Grundsteuerreform in Frontal 21 – Stimmungsmache statt Journalismus

Dirk Löhr

Suggestivjournalismus vom Feinsten im ZDF-Politikmagazin Frontal 21 vom 22.08.2023. In einem Beitrag von Andreas Halbach „Chaos um die Grundsteuer – Ungerecht und teuer?“ wird durch eine Aneinanderkettung von Halbwahrheiten und Auslassungen Stimmung gegen die neue Grundsteuer gemacht.

Die Neuregelungen wurden erforderlich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die von 1964 (Westen) und 1935 (Osten) stammenden Einheitswerte zur Bemessung der Grundsteuer in seinem wegweisenden Urteil vom 10.04.2018 als verfassungswidrig erkannt hatte: Diese hat weder in ihrer Höhe noch in ihrer Struktur noch irgendetwas mit den Verkehrswerten zu tun.

Vorausgeschickt werden muss, dass einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Hamburg) von einer grundgesetzlichen Öffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die es erlaubt, vom Bundesgrundsteuergesetz auch in umfassender Weise abzuweichen.

Gemeinsam ist den Gesetzen in allen Bundesländern, dass sich an der bisherigen Struktur der Grundsteuer nichts ändert: Auf die Bemessungsgrundlage (die je nach Steuergesetz anders ausfallen kann) werden Steuermesszahlen angelegt, die gesetzlich vorgegeben sind. Das Ergebnis ist der Grundsteuermessbetrag. Auf diesen legen die Kommunen nun den Hebesatz an.

Die Kommunen sind gehalten, die Umstellung auf die neue Grundsteuer möglichst aufkommensneutral vorzunehmen. Wenn also die Bemessungsgrundlage um das 10-fache steigt, wäre der Hebesatz entsprechend zu verringern. Die Kritik, dass der damalige Kanzler Scholz ein entsprechendes Versprechen niemals hätte geben dürfen, ist berechtigt – denn zuständig für die Festsetzung der Hebesätze sind die Gemeinden. Lediglich das Land Niedersachsen hat die Aufkommensneutralität bei der Umstellung auf das neue Recht gesetzlich verankert (§ 7 NGrStG).

Richtig ist ebenfalls, dass viele Kommunen sich wahrscheinlich nicht an das Postulat der Aufkommensneutralität halten werden. Absehbar werden viele Kommunen die Systemumstellung für eine Steigerung der Einnahmen nutzen, da einerseits gewisse Unsicherheiten bezüglich der Einnahmen im neuen System bestehen und zweitens ein erheblicher Teil der Kommunen auch finanziell überlastet ist. Letzteres ist aber unabhängig von der Grundsteuerreform zu sehen: Das eigentliche Problem, das von Halbach auch beschrieben wird, ist die Verletzung des sog. Konnexitätsprinzips. Bund und Länder weisen den Kommunen immer mehr Aufgaben zu, ohne aber die Finanzierung sicherzustellen. Halbach verweist beispielhaft anhand der Stadt Übach-Palenberg in NRW auf den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in Grundschulen ab 2026 oder die einzurichtenden Flüchtlingsunterkünfte. Die Kommunen sind unabhängig vom Grundsteuersystem darauf angewiesen, die Hebesätze zu erhöhen, wenn sie die Finanzierung dieser zugewiesenen Aufgaben sicherstellen wollen. Dies wird bei (fast) jedem Grundsteuermodell passieren und wäre im Übrigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei einer Fortgeltung des alten Grundsteuersystems erfolgt.

Insoweit ist nichts an dem Beitrag auszusetzen.

