Politik ist also nötig. Wenn der Staat sich darauf beschränken würde, den volkswirtschaftlichen Stoffwechsel zu steuern, indem er einfach Anfang und Ende der Wertkette fest in der Hand hielte,

  • könnte er also auf Interventionen in den Wirtschaftsprozess verzichten. Er müsste allerdings dafür sorgen, dass die knappheitsbedingt erhöhten Preise für Anfang und Ende der Wertkette allen Bürgern zu Gute kämmen – über ein rentenbasiertes Grundeinkommen (Löhr 2013).
  • könnte er die Renten aus Land und Natur konsequent abschöpfen, die kein Mensch geschaffen hat. So könnte er auf die entmutigende Steuerbelastung von Arbeit, der unternehmerischen Disposition und der unternehmerischen Übernahme von Risiken verzichten (Löhr 2013).
  • könnte er sich auch auf seine Kernfunktionen beschränken und darauf verzichten, wie eine Krake sich immer stärker in die wirtschaftlichen Abläufe einzumischen. Ein starker (also über den Sonderinteressen stehender), sich selbst beschränkender Staat – das war auch die Vision eines Wilhelm von Humboldt (2006).

Anfang und Ende der Wertkette: Das ist Land und Natur. Nicht von ungefähr waren wichtige Väter der Marktwirtschaft, wie z.B. L. Walras, J. H. Gossen, J. St. Mill oder der junge J.M. Allais dem privaten Eigentum an Land und Natur gegenüber skeptisch eingestellt. Verzichtet der Staat auf das Eigentum am Anfang und am Ende der Wertkette, so muss er eben, wie die EU dies derzeit tut, innerhalb der Wertketten selber im Detail herumfummeln und herumdirigieren. So werden wirtschaftliche Freiheit und Wettbewerb sukzessive unterminiert, sowie die Tür für Lobbyismus weit geöffnet. Privateigentum an Land und Natur verträgt sich nicht mit einer freiheitlichen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Selbstverständlich ist eine radikale Wende derzeit nicht möglich. Allerdings sollten die politischen Entscheidungsträger zumindest einmal den Kompass adjustieren und sich auf den Weg in die richtige Richtung machen. Von diesem führt der Staubsauger-Streich der EU mit Sicherheit ab.

 

Literatur

Barnes / R. Pomerance (2000): Pie in the Sky – The Battle for Atmospheric Rent, Washington.

Eucken (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., Tübingen.

A. von Hayek (1996): Die Anmaßung von Wissen, Tübingen.

W. von Humboldt (2006): Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Stuttgart.

M. Kröger (2014): Neue Ökodesign-Richtlinie: Wie schlimm ist der EU-Staubsauger-Plan wirklich? Spiegel Online vom 28.08. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oekodesign-richtlinie-fuer-staubsauger-der-eu-harmlose-begrenzung-a-988419.html

Löhr (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Let’s talk about tax: Steuern und Steuerstaat

Dirk Löhr

EUR_10_obverse_(2002_issue)Was sind Steuern, und was ist der Steuerstaat? Die kurze Antwort: Die Kehrseite der Privatisierung der ökonomischen Renten, die durch die Gemeinschaft geschaffen wurden. Die lange Antwort fällt ein wenig komplizierter aus.

Illustrieren wir die Problematik anhand der Bodenrenten (Bodenerträge): Wenn sich Fachkräfte in Agglomerationen wie München oder Hamburg ballen, spürt man dies in der erhöhten Produktivität dieser Metropolen. Sie übersteigt wesentlich die Produktivität in der Peripherie (Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern). Voraussetzung für eine solche Agglomeration ist aber eine entsprechend dichte öffentliche Infrastruktur (z.B. Straßen, Schienen, Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser). Wird die Agglomeration hierdurch produktiver gemacht, so spürt man dies an den Bodenrenten und Bodenwerten: Die Bodenrenten stellen den sozialen Überschuss dar, und sie steigen infolge der erhöhten Produktivität an. Dieser soziale Überschuss fließt aber größtenteils starken privaten Akteuren zu. Doch die öffentliche Infrastruktur, und auch die Agglomeration von Fachkräften (die arbeitsteilig zusammenwirken) kostet Geld – viel Geld. Die öffentlichen Leistungen – als Basis der Agglomeration – werden jedoch größtenteils öffentlich – durch den Steuerzahler – finanziert. Die Kosten werden also weitgehend auf schwach organisierte Gruppen abgewälzt (cf. Tullock 2005) – darunter die Steuerzahler. Daher bewirkt die Privatisierung der Bodenrente eine Durchbrechung des Äquivalenzprinzips – die Bodeneigentümer ernten, wo andere gesät haben, sie sind die Nutznießer der öffentlichen Investitionen, für die die Steuerzahler zwangsweise aufzukommen haben.

Nutzen und Lasten der öffentlichen Finanzierung sind also im Steuerstaat entkoppelt. Machen wir uns das Ganze noch einmal an einem konkreten Beispiel klar (vgl. Löhr 2013):

Nehmen wir an, Hans sucht eine Mietwohnung in Hamburg oder München. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Doch nehmen wir an, Hans im Glück bekommt den Zuschlag. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt vielleicht das fünf- bis siebenfache der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer eine höhere Bodenrente als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierten Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer. Nur aufgrund dieser gemeinschaftlich geschaffenen Vorteile hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Hans im Glück hat nun einen Job, so dass von seinem Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten wird. Er kauft ein, und bei fast jedem Einkauf ist Umsatzsteuer fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat – was dem Vermieter indirekt zu Gute kommt. Nutznießer ist also in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte.

Um die Konsequenzen der Entkopplung von Nutzen und Lasten aus öffentlichen Leistungen wirklich verstehen zu können, benötigt man einen „archimedischen Punkt“. Einen solchen stellt das Henry George-Theorem dar (auch bekannt als George-Hotelling-Vickrey-Theorem). Hiernach könnten unter idealen Bedingungen (optimale Bevölkerungsgröße etc.) alle öffentlichen Güter allein aus der (Boden-) Rente finanziert werden (Arnott and Stiglitz, 1979; Atkinson and Stiglitz, 1987), ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste.

Tabelle: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Volkseinkommen
Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen <=> Löhne (Arbeit)
Zinsen (Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=> Renten (Land im weiten Sinne)

Das Henry George-Theorem kann aber eben auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen.  Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird. Ohne öffentliche Infrastruktur könnten die Vorteile von Agglomerationen nicht genutzt werden.

Erst die öffentliche Infrastruktur macht die Produktion von privaten Gütern und Dienstleistungen möglich. Wenn man überhaupt – neben Arbeit, Boden und Kapital – noch eine Kraft in den Rang eines vierten Produktionsfaktors erheben will, so die (öffentliche) Infrastruktur (dies ist jedenfalls wesentlich sinnvoller als ein vierter Produktionsfaktor „Wissen“, was ja auf nichts anderes als eine Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit“ hinausläuft). Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Gütern und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (Marshall, 1920). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden (Harrison, 2006).

Das Henry George-Theorem korrespondiert auch mit der Erkenntnis von Adam Smith, dass – da Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte (Smith 1776). Es ist die Regierung bzw. der Staat, der die rententragenden Vermögensgegenstände in Wert setzt. Was würde beispielsweise mit den Bodenwerten in München passieren, wenn die bayerische Landesregierung durch die Taliban ersetzt würde? Man möge sich die auf der Hand liegende – flapsige – Antwort verkneifen: Das Resultat könnte am Bodenwertniveau sehr deutlich abgelesen werden.

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Güter aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen.  Wenn stattdessen die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Güter verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Güter auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen und Kosten im Steuerstaat (Löhr 2013).

In nahezu allen Rechtsordnungen werden Steuern als voraussetzungslose Zwangsabgaben an den Staat definiert. Es existiert kein individueller Anspruch auf Gegenleistung, und keine Äquivalenz zwischen Geben und Nehmen. Zudem fließen gemäß dem sog. „Nonaffektationsprinzip“ alle Steuern in einen „großen Topf“, aus dem dann die Verwaltung für alle möglichen Zwecke Geld entnimmt. Steuern werden also normalerweise nicht zweckgebunden vereinnahmt (Löhr 2013).

