Let’s talk about tax: Steuern und Steuerstaat

Dirk Löhr

EUR_10_obverse_(2002_issue)Was sind Steuern, und was ist der Steuerstaat? Die kurze Antwort: Die Kehrseite der Privatisierung der ökonomischen Renten, die durch die Gemeinschaft geschaffen wurden. Die lange Antwort fällt ein wenig komplizierter aus.

Illustrieren wir die Problematik anhand der Bodenrenten (Bodenerträge): Wenn sich Fachkräfte in Agglomerationen wie München oder Hamburg ballen, spürt man dies in der erhöhten Produktivität dieser Metropolen. Sie übersteigt wesentlich die Produktivität in der Peripherie (Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern). Voraussetzung für eine solche Agglomeration ist aber eine entsprechend dichte öffentliche Infrastruktur (z.B. Straßen, Schienen, Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser). Wird die Agglomeration hierdurch produktiver gemacht, so spürt man dies an den Bodenrenten und Bodenwerten: Die Bodenrenten stellen den sozialen Überschuss dar, und sie steigen infolge der erhöhten Produktivität an. Dieser soziale Überschuss fließt aber größtenteils starken privaten Akteuren zu. Doch die öffentliche Infrastruktur, und auch die Agglomeration von Fachkräften (die arbeitsteilig zusammenwirken) kostet Geld – viel Geld. Die öffentlichen Leistungen – als Basis der Agglomeration – werden jedoch größtenteils öffentlich – durch den Steuerzahler – finanziert. Die Kosten werden also weitgehend auf schwach organisierte Gruppen abgewälzt (cf. Tullock 2005) – darunter die Steuerzahler. Daher bewirkt die Privatisierung der Bodenrente eine Durchbrechung des Äquivalenzprinzips – die Bodeneigentümer ernten, wo andere gesät haben, sie sind die Nutznießer der öffentlichen Investitionen, für die die Steuerzahler zwangsweise aufzukommen haben.

Nutzen und Lasten der öffentlichen Finanzierung sind also im Steuerstaat entkoppelt. Machen wir uns das Ganze noch einmal an einem konkreten Beispiel klar (vgl. Löhr 2013):

Nehmen wir an, Hans sucht eine Mietwohnung in Hamburg oder München. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Doch nehmen wir an, Hans im Glück bekommt den Zuschlag. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt vielleicht das fünf- bis siebenfache der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer eine höhere Bodenrente als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierten Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer. Nur aufgrund dieser gemeinschaftlich geschaffenen Vorteile hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Hans im Glück hat nun einen Job, so dass von seinem Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten wird. Er kauft ein, und bei fast jedem Einkauf ist Umsatzsteuer fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat – was dem Vermieter indirekt zu Gute kommt. Nutznießer ist also in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte.

Um die Konsequenzen der Entkopplung von Nutzen und Lasten aus öffentlichen Leistungen wirklich verstehen zu können, benötigt man einen „archimedischen Punkt“. Einen solchen stellt das Henry George-Theorem dar (auch bekannt als George-Hotelling-Vickrey-Theorem). Hiernach könnten unter idealen Bedingungen (optimale Bevölkerungsgröße etc.) alle öffentlichen Güter allein aus der (Boden-) Rente finanziert werden (Arnott and Stiglitz, 1979; Atkinson and Stiglitz, 1987), ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste.

Tabelle: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Volkseinkommen
Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen <=> Löhne (Arbeit)
Zinsen (Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=> Renten (Land im weiten Sinne)

Das Henry George-Theorem kann aber eben auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen.  Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird. Ohne öffentliche Infrastruktur könnten die Vorteile von Agglomerationen nicht genutzt werden.

Erst die öffentliche Infrastruktur macht die Produktion von privaten Gütern und Dienstleistungen möglich. Wenn man überhaupt – neben Arbeit, Boden und Kapital – noch eine Kraft in den Rang eines vierten Produktionsfaktors erheben will, so die (öffentliche) Infrastruktur (dies ist jedenfalls wesentlich sinnvoller als ein vierter Produktionsfaktor „Wissen“, was ja auf nichts anderes als eine Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit“ hinausläuft). Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Gütern und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (Marshall, 1920). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden (Harrison, 2006).

Das Henry George-Theorem korrespondiert auch mit der Erkenntnis von Adam Smith, dass – da Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte (Smith 1776). Es ist die Regierung bzw. der Staat, der die rententragenden Vermögensgegenstände in Wert setzt. Was würde beispielsweise mit den Bodenwerten in München passieren, wenn die bayerische Landesregierung durch die Taliban ersetzt würde? Man möge sich die auf der Hand liegende – flapsige – Antwort verkneifen: Das Resultat könnte am Bodenwertniveau sehr deutlich abgelesen werden.

