Category Archives: Asset price inflation

Gestörter Reflux oder: Was hat Inflation mit Privateigentum an Boden zu tun?

Dirk Löhr

Gegenwärtig treibt wieder einmal das Thema Inflation die Menschen um. Grundlegend für das Verständnis von Inflation ist die Fisher-Verkehrsgleichung:

M x V = P x Y.

M ist hierbei die Geldmenge, V die Umlaufgeschwindigkeit, P das Preisniveau und Y das Handelsvolumen. Die linke Seite der Gleichung ist die monetäre Seite, die rechte die realwirtschaftliche Seite. Es handelt sich bei der Fisher-Gleichung um eine Tautologie – sie ist immer erfüllt.

Für den gegenwärtigen Inflationsschub wird gerne der Angriffskrieg Russlands verantwortlich gemacht und die Ursachen damit auf der Angebotsseite (realwirtschaftliche Seite) verortet. Diese Sicht der Dinge verkennt allerdings, dass die Inflationsraten schon vor dem russischen Angriff deutlich in die Höhe gingen. Hierfür ist nicht zuletzt die völlige Fehlkonstruktion des Euro verantwortlich – die Europäische Zentralbank (EZB) versucht schon seit über einer Dekade, mit einer Politik des billigen Geldes, einen Währungsraum zusammenzuhalten, der am Ende nicht zusammenzuhalten sein wird. Eine fiktive Währungsunion aller Staaten der Welt, die mit dem Anfangsbuchstaben „M“ beginnen, wäre nach Daniel Stelter wirtschaftlich homogener als der Euro-Raum. Für den jüngsten Inflationsschub scheint jedoch auch das Ende der Kaufzurückhaltung, das während der Corona-Krise einsetzte, verantwortlich zu sein – also ein Anziehen der Geldumlaufgeschwindigkeit. Die von der EZB in die Märkte gepumpten enormen Geldmengen werden nachfragewirksam. So weit zum aktuellen Inflationsschub.

Bezüglich der säkularen Inflationstendenz wird jedoch regelmäßig ein weiterer Verantwortlicher übersehen: Nämlich die Möglichkeit, Privateigentum an Grund und Boden sowie Unternehmensanteilen auf Kredit zu erwerben. Ursächlich für diesen Inflationstyp ist ein gestörter Reflux-Prozess. Doch eins nach dem anderen:

Anders als viele Menschen denken, wird der größte Teil des des Geldes nicht durch die Zentralbanken, sondern durch die Geschäftsbanken geschaffen – über den Kreditvergabeprozess im Zusammenwirken mit Nicht-Banken.

Im Zuge der Kreditgeldschöpfung kommt es im Geschäftsbankensektor zu einer Bilanzverlängerung: Auf der Aktivseite wird eine Kreditforderung eingestellt, auf der Passivseite wird dem Kreditnehmer ein Guthaben zur Verfügung gestellt (von Mindestreserven wird hier vereinfachend abgesehen).

Die Kreditnehmer aus dem Nichtbanken-Sektor verwenden idealerweise die betreffenden Mittel zum Kauf von Maschinen, Häusern etc. (Anlagevermögen). Aus den (tatsächlichen oder kalkulatorischen) Erträgen der Assets werden die Zinsen bezahlt. Die von den Kreditnehmern über die planmäßigen Abschreibungen einbehaltenen Geldbeträge dienen der Tilgung der Verbindlichkeiten. Mit der Tilgung der Verbindlichkeit gegenüber dem Geschäftsbankensektor wird das geschöpfte Bankengeld aber wieder zurückgeführt. Ähnlich verhält es sich mit sich schnell umschlagenden Gütern des Umlaufvermögens – allerdings ist hier der Zeithorizont deutlich kürzer als beim Anlagevermögen.

Insgesamt sinken im Zuge dieses Prozesses die Guthaben des Nichtbanken-Sektors damit im Gleichschritt mit den Kreditforderungen des Bankensektors. Am Ende sind die kreditfinanzierten Vermögensgegenstände abgeschrieben, und die mit dem Kredit entstandenen Guthaben – also das privat geschaffene Geld – wieder „vernichtet“. Dies ist das Reflux-Prinzip. Es beschreibt, dass die Bankengeldschöpfung insoweit nicht zu einer Entkopplung von der realen Wertschöpfung beitragen kann.

Anders verhält es sich, wenn über die Kredite an Nicht-Banken nicht die Produktion von Gütern (in der Fisher-Verkehrsgleichung: Y), sondern der Kauf von nicht abnutzbaren Vermögenswerten finanziert wird. In erster Linie sind hier Grund und Boden sowie Unternehmensanteile (v.a. Aktien) zu nennen („kritische Assets“). Ceteris paribus muss dann in der Fisher-Verkehrsgleichung die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (U) sinken. Die untenstehende Graphik illustriert, dass die permanent abnehmende Geldumlaufgeschwindigkeit ein Fakt ist.

Die Zentralbank kann nur mit einem Anstieg der von ihr ausgegebenen Geldmenge verhindern, dass die Realwirtschaft (rechte Seite der Fisher-Gleichung) Schaden nimmt.

Inhaltlich macht man sich dies am besten einer sektoralen Betrachtung anhand des Extremfalls deutlich, dass sämtliche Kredite in derartige „kritische Assets“ fließen. Normalabschreibungen auf derartige Vermögenswerte gibt es dann aufgrund der unbegrenzten Nutzungsdauer nicht. Dementsprechend können die aufgenommenen Kredite auch nicht über diesen Weg zurückgeführt werden. Eine Geldvernichtung kann daher über diesen Kanal nicht mehr stattfinden, das Reflux-Prinzip ist gestört.

Entweder muss die Kreditrückzahlung dann über Geld stattfinden, das aus der Realwirtschaft gezogen wird und dieser dann fehlt – dann aber weitet sich die Störung des Reflux-Prinzips auf die Realwirtschaft aus. Oder aber die Zentralbank schafft eben neues Geld, um den Rückfluss der in Boden- und Aktien gebundenen Kredite zu ermöglichen, ohne dabei die Realwirtschaft zu beschädigen.