Somit zahlt der Steuerbürger unter Zwang ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung, und auf der anderen Seite wird das Geld ohne Rücksicht auf seine Herkunft verausgabt. Im Steuerstaat liegt daher eine zweifache Entkopplung vor. Diese doppelte Entkopplung ist einerseits der Grund für Steuervermeidung und Steuerhinterziehung – eine rationale Reaktion, wenn für den Bürger nur Kosten vorliegen, ohne dass man einen Nutzen hat. Auf der anderen Seite wird der Verschwendung durch die Administration Tür und Tor geöffnet – es ist ja schließlich nicht das eigene Geld, mit dem man so großzügig umgeht. Also: Einerseits a) Steuervermeidung Seitens der Bürger (die keine Gegenleistung sehen) und andererseits b) Verschwendung Seitens der Administration (die mit dem Geld der Bürger eigene Ziele verfolgt; man denke an das Drohnendebakel der Bundeswehr, an Stuttgart 21 oder die “Bankenrettungen”) – genauso, wie die Entkopplung von Nutzen und Kosten im privaten Sektor ursächlich für Marktversagen ist, verursacht somit die Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben Staatsversagen. Bei Marktversagen entstehen zu viele Güter, deren Kosten auf andere Wirtschaftsteilnehmer abgewälzt werden (externe Kosten). Andererseits gibt es zu wenig Güter, die auch für andere Wirtschaftsteilnehmer Nutzen spenden (externe Nutzen). Staatsversagen bezieht sich auf Politiker und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, die anderer Leute Geld (das der Steuerzahler) wenig Nutzen stiftend ausgeben, so dass nicht mehr ausreichend Mittel für notwendige, Nutzen Stiftende Ausgaben zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig sichert der steuerbasierte Staat das passende Eigentumsrecht ab, das die Privatisierung der ökonomischen Renten sichert. Allerdings ist die Privatisierung der Renten nicht nur im Rahmen von Privateigentum, sondern auch in einem korrupten Pachtsystem möglich, wenn der Pächter den Löwenanteil der Bodenrente in die eigene Tasche wirtschaften kann und nicht an die Öffentlichkeit abzuführen hat.

Auch die Verteilungswirkungen des Steuersystems müssen gesehen werden. Egal, ob es sich um die Einkommen-, die Umsatz-, die Gewerbe- oder gar die Hundesteuer handelt: Am Ende treffen alle Steuern entweder die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital oder Boden. Die Bodenrenten sind in unserer Gesellschaft eine heilige Kuh und werden kaum angetastet. Geldkapital kann leicht ausweichen, nach Österreich, Luxemburg oder in die Schweiz. Ähnliches gilt – langerfristig – sogar für Sachkapital: Es wird einfach nicht mehr gebildet oder ersetzt, wenn es zu bunt wird. Nur Arbeit kann nicht ausweichen und steht unter permanentem Angebotsdruck: Das wusste bereits Karl Marx, und dieser Angebotsdruck ist auch ein wichtiges Erklärungsmuster bei Silvio Gesell (1949). Dieser schwächste Faktor hat – entweder direkt oder durch Überwälzungen – den Löwenanteil der Steuerlasten zu tragen. An anderer Stelle (Blogbeitrag „A kind of magic: Die 70-30-Regel der Rentenökonomie“) haben wir die funktionale Umverteilungswirkung (hin zu den Empfängern ökonomischer Renten) auf ca. 20 -30% des Volkseinkommens geschätzt. Allerdings ist sie in personeller Hinsicht diffus, da gerade Teile des Mittelstandes nicht nur belastet werden, sondern auch ökonomische Renten vereinnahmen. Diese Intransparenz mildert einerseits die Umverteilungswirkungen, korrumpiert jedoch andererseits gerade den Mittelstand, der sich auf der Sonnenseite des Systems wähnt und die Belastungen als durch die Steuern, und nicht durch die ökonomischen Renten verursacht wahrnimmt. In Wirklichkeit dürfte gerade der Mittelstand (solange er nicht über ein hohes Nettovermögen) verfügt, eher Leidtragender des Systems sein. Über die Entkopplung von Nutzen und Lasten ist der Steuerstaat ein wesentlicher Grund für die Erosion des Mittelstandes.

Schließlich wirken Steuern auch entmutigend. Je komplizierter ein Steuersystem und je höher die Steuerlast, umso kleiner wird der Kuchen. Ökonomen bezeichnen dies als „steuerliche Zusatzlasten“. Gleichzeitig werden die besteuerten Faktoren teurer und verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Nahezu die Hälfte des Bruttolohns geht heutzutage für Lohnzusatzkosten drauf. Die Konsequenz: Schwarzarbeit und Steuerumgehung, sowie eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit (s. beispielsweise den Blogbeitrag „Luftkampf: Abschuss des Kranichs“). Dies alles reduziert den sozialen Überschuss. Insgesamt richtet der Staat durch die Besteuerung mehr volkswirtschaftlichen Schaden an, als er durch die Besteuerung an Geld einnimmt (Löhr 2013). Effizient geht anders. Die effektive Grenzsteuerbelastung bezeichnet diesen Schaden in Prozent: Angenommen, der Grenzsteuersatz bei der Einkommensteuer liegt bei 25 %, aber es entsteht aufgrund der oben genannten Effekte für 2.000 zusätzlich verdiente Euro ein Schaden i.H.v. 1.000 Euro: Dann wäre der Grenzsteuersatz schon 75 %. Knüpfen die Sozialversicherungsbeiträge noch an dieselbe Bemessungsgrundlage an, wäre der effektive Grenzsteuersatz noch höher.

Was wäre effizient? Zunächst einmal wären sämtliche Renten aus „Land“ i.w.S. zugunsten der Finanzierung des Gemeinwesens abzuschöpfen (bei rechtlichen Monpolen wäre die Rechtsordnung derart zu modifizieren, dass Monopolrenten erst gar nicht entstehen können). Den weiteren Weg gibt die orthodoxe ökonomische Theorie vor: Um den sozialen Überschuss (und die Bodenrente ist nichts anderes als das) zu maximieren, wären Grenzkostenpreise optimal. Dabei können öffentliche Güter nicht anders als private Güter behandelt werden. Ganz im Gegenteil gilt das Gesetz des einen Preises: Es ist nämlich geradezu eine Bedingung für die Wohlfahrtsoptimalität von Grenzkostenpreisen, dass diese universal eingeführt werden – die Preisbildung sollte also im privaten wie im staatlichen Sektor einheitlich, an Grenzkosten bemessen, erfolgen.  Dies verweist auf einen Gebührenstaat, für den – im Gegensatz zum Steuerstaat – das Prinzip „Leistung-Gegenleistung“ gilt. Dabei kann er sich ruhig privater Agenten bedienen, die u.U. sogar im Wettbewerb zueinander stehen können.

Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche (wie z.B. Kultur und Wissenschaft oder das soziale Auffangnetz) nach anderen Kriterien betrieben werden müssen. Hier ist eine Entkopplung von Leistung und Gegenleistung sachgerecht, damit auch eine Finanzierung durch Steuern. Die Effizienzeinbußen sind insoweit hinzunehmen, zumal das System Gesellschaft einer Mehrzahl von Leitwerten (Bossel 1998) genügen muss – nicht nur der Effizienz. Effizienz ist kein absoluter Wert.

Die Einwände gegen den Gebührenstaat liegen auf der Hand:

(1) Mit Grenzkostenpreisen ließe sich insbesondere bei steigenden Skalenerträgen, wie sie z.B. allgemein für natürliche Monopole und speziell für Netzinfrastruktur (Schienen-, Gas- Elektrizitätsnetze etc.) typisch sind, keine Vollkostendeckung erreichen – die Grenzkosten liegen hier nämlich unterhalb der Durchschnittskosten. Dem ist zuzustimmen.

Dennoch könnte man die Fixkosten solcher Infrastrukturen aus den Bodenrenten abdecken. Heutzutage wird dies nicht getan. Folglich müssen die Bürger für die Nutzung von öffentlichen Einrichtungen mehr als die Grenzkosten entrichten – weil die Bodenrente eben verschenkt wird, anstatt sie für die Abdeckung der Fixkosten der Infrastrukturen zu verwenden. Wenn die Bürger für die Nutzung von Einrichtungen – egal unter welchem Rechtskleid –  mehr als die Grenzkosten aufbringen müssen, handelt es sich wirtschaftlich gesehen insoweit aber immer um eine Steuer. Es würde hingegen marktwirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen, wenn der Bürger als Verursacher einer staatlichen Leistung nur mit den Kosten belastet wird, die er durch die Inanspruchnahme verursacht. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen etc. (also “Land” im weiten Sinne). Viele der heutigen “hippen” „Privatisierungsmaßnahmen“ (wie vor allem Public Private Partnerships) stellen in wirtschaftlicher Hinsicht lediglich eine Privatisierung der Steuereintreibung dar  („tax farming“), was nicht unbedingt ein zivilisatorischer Fortschritt ist.

(2) Der zweite Einwand: Ein Gebührenstaat wirkt regressiv und ist unsozial. Dies ist allenfalls bei Vollkostenfinanzierung richtig. Bei Grenzkostenpreisen für öffentliche Leistungen könnte diese Aussage jedoch selbst dann nicht gehalten werden, wenn sämtliche Einnahmen aus ökonomischen Renten in der öffentlichen Hand zur Finanzierung verblieben. Allerdings würde dieser Weg (der auf eine „single tax“ hinausläuft) auf die Präferenzen der Bürger keine Rücksicht nehmen.