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Güter aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen.  Wenn stattdessen die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Güter verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Güter auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen und Kosten im Steuerstaat (Löhr 2013).

In nahezu allen Rechtsordnungen werden Steuern als voraussetzungslose Zwangsabgaben an den Staat definiert. Es existiert kein individueller Anspruch auf Gegenleistung, und keine Äquivalenz zwischen Geben und Nehmen. Zudem fließen gemäß dem sog. „Nonaffektationsprinzip“ alle Steuern in einen „großen Topf“, aus dem dann die Verwaltung für alle möglichen Zwecke Geld entnimmt. Steuern werden also normalerweise nicht zweckgebunden vereinnahmt (Löhr 2013).

Somit zahlt der Steuerbürger unter Zwang ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung, und auf der anderen Seite wird das Geld ohne Rücksicht auf seine Herkunft verausgabt. Im Steuerstaat liegt daher eine zweifache Entkopplung vor. Diese doppelte Entkopplung ist einerseits der Grund für Steuervermeidung und Steuerhinterziehung – eine rationale Reaktion, wenn für den Bürger nur Kosten vorliegen, ohne dass man einen Nutzen hat. Auf der anderen Seite wird der Verschwendung durch die Administration Tür und Tor geöffnet – es ist ja schließlich nicht das eigene Geld, mit dem man so großzügig umgeht. Also: Einerseits a) Steuervermeidung Seitens der Bürger (die keine Gegenleistung sehen) und andererseits b) Verschwendung Seitens der Administration (die mit dem Geld der Bürger eigene Ziele verfolgt; man denke an das Drohnendebakel der Bundeswehr, an Stuttgart 21 oder die “Bankenrettungen”) – genauso, wie die Entkopplung von Nutzen und Kosten im privaten Sektor ursächlich für Marktversagen ist, verursacht somit die Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben Staatsversagen. Bei Marktversagen entstehen zu viele Güter, deren Kosten auf andere Wirtschaftsteilnehmer abgewälzt werden (externe Kosten). Andererseits gibt es zu wenig Güter, die auch für andere Wirtschaftsteilnehmer Nutzen spenden (externe Nutzen). Staatsversagen bezieht sich auf Politiker und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, die anderer Leute Geld (das der Steuerzahler) wenig Nutzen stiftend ausgeben, so dass nicht mehr ausreichend Mittel für notwendige, Nutzen Stiftende Ausgaben zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig sichert der steuerbasierte Staat das passende Eigentumsrecht ab, das die Privatisierung der ökonomischen Renten sichert. Allerdings ist die Privatisierung der Renten nicht nur im Rahmen von Privateigentum, sondern auch in einem korrupten Pachtsystem möglich, wenn der Pächter den Löwenanteil der Bodenrente in die eigene Tasche wirtschaften kann und nicht an die Öffentlichkeit abzuführen hat.

Auch die Verteilungswirkungen des Steuersystems müssen gesehen werden. Egal, ob es sich um die Einkommen-, die Umsatz-, die Gewerbe- oder gar die Hundesteuer handelt: Am Ende treffen alle Steuern entweder die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital oder Boden. Die Bodenrenten sind in unserer Gesellschaft eine heilige Kuh und werden kaum angetastet. Geldkapital kann leicht ausweichen, nach Österreich, Luxemburg oder in die Schweiz. Ähnliches gilt – langerfristig – sogar für Sachkapital: Es wird einfach nicht mehr gebildet oder ersetzt, wenn es zu bunt wird. Nur Arbeit kann nicht ausweichen und steht unter permanentem Angebotsdruck: Das wusste bereits Karl Marx, und dieser Angebotsdruck ist auch ein wichtiges Erklärungsmuster bei Silvio Gesell (1949). Dieser schwächste Faktor hat – entweder direkt oder durch Überwälzungen – den Löwenanteil der Steuerlasten zu tragen. An anderer Stelle (Blogbeitrag „A kind of magic: Die 70-30-Regel der Rentenökonomie“) haben wir die funktionale Umverteilungswirkung (hin zu den Empfängern ökonomischer Renten) auf ca. 20 -30% des Volkseinkommens geschätzt. Allerdings ist sie in personeller Hinsicht diffus, da gerade Teile des Mittelstandes nicht nur belastet werden, sondern auch ökonomische Renten vereinnahmen. Diese Intransparenz mildert einerseits die Umverteilungswirkungen, korrumpiert jedoch andererseits gerade den Mittelstand, der sich auf der Sonnenseite des Systems wähnt und die Belastungen als durch die Steuern, und nicht durch die ökonomischen Renten verursacht wahrnimmt. In Wirklichkeit dürfte gerade der Mittelstand (solange er nicht über ein hohes Nettovermögen) verfügt, eher Leidtragender des Systems sein. Über die Entkopplung von Nutzen und Lasten ist der Steuerstaat ein wesentlicher Grund für die Erosion des Mittelstandes.