Ärgerlich ist etwas anderes: So bemüht sich Halbach gleich zu Beginn, die Volksseele mit dem Beispiel des Freiburger Grundstückseigentümers Norbert Stalter zum Kochen zu bringen. Hierbei schürt er in unverantwortlicher Weise bestehende Ängste in der Bevölkerung im Wesentlichen. Dabei hat er insbesondere wertbasierte Grundsteuermodelle im Visier, wie sie mit der Bundesgrundsteuer sowie dem Bodenwertmodell in Baden-Württemberg verfolgt werden. Freiburg liegt bekanntlich in Baden-Württemberg, wo künftig nur der Bodenwert – ohne das aufstehende Gebäude – besteuert wird. Dem Eigentümer Stalter aus Freiburg gehört nun ein 2.500 qm großes Grundstück im Süden der Stadt mit einem Bodenrichtwert von 1.050 Euro pro qm. Der Bodenwert des gesamten Grundstücks dürfte hiernach ca. 2,6 Mio. Euro betragen. Stalter hatte des Grundstück lt. dem Bericht Ende der 80er Jahre gekauft. Zum damaligen Zeitpunkt dürfte der Bodenwert nur einen Bruchteil des heutigen Wertes betragen haben. Hätten sich die Bodenwerte wie im Rest der Republik entwickelt, wären Stalter über 2 Mio. Euro „einfach so“, ohne weiteres Zutun zugewachsen. Wahrscheinlich dürften es aber mehr gewesen sein, da sich die Bodenwerte in den aufstrebenden Städten im Süden der Republik mit einer überdurchschnittlichen Dynamik entwickelten. „Gemacht“ hat den Bodenwertzuwachs allerdings nicht Herr Stalter, sondern die Allgemeinheit, nämlich v.a. über technische, soziale und institutionelle Infrastruktur, die über Steuermittel finanziert wurden. Herr Stalter findet es aber ungerecht, dass er fortan einen möglicherweise mehr von den ihm durch anderer Leute Arbeit zugefallenen Werten an die Allgemeinheit zurückgeben muss. Genau dies ist aber der Sinn der Bodenwertsteuer, da eben nicht der Eigentümer des Bodens dessen Wert „gemacht“ hat – im Unterschied zu den Bauten, die sich auf dem Grundstück befinden und die nicht der Besteuerung unterliegen. Der Eigentümer klagt dabei, dass die Grundsteuer sich von 433 Euro jährlich nun auf über 14.000 Euro erhöhen würde. Dies würde allerdings nur dann stimmen, wenn der zukünftige, ab 2025 geltende Hebesatz vollkommen unverändert belassen würde – diesen kann aber weder Herr Halbach noch der Eigentümer derzeit kennen. Tatsächlich dürften die Hebesätze vor allem in hochpreisigen Gebieten jedoch erheblich abgesenkt werden. Die Milchmädchenrechnung des Eigentümers wird durch Halbach aber durch keinen Einwand relativiert. Lediglich gegen Ende des Beitrages wird auf einmal außerhalb des o.a. Kontextes bemerkt „Kommt es in Extremfällen so wie in Freiburg zu einer Senkung der Hebesätze …“. Die Absenkung der Hebesätze wird jedoch nicht in Extremfällen, sondern regelmäßig stattfinden. Lediglich in ländlich strukturierten Kommunen mit geringen Bodenwerten und folglich geringen Änderungen des Steuermessbetrages wird dies in geringerem Umfang der Fall sein.

Der Eigentümer lamentiert weiter, dass ein Teil seines Grundstücks aufgrund von Wegerechten etc. nur eingeschränkt nutzbar sei und er daher zu hoch besteuert würde. Wenn dies so ist, würde dies die o.a. Aussage bezüglich der 2,6 Mio. Euro relativieren. Doch wieder wird von Halbach mit keinem Wort erwähnt, dass er gem. § 38 Abs. 4 des Landesgrundsteuergesetzes Baden-Württemberg ein Gutachten beibringen könnte, in dem er die Wertbeeinträchtigung darlegt.

Halbach interviewt stattdessen – um seine Aussagen zu bekräftigen – noch einen Vermieter. Und wieder dieselbe unseriöse Suggestion: Wenn die Hebesätze unverändert blieben, käme es zu einer Verzehnfachung der Grundsteuerlast, welche die Vermietung fortan unmöglich machen würde. Die Grundsteuerlast von 225 Euro pro Mieter und Monat (!) wäre nämlich untragbar. Und für das Privatgrundstück des Vermieters (800 qm) würde die Grundsteuer um das 80-fache auf 6.800 Euro pro Jahr steigen. Noch einmal: Die Hebesätze werden aber nicht unverändert bleiben. Es wird ebenfalls nicht erwähnt, dass die Bodenwertsteuer auf lange Sicht schlechter als andere Grundsteuermodelle wirtschaftlich auf die Mieter umlegbar sind. Genauso wenig, dass es gewichtige Stimmen gibt, welche eine Umlage der Bodenwertsteuer auf die Mieter für rechtswidrig halten (dies wird allerdings noch gerichtlich auszufechten sein). Weiß Herr Halbach das alles nicht oder will er es nicht wissen?