Damit wird allerdings ein Ponzi-Schema implementiert, das auch die Vermögensblasen immer weiter anheizt. Gerade in Kapitalmarkt-Rallyes lässt sich beobachten, dass die Fremdfinanzierung solcher „kritischen Assets“ immer weiter zunimmt. Zudem besteht die latente Gefahr, dass Geld aus der „Finanzstratosphäre“ abgezogen wird und dies die Inflation im realwirtschaftlichen Bereich anheizt – dass also aus der Vermögenspreisinflation irgendwann eine realwirtschaftliche Inflation wird. Möglicherweise ist auch dieser Effekt für den gegenwärtigen Inflationsschub mit verantwortlich.

Derartige Ungleichgewichtszustände in Permanenz könnten nur dann ausgebremst werden, wenn

  • entweder die „kritischen Assets“ entkapitalisiert werden (u. a. durch eine konfiskatorische Bodenwertsteuer), so dass sie nicht mehr fremdfinanziert erworben werden können. Dies ist aber im gegenwärtigen Rentierskapitalismus nicht in Sicht;

              oder

  • indem regulatorisch dafür Sorge getragen wird, dass der Kauf derartiger „kritischer Assets“ konsequent mit Eigen- statt mit Fremdkapital finanziert wird.

Ausführlicher: https://bodenwertsteuer.org/2015/08/06/geldschopfung-und-kein-ende-robinson-und-die-eichhornchen/
bzw.
https://humane-wirtschaft.de/geldschoepfung-und-kein-ende-dirk-loehr/

Reichtum durch Immobilienboom

Dirk Löhr

wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom vom 23. 11. 2016 unter Berufung auf eine Studie der Schweizer Großbank Crédit Suisse berichtet, nimmt die Zahl der Reichen auch in Deutschland aufgrund des Immobilienbooms kräftig zu.

Deutschland verzeichnete diesbezüglich nach Japan und den USA den drittstärksten Zuwachs: Das Durchschnittsvermögen pro Erwachsenem stieg in 2016 hierzulande entgegen dem weltweiten Trend um 2,8 Prozent auf 185 175 Dollar (rund 174 157 Euro), wie aus dem am Dienstag veröffentlichten „Global Wealth Report“ des Geldinstituts hervorgeht.

Die Zahl der Dollar-Millionäre in Deutschland erhöhte sich von Mitte 2015 bis Mitte 2016 um 44 000 auf etwa 1,6 Millionen. Bis 2021 dürfte sie um 30 Prozent auf rund 2,1 Millionen zulegen, schätzen die Autoren der Studie. Der Club der Superreichen, die ein Vermögen von mindestens 30 Millionen Dollar haben, vergrößerte sich um 500 auf 6100 Mitglieder. Deutschland lag damit auf dem dritten Rang nach den USA und China. Bis 2021 werde es voraussichtlich rund 1800 neue Superreiche zwischen Kiel und Berchtesgaden geben.

Allerdings kam Deutschland beim Durchschnittsvermögen nur auf Rang 19, was eine entsprechend hohe Ungleichverteilung des Vermögens indiziert. An der Spitze der Durchschnittvermögen lag abermals die Schweiz mit 561 900 Dollar je Erwachsenen.

Angetrieben wurde die beschriebene Entwicklung in Deutschland, aber auch in anderen Teilen der Welt vor allem von steigenden Immobilienpreisen, nicht von Aktien. Dies wiederum dürfte an den steigenden Bodenrenten liegen – die Bodeneinkommen sind der verteilungspolitische Gewinner der Niedrigzinsphase. Auch aufgrund des durch die Niedrigzinsphase bewirkten “Notstandes” bei anderen Anlagen werden die Bodenrenten dann entsprechend hoch bewertet.

In der amtlichen Statistik werden freilich die Bodeneinkommen nicht gesondert ausgewiesen – Boden spielt nach wie vor in der herrschenden Ökonomie eine untergeordnete Rolle.

 

(Immobilien-)blasenkrankheit: Soziale Kurpfuscherei

Dirk Löhr

Wie das Handelsblatt vom 24.10.2016 berichtet, legt sich die Bundesregierung vorsichtshalber einen Instrumentenkasten gegen eine mögliche Überhitzung des deutschen Immobilienmarktes zu. Mit einem entsprechenden Gesetzentwurf sollen dahingehende Empfehlungen des deutschen Ausschusses für Finanzstabilität aus dem vergangenen Jahr umgesetzt werden. Zwar sei eine Immobilienblase derzeit noch nicht in Sicht, allerdings sollte Vorsorge für den Fall einer solchen Fehlentwicklung getroffen werden.

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Das beruhigt – solange man den Instrumentenkasten noch nicht geöffnet hat. Der Blick da hinein zeigt die üblichen Beigaben der neuzeitlichen sozialen Scharlatane, deren Anwendung dem sozialen Körper mehr schaden dürfte, als dass sie ihn heilt. Es gab eine Zeit, in der von Ärzten tödliche Leiden von Individuen wie die Lepra mit einer Mixtur aus Schwalbenkot und Klettenkraut kuriert wurden. Wir leben in einer Zeit, in der der soziale Körper mit einer Obergrenze für den Fremdfinanzierungsanteil bei einem Immobilienkauf geheilt werden soll. Ein ähnliches Instrumentarium haben im Übrigen auch die im Westen ausgebildeten Sozialärzte im heutigen China bemüht – mit gelinde gesagt nur sehr mäßigem Erfolg.

Das grundlegende Problem: Überhitzungen des Immobilienmarktes kommen nicht durch Preissteigerungen der Gebäude, sondern von Grund und Boden zustande. Die Bodenerträge stiegen aufgrund des sinkenden Zinsniveaus der letzten Jahre immer weiter an – unter den drei Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital gab es also einen eindeutigen Gewinner. Bodenpreise ermitteln sich nun als Bodenerträge dividiert durch einen Kapitalisierungszinssatz. Wenn der Zähler aber immer weiter ansteigt und der Nenner immer weiter sinkt, gewinnt die Immobilienblase Konturen.