Schließlich wirken Steuern auch entmutigend. Je komplizierter ein Steuersystem und je höher die Steuerlast, umso kleiner wird der Kuchen. Ökonomen bezeichnen dies als „steuerliche Zusatzlasten“. Gleichzeitig werden die besteuerten Faktoren teurer und verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Nahezu die Hälfte des Bruttolohns geht heutzutage für Lohnzusatzkosten drauf. Die Konsequenz: Schwarzarbeit und Steuerumgehung, sowie eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit (s. beispielsweise den Blogbeitrag „Luftkampf: Abschuss des Kranichs“). Dies alles reduziert den sozialen Überschuss. Insgesamt richtet der Staat durch die Besteuerung mehr volkswirtschaftlichen Schaden an, als er durch die Besteuerung an Geld einnimmt (Löhr 2013). Effizient geht anders. Die effektive Grenzsteuerbelastung bezeichnet diesen Schaden in Prozent: Angenommen, der Grenzsteuersatz bei der Einkommensteuer liegt bei 25 %, aber es entsteht aufgrund der oben genannten Effekte für 2.000 zusätzlich verdiente Euro ein Schaden i.H.v. 1.000 Euro: Dann wäre der Grenzsteuersatz schon 75 %. Knüpfen die Sozialversicherungsbeiträge noch an dieselbe Bemessungsgrundlage an, wäre der effektive Grenzsteuersatz noch höher.

Was wäre effizient? Zunächst einmal wären sämtliche Renten aus „Land“ i.w.S. zugunsten der Finanzierung des Gemeinwesens abzuschöpfen (bei rechtlichen Monpolen wäre die Rechtsordnung derart zu modifizieren, dass Monopolrenten erst gar nicht entstehen können). Den weiteren Weg gibt die orthodoxe ökonomische Theorie vor: Um den sozialen Überschuss (und die Bodenrente ist nichts anderes als das) zu maximieren, wären Grenzkostenpreise optimal. Dabei können öffentliche Güter nicht anders als private Güter behandelt werden. Ganz im Gegenteil gilt das Gesetz des einen Preises: Es ist nämlich geradezu eine Bedingung für die Wohlfahrtsoptimalität von Grenzkostenpreisen, dass diese universal eingeführt werden – die Preisbildung sollte also im privaten wie im staatlichen Sektor einheitlich, an Grenzkosten bemessen, erfolgen.  Dies verweist auf einen Gebührenstaat, für den – im Gegensatz zum Steuerstaat – das Prinzip „Leistung-Gegenleistung“ gilt. Dabei kann er sich ruhig privater Agenten bedienen, die u.U. sogar im Wettbewerb zueinander stehen können.

Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche (wie z.B. Kultur und Wissenschaft oder das soziale Auffangnetz) nach anderen Kriterien betrieben werden müssen. Hier ist eine Entkopplung von Leistung und Gegenleistung sachgerecht, damit auch eine Finanzierung durch Steuern. Die Effizienzeinbußen sind insoweit hinzunehmen, zumal das System Gesellschaft einer Mehrzahl von Leitwerten (Bossel 1998) genügen muss – nicht nur der Effizienz. Effizienz ist kein absoluter Wert.

Die Einwände gegen den Gebührenstaat liegen auf der Hand:

(1) Mit Grenzkostenpreisen ließe sich insbesondere bei steigenden Skalenerträgen, wie sie z.B. allgemein für natürliche Monopole und speziell für Netzinfrastruktur (Schienen-, Gas- Elektrizitätsnetze etc.) typisch sind, keine Vollkostendeckung erreichen – die Grenzkosten liegen hier nämlich unterhalb der Durchschnittskosten. Dem ist zuzustimmen.