Vorzugswürdig wäre es, wenn der Staat nach Abdeckung der Fixkosten der öffentlichen Leistungen die darüber hinaus gehenden Einnahmen (aus der Abschöpfung von Renten) wieder an die Bürger in gleichen Teilen zurückverteilt (rentenbezogenes Grundeinkommen; vgl. Schreiber-Martens 2007). Auf Grundlage dieser Zahlungen haben alle Bürger in gleicher Weise die Möglichkeit, öffentliche Leistungen zu Grenzkostenpreisen in Anspruch zu nehmen. Die Bereitstellung müsste nicht unbedingt durch staatliche Institutionen, sondern könnte auch durch private Anbieter erfolgen, die öffentliche Hand hätte allerdings eine Gewährleistungsfunktion (Löhr 2013).

Wie an anderer Stelle schon dargestellt, ist das rentenbezogene Grundeinkommen nur geeignet, um den gleichen Zugang zu den öffentlichen Leistungen zu sichern. Es handelt sich hingegen um kein existenzsicherndes Grundeinkommen, da es – im Gegensatz zum Konzept des Götz Werner (2008) – den Zusammenhang Leistung – Gegenleistung erst herstellt und nicht auflöst.

Letzteres würde auch den Charakter des Staates ändern: Weg vom alles erdrückenden und dennoch ohnmächtigen Leviathan – hin zu einem sich selbst beschränkenden, aber dennoch starken Staat (von Humboldt 1792/2009): Der Steuerstaat hat – wie man z.B. gut beim Studium der Daumenschrauben in der Abgabenordnung sehen kann – einen obrigkeitlichen und repressiven Charakter. Steuerrecht ist Subordinationsrecht. Der skizzierte Gebührenstaat – in Kombination mit einem rentenbasierten Grundeinkommen – stellt den Bürger hingegen auf dieselbe Stufe wie den Staat. Gebühren wären insoweit keine Zwangsabgaben mehr – es geht um freiwillige Koordination des Einzelnen mit seinem Gemeinwesen.

Das heutige Steuersystem ist antiquiert. Es sichert Privilegien, ist ein wesentlicher Umverteilungsmotor von unten nach oben, es erodiert den Mittelstand und trägt maßgeblich zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen bei. Es verzerrt den Charakter des Staates. Es wird Zeit, darüber ein wenig Gehirnschmalz zu investieren.

 

Literatur:

Arnott, R. J. and Stiglitz, J. E. (1979), Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. In: Quarterly Journal of Economics 93, 471-500.

Atkinson, A. B., Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics, London, S. 523-525.

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München: Droemer Knaur.

Gesell, S. (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl. (Erstauflage aus 1919), Lauf bei Nürnberg.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune – Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, London.

Von Humboldt, W. (1792/2009): The Limits of State Action, ed. by J.W. Burrow, Cambridge: University Press, translation, first printed at 1792, online:http://assets.cambridge.org/97805211/03428/frontmatter/9780521103428_frontmatter.pdf

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32, online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Smith, A. (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: Methuen & Co. Ltd., online: http://www.econlib.org/library/Smith/smWN.html

Tullock G (2005): The Rent-Seeking Society (Liberty Funds, Indianapolis).

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

 

 

Henry George und Silvio Gesell: Mit dem Zweiten sieht man besser – ein Appell an die Geld- und Zinskritiker

Dirk Löhr

Kein Theoretiker ist der liebe Gott. Jeder hat Stärken, jeder hat Schwächen. Es gilt, sich das Beste herauszunehmen und – zusammen mit den Gedanken anderer großer Geister – weiterzuentwickeln. Dies gilt auch für Silvio Gesell. Unter denjenigen, die sich ernsthaft mit ihm auseinandergesetzt haben (dies sind leider nicht besonders viele Fachökonomen), ist seine intellektuelle Leistung unbestritten. Kurz zusammengefasst, lauten seine Kernthesen: Aufgrund seiner besonderen Eigenschaften kann das derzeitige Geld in einen „Investitionsstreik“ treten, wenn es seine Zinsforderungen nicht mehr erfüllt bekommt (Gesell 1916). Die Untergrenze dieser Zinsforderungen ist der „Urzins“. Der berühmte englische Ökonom Keynes (1936) nahm den Gedanken auf und benannte diese Mindestforderung (für die Aufgabe von Liquidität) „Liquiditätsprämie“. Während Keynes jedoch diese Eigenschaften des Geldes grundsätzlich akzeptierte, wollte Gesell sie ändern. Im Zuge einer Geldreform sollte der Urzins neutralisiert und die Möglichkeit, Geld zurückzuhalten, über eine „Geldumlaufsicherungsgebühr“ beseitigt werden. Als Folge sollte sich das Geld- und Sachkapital so weit vermehren, bis seine Verzinsung gegen Null geht.

Folgt man dieser Auffassung, setzt der Geldkapitalzins auch die Untergrenze für den Unternehmensgewinn. Fällt der Geldkapitalzins bis gegen Null, beseitigt man nämlich gleichzeitig auch die leistungslosen Bestandteile des Unternehmensgewinnes. Die Eliminierung von Leistungsbestandteilen, wie den Unternehmerlohn oder die Prämie für das eingegangene Risiko, war hingegen nicht das Bestreben von Gesell. Weil sich je anscheinend das Problem des Unternehmergewinns „automatisch“ mit der Geldreform löst, gab es – von Einzelfällen abgesehen – beispielsweise auch niemals eine gemeinsame Sprachebene zwischen Zinskritikern und Gewerkschaftlern, zumal Letztere die Unternehmensgewinne vorrangig problematisierten.

Bei näherem Hinsehen hat die Theorie Gesells, der selber kein ausgebildeter Ökonom war, an dieser Stelle allerdings Lücken. Können wirklich die Unternehmensgewinne im Kern (wir sprechen nicht über Unternehmerlöhne und Risikoprämien) durch eine Vermehrung des Kapitals bis gegen Null zurückgeführt werden? In einem Konkurrenzmarkt (und auf diesen soll die vorliegende Darstellung der Kürze zu Liebe bezogen sein) werden die Marktpreise über die Grenzkosten des letzten Anbieters festgelegt (Grenzanbieter), der benötigt wird, um die Nachfrage zu befriedigen. Dieser Grenzanbieter produziert unter den ungünstigsten Bedingungen – er kann gerade noch seine Kosten decken, aber keine Gewinne mehr erwirtschaften. Er hat den ungünstigsten Standort, er verfügt mangels Zugang zu den Eigentumsrechten nicht über die effizientesten Technologien, er kontrolliert nicht die Ressourcenbasis, die er zur Produktion benötigt. Anders herum gibt es aber einen Vorsprung für all die Anbieter, die günstigere Standorte, Zugang zu den effizienten Technologien (Kraft geistiger Eigentumsrechte), Kontrolle über die Ressourcenbasis etc. ausüben. Dies sind die sog. „intramarginalen“ Anbieter. Diese verkaufen zwar ihre Produkte zu denselben Preisen wie die Grenzanbieter, können aber aufgrund von Kostenvorteilen entsprechend hohe Produzentenrenten einstreichen. Aus diesen Vorteilspositionen ergeben sich ökonomische (Differential-) Renten, die den Kern des Unternehmensgewinnes darstellen (Löhr 2013). Diese Privilegien werden zugleich durch die herrschende Eigentumsordnung zementiert (ein Umstand, den übrigens auch Franz Oppenheimer (1929) gesehen hatte, dessen 150. Geburtstag am 30. März 2014 jährt).

Der entscheidende Punkt: Allein über eine Vermehrung des Kapitals via Geldreform können diese abgesicherten Vorteile, die die ökonomischen Renten der intramarginalen Anbieter hervorbringen, nicht beseitigt werden. Der relative Vorteil der intramarginalen Unternehmen gegenüber den Grenzanbietern bleibt bestehen, und damit auch die ökonomischen Renten als Kern ihres Unternehmensgewinnes.

Diese ökonomischen Renten machen überhaupt erst den Wert eines Unternehmens aus. Schon die Methodik der Unternehmensbewertung gibt darüber Auskunft. Um den Marktwert des Eigenkapitals eines Unternehmens zu ermitteln, wird (vereinfacht anhand der Formel der „ewigen Rente“ dargestellt) der Unternehmensgewinn durch einen Kapitalisierungszinssatz dividiert. Zuvor rechnet man aber aus dem Unternehmensgewinn noch den Unternehmerlohn und andere Besonderheiten heraus, und der Diskontierungszinssatz wird „risikoäquivalent“ gemacht. Als ökonomische Essenz dieser Berechnung ergibt sich der Marktwert des Eigenkapitals „V“ aus den ökonomischen Renten „R“ (als „Sicherheitsäquivalente“, also ohne Risikobestandteile und auch ohne Unternehmerlöhne), die mit einem risikolosen Kapitalmarktzins „i“ diskontiert werden: V = R/i. Interessant dabei: Ein risikoloser und arbeitsloser Einkommensstrom (z.B. Zinsen aus einer Bundesanleihe) wird mit einem anderen  risikolosen und arbeitslosen Einkommensstrom (Renten aus dem Unternehmen) verglichen bzw. mit diesem getauscht.