Ein einfaches Mittel wäre: Wegsteuerung der Bodenerträge, zumal diese sowieso der Bodeneigentümer nicht gemacht hat. Bodenerträge ergeben sich durch öffentliche Leistungen. So sind beispielsweise die Grundstückswerte rund um den  Berliner S-Bahn-Ring im letzten Jahr um 50 Prozent angezogen. Warum nicht der Öffentlichkeit zurückgeben, was die Öffentlichkeit geschaffen hat? Weil ja umgekehrt das Staatswesen irgendwie finanziert werden muss, werden statt dessen v.a. den Arbeitnehmern die Daumenschrauben angelegt. Zwischen dem Brutto- und dem Nettoeinkommen von Arbeitnehmern liegen in Deutschland Welten, hier nehmen wir eine Spitzenstellung in der OECD ein (Nr. 3 für kinderlose Alleinverdiener). Hinzu kommt noch die Mehrwertsteuer und eine Vielzahl von Verbrauchsteuern, die auch v.a. die Normalverdiener mit einer hohen Konsumquote (weil geringen Sparfähigkeit) trifft. Die dadurch bewirkte Erosion des Mittelstandes (das ist in Deutschland ein Medianeinkommen von ca. 3.100 Euro brutto!!) ist der beste Weg, um den Trumps dieser Welt den roten Teppich zu bereiten.

Dennoch tanzen wir um das Goldene Kalb: Die Privatisierung von öffentlich geschaffenen Werten (Bodenrente) und umgekehrt die Sozialisierung von privat geschaffenen Werten (Steuern) ist in Deutschland sakrosankt.

Die Bodenrente ist ein Residuum; sie ergibt sich, nachdem aus dem Volkseinkommen die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bezahlt wurden. Es ist ein wenig List der Vernunft, dass durch die hohe Abgabenbelastung in Deutschland die Bodenerträge so weit gedrückt werden, dass – trotz des Anstiegs in den letzten Jahren – von dieser Front bislang keine wirkliche Gefahr droht. Die geringen Bodenerträge zeigen indessen für ein Land, das im Herzen Europas liegt (und auf das ein Großteil der europäischen Infrastruktur zuläuft) keine tolle Performance an, sondern ein meisterliches Fahren mit angezogener Handbremse.

Was tun, sprach Zeus? Ganz einfach: Besteuerung der ökonomischen Renten (= unverdiente Einkommen), und Absenkung der Abgaben auf Arbeit (und Kapital) sowie der Mehrwertsteuer. Wenn die Bodenrente nicht mehr in private Hände fließt, gibt es keine Spekulationsblase. Statt dessen arbeiten die sozialen Kurpfuscher in Berlin daran, Symptome der sozialen Krankheit zu bekämpfen. U.a. wird so an eine Grenze für die Schuldentragfähigkeit von Kreditnehmers gedacht (bezogen auf sein Einkommen). Möglich wäre zudem, dass eine Mindestrückzahlung vereinbart werden müsste – tilgungsfreie Kredite wären dann nicht mehr möglich. Hallo, freie Marktwirtschaft?!

Besser wäre es, anstatt der Symptome die Ursache der sozialen Krankheit zu bekämpfen  – genannt unverdientes Einkommen oder ökonomische Rente. Gemäß dem Henry George-Theorem könnte ein Staat sogar gänzlich ohne konventionelle Steuern auskommen, wenn er sich sein Geld aus den ökonomischen Renten holt. Staaten wie Hong Kong oder Singapur gehen in diese Richtung (wenngleich in einer alles andere als perfekten Weise) – die früheren Fischerdörfer haben ihre ehemaligen Kolonialmächte in Puncto Performance längst überholt.

 

 

 

Another strike against Piketty: No price like home

Dirk Löhr

Another strike against the argument of Piketty: In a recent paper, launched by Knoll, Schularick and Steger (2014), a different channel of redistribution of wealth has been stressed. The article is tied to the work of Bonnet et al. (2014), who have shown that the late 20th century surge in wealth-to-income ratios in Western economies is largely due to increasing housing wealth. Moreover, in a recent study, also Rognlie (2015) established that (net) capital income shares increased only in the housing sector while remaining constant in others sectors of the economy.

House prices
Mean and median real house prices in 14 countries (source: Knoll, Schularick and Steger, 2014)

In contrast to Piketty (2014), the authors show that higher land prices can push up wealth-to income ratios even if the capital-to-income ratio stays constant. The critical importance of land prices for the trajectory of wealth-to-income ratios evokes Ricardo’s famous principle of scarcity: Ricardo (1817) argued that, over the long run, economic growth profits landlords disproportionately, as the owners of the fixed factor. Since land is unequally distributed across the population, Ricardo reasoned that market economies would produce rising inequality.

The paper of Knoll, Schularick and Steger (2014) traces the surge in housing wealth in the second half of the 20th century back to land price appreciation. The paper presents annual house prices for 14 advanced economies since 1870. Based on extensive data collection, they show that real house prices stayed constant from the 19th to the mid-20th century, but rose strongly during the second half of the 20th century. Land prices, not replacement costs, are the key to understanding the trajectory of house prices. Rising land prices explain about 80 percent of the global house price boom that has taken place since World War II. Higher land values have pushed up wealth-to-income ratios in recent decades.

The paper of Knoll, Schularick and Steger can be downloaded HERE (please click)

See also our blog articles:

Tim Worstall: CONTRA PIKETTY: IT’S NOT A WEALTH TAX WE NEED BUT A LAND VALUE TAX (English)

MICHAEL HUDSON: SITUATION WORSE THAN PIKETTY DESCRIBES (English)

HUDSON ON PIKETTY (English)

Dirk Löhr: PIKETTY: MARX RELOADED ODER ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN? (German)

 

More Information and literature

Bonnet, O., P.-H. Bono, G. Chapelle, and E. Wasmer (2014): Does Housing Capital Contribute to Inequality? A Comment on Thomas Piketty’s Capital in the 21st Century, Science Po Department of Economics Discussion Paper.