Halbach interviewt noch einen Wirtschaftsprüfer, der angibt, dass es bei der Bodenwertsteuer insbesondere für Ein- und Zweifamilienhäuser teurer wird. Dies ist – ungeachtet der verquasten Argumentation des Wirtschaftsprüfers – zwar grundsätzlich richtig, aber es geht nicht, wie hier suggeriert, um tausende von Prozenten. Hierzu gibt es tiefgehende Belastungsverschiebungsrechnungen aus verschiedenen Quellen (s. die vertiefende Literatur im Anhang dieses Artikels), die freilich von Halbach mit keinem Wort erwähnt werden. Der Autor dieser Zeilen hat selber Belastungsverschiebungsrechnungen vorgenommen, und diese u.a. in verschiedenen Landesfinanzministerien vorgestellt bzw. diesen Einblick gewährt. Ergebnis: Bei Aufkommensneutralität wird es für die Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern moderat teurer werden – es geht hier bei höheren Bodenrichtwertniveaus um Beträge von vielleicht 50 bis 100 Euro pro Jahr. Allerdings ist dies auch so gewünscht, da diese Bauweisen besonders viel Fläche in Anspruch nehmen, die dann für die Schaffung von Wohnraum insbesondere in Ballungsräumen fehlt. Es soll ja ein sanfter Druck auf mehr Flächeneffizienz vorgenommen werden. In niedrigpreisigen, peripheren Gegenden sind hingegen die Mehrbelastungen sehr überschaubar. Auch zu diesen Aspekten kein Wort von Halbach.

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Grundsteuer einen weiten Spielraum zugestanden. Geht der Gesetzgeber folgerichtig vor, so ist eine Verschiebung der Steuerlast zwischen den Steuerpflichtigen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gerade ein Gebot für eine neue Grundsteuer. Ansonsten hätte sich das Bundesverfassungsgericht sein Urteil sparen und alles beim Alten lassen können.

Halbach interviewt in seiner offenbar bestehenden Absicht, die Grundsteuerreform zu skandalisieren, auch nur die Verlierer der Reform. Die vielen Gewinner, die diesen bei Aufkommensneutralität gegenüberstehen müssen, werden hingegen nicht benannt. Die Verlierer sind bei wertbezogenen Bemessungsgrundlagen (Bundesgrundsteuermodell und Bodenwertsteuer Baden-Württemberg) aber v.a. vermögensstarke Haushalte, die Gewinner sind eher vermögensschwache Eigentümer und Mieter, die in eher kompakten Behausungen leben.

Im Übrigen dürfte für den Laien auch nicht klar hervorgehen, worauf sich die Aussagen einiger Interviewpartner überhaupt beziehen. Florian Köbler von der deutschen Steuergewerkschaft spricht von 5 Millionen Einsprüchen gegen die Festsetzung des Steuermessbetrages. Unklar bleibt, welche Modelle von dieser Aussage umfasst sind und in welchem Maße. Hans-Joachim Beck, ehemaliger Vorsitzender des Finanzgerichts Berlin und nunmehr für den Immobilienlobbyverband IVD tätig, beklagt die Mängel des – ja welchen? – Gesetzes. Offenbar ist das Bundesmodell gemeint.  Dies alles wird jedoch ohne Abgrenzung und quasi “in einem Atemzug” mit den oben dargestellten (unhaltbaren) Vorwürfen gegen das Bodenwertmodell vorgebracht.

Die Auflistung der Mängel, Fehler und Auslassungen im Beitrag von Halbach könnte fortgesetzt werden. Frontal 21 hat in der Vergangenheit auch über das Thema Grundsteuerreform durchaus kritisch und zugleich kompetent berichtet. Der Beitrag von Halbach ist diesbezüglich leider ein journalistischer Tiefpunkt; er diskreditiert auch Halbachs eigene, bislang sehr verdienstvolle Arbeit. Der Applaus vieler Interessensgruppen, die von Haus & Grund und andere Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft, den Steuerzahlerbund bis hin zur AfD reichen, dürfte ihm sicher sein. Mit Stolz sollte ihn das nicht erfüllen. Hoffentlich war der Beitrag nur ein Ausreißer. Fehler macht schließlich jeder, und einen Schuss sollte jeder frei haben. Vielleicht hat Halbach ja die Größe, sich selbst zu korrigieren.