Weil der Marktwert des Eigenkapitals „V“ daher nichts anderes als der Wert der aus dem Unternehmen fließenden ökonomischen Renten ist, sind Grenzanbieter insoweit ökonomisch ziemlich wertlos. Niemand würde für ein Unternehmen auch nur einen müden Cent bezahlen, dessen Ertragskraft alleine auf der Arbeitskraft des Inhabers beruht.

Und: Wenn sich der Marktwert des Eigenkapitals „V“ aus den diskontierten Renten ergibt, finanziert umgekehrt auch das Eigenkapital die Renten tragenden Vermögensgegenstände. Renten tragende Vermögensgegenstände sind aber regelmäßig nichts anderes als „Land“ in dem weiten Sinne, in dem die ökonomischen Klassiker und Henry George (1885) diesen Begriff verstanden. Kurz gesagt: Während Fremdkapital den Faktor Kapital im Unternehmen finanziert, deckt das Eigenkapital den Faktor Land ab. Hinzu kommen noch die Kriegskasse sowie Beteiligungen an anderen Unternehmen, die letztlich aber nichts anderes als „indirekte“ Investitionen in deren Land (das Eigenkapital anderer Unternehmen) sind. Die statistischen Belege hierfür sind erdrückend, wie ich u.a. im Buch „Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird“ dargestellt habe (Löhr 2013). Beispielhaft ist – als eines von vielen Indizien – unten zur Illustration die auf S. 113 des Buches dargestellte Strukturbilanz kompakt wiedergegeben, die auf Daten der Bundesbank von ca. 48.000 Unternehmen beruht.

Aktiva: Mittelverwendung Passiva: Mittelherkunft
Rententragende Vermögensgegenstände (29,0 %): Faktor „Land“ i.w.S. (plus Cash und Beteiligungen) Eigenkapital (29,3 %):
Ök. Renten (plus Unternehmerlöhne und Risikoprämien)
Faktor „Kapital“ wie Maschinen, Fabriken, Vorräte etc. ( 71,0 %) Fremdkapital: Zinsen (70,7 %).

Strukturbilanz deutscher Unternehmen (basierend auf dem HGB)

Man sieht, dass der Buchwert des Eigenkapitals im Durchschnitt dem Buchwert der Renten tragenden Vermögenswerte entspricht (rd. 29 %).

Nun war Silvio Gesell ja auch ein Bodenreformer. Die dargestellte Perspektive – die den Produktionsfaktor Land und Eigenkapital im Zusammenhang sieht, war ihm aber fremd. Dementsprechend wurden auch die Rolle des Landes in den Bilanzen der Unternehmen und die Bedeutung der ökonomischen Renten in den Unternehmensgewinnen nicht weiter herausgearbeitet. Hier kann man von den zeitgenössischen Anhängern Henry Georges lernen, die Unternehmen als „Land Banks“ begreifen (z.B. Dwyer 2003). Unternehmen produzieren nicht losgelöst von Materie und Raum. Sie brauchen zur Produktion nicht nur Standorte, sondern auch Ressourcen (z.B. Öl und Gas), das elektromagnetische Spektrum, Start- und Landerechte, Deponien und Senken (z.B. aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten) etc. etc. – alles „Land“ im Sinne von Henry George (1885), der den Weg für die Betrachtung von Unternehmen als “Land Banks” geebnet hatte. Nicht zu vergessen auch die Patente, die dem Privateigentum an Grund und Boden nachgeäfft sind (Löhr 2013).

Allerdings muss man sich schon eine spezielle Brille aufsetzen, um dies aus den Unternehmensbilanzen herauszulesen. Der Wert des Landes kommt nämlich in den Unternehmensbilanzen nicht unbedingt zum Ausdruck. Das Rechnungswesen beruht auf Konventionen, und diese Konventionen reflektieren den diesbezüglich rudimentären Stand der Wirtschaftswissenschaften. Im deutschen Handelsrecht wird z.B. Land mit seinen historischen Anschaffungskosten dargestellt, die oft noch subventioniert sind. Oder: Die Erträge aus Privilegien werden oftmals Positionen wie v.a. dem “Geschäfts- und Firmenwert“ gutgeschrieben, weil auch die zeitgenössische Betriebswirtschaft nicht in der Lage ist, die ursächlichen Renten tragenden Assets zu identifizieren.

Diese spezielle Brille ist jedoch für Geldreformer und Zinskritiker wichtig und interessant. Betrachtet man Unternehmen nämlich wesentlich als „Land Banks“ und sind Zinsen und Renten als arbeits- und risikolose Einkommensströme gegeneinander austauschbar (weil Arbitragebeziehungen bestehen), können Gesells Ziele durch eine pure, unflankierte Geldreform gar nicht erreicht werden. Werfen Unternehmen, Land an sich und Ressourcen ökonomische Renten ab, wird nämlich Geld aus Sachinvestitionen in die rententragenden Assets abgelenkt. Der erwünschte Druck auf den Zins kann dann also nicht in der erhofften Weise entstehen. Hierauf wies z.B. auch bereits Maurice Allais (1947) hin. Man konnte diese Effekte übrigens wunderbar in der Praxis beobachten – z.B. in der Zeit der amerikanischen Niedrigzinspolitik (vor 10 Jahren unter Greenspan). Der Verfasser durfte hautnah dieselben und ähnliche Effekte im dollarisierten Kambodscha miterleben (Löhr 2011), wo es ebenfalls zu einer Blasenbildung auf den Bodenmärkten kam. Dort wurden nicht selten produktive Investitionen nicht mehr durch Banken finanziert, wohl aber Landspekulationen, weil diese höhere Renditen brachten.

Ohne eine Abschöpfung der ökonomischen Renten ist daher ein Nullzins unmöglich (Löhr 2009). Und dabei geht es nicht nur um Grund und Boden im engen Sinne, sondern um Land im weiten Sinne – so wie es v.a. für Unternehmen von Bedeutung ist. Umgekehrt wird sich mit einer Abschöpfung der Renten die Finanzierung der Unternehmen radikal verändern: Weg vom Eigenkapital (das heutzutage rententragende Vermögensgegenstände finanziert), hin zur Finanzierung über Schulden. Und dann wäre es gut, wenn diese Schulden grundsätzlich zinslos wären. Zwar würde es immer noch Eigenkapital geben, aber nur in der Funktion als Risikopuffer.

Ungeachtet seiner großartigen Leistung hatte Gesell (1916) viele dieser Zusammenhänge nicht sauber analysiert. Andererseits wird dieser Mangel teilweise dadurch geheilt, dass er prinzipiell sämtliche Vorrechte in der Wirtschaft abschaffen wollte – und hier ging er mit seinen Absichten über die alleinige Abschaffung des Eigentums an Grund und Boden weit hinaus. Diesbezüglich war er auch wesentlich konsequenter als Henry George (1885). Dessen Anliegen war die radikale Abschöpfung der (Boden-) Renten. Als Mittel schlug er eine Single Tax vor und knüpfte insoweit an die Lehren der Physiokraten (impot unique) an. Eigentlich sollte allein deswegen schon auf der Hand liegen, dass George hervorragend zu der sich selbst zeitweise als „Neophysiokraten“ apostrophierenden Freiwirtschaftsbewegung passt und diese ergänzt.

George hatte zudem – anders als Gesell (der die Bodenrenten den Müttern zuführen wollte) – ganz klar den Zusammenhang zwischen der Privatisierung der Bodenrenten und der Steuerfinanzierung des Staates gesehen. Zudem hatte er schon die immensen umverteilenden Wirkungen des heutigen Steuerstaates im Blick: Eigentlich würden nämlich alleine die Bodenrenten (in ihrer engen, nur auf Grund und Boden bezogenen Form) völlig ausreichen, um den Staat vollkommen zu finanzieren. Dies wurde in den letzten Jahrzehnten durch Arnott/Stiglitz (1979), Vickrey (1977) und andere namhafte Autoren über die Formulierung des Henry George-Theorems bestätigt. Werden die Bodenrenten aber privatisiert, stehen sie nicht zur Finanzierung des Staates zur Verfügung. Der Staat muss dann auf Steuern zur Finanzierung des Gemeinwesens zurückgreifen. Die hiermit geschaffenen „public goods“ setzen wiederum Grund und Boden in Wert – das sich aber in Privateigentum befindet. Die dann erhöhte Bodenrente wird aber wieder privatisiert. Als Steuer zahlender Mieter und Konsument wird der Bürger daher doppelt gemolken, einmal in Form der privatisierten (Boden-) Renten (auch in den Produktpreisen) und zweitens über die Steuern, die hierzulande v.a. auf der Arbeit lasten. Leider ist die betreffende Diskussion an Deutschland größtenteils vorbeigegangen, obwohl das Hauptwerk von Henry George mit weit mehr als drei Millionen verkauften Exemplaren das meist verkaufte ökonomische Buch überhaupt sein dürfte.