Knoll, K. / Schularick M. / Steger, T. (2014): No Price Like Home: Global House Prices, 1870 – 2012, CESifo Working Paper No. 5006.

Piketty, T. (2014): Capital in the Twenty-First Century, Cambridge: Harvard University Press.

Ricardo, D. (1817): Principles of Political Economy and Taxation.

Rognlie, M. (2015): Deciphering the Fall and Rise in the Net Capital Share, Brookings Papers on Economic Activity.

 

England: Der Wahnsinn am Londoner Wohnungsmarkt (Weltspiegel, ARD)

Dirk Löhr

Der Weltspiegel (ARD) vom 26. April berichtet von den Zuständen des Immobilienmarktes von England: Rekordpreise und Verdrängung der Mittelschicht.

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Zum Bericht:

England: Der Wahnsinn am Londoner Wohnungsmarkt (bitte klicken)

Die hohen Mieten und Preise kommen nicht zustande, weil in London das Beton, die Stahlträger, der Mörtel oder die Bauarbeiter so viel teurer sind als im Rest von England, sondern wegen der hohen Bodenrenten und Bodenpreise.

Geldregen der EZB: Verteilungspolitischer Segen?

Dirk Löhr

Im Blogartikel vom 7.3. „UNTERNEHMEN ALS VERDECKTE „LAND BANKS“ – DIE SPIEGELBILDHYPOTHESE“ haben wir gezeigt, warum zumindest die erfolgreichen Unternehmen als „hidden land banks“ betrachtet werden können. Investitionen in Unternehmensanteile sind demnach als indirekte Investitionen in den Faktor Land zu verstehen. “Land” ist dabei  als Genus zu betrachten, der auch Assets mit ähnlichen Eigenschaften wie Land, wie etwa Patente umfasst. Investitionen in Unternehmensanteile sind hingegen – anders als die herkömmliche ökonomische Meinung verlautbart – keine Investitionen in den Faktor Kapital. Der Kern der ökonomischen Gewinne sind dementsprechend Renten (hinzu kommt noch eine Risikoprämie und bei Personenunternehmen der kalkulatorische Unternehmerlohn); Gewinne haben hingegen keinen „Zinscharakter“, wie der Mainstream behauptet.

Bubble about to explode by a needle
Haben wir schon eine Vermögenspreisblase? Wann platzt sie?

 

Auch Kursgewinne bei Aktien sind im Prinzip nichts anderes wie Steigerungen der Bodenpreise, und Konzerngewinne sind grundsätzlich nicht anders als Bodenrenten zu beurteilen. Diese Sicht der Dinge hat Konsequenzen – auch für die Wirkung der jüngst eingeleiteten Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

 

Das Anleihekaufprogramm der EZB

EZB-Chef Draghi gab am 22. Januar 2015 ein “erweitertes Anleihenkaufprogramm” bekannt, das über den bereits laufenden Ankauf von Unternehmensanleihen nun bald auch Schuldscheine europäischer Staaten umfasst [1].

Mario Draghi
Mario Draghi

Die EZB beabsichtigt, von Anfang März 2015 bis mindestens Ende September 2016 jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro zu kaufen, rund 80 Prozent davon als Staatsanleihen. Das Gesamtvolumen des Programms beträgt damit zunächst gut 1,1 Billionen Euro, rund 920 Milliarden Euro davon sind Staatsanleihen [2]. Eine Vielzahl von Indizien (z.B. die sinkende Geldumlaufgeschwindigkeit v.a. für kurzfristige Geldmengenaggregate) deutet allerdings darauf hin, dass der Geldsegen der EZB bislang kaum die Realwirtschaft erreicht, sondern vor allem in der “Finanzstratosphäre” landet. Was sind vor diesem Hintergrund die verteilungspolitischen Folgen dieser Politik?

 

Gewinnsteigerungen und funktionale Einkommensverteilung

In der Realwirtschaft machen sich die niedrigeren Zinsen wohl bemerkbar – allerdings in einer anderen Weise als erhofft. Niedrigere Zinsen (Faktor „Kapital“) können nämlich zu höheren Löhnen und Gehältern (Faktor „Arbeit“) oder aber zu höheren Gewinnen und Renten (Faktor „Land“, s. den o.a. Blogbeitrag!) führen. Wie im o.a. Blogbeitrag dargestellt, besteht der Kern der Unternehmensgewinne der „Highperformer“ aus ökonomischen Renten. Diese stellen ein Residuum dar, das sich ergibt, wenn von den Einnahmen die Kosten für Kapital und Arbeit in Abzug gebracht werden.

Nun bestand eine Hoffnung auch vieler Geldreformer darin, dass sich die Niedrig- bzw. Negativzinspolitik auch in höheren Löhnen und Gehältern niederschlägt. Diese Hoffnung wurde allerdings enttäuscht. Eine Begründung hierfür kann die ricardianische Betrachtung liefern [3]. Hiernach werden dabei die Löhne für unqualifizierte Arbeit in der raumwirtschaftlichen Peripherie, also im „Grenzland“ bestimmt. In der EU sind dies die neu aufgenommenen, „schwachen“ Länder der Peripherie. Über Freizügigkeit, die Dienstleistungsrichtlinie etc. wird von dort aus auch ein entsprechender Druck auf die Löhne und Gehälter v.a. von wenig qualifizierten Arbeitnehmern in den raumwirtschaftlichen Zentren (z.B. Deutschland) entfaltet. Mit zunehmender Öffnung der Wirtschaft (Globalisierung) verschieben sich zudem die Grenzen der relevanten Wirtschaftsräume noch hin zu Niedriglohnländern außerhalb der EU. Hinzu kommen noch interne Faktoren wie z.B. die Hartz IV, Leiharbeitsgesetze etc., mit denen die Arbeitsmärkte in den raumwirtschaftlichen Zentren wettbewerbsfähiger gemacht werden sollten. In den raumwirtschaftlichen Zentren werden allerdings Aufschläge auf die Löhne und Gehälter von qualifizierter Arbeit bezahlt, da diese hier vermehrt in Anspruch genommen wird. Zudem ist die Produktivität in den Zentren höher, was zumindest teilweise auch an den Faktor Arbeit weitergegeben wird. Somit sind die Arbeitseinkommen – wenngleich sie von den Rändern der Peripherie unter Druck geraten – absolut höher als in der Peripherie [4]; wenngleich in den letzten Jahren eine zunehmende Spreizung zwischen den Einkommen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit zu beobachten war. Begünstigt wird die Divergenz zwischen Zentrum und Peripherie in der EU durch eine eingeschränkte Mobilität des Faktors Arbeit, die u.a. auf sprachliche und kulturelle Barrieren zurückzuführen ist.