Zur Vertiefung (Beispiele):
R. Henger, T. Schäfer (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer. IW-Policy Paper Nr. 32, 14.10. Online: https://www.iwkoeln.de/studien/ralph-henger-thilo-schaefer-mehr-boden-fuer-die-grundsteuer.html;

D. Löhr (2023): Impacts of Property Taxes on Planning and Settlement Development – Germany as a Living Lab. Modern Economy 14 (3). Online: https://scirp.org/(S(czeh2tfqyw2orz553k1w0r45))/journal/paperinformation.aspx?paperid=123605

Wegweisendes Urteil gegen den Flächenfraß

Dirk Löhr

Die Baulandkommission hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert, als sie in ihrem Abschlussbericht 2019 trotz der im Raum stehenden Europarechtswidrigkeit empfahl, § 13b BauGB befristet zu verlängern. § 13b BauGB erlaubt den Kommunen, Bebauungspläne in einem beschleunigten Verfahren unter Außerachtlassung der durch EU-Recht vorgeschriebenen Umweltprüfungen zu erlassen. Der Sinn der Vorschrift war, eine schnellere Reaktion auf einen steigenden Bedarf nach Wohnraum zu ermöglichen, wie man ihn häufig in den Ballungsräumen infolge von Zuzügen stattfindet. Tatsächlich wurde § 13b BauGB aber offenbar intensiv v.a. von kleineren, ländlichen Gemeinden ohne angespannte Wohnungsmärkte genutzt. Dies ist auch verständlich, wenn man sich die dortige enge Haushalts- und Personalsituation vor Augen hält. Viele größere Kommunen verzichteten hingegen freiwillig auf die Anwendung von § 13b BauGB. Die Verlängerung von §13b BauGB wurde dann mit dem Baulandmobilisierungsgesetz 2021 beschlossen.

Nun stellte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem Urteil (BverwG 4CN 3.22 – Urt. vom 18. Juli 2023) fest, dass § 13B BauGB europarechtswidrig ist und gab damit einer Klage des BUND gegen eine §13b-Bebauung statt. Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung überplant werden. § 13b BauGB darf wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. 

Das Urteil könnte erhebliche Auswirkungen auf die Flächenneuinanspruchnahme gerade in ländlich strukturierten Gebieten haben.

Hintergründe:

A.-M. Buchmann (2023): BUND-Klage stoppt §13b-Bebauung: Neue Schranke für den Flächenfraß? agrarheute vom 20.08. Online: https://www.agrarheute.com/management/recht/bund-klage-stoppt-13b-bebauung-neue-schranke-fuer-flaechenfrass-610146

Haufe Online-Redaktion (2023): BVerwG: § 13b BauGB nicht mit Europarecht vereinbar. News 19.07. Online: https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/grosse-regionale-unterschiede-bei-flaechenverbrauch-in-deutschland_84342_347216.html

Niger: Opfer des Ressourcenfluchs

Dirk Löhr

Im Juli hatten die Militärs im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum gestürzt. Der westafrikanische Staatenbund ECOWAS verhängte daraufhin am 30. Juli Sanktionen gegen den Niger und setzte dem neuen Regime eine Frist, um den Präsidenten binnen einer Woche wieder einzusetzen – ansonsten erwäge man eine Militärintervention. Die Frist verstrich einstweilen folgenlos. Letzteres wohl auch deshalb, weil das Putschistenregime Beistand von den ebenfalls durch Militärs geführte Nachbarländern Mali und Burkina Faso bekam. Zwar zählt das Militär in Niger nur wenige tausend Soldaten. Wegen der offenbar vorhandenen Unterstützung der neuen Machthaber durch die besagten Nachbarländer und auch weiter Teile der Bevölkerung ist aber abzusehen, dass in Westafrika bei einem Einmarsch ein Flächenbrand entstehen könnte.