Dennoch könnte man die Fixkosten solcher Infrastrukturen aus den Bodenrenten abdecken. Heutzutage wird dies nicht getan. Folglich müssen die Bürger für die Nutzung von öffentlichen Einrichtungen mehr als die Grenzkosten entrichten – weil die Bodenrente eben verschenkt wird, anstatt sie für die Abdeckung der Fixkosten der Infrastrukturen zu verwenden. Wenn die Bürger für die Nutzung von Einrichtungen – egal unter welchem Rechtskleid –  mehr als die Grenzkosten aufbringen müssen, handelt es sich wirtschaftlich gesehen insoweit aber immer um eine Steuer. Es würde hingegen marktwirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen, wenn der Bürger als Verursacher einer staatlichen Leistung nur mit den Kosten belastet wird, die er durch die Inanspruchnahme verursacht. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen etc. (also “Land” im weiten Sinne). Viele der heutigen “hippen” „Privatisierungsmaßnahmen“ (wie vor allem Public Private Partnerships) stellen in wirtschaftlicher Hinsicht lediglich eine Privatisierung der Steuereintreibung dar  („tax farming“), was nicht unbedingt ein zivilisatorischer Fortschritt ist.

(2) Der zweite Einwand: Ein Gebührenstaat wirkt regressiv und ist unsozial. Dies ist allenfalls bei Vollkostenfinanzierung richtig. Bei Grenzkostenpreisen für öffentliche Leistungen könnte diese Aussage jedoch selbst dann nicht gehalten werden, wenn sämtliche Einnahmen aus ökonomischen Renten in der öffentlichen Hand zur Finanzierung verblieben. Allerdings würde dieser Weg (der auf eine „single tax“ hinausläuft) auf die Präferenzen der Bürger keine Rücksicht nehmen.

Vorzugswürdig wäre es, wenn der Staat nach Abdeckung der Fixkosten der öffentlichen Leistungen die darüber hinaus gehenden Einnahmen (aus der Abschöpfung von Renten) wieder an die Bürger in gleichen Teilen zurückverteilt (rentenbezogenes Grundeinkommen; vgl. Schreiber-Martens 2007). Auf Grundlage dieser Zahlungen haben alle Bürger in gleicher Weise die Möglichkeit, öffentliche Leistungen zu Grenzkostenpreisen in Anspruch zu nehmen. Die Bereitstellung müsste nicht unbedingt durch staatliche Institutionen, sondern könnte auch durch private Anbieter erfolgen, die öffentliche Hand hätte allerdings eine Gewährleistungsfunktion (Löhr 2013).

Wie an anderer Stelle schon dargestellt, ist das rentenbezogene Grundeinkommen nur geeignet, um den gleichen Zugang zu den öffentlichen Leistungen zu sichern. Es handelt sich hingegen um kein existenzsicherndes Grundeinkommen, da es – im Gegensatz zum Konzept des Götz Werner (2008) – den Zusammenhang Leistung – Gegenleistung erst herstellt und nicht auflöst.

Letzteres würde auch den Charakter des Staates ändern: Weg vom alles erdrückenden und dennoch ohnmächtigen Leviathan – hin zu einem sich selbst beschränkenden, aber dennoch starken Staat (von Humboldt 1792/2009): Der Steuerstaat hat – wie man z.B. gut beim Studium der Daumenschrauben in der Abgabenordnung sehen kann – einen obrigkeitlichen und repressiven Charakter. Steuerrecht ist Subordinationsrecht. Der skizzierte Gebührenstaat – in Kombination mit einem rentenbasierten Grundeinkommen – stellt den Bürger hingegen auf dieselbe Stufe wie den Staat. Gebühren wären insoweit keine Zwangsabgaben mehr – es geht um freiwillige Koordination des Einzelnen mit seinem Gemeinwesen.

Das heutige Steuersystem ist antiquiert. Es sichert Privilegien, ist ein wesentlicher Umverteilungsmotor von unten nach oben, es erodiert den Mittelstand und trägt maßgeblich zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen bei. Es verzerrt den Charakter des Staates. Es wird Zeit, darüber ein wenig Gehirnschmalz zu investieren.

 

Literatur:

Arnott, R. J. and Stiglitz, J. E. (1979), Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. In: Quarterly Journal of Economics 93, 471-500.

Atkinson, A. B., Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics, London, S. 523-525.

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München: Droemer Knaur.

Gesell, S. (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl. (Erstauflage aus 1919), Lauf bei Nürnberg.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune – Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, London.

Von Humboldt, W. (1792/2009): The Limits of State Action, ed. by J.W. Burrow, Cambridge: University Press, translation, first printed at 1792, online:http://assets.cambridge.org/97805211/03428/frontmatter/9780521103428_frontmatter.pdf

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32, online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Smith, A. (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: Methuen & Co. Ltd., online: http://www.econlib.org/library/Smith/smWN.html

Tullock G (2005): The Rent-Seeking Society (Liberty Funds, Indianapolis).

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

 

 

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