Was die Zinsen angeht, so sollte sich eigentlich ebenfalls ein Ausgleich zwischen Zentrum und Peripherie ergeben; seitdem die Eurozone in eine Schieflage geraten ist, sind die Zinsen im raumwirtschaftlichen Zentrum (v.a. in Deutschland) aber deutlich geringer als in der Peripherie (Griechenland, Portugal etc.).

Die untenstehende Abbildung stellt vor diesem Hintergrund dar, dass einerseits in den raumwirtschaftlichen Zentren (z.B. Deutschland) ein höheres Einkommen als in der Peripherie (z.B. Griechenland) erzielbar ist. In der Peripherie reicht es möglicherweise nur für die Erwirtschaftung der Kosten für Arbeit und Kapital, ein großes Residuum ist nicht mehr zu erzielen. V.a. wegen der Unvollkommenheiten auf dem Arbeitsmarkt ist in Deutschland sowohl das Volkseinkommen pro Kopf wie auch die Summe aus Arbeits- und Kapitaleinkommen zwar noch vergleichsweise höher als z.B. in Griechenland; allerdings besteht ein latenter Druck auf Absenkung v.a. der Einkommen gering qualifizierter Arbeitnehmer. Die Einkommen der mobilen Faktoren Arbeit und Kapital (die zugleich Kosten darstellen) sind in der untenstehenden Abbildung zusammengefasst und separat von den ökonomischen Renten dargestellt, die auf Land und ähnliche Vermögenswerte entfallen (und Residualeinkommen, also keine Kosten darstellen).

Verteilung

Abbildung: Die ricardianische Sicht – Druck auf die Löhne von den Rändern der EU

Vor dem Hintergrund der Abbildung wird deutlich, warum trotz der permanent sinkenden Zinsen in den letzten 15 Jahren seit der Einführung des Euro die Reallöhne in Deutschland nicht mehr anstiegen: Nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums sank die bereinigte Bruttolohnquote von 72,8 % (2000) auf 68,1 % (2010) und 68,3 % (8/2013). Die unbereinigte Bruttolohnquote entwickelte sich von 72,1 % (2000) auf 66,8 % (2010) auf 67,0 % (8/2013) [5]. Von den im Betrachtungszeitraum sinkenden Zinsen profitierte also in Deutschland nicht der Faktor Arbeit. Doch offenbar verlor auch das Kapital – hier verstanden als Geldvermögen ohne Unternehmensanteile [sic!] [6]: Die sinkende Entlohnung dieses Faktors („Preiseffekt“) wurde offenbar nicht durch eine Steigerung des Volumens („Mengeneffekt“) kompensiert. Stattdessen stiegen die ökonomischen Renten, was sich sowohl in den Gewinnen der Großunternehmen [7] wie auch in den Bodenrenten bemerkbar machte: Sowohl das operative Ergebnis nichtfinanzieller börsennotierter Großunternehmen als auch die Mieten in Großstädten wie München, Hamburg, Frankfurt oder Berlin stiegen zwischen 2005 und 2013 um ca. 30 % an [8]. Die Werte von Unternehmen und Boden stiegen während der Niedrigzinsphase also, weil diese sich in wachsenden Erträgen niederschlug. Die niedrigeren Zinsen verhinderten zwar weitere offene oder verdeckte Steuererhöhungen (v.a. zu Lasten der Arbeitnehmer). Dies hat den dargestellten Trend in der Einkommensverteilung aber nur abgeschwächt und nicht etwa umgekehrt [9].

Der Preis für die Erträge aus Unternehmen und Boden ist hingegen seit der Finanzkrise 2008 wenig gestiegen: So erhöhte sich der KGV der DAX-Unternehmen zwar bis Ende 2014 leicht auf ca. 17, lag damit aber immer noch in einem moderaten Bereich [10]. Bei den Liegenschaftszinssätzen von Immobilien (die in grober Annäherung den Reinertrag von Immobilien ins Verhältnis zum Kaufpreis setzen und damit eine Art „inverser KGV“ für Immobilien darstellen) [11] verhält es sich ähnlich; erst seit 2010 ist ein moderates Absinken zu verzeichnen [12]. Das Fazit: Wie nach der ricardianischen Sichtweise zu erwarten, profitierten von der Niedrigzinsphase v.a. die Bezieher ökonomischer Renten, sei es in Gestalt von Unternehmen oder durch unmittelbaren Bezug der Bodenrenten. Steigende Preise für Aktien und Immobilien indizieren im Übrigen solange keine Blase, wie diesen steigende Erträge gegenüber stehen.

 

Kurs- und Wertsteigerungen: Vermögensverteilung

Das Verhältnis von Preisen zu Erträgen steigt erst wieder seit 2010 langsam, aber sicher an. Ein erheblicher Anstieg dürfte sich jedoch als Folge des eingangs dargestellten Anleihenkaufprogramms der EZB ergeben; erste Hinweise zeigen sich schon – so z.B. bei der Entwicklung des DAX. Dies deutet auf eine einsetzende Aufblähung der Assets hin und hat zunehmend Auswirkungen auf die Vermögensverteilung, die nicht nur in Deutschland wesentlich ungleicher ist als diejenige der Einkommen. Ein wichtiges Kennzeichen einer Vermögenspreisinflation ist, dass sich die Vermögensumverteilung mit höherer Geschwindigkeit als die Einkommensumverteilung vollzieht. Die sich aufblähenden Assetpreise bedeuten, dass immer mehr Ansprüche auf das in der Realwirtschaft erzeugte Sozialprodukt in die Finanzstratosphäre kanalisiert werden.