Positiv zu bewerten ist allerdings, dass Seitens der Freiwirtschaft seit einiger Zeit – leider eher als Randthema – das ressourcenbasierte Grundeinkommen diskutiert und damit die Gesell’sche Idee der Mütterrente verlassen wird (Schreiber-Martens 2007). Das Konzept des ressourcenbasierten Grundeinkommens ist durchaus mit Henry George kompatibel und wird auch von Teilen dessen Anhängerschaft vertreten. Würden die ökonomischen Renten abgeschöpft, so könnte nach Abdeckung der Fixkosten der zu staatlicherseits zu planenden öffentlichen Infrastruktur der verbleibende Teil der Renten als Grundeinkommen wieder an die Bürger ausgeschüttet werden. Hierüber könnte der Zugang zu öffentlichen Leistungen und zur Mobilität garantiert werden. Beides könnte den Bürgern zugleich – volkswirtschaftlich effizient – zu Grenzkostenpreisen angeboten werden. Dieses Konzept koppelt in effizienter Weise Nutzen und Lasten der Staatsfinanzierung und hat daher nichts mit dem Konzept von Götz Werner (2008) zu tun, der gerade das Gegenteil anstrebt.

Wir haben also ein interessantes Puzzle, dessen Teile sich perfekt ineinander fügen lassen. George hatte Geld und Kapital sowie die Bedeutung des Eigentums nur unvollständig auf dem Schirm. Gesell thematisierte zwar das Thema Eigentum und Vorrechte, war bei der Rentenproblematik jedoch auf halbem Wege stehen geblieben und hatte die Steuerproblematik und dessen desaströse Wirkungen auf Effizienz (steuerliche Entmutigungseffekte etc.) und Verteilung überhaupt nicht hiermit in Zusammenhang gebracht. Die Themen der Unternehmergewinne, der Grenzkostenpreise für öffentliche Güter und der Rückverteilung wurden erst durch konsequentes Weiterdenken der Anhängerschaft von Henry George entwickelt. Das Henry George-Theorem wurde sogar von orthodoxen Ökonomen entwickelt – die Logik war zu „aufdringlich“.

Sowohl Gesell wie George haben Großes geleistet. Beide sind zwar unvollständig, ergänzen sich jedoch hervorragend. Und mit dem Zweiten sieht man entschieden besser. Ich möchte daher die Anhänger der Freiwirtschaft ermuntern, ein paar Meter vom Bild zurückzutreten und mit beiden Augen noch einmal draufzugucken: Es wäre m.E. angemessen, weniger Energie auf Details wie die Frage der Geldschöpfung zu richten (zumal sich die Diskussion ohnehin seit vielen Jahren im Kreise dreht und sich sowohl von Fachwissenschaftlern wie auch normalen Bürgern abgekoppelt hat) und statt dessen den Blick auf das große Ganze zu richten. An bedeutsamen Teilen der Baustelle herrscht nämlich seit geraumer Zeit Stillstand – zumindest im deutschen Sprachraum. Ohne das Thema Geld und Zins aus den Augen zu verlieren, besteht angesichts von Auswüchsen in Politikbereichen wie Freihandelsabkommen, Gentechnik, Public Private Partnerships, ausländischen Investitionen in Farmland etc. etc. die Notwendigkeit, auch hier theoretisch runde Positionen zu beziehen und unter das Volk zu bringen.

Literatur:

Allais, M. (1947). Economie et Interet, Paris.

Arnott, R. J. and Stiglitz, J. E. (1979), Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. In: Quarterly Journal of Economics 93, S. 471-500.

Dwyer, T. (2003): The taxable capacity of Australian land, in: Australian Tax Forum 18, S. 21-67.

George, H. (ca. 1885): Fortschritt und Armut, Halle a.d. Saale.

Gesell, S. (1916): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Auflage, Lauf bei Nürnberg 1949.

J. M. Keynes (1936): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 6. Aufl. (unveränderter Nachdruck der ersten Auflage), Berlin 1983.

Löhr, D. (2009): Geldreform ohne Reform der Bodenordnung?, in: Humane Wirtschaft 6, S. 18-24.

Löhr, D. (2011): The Cambodian Land Market: Development, Aberrations, and Perspectives, in: Asien, Juli-Ausgabe, S. 28-47.

Löhr, D. (2013). Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Oppenheimer, F. (1929): Der Staat, 3. Überarbeitete Auflage, Berlin 1990. Online: http://www.franz-oppenheimer.de/staat0.htm

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32. Online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Vickrey, W. (1977): The City as a Firm. In: Feldstein, M. and Inman, R. (Eds.): The Economics of Public Services, Macmillan, London, S. 334-343.

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

Volksabstimmung auf der Krim – die Barbarei des geltenden Völkerrechts

Dirk Löhr

Die Volksabstimmung auf der Krim ist gelaufen. Mehr als 95 % der Wähler haben für einen Beitritt zu Rußland plädiert. Der Kater im Westen ist groß. Dabei gehörte die Krim seit den Zeiten Katharina der Großen zu Rußland (offiziell seit seit 1783) und wurde erst 1954 vom damaligen ukrainischen Kremlchef Chruschtschow seiner Heimat, der damaligen Sowjetrepublik Ukraine, „geschenkt“.

Die Volksabstimmung, so der Westen, sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht und würde nicht anerkannt. Als ob die Machtübernahme in Kiew rechtmäßig verlaufen wäre. Und als ob USA & Co. sich jemals um das Völkerrecht geschert hätten, wenn es um ihre eigenen Interessen ging. Gerade die USA betrachten das Völkerrecht als unzumutbare Beschränkung der von ihnen gestalteten imperialen Weltordnung. Der Internationale Strafgerichtshof und andere Institutionen werden gar nicht oder nur selektiv anerkannt. So glaubt man, nicht richtig zu hören, wenn ausgerechnet US-Außenminister Kerry mahnt, es gehöre sich nicht, mit vorgehaltener Waffe in ein anderes Land einzumarschieren. Diejenigen, die es interessiert, mögen einen Blick auf die US-amerikanischen Militäroperationen seit dem Zweiten Weltkrieg werfen.

Überhaupt, Völkerrecht: Der Name klingt gut – allein, es handelt sich um eine Mogelpackung. Anders als der Begriff suggeriert, regelt das sog. „Völkerrecht“ nämlich keineswegs die Beziehungen der Völker zueinander. Vielmehr geht es um die Beziehung zwischen Staaten mit Regierungen, die zu einem großen Teil nicht demokratisch legitimiert sind. Und von diesen sind wiederum ein beträchtlicher Teil auch dicke Freunde des Westens.

Ein wesentlicher Bestandteil des Völkerrechts ist die Souveränität als „Schutz“ vor „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“. Dies ist nichts anderes als das Komplement zur Idee des Nationalstaats – einer Institution, die wiederum zeitgleich mit der Idee des Privateigentums in seiner „modernen“ Form die historische Bühne betrat. Das Völkerrecht erblickte zwar später das Licht der Welt, war jedoch von Anfang an eine Missgeburt, da es wie das Privateigentum auf die Logik der „Zaunpfähle“ baute. Wie können internationale Konflikte – die in den meisten Fällen zugleich Ressourcenkonflikte sind – auf der Grundlage der Ausschließbarkeit („die Ressource kann entweder nur dir oder mir, aber nicht uns beiden zusammen gehören“) gelöst werden? Zudem können auch hinter der Mauer der Souveränität die herrschenden Cliquen wunderbar die Ressourcen plündern und die Menschenrechte verletzen.

Und so warten v.a. die US-amerikanische Energiekonzerne auch sehnsüchtig auf den Tag, an dem die ukrainische „Gasprinzessin“ Timoschenko wieder inthronisiert wird. Die ukrainischen Gasvorkommen hat man schon vorab untereinander aufgeteilt (s. die Blogbeitrag von SGCNews und Dirk Müller). Natürlich leckt sich die Gasprinzessin selbst auch schon die Lefzen – ihr Anteil wird umso größer sein, je erfolgreicher sie bei den Wahlen abschneidet. Und die bevorstehende Plünderung wird wieder einmal durch das Völkerrecht abgesichert.