Zumal die ECOWAS vom demokratischen und westlich orientierten Nigeria angeführt wird, zeichnet man auch hierzulande gerne das Bild eines Kampfes der Demokratie gegen den Totalitarismus . Die Hintergründe werden selten dargestellt (Negativbeispiel ZDF). Die ECOWAS-Staaten – wie auch Niger vor dem Putsch – sind westlich orientiert. Mali und Burkina Faso haben sich mittlerweile Russland zugewandt. Vieles spricht dafür, dass der Niger denselben Weg geht.

Worum geht es wirklich? Im Vordergrund solcher Konflikte stehen regelmäßig zwei Aspekte: Geostrategie und Rohstoffe. „Demokratie“ ist hingegen das Märchen, um die westliche Öffentlichkeit bei Laune zu halten.

Geostrategie: Für die USA ist der Niger eine wichtige Militärbasis mitten in der Sahelzone, über die auch in die Nachbarländer hinein Kontrolle ausgeübt werden kann. Im Niger haben die USA mit der Air Base 201 eine ihrer größten und wichtigsten Drohnenbasen. Obwohl für die USA also ziemlich viel auf dem Spiel steht, halten sie sich bislang erstaunlich zurück. Bislang versuchen sie offensichtlich, ihre Interessen (u.a. über Victoria Nuland – “Fuck the EU“) auf dem Verhandlungsweg zu wahren.

Rohstoffe: Nicht so Frankreich. Frankreich geht es in erster Linie um das Uran: Mehr als ein Viertel des Nachschubs kam zuletzt aus dem Niger. Würden diese Lieferungen wegfallen, bedeutete dies eine essentielle Gefahr für die wirtschaftliche und politische Stabilität in unserem Nachbarland. Weniger bekannt ist, dass der Niger auch über enorme Erdölreserven verfügt. Schätzungen belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Barrel. Schließlich gibt es auch reichhaltige Goldvorkommen. Es verwundet daher nicht, dass auch Frankreich mehr oder weniger unverhohlen mit dem Säbel (in Gestalt der Fremdenlegion) rasselt. In den hiesigen Nachrichtensendungen hört man hierüber freilich wenig – die Frauenfußball-WM scheint wichtiger zu sein.

Von seinem Ressourcenreichtum hat der Niger indessen nicht profitiert. Das Land ist ein typisches Beispiel für den Ressourcenfluch: Die rohstoffreichsten Länder haben die ärmste Bevölkerung. Von 192 Ländern nimmt der Niger Position 187 ein, mit einem BIP pro Kopf von 1.310 Dollar (zum Vergleich Deutschland: 51.238 Dollar). Die Unterentwicklung ist dabei das Resultat einer Überausbeutung. Wie fast alle Länder in der Region ist auch der Niger eine ehemalige französische Kolonie. Die Entlassung in die Unabhängigkeit geschah um den Preis sehr ungleicher Handelsverträge, die Frankreich das Recht gab, Rohstoffe zu einem deutlich unter dem Weltmarkt liegenden Preis zu beziehen. Die Terms of Trade befanden sich daher von Anfang an in einer gewaltigen Schieflage. Soweit das Land überhaupt von den Rohstoffen profitierte, ging das Geld an die einheimischen Eliten.

Ein Übriges tut dann noch der Franc CFA, eine von der französischen Nationalbank gesteuerte Währung für die ehemaligen Kolonien. Diese ist mit dem Euro fest verbunden – dies macht die ehemaligen Kolonien mit 150 Millionen Menschen zu heimlichen Euro-Mitgliedern, freilich ohne jegliche Einflussnahme auf die Geldpolitik. Die Währung ist nun aber deutlich zu stark für den wirtschaftlich schwachen Niger – das Problem ist sozusagen „Griechenland hoch zehn“. Der ungünstigen Kostensituation der Wirtschaft kann der Niger nicht mit Abwertungen begegnen. Frankreichs Rohstoffimporte ficht das freilich aufgrund der Handelsverträge nicht an. Und: Die Elite bringt das Geld außer Landes, vorzugsweise nach Europa.