Interessant sind dabei auch Stiglitz’ Aussagen [13] hinsichtlich der Zusammensetzung der Assets: Während der normale “Mittelklassesparer” sein Geld eher in zinstragenden Investments hält (die kaum mehr Erträge erbringen), sind die Reichen und die Superreichen v.a. in rententragenden Assets (v.a. Unternehmensanteilen und Land) investiert [14]. Dies ist in Deutschland möglicherweise noch extremer als im Ausland der Fall, zumal die Eigentumsquote bei Immobilien mit ca. 50 % im europäischen Vergleich ziemlich gering ist [15]. Dementsprechend ist das Medianvermögen in Deutschland auch geringer als in jedem anderen Euroland [16]. Wird nun die Finanzstratosphäre mit ihren rententragenden Assets im Vergleich zur Realwirtschaft immer größer, müssen die relativ wenigen Großeigentümer der rententragenden Assets relativ an Vermögen hinzugewinnen.

Hält die Niedrigzinsphase an, dürfte dies also dazu führen, dass die im internationalen Vergleich ohnehin hohe Vermögensungleichheit in Deutschland noch weiter ansteigt.

Das Lamento vieler Sparer, Banken und Versicherungen, dass also aufgrund der niedrigen Zinsen die “kleinen Leute” leiden, ist also – trotz der grobschlächtigen Denke dahinter – nicht so verkehrt.

Schließlich hängt noch eine andere dunkle Wolke am Himmel: Je länger das Anleihenkaufprogramm von Draghi wirkt, umso mehr kann die nun entstehende Blase wachsen. Wenn die amerikanische Konjunktur es zulässt oder gar nötig macht, wird jedoch wahrscheinlich die Präsidentin der FED, Janet Yellen, die Reißleine ziehen und eine Zinswende einleiten [17]. Draghi wird sich hiervon nicht vollkommen abkoppeln können. Dann droht die Blase zu platzen. Die Folgen für Wirtschaftstätigkeit und Beschäftigung kann man sich anhand der Erfahrungen aus der Krise 2008 ausmalen. Man kann nur hoffen, dass die Zinswende der USA früher als später geschieht, damit die Auswirkungen des Platzens der Blase begrenzt bleiben.

 

Literatur:

[1] Schultz, S. / Rickens, R. (2015): EZB-Anleihenkauf: Die große Geldflut, in: SpiegelOnline vom 22.1. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/europaeische-zentralbank-analyse-zum-kauf-von-staatsanleihen-der-ezb-a-1014353.html.

[2] Ebenda.

[3] Hierzu Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, in: Wirtschaftsdienst Oktober 2013, Jg. 93, Heft 10, S. 702-709.

[4] Dies sagt nichts über die Entwicklung der Lohnstückkosten aus; diese können sich gerade im Zentrum mit geringerer Dynamik als in der Peripherie bewegen.

[5] Bundesfinanzministerium (2015): Tabelle 4: Einkommensverteilung. Online: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2014/12/Inhalte/Kapitel-5-Statistiken/5-4-04-einkommensverteilung.html?view=renderPrint.

[6] Das vermehrbare Sachkapital auf der Aktivseite wird im Durchschnitt der Volkswirtschaft durch Geldkapital auf der Passivseite der Bilanz finanziert, die schwer vermehrbaren Werte (Patente, Boden etc.) durch Eigenkapital. Hierzu Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg, S. 110 ff.

[7] Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt: allgemeine Tendenzen und Veränderungen in der Finanzkrise, in: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank 9, S. 19-33, hier: S. 22.

[8] Deutsche Bundesbank (2015), Tabelle BBDB1.A.DE.N.A.C.IFRS.B.A.K.E.E039.ABA.A. Online: http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_list_node.html?listId=www_s32b_guv_n_insg_a.- Held, T. et al. (2014): Aktuelle Mietenentwicklung und ortsübliche Vergleichsmiete: Liegen die erzielbaren Mietpreise mittlerweile deutlich über dem örtlichen Bestandsmietenniveau? Hintergrundpapier des BBSR, Bonn, S. 29 ff.- Online: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/WohnenImmobilien/Immobilienmarktbeobachtung/ProjekteFachbeitraege/Mietsteigerungen/hintergrundpapier_mieten.pdf;jsessionid=855A34C55D8AC3C10A110A5BC7997860.live1041?__blob=publicationFile&v=6.- Will man die Mietentwicklung mit der Gewinnentwicklung der Top-Unternehmen vergleichbar machen, muss man sich auf die Metropolen konzentrieren, und nicht auf die Durchschnittsmieten.

[9] Vgl. Boysen-Hogrefe, J. (2013): Low bond yields have saved the German government € 80 billion in interest since 2009“; Kiel Institute Focus, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Nr. 22. Online: http://www.ifw-kiel.de/media/kiel-institute-focus/2013/kiel-institute-focus-22. Zur Entwicklung der Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sowie aus Arbeit s. http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/themen_showpicture.htm?id=52443&chunk=1.

[10] Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt …, a.a.O., S. 22.

[11] Will man präzise vorgehen, muss das Ertragswertverfahren „rückwärts“ gerechnet und die zugrundeliegende Formel nach dem Liegenschaftszinssatz gelöst werden.

[12] Beispielsweise lag der Index für den durchschnittlichen Liegenschaftszinssatz nach Sprengnetter für Mehrfamilienhäuser lag 2005 bis 2010 bei 100 und sank erst danach bis auf 94,7 ab.- Für Ballungsräume vgl. VDP Immobilienpreisindex (2014), online: http://www.vdpresearch.de/wordpress/wp-content/uploads/2014/11/vdp_ImmoIndex_2014.Q3_DE.pdf.- Die Dynamik ist je nach Region und Immobilientyp unterschiedlich hoch.