Was ist da eigentlich mit den Menschenrechten? Bezeichnend für den international herrschenden kleptokratischen Rechtsrahmen ist es doch, dass der Zugang zu Land noch nicht als Menschenrecht anerkannt wurde. Erst recht nicht der Zugang zu Land im Sinne der ökonomischen Klassiker, die hierunter alles verstanden, was der Mensch vorgefunden und nicht geschaffen hat (also alle natürlichen Ressourcen). Eine kleine – wenn auch wichtige – Ausnahme ist das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser, das 2010 als Menschenrecht deklariert wurde (das allerdings nicht einklagbar ist). Dabei IST der Mensch in seiner Substanz Land. Die Privatisierung der physischen Basis seiner Existenz ist nicht minder barbarisch als es einst die Sklaverei war (die von den meisten damaligen Zeitgenossen als selbstverständliche und legitime Institution anerkannt wurde). Das geltende Völkerrecht hat wesentlichen Anteil an dieser heutigen barbarischen Ordnung. Es zementiert mit seiner Logik der Exklusion (und Nichteinmischung) zudem einen territorialen Atavismus. Anstatt mit noch höherer Geschwindigkeit in die Sackgasse des gegenwärtigen Völkerrechts zu fahren, sollte es vielmehr darum gehen, die Menschenrechte auszubauen auf den Zugang zu Land im weiten Sinne der ökonomischen Klassiker zu erstrecken (Löhr 2009). Schon Silvio Gesell (1949) brachte es auf den Punkt: „Völkerrecht ist Krieg – Menschenrecht ist Frieden“. Ein zukunftsfähiges, der gegenwärtigen Barberei entsagendes Völkerrecht dürfte daher die Absicherung der Ausschließbarkeit „… nur auf das beziehen, was von Menschenhand geschaffen … Alle Menschen, jeder einzelne Mensch, hat auf den Boden, auf den ganzen Erdball (und dessen grs. unverehrbaren Naturgüter, DL) die gleichen, unveräußerlichen Rechte, und jede Einschränkung dieses Urrechts bedeutet Gewalt, bedeutet Krieg.“

Ausweitung der Menschenrechte auf den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen sollte die Devise sein. Ein praktikabler Weg zur Umsetzung dieses Rechtes ist die Vergemeinschaftung der Boden- und Ressourcenrenten, bei gleichen Anteilen eines jeden Menschen an diesen. Ein solches Menschenrecht steht jedoch den Kleptokraten im Wege, egal, ob sie aus den USA, aus Russland oder aus der Ukraine stammen.

Literatur:

Gesell, S. (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg.

Löhr, D. (2009): Die Plünderung der Erde, 2. Aufl. Kiel.

Ressourcenbasiertes Grundeinkommen oder Single Tax?

Dirk Löhr

Zumindest die Anhänger von Henry George (und mit weniger Nachdruck auch diejenigen von Silvio Gesell) sind sich darüber einig, dass die ökonomischen Renten aus „Land“ in einem weiten Sinne zugunsten der Gemeinschaft abgeschöpft werden sollten. Im Sinne vieler klassischer Ökonomen und von Henry George gehört dabei zu „Land“ alles, was ökonomisch genutzt werden kann, aber nicht vom Menschen hergestellt wurde –  wie z.B. Grund und Boden, Wasser, die Atmosphäre, die biogenetischen Ressourcen, das elektromagnetische Spektrum, Ölquellen etc.(viele Kritiker fügen noch geistige Eigentumsrechte hinzu – die dem Privateigentum an Land „nachgeäfft“ sind und per Gesetz monopolartige Positionen im Wirtschaftsleben ermöglichen).

Dieses breite Verständnis von „Land“ hat allerdings auch einen Nachteil: Während man sich einig darüber ist, dass die ökonomischen Renten der Gemeinschaft zustehen und abgeschöpft werden müssen („share the rents!“), besteht doch eine gewisse Uneinigkeit dahingehend, wie die (Boden-) Renten verwendet werden sollen. Holzschnittartig gegenübergestellt, stehen folgende Positionen gegeneinander:

– Auf der einen Seite gibt es (in der Tradition der Physiokraten und von Henry George) die „Single Taxer“, welche die gesamten Einnahmen aus Renten in den Staatshaushalt fließen lassen und dafür alle anderen Steuern abschaffen wollen. Nach dem Henry George-Theorem ist dies unter bestimmten Umständen möglich (s. unten mehr). Öffentliche Güter und Dienstleistungen sollen dementsprechend nur noch zu Gebühren erbracht werden, welche die unmittelbar entstehenden Kosten der Leistungserstellung (Grenzkosten). Dies würde beispielsweise BahnCard 50-Preise für alle bedeuten. Im Zentrum dieser im georgistischen Spektrum dominierenden Ansicht steht der „Leitwert“ (Bossel 1998) der Effizienz.

– Auf der anderen Seite gibt es die Befürworter eines ressourcenbasierten Grundeinkommens. Ihr Argument: Das „Land“ i.w.S. und deren Erträge stehen allen Menschen zu gleichen Teilen zu, da niemand das Land und seine Bodenschätze gemacht hat (Mill). Es geht also v.a. um Verteilungsgerechtigkeit im Sinne gleicher Zugangschancen zu „Land“ i.w.S. Diese soll hergestellt werden, indem die ökonomischen Renten nicht in den Staatshaushalt fließen, sondern zu gleichen Teilen auf die Bürger zurückverteilt werden. Jemand, der eine Ressource in überdurchschnittlichem Ausmaß in Anspruch nimmt, zahlt damit mehr Renten an die Gemeinschaft, als er von dieser zurück bekommt – also eine Art „Miete“ an die Gemeinschaft. International bekannt geworden ist v.a. der Vorschlag von Barnes / Pomerance (2000), CO2-Zertifikate meistbietend zu versteigern und die Erlöse hieraus nach der Zahl der Köpfe (an die Staaten) zurück zu verteilen. Im deutschen Sprachraum hat sich u.a. Fritz Andres (o.J.) und Alwine Schreiber-Martens (2007) für ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen stark gemacht. Auch Gedanken wie der Öko-Bonus gehen in dieselbe Richtung. Die Erlöse müssen dabei nicht unbedingt aus der Versteigerung von Verschmutzungszertifikaten resultieren, sondern können auch aus „Öko-Steuern“ kommen, mit denen externe Kosten auf den Verursacher zurückgeführt werden sollen.

In der Wissenschaft wird die Umverteilungslösung gemischt beurteilt. Als Maßstab dienen dabei v.a. Verwendungsalternativen wie die Investition in Umweltgüter oder die Senkung von Lohnnebenkosten. Insbesondere die letztgenannte Variante ist hinsichtlich der Effizienz der Umverteilungslösung überlegen, wirkt aber verteilungspolitisch regressiver (Baur / Himmel 2012). Dieser Rahmen der Möglichkeiten klammert allerdings eine wichtige Option vollkommen aus. Diese ist imstande, Effizienz und Verteilung zu versöhnen, wird jedoch offenbar von der herrschenden Ökonomie als „no go“ betrachtet. Hierbei handelt es sich um die Vergemeinschaftung der ökonomischen Renten. Über diesen Weg könnte – entsprechend dem Henry George-Theorem – auf die üblichen Steuern verzichtet werden. Die Lohnnebenkosten ließen sich so absenken.

Hinsichtlich der Frage „Ausschüttung der Renten als ressourcenbasiertes Grundeinkommen oder Einbehaltung zur Abdeckung der staatlichen Aufgaben“ sollte m.E. zwischen hoheitlichen und sonstigen Aufgaben des Staates unterschieden werden. Dies ist eng verbunden mit der Frage der eingeforderten Gebühren für die öffentlichen Güter:

–  Für hoheitliche Aufgaben des Staates wie Justiz, Polizei etc. ergeben Gebühren auf der Basis von Grenzkosten keinen Sinn, wohl aber ein staatliches Monopol. Dementsprechend sollten ausreichende Teile der Renten einbehalten werden, um diese Kosten abdecken zu können.

–  Andere Aufgaben hingegen (insbesondere solche, die auch von Privaten entweder selbstständig oder als Agenten des Staates erbracht werden können) sollten zu Grenzkostenpreisen an die Bürger abgegeben werden. Dies betrifft Schulen, Kindergärten, Gesundheitsleistungen etc. Hierbei können durchaus private Akteure in Ergänzung staatlicher Akteure oder im Auftrag des Staates tätig werden. Grenzkostenpreise sind (bei entsprechendem Kostenverlauf) durchaus in der Lage, sowohl fixe wie auch variable Kosten der Anbieter abzudecken.

–  Nur am Rande (ohne dies hier theoretisch vertiefen zu wollen) sei erwähnt, dass komplett kostendeckende Grenzkostenpreise – anders als es die neoklassische Theorie suggeriert –selbst für natürliche Monopole möglich sind (v.a. die Netzinfrastruktur). Dennoch sollten natürliche Monopole in der Hand des Staates bleiben. Bei unzureichenden Möglichkeiten der Preisgestaltung könnten eventuelle Defizite auch hier über Bodenrenten abgedeckt werden.

Ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen würde jedem Bürger gleiche Zugangschancen zu den natürlichen Ressourcen und den öffentlichen Gütern ermöglichen, wenn diese zu Grenzkosten bepreist werden. Hinsichtlich der Frage: „Grundeinkommen oder Einbehaltung der Bodenrenten zum Zwecke der Staatsfinanzierung?“ ist also nicht ein entweder-oder sachgerecht, sondern ein sowohl als auch. Über die Einbehaltung von Teilen der ökonomischen Renten zum Zwecke der Finanzierung des Kernstaates könnten die Steuern im Idealfall bis gegen Null reduziert werden – mit entsprechenden Folgen für Lohnnebenkosten und die Effizienz der Volkswirtschaft. Dennoch bliebe noch ausreichend Finanzmasse übrig, um dieses als Grundeinkommen auszuschütten.