Es verwundert nicht, dass das westliche Geschwätz von „Demokratie“ in den betroffenen Ländern als heuchlerisch wahrgenommen wird – als Fassade, hinter der die Ausbeutung der betreffenden Staaten weiter vollzogen werden kann, die es den dortigen Menschen nicht erlaubt, in Würde wenigstens mit dem Existenznotwendigen zu leben. Eine Regierung, die sich de facto an Frankreich verkauft hatte, war für die Putschisten nicht länger tolerabel.

Niger, Burkina Faso und Mali eint, dass sie vom westlichen Neokolonialismus die Nase gestrichen voll haben. Trotz ehemals z.T. enger Verbindungen mit den USA orientieren sich die Führer der drei Länder an antikolonialen, teils marxistischen Vorbildern – mit Blick auf die dortigen Ökonomien sind das freilich auch keine guten Aussichten. Sie wenden sich – als Alternative zum Westen – Russland und China zu. Beide Länder haben auf dem afrikanischen Kontinent schon beachtliche Einflusssphären errichtet – Russland eher militärisch (hier ist auch die Wagner-Gruppe von Bedeutung), China vor allem wirtschaftlich. Russland wird die Chance hier ergreifen, wenn sie sich bietet – ungeachtet dessen, dass es den Militärcoup offiziell verurteilt hat. An den Chinesen wird geschätzt, dass diese mit ihren Investitionen die betreffenden Länder wirtschaftlich voranbringen und auch größtenteils fairere Konditionen als der „wertegeleitete Westen“ offerieren. Zudem gibt es keinen erhobenen Zeigefinger und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betreffenden Staaten.

Man kann nur hoffen, dass der Konflikt um den Niger friedlich beigelegt wird – ansonsten droht in Westafrika die Gefahr eines Flächenbrandes, der die Region noch weiter zurückwerfen kann. Dass die Sache für die ECOWAS gut ausgeht, ist u.a. angesichts des Wagner-Engagements keineswegs sicher. Das mag auch die offenbare Lustlosigkeit der ECOWAS-Staaten bezüglich einer Militärintervention erklären. Potenziell könnte auch Deutschland bei der Beilegung des Konflikts eine Rolle spielen – allerdings nicht mit einer Außenministerin, die offenbar nicht Nigeria von Namibia unterscheiden kann, und die – anstatt die Interessen ihres Landes wahrzunehmen – den USA in Vasallentreue folgt und Staaten mit anderer Kultur und anderem politischen System mit erhobenem Zeigefinder anzeigt, wie am deutschen Wesen die Welt genesen soll.

Quellen und zugleich Lese- und Hörempfehlungen:

B. Norton (2023): US/France threaten intervention in resource-rich Niger: Fears of war in West Africa. Geopolitical Economy vom 05.08. Online: https://geopoliticaleconomy.com/2023/08/05/us-france-intervention-niger-west-africa/?fbclid=IwAR3zyGkHI820Uxh7QTujX2wsSyFO47GgJ7qfrT9amyUb7bWFLFQ0lHMuxJQ

O. Schalk (2023): Niger coup will have global ramifications for the US, France and Canada. Canadian Dimension com 09.08. Online: https://canadiandimension.com/articles/view/niger-coup-will-have-global-ramifications-for-the-us-france-and-canada?fbclid=IwAR1bD-ctMeugR2_pCLwKxja2Z4n2RTE6JovQ3y8mOMfvuSLmM-eUBbu-7fo

B. Schmidt (2023): Niger: Kriegsgefahr in Afrika wächst – aggressives Frankreich und lavierende USA. Telepolis vom 11.08. Online: https://www.telepolis.de/features/Niger-Kriegsgefahr-in-Afrika-waechst-aggressives-Frankreich-und-lavierende-USA-9240968.html?seite=all

Hörenswert als Hintergrundinformation auch: BTO 2.0 (2022): Die 150 Millionen vergessenen Euro-Mitglieder. Podcast/Interview von D. Stelter mit B. Kappeler vom 22.04. Online: https://think-beyondtheobvious.com/stelters-lektuere/die-150-millionen-vergessenen-euro-mitglieder/

S. Ritter (2023): Westen hat keine Ahnung, worauf er sich einlässt”. Gegenpol-Interview vom 11.08. Online: https://www.youtube.com/watch?v=TZENEK5nN1c