[13] Stiglitz, J. (2014): New Theoretical Perspectives on the Distribution of Income and Wealth Among Individuals. Online: http://ineteconomics.org/institute-blog/new-theoretical-perspectives-distribution-income-and-wealth-among-individuals.

[14] Dabei sind auf den deutschen Aktienmärkten institutionelle Anleger aus dem Ausland besonders aktiv.- Vgl. Deutsche Bundesbank (2014): Eigentümerstruktur am deutschen Aktienmarkt …, a.a.O., S. 23-24.

[15] Deutsche Bundesbank (2013): Private Haushalte und ihre Finanzen – Ergebnisse der Panelstudie zu Vermögensstruktur und Vermögensverteilung, Pressenotiz vom 21.3. Online: http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/BBK/2013/2013_03_21_phf.html.

[16] Ruhkamp, S. (2015): Deutsche sind die Ärmsten im Euroraum, FAZ vom 18.02. Online: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/armut-und-reichtum/ezb-umfrage-deutsche-sind-die-aermsten-im-euroraum-12142944.html.

[17] o.V. / ARD (2015): FED: Kommt die Zinswende jetzt? Boerse.ARD.de vom 17.3. Online:  http://boerse.ard.de/anlagestrategie/regionen/fed-kommt-die-zinswende-jetzt100.html

Bei dem Artikel handelt es sich um einen überarbeiteten Ausschnitt aus:

Löhr, D. (2015): Negativzinspolitik: Die EZB als jene Kraft, die Gutes will und doch das Böse schafft? In: Zeitschrift für Sozialökonomie, 52. Jg., 184./185. Folge, April (Vorabausdruck – bitte klicken).

 

Stiglitz über Umverteilung

Dirk Löhr

Im Nachgang zum Blogartikel DRAGHIS GELDPOLITISCHE BAZOOKA: EIN SCHUSS INS EIGENE KNIE?” mag auch der Vortrag von Joseph E. Stiglitz interessant sein:

New Theoretical Perspectives on the Distribution of Income and Wealth Among Individuals (bitte klicken)

Joseph E. Stiglitz
Joseph E. Stiglitz

Hierbei setzt sich Stiglitz ein weiteres Mal mit Piketty auseinander, der bereits in unserem Blogbeitrag

PIKETTY: MARX RELOADED ODER ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN? (bitte klicken).

kritisiert wurde.

Im Rahmen der Niedrigzinspolitik (auch der Europäischen Zentralbank) wurde ein “Anlagenotstand” herbeigeführt. Dadurch wird Geld aus der Realwirtschaft in rententragende Assets der “Finanzstratosphäre” abgelenkt, also vor allem Unternehmensanteile und Land. Diese werden im Wert aufgeblasen, während die Investitionen in der Realwirtschaft immer weiter zurückgehen, wie auch Stiglitz betont. Unserer Meinung nach wachsen mit der Inflationierung der Finanzstratosphäre durch die geldpolitischen Spritzen die Ansprüche der dort “engagierten” Eigentümer an das in der Realwirtschaft erzeugte Sozialprodukt immer weiter an – dies bedeutet Umverteilung! Interessant sind dabei auch Stiglitz’ Aussagen hinsichtlich der Zusammensetzung der Assets: Während der normale “Mittelklassesparer” sein Geld eher in zinstragenden Investments hält (die kaum mehr Erträge erbringen), sind die Reichen eben in Unternehmensanteilen und Land investiert, die im Wert immer weiter ansteigen. Das Fazit: Die an sich wünschenswerte Niedrigzinspolitik führt UNTER DEN GEGEBENEN UMSTÄNDEN (!!!) zu Umverteilung von unten nach oben.

Stiglitz führt ähnliche Gedanken (auch über die Bedeutung von Land und Unternehmensmonopolen) noch einmal in einem Interview aus, in dem er sich mit Piketty auseinandersetzt:

Joseph Stiglitz: Thomas Piketty gets Income Inequality wrong

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: An sich ist eine Niedrigzinspolitik eine gute Sache; sie hat das Potenzial, die Konjunktur anzukurbeln und Verteilungskonflikte zu entschärfen. Problematisch wird es “nur”, wenn gleichzeitig die Möglichkeit aufrecht erhalten wird, in rententragende Assets auszuweichen. Dann kann sie ihre segensreiche Wirkung eben nicht entfalten – sondern kann zum Fluch werden.

Draghis geldpolitische Bazooka: Ein Schuss ins eigene Knie?

Dirk Löhr

Draghi schießt nunmehr mit einer geldpolitischen Bazooka (Schulz / Rickens 2015): Die Europäische Zentralbank (EZB) – so gab er am 22. Januar in einer Pressekonferenz bekannt – werde ein “erweitertes Anleihenkaufprogramm” starten, das neben dem bereits laufenden Ankauf von Unternehmensanleihen nun bald auch Schuldscheine europäischer Staaten umfassen wird. Die EZB beabsichtigt, von Anfang März 2015 bis mindestens Ende September 2016 jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro zu kaufen, rund 80 Prozent davon sind Staatsanleihen. Das Gesamtvolumen des Programms beträgt damit zunächst gut 1,1 Billionen Euro, rund 920 Milliarden Euro davon sind Staatsanleihen (Schulz / Rickens 2015).

Mario Draghi
Mario Draghi

Mit diesen einschneidenden Maßnahmen möchte Draghi das drohende Deflationsgespenst einschüchtern – im Dezember sanken die Verbraucherpreise erstmals seit 2009 leicht ab.

Eine Deflation kann sich zu einer Abwärtsspirale entwickeln und außer Kontrolle geraten – mit entsprechenden Folgen für die Realwirtschaft.