Würden die öffentlichen Güter im Wettbewerb angeboten, entschieden dann die Bürger, und nicht die Politiker darüber, in welcher Form und Quantität diese in Anspruch genommen würden. Was den Zugang zu Ressourcen angeht, finden sich Ansätze eines solchen ressourcenbasierten Grundeinkommens schon heute beispielsweise im Alaska Permanent Fund. Die Möglichkeiten der Umverteilung gehen jedoch weit über dieses praktizierte Beispiel hinaus. (Ob und wie weit sich ein ressourcenbezogenes Grundeinkommen von Land zu Land unterscheidet, hängt davon ab, ob man die betreffenden Ressourcen als nationales oder übernationales Gemeinschaftseigentum betrachtet).

Im Gegensatz zu bedingungslosen Grundeinkommenskonzepten (wie v.a. von Götz Werner, 2008, propagiert) wäre ein solches ressourcenbasiertes Grundeinkommen aber bewusst nicht existenzsichernd ausgestaltet. Zudem würde es bewusst den Zusammenhang von Nutzen (aus dem Grundeinkommen) und Kosten (Finanzierung des Grundeinkommens aus den Früchten der Erwerbsarbeit Dritter) nicht aufheben, sondern im Gegenteil stärken. Neue Renten und neues Rent-Seeking soll nicht geschaffen werden. Die Entkopplung von Nutzen und Kosten (privater Bereich) bzw. Einnahmen und Ausgaben (im Rahmen der Steuerfinanzierung des Gemeinwesens) ist nämlich gerade das Prinzip der heutigen Rentenökonomie, das überwunden werden muss. Kopplung von Nutzen und Kosten bedeutet: Wenn die Gemeinschaft mit ihrer Agglomeration und ihren Infrastrukturleistungen die Bodenrente erzeugt, so steht diese auch der Gemeinschaft zu. Und wenn die natürlichen Ressourcen allen Menschen zu gleichen Teilen gehören, so stehen ihnen auch deren Erträge zu.

Erst der Steuerstaat ermöglicht heutzutage über die Entkopplung von Erträgen und Kosten auch die Privatisierung der ökonomischen Renten. Egal, wie die Steuern im Einzelfall heißen: Am Ende belasten sie entweder Arbeit, Boden oder Kapital. In der heutigen Rentenökonomie wird aber Land mit seinen Erträgen aus der Besteuerung weitgehend ausgeklammert. Kapital kann fliehen und wird daher privilegiert besteuert (daher die duale Einkommensteuer). Die volle Last der Besteuerung trifft hingegen die Arbeit. Diese finanziert somit die Infrastruktur, die die v.a. die städtischen Bodenrenten am Ende ermöglicht. Die hohen Arbeitskosten drücken zudem die Nachfrage nach Arbeit. Die schwerwiegendsten Folgen der Arbeitslosigkeit sollen wiederum durch ein soziales Netz aufgefangen werden, das abermals durch den Faktor Arbeit finanziert ist und diesen belastet. So entsteht ein Teufelskreis, der durch das Konzept von Götz Werner nicht durchbrochen, sondern noch weiter verschärft würde. Im Buch „Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird“ (2013) und in diesem Blog wurden noch weitere Beispiele für die Entkopplung von Nutzen und Kosten in der Rentenökonomie gegeben. Ein bedingungsloses, existenzsicherndes und steuerfinanziertes Grundeinkommen festigt diese ungute Entwicklung und geht somit in eine falsche Richtung.

Um einen Einwand auszuräumen: Die Forderung nach Kopplung von Nutzen und Kosten, Einnahmen und Ausgaben spricht nicht gegen sozialpolitische Sicherheitsnetze in besonderen Lebenslagen, und sie spricht auch nicht gegen die sachgerechte Entkopplung in anderen Bereichen, wie z.B. der Kultur.

Ansonsten bewegt man sich – wie es heutzutage der Fall ist – auf eine Entkopplung im Wirtschaftsbereich zu (Rentenökonomie);  gleichzeitig wird eine zunehmende Kopplung von Nutzen und Kosten in anderen Lebensbereichen hergestellt. Letzteres bedeutet aber nichts anderes als eine sachfremde Durchökonomisierung des sozialen Bereichs und der Kultur.

Literatur:

Andres, F. (o.J.): Wem gehört die Erde, wem die Atmosphäre? INWO-Standpunkte, online: http://www.inwo.de/uploads/media/Boden_und_Klima.pdf

Barnes, P. / Pomerance, R. (2000): Pie in the sky? Online: http://community-wealth.org/content/pie-sky-battle-atmospheric-scarcity-rent

Baur, M. / Himmel, M. (2012): Ökologische Steuerreform: Pläne des Bundesrates für eine zweite Phase der Energiestrategie 2050, in: Die Volkswirtschaft, online: http://www.efv.admin.ch/d/downloads/finanzpolitik_grundlagen/els/06_Baur_d.pdf

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München: Droemer Knaur.

Homepage von Fred Harrison: http://www.sharetherents.org/

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg (Metropolis), online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32, online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

Mietpreisbremse: Der Weisheit letzer Schluss? – Ein Plädoyer für ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen

Dirk Löhr

Noch sind sie nicht verheiratet, und schon kommt als uneheliches Kind eine Missgeburt zur Welt. Sein Name ist „Paket für bezahlbares Bauen und Wohnen“. Als Reaktion auf das Desaster am Wohnungsmarkt – v.a. in Universitätsstädten – will die Politik Handlungskompetenz vorschützen. Endgültig entschieden ist allerdings noch nichts, die Parteivorstände müssen den vorläufigen Beschlüssen noch zustimmen.

Dabei hätte man kein Prophet sein müssen um zu erkennen, dass ein Doppeljahrgang an Studieneinschreibern Engpässe verursachen wird. Rechtzeitig agiert hatte die Politik freilich nicht. Im Gegensatz zu den Lenkern dieses Landes können aufmerksame Leser dieses Blogs allerdings kaum verwundert darüber sein, dass eine höhere Nachfrage, verbunden mit einem tiefen Realzins sowohl einen Anstieg der Bodenrenten als auch höhere Bodenpreise hervorbringen muss – und dies äußert sich eben u.a. in steigenden Mieten.

Die erste Gegenmaßnahme der Großkoalitionäre im Rahmen des genannten Paketes ist die „Mietpreisbremse“. So soll in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten die neue Miete bei einem Wechsel des Mieters begrenzt werden. Sie darf maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen, Bestandsmieten sollen in angespannten Wohnungsmärkten künftig in vier Jahren höchstens um 15 Prozent steigen dürfen – bisher gilt dies für eine Frist von drei Jahren. Dabei soll es den Bundesländern überlassen bleiben, ob sie die Regelungen umsetzen wollen.

Soll die Mietpreisbremse wirksam werden, stellt sie im ökonomischen Sinne nichts anderes als eine administrierte Preisobergrenze dar. Erfahrungen mit derartigen Markteingriffen hat man in der Vergangenheit in verschiedenen Märkten schon reichlich sammeln können. Sie waren nicht positiv. U.a. bekommen die Wohnungseigentümer so einen Anreiz, bei der Instandhaltung und anderen Kosten zu sparen. Ökonomen sind daher im Allgemeinen wenig über eine solche Regelungen erquickt – wird doch das Angebot ausgebremst und gleichzeitig die Nachfrage künstlich erhöht. Die Lücke muss im Extremfall durch willkürliche und gleichheitswidrige Zuteilung geschlossen werden. Allerdings wird die Mietpreisbremse voraussichtlich weniger heiß gegessen als gekocht. Ihre faktische Wirkung dürfte nämlich beschränkt sein. In einigen Bundesländern existiert bereits eine ähnliche Regelung. De facto hilft sie  aber nur wenigen Mietern. Die Wohnungsknappheit und der Markt schreiben eben eigene Gesetze. Die Stiftung Warentest schätzt, dass nur höchstens fünf Prozent der Mieterhöhungen die Kappungsgrenze eine Rolle spielen dürfte – insofern dürfte die Mietpreisbremse viel politisches Getöse sein, das mit wenig (positiver wie negativer) Wirkung verpuffen wird. Ohnehin kann das grundsätzliche Problem, nämlich die den hohen Mieten zugrunde liegende Knappheit, durch eine Preisobergrenze alleine nicht beseitigt werden.