 

Man kann das Pferd nur zur Tränke führen …

Ob der lahmenden Wirtschaft in vielen südlichen Eurostaaten damit auf die Sprünge geholfen werden kann, ist freilich fraglich. Die internationalen Erfahrungen sind diesbezüglich sehr heterogen. Man kann – so ein alter Ökonomenspruch – das Pferd mit solchen geldpolitischen Maßnahmen nur zur Tränke führen; zum Saufen zwingen kann man es freilich nicht. Und einiges spricht dafür, dass das Pferd mittlerweile schon bis zum Hals im Wasser steht. Die geldpolitischen Maßnahmen Draghis könnten zwar die Basis für eine keynesianische Fiskalpolitik sein, um realwirtschaftliche Impulse zu geben. Den meisten Staaten fehlen hierfür jedoch die fiskalischen Spielräume – der Schuldenstand ist schon jetzt höher, als durch Maastricht & Co. eigentlich erlaubt. Maßnahmen wie eine Umlaufsicherungsgebühr auf Geld werden derzeit noch nicht angedacht – wenngleich die EZB mit den Einlagesatz für Geschäftsbanken schon leicht in den negativen Bereich gegangen ist (hierzu s. den Blogeitrag “LIFE BELOW ZERO? EIN NACHWORT ZUR REDE VON BENOÎT CŒURÉ“).

Und allein mit angebotsseitigen Reformen wird man ebenfalls nicht weiterkommen: Oftmals laufen diese de facto auf weitere Reallohnsenkungen hinaus, und das ist das Letzte, was man derzeit braucht. Angebotsseitiger Spielraum bestünde jedoch in Bezug auf den in diesem Blog immer wieder vertretenen Tax Shift: Weg von einer Besteuerung der Leistungseinkommen und hin zu einer Abschöpfung der ökonomischen Renten (Löhr 2013) – doch auch dies befindet sich jenseits des Denkhorizontes der verantwortlichen Politiker.

 

Umverteilungsprogramm durch Assetpreisinflation

Im Übrigen beziehen sich die Deflationsängste „nur“ auf die Realwirtschaft. Hier wird Inflation und Deflation offiziell gemessen. Man muss aber kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass der Löwenanteil der Geldspritzen nicht in den realwirtschaftlichen Kreislauf wandern (und dort die erhofften Effekte auslösen) wird. Vielmehr wird die Finanzstratosphäre noch weiter aufgeblasen. Deren Assetpreisinflation geht freilich nicht in die amtlichen Preisstatistiken ein. Die Börsen dankten schon einmal Draghis Ankündigung mit hohen Gewinnen: Der Stoxx 600 hat in den vergangenen sechs Handelstagen 7,2 Prozent zugelegt und damit den höchsten 6-Tages-Gewinn seit 2011 verzeichnet (Kolf 2015). In der Finanzstratosphäre werden vor allem Land und Aktien (also die rententragenden Assets!!) weiter durch Draghis Geld aufgeblasen – Geld, das Ansprüche auf das Sozialprodukt verkörpert. Wenn diese sich aufgrund der Politik der EZB zunehmend in die Finanzstratosphäre verlagern, bedeutet dies eine massive Umverteilung – ebenfalls zu Lasten der Leistungseinkommen. Dies zumindest, bis die Blase platzt.

Das – konjunkturpolitisch nachvollziehbare – Programm der EZB ist also gleichzeitig ein Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Erstaunlicherweise wird auch in der Fachöffentlichkeit kaum thematisiert, dass auch mit Assetpreisinflationen massive Umverteilungswirkungen verbunden sein können (obwohl dies eigentlich spätestens seit dem jüngst erschienenen Oxfam-Bericht Thema sein sollte; s. den Blogbeitrag “OXFAM-PROGNOSE 2016: EIN PROZENT HAT MEHR ALS ALLE ANDEREN“). Wird die Finanzstratosphäre mit ihren rententragenden Assets im Vergleich zur Realwirtschaft immer größer, müssen die relativ wenigen Großeigentümer der rententragenden Assets relativ an Vermögen hinzugewinnen. Niedrigzinspolitik muss in Rentenökonomien eben nicht nur positive Verteilungswirkungen haben.

Zum Umverteilungsprogramm der Rentenökonomie gehört auch das Verschieben von Lasten auf eine schlecht organisierte Allgemeinheit. In Draghis Anleihenkaufprogramm ist zwar die Haftung der einzelnen Länder für das Anleihenkaufprogramm der Notenbank zumindest auf dem Papier begrenzt (o.V. / FAZ 2015). So sollen die nationalen Notenbanken vor allem Staatsanleihen ihres jeweiligen Landes kaufen. Nur für 20 Prozent der Anleihen soll die gemeinsame Risikohaftung der Eurostaaten gelten (Schulz / Rickens 2015). Doch die Zentralbanken werden nur dann in Schieflage geraten, wenn auch der betreffende Staat in einer Schieflage ist. Letzterer ist jedoch auch für die Eigenkapitalausstattung seiner Zentralbank zuständig. Und man wird jedoch einen Mitgliedstaat nicht mit Mann und Maus untergehen lassen – hier springen die anderen Staaten bzw. deren Steuerzahler ein – allen voran der deutsche Steuerzahler. Die betreffende Maßnahme kann also allenfalls Juristen beruhigen, aber keine Ökonomen.

 

Ende in Sicht?

Es steht zu befürchten, dass mit der jetzt verkündeten Maßnahme noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Angeblich sind derzeit staatliche Schuldscheine im Gesamtwert von rund 6,5 Billionen Euro im Umlauf, die die EZB im Rahmen ihres Anleihenprogramms kaufen könnte. Die EZB könnte laut Draghi notfalls bis zu ein Drittel der Staatsanleihen eines jeden Eurolandes aufkaufen. Das wären rein rechnerisch Papiere im Wert von fast zwei Billionen Euro – gut doppelt so viel, wie das derzeitige Anleihenprogramm vorsieht.  Und Draghi will das Aufkaufprogramm notfalls über 2016 hinaus verlängern (Schulz / Rickens 2015).

 

Mehr Information:

Kolf, I. (2015): Europas Börsen nach Draghi mit höchstem 6-Tages-Gewinn seit 2011, in: Die Welt vom 22.1. Online: http://www.welt.de/newsticker/bloomberg/article136673092/Europas-Boersen-nach-Draghi-mit-hoechstem-6-Tages-Gewinn