Zumal die Mietpreisbremse nicht nur die Mieten, sondern auch das Wohnungsangebot tendenziell beschränkt, wollen die Großkoalitionäre als weitere Maßnahme den Wohnungsneubau in Gebieten mit Wohnungsnot stimulieren. Das Paket möchte „bezahlbares Bauen“ erreichen. Nun kostet allerdings z.B. ein freistehendes Eigenheim (120 qm, mit Garage, mittlere bis gute Wohnlage) in Gelsenkirchen und Salzgitter ca. 130.000 Euro, in den „Spannungsgebieten“ Freiburg i.Br. 520.000 Euro und in München 710.000 Euro. Die Zahlen stammen aus 2011, die Abstände dürften zwischenzeitig noch einmal gewachsen sein. Aber warum diese Abstände? Sind Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter in Freiburg oder München so viel teurer als in Gelsenkirchen? Dann würde sich ein Bauherr aus Freiburg oder München eben Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter kommen lassen. Nein, die Preisunterschiede bestehen beim Boden – und resultieren aus Unterschieden in der Bodenrente. Standorte für Wohnungsbau sind in Freiburg und München wesentlich stärker nachgefragt als in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Diese knappen Standorte sind auch der limitierende Faktor für den Wohnungsneubau. Wenn die Großkoalitionäre nun daran denken, die vor einigen Jahren abgeschaffte degressive Abschreibung (“degressive Afa”) für Anlagen im Mietwohnungsneubau wieder einzuführen, handeln sie wie ein mittelalterlicher Arzt, der gegen Pestgeschwüre nur mit Schönheitspflästerchen aufzuwarten hat. Solche Leute nennt man gemeinhin „Scharlatan“. Schließlich führen Steuernachlässe – genauso wie Subventionen – zu höheren Bodenrenten, die durch die steuerzahlende Gemeinschaft finanziert werden. Ein schönes Umverteilungsprogramm von unten (Steuerzahler) nach oben (Grundstückseigentümer). Die höheren Bodenpreise, die aus den steuerlich subventionierten Bodenrenten hervorgehen werden, erzeugen einen Preisauftrieb bei Grundstücken und dürften so die Eigentumsbildung für untere und mittlere Einkommensschichten noch einmal weiter erschweren. Last but not least wird der ökologisch bedenkliche Flächenverbrauch durch derartige Maßnahmen weiter vorangetrieben. Freude kommt allerdings nicht nur bei den Grundstücksbesitzern auf, sondern auch bei Developern, die über den Wertzuwachs der zu Bauland konvertierten Grundstücke auf Kosten der Allgemeinheit noch mehr Bodenrenten und Bodenwertzuwächse in ihre privaten Taschen umleiten können.

Ein dritter Vorschlag setzt an den Maklergebühren an. Bislang müssen häufig die Mieter für die Maklergebühren aufkommen. Nach Planung der Großkoalitionäre sollen Vermieter, die einen Makler einschalten, diesen fortan selbst bezahlen. Klingt gut und entspricht auch grundsätzlich dem Verursacherprinzip. Allerdings sollte man sich hiervon nicht zu viel erhoffen. Wirtschaftlich gesehen ist derjenige, der die Gebühren zahlt, nämlich nicht unbedingt derjenige, der sie auch wirtschaftlich trägt. Maklergebühren können überwälzt werden; die Vermieter werden die Gebühr gerade in Märkten mit hoher Wohnungsknappheit in die Miete einpreisen und sich zuungunsten der Mieter schadlos halten. Ähnliches gilt übrigens auch bezüglich anderer Belastungen, wie z.B. der in einigen Bundesländern erhöhten Grunderwerbsteuer oder gesetzlich erzwungener erhöhte Aufwendungen für energetische Sanierung.

Also: Pfusch auf der Baustelle, nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit den skizzierten halbgaren Beschlüssen sind die Großkoalitionäre mit ihrem Latein offensichtlich am Ende. Zugegeben, die Thematik ist nicht einfach, und mit dem Wissen der ökonomischen Ratgeber können unserer Politiker das Problem auch nicht lösen.

Man kann – wie die Großkoalitionäre – an Symptomen kurieren, man kann aber auch an die Wurzeln gehen. Dazu bräuchte man allerdings Visionen, die über das übliche politische Durchgewurschtel hinausgehen. Man landet dann unweigerlich bei Ideen, die bis auf die Vorgänger von Adam Smith zurückgehen. Am weitesten verbreitet wurden sie wohl vom amerikanischen Bodenreformer Henry George. Dieser schlug eine Abschöpfung der Bodenrente durch entsprechende Abgaben vor.

Die derzeit hohen Bodenrenten werden nämlich nur beschränkt durch eine Erhöhung des Neubaus an Wohnungen zurückgeführt werden können. Diese Rückführung könnte man jedoch – auch ohne unnötigen Flächenverbrauch – erreichen, wenn mehr ungenutzte oder untergenutzte Bestände vor allem in den Innenbereichen mobilisiert werden könnten. Eigentümern ungenutzter oder untergenutzter Bestände könnten zu einem höheren Angebot bewegt werden, indem sie – unabhängig davon, wie intensiv ihre Bestände genutzt werden – in Höhe ihres Nutzungsvorteils zur Kasse gebeten werden. Dieser Nutzungsvorteil entspricht aber eben der Bodenrente. Genauso würden spekulativ vorgehaltene oder ineffizient genutzte Immobilien zur Miete oder zum Kauf angeboten, würde man sie in Höhe der an ihnen heftenden Bodenrente belasten. Will man primär die Potenziale in den Innenbereichen noch stärker ausschöpfen, dürfte die Entwicklung neuer Baugebiete allerdings nicht mehr wie heute üblich geschehen: Indem nämlich v.a. private Landentwickler an den Bodenrenten und am Bodenwertzuwachs profitieren (value capture). Vielmehr müssten diese auf Grundlage öffentlich nachvollziehbarer Verträge für ihre Auslagen entschädigt werden, wobei natürlich auch ein entsprechender Gewinn eingepreist sein darf (cost covering). Dies würde zudem – Seitens der Developer – den Druck nehmen, die Planungsinstanzen auf der Suche nach neuen Renten aus der Landentwicklung zu vereinnahmen (state capture).

Statt sich dieser (und anderer) Aspekte anzunehmen, sichert die Politik der Großkoalitionäre faktisch die private Vereinnahmung der Bodenrente ab. Diese wird jedoch keinesfalls von den privaten Grundstückseigentümern und Developern geschaffen. Vielmehr handelt es sich um eine Leistung der Allgemeinheit. Nutzen (Bodenrenten) und Kosten (Inwertsetzung, Verzichtskosten) sind in unserer Rentenökonomie voneinander entkoppelt; die Folge ist u.a. ein Versagen der Grundstücksmärkte. In Deutschland kämpft v.a. die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ (http://www.grundsteuererform.net) diesbezüglich um einen ersten Schritt in eine andere Richtung.

Würde man das Potenzial an Bodenrente (von genutzten wie un- und untergenutzten Grundstücken) hingegen konsequent abschöpfen , könnte der Staat genug von dem Aufkommen einbehalten, um seine Kernaufgaben (v.a. Infrastruktur, Sicherheit) zu bestreiten. Andere Steuern könnten dabei zeitgleich stark reduziert, eventuell abgeschafft werden („tax shift“). Einige Ökonomen, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz haben gezeigt, dass so im Idealfall das gesamte Staatswesen finanziert werden könnte (“Henry George-Theorem“). Dies v.a. vor dem Hintergrund, dass dasselbe Prinzip auch auf andere „bodenähnliche“ Vermögenswerte angewendet werden kann, wie Wasser, die Atmosphäre, die Biodiversität, das elektromagnetische Spektrum etc. etc. – all dies (und noch viel mehr) ist nämlich „Land“ im Sinne der klassischen Ökonomen (und von Henry George).

Ökonomen wissen auch, dass eine solche Abgabe auf die Bodenrente – eine stringente Landnutzungsplanung vorausgesetzt – nicht auf die Mieter / Nutzer überwälzbar ist – sie ist vom Grundstückseigentümer zu tragen. Mit der Abschöpfung der Bodenrente werden die Grundstückseigentümer als Nutznießer für die Kosten der Inwertsetzung ihrer Grundstücke zur Kasse gebeten. Wer die Nutzen hat, trägt auch die Kosten – eigentlich ein zutiefst marktwirtschaftliches Prinzip.

Nachdem die Kernaufgaben des Staates (Sicherheit, Infrastruktur, Planung etc.) finanziert sind, könnte man den verbleibenden Rest an Bodenrente als ressourcenbasiertes Grundeinkommen an die Bürger ausschütten. Wenn die Knappheit an Land und damit die Bodenrente steigt, würde es für die Bürger zwar teurer. Allerdings würden dann auch die Ausschüttungen höher. So könnte man sich auch eine höhere Miete wieder leisten – dies gilt angesichts der relativ geringeren Wohnansprüche und der relativ (zum Einkommen) höheren Ausschüttungen v.a. für kleine und mittlere Einkommen. Die Rückverteilung der Bodenrenten wirkt insoweit besser als jede heutige (Miet-) Subvention. Über ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen erhält jeder Bürger die Möglichkeit des durchschnittlich gleichen Zugangs zum Boden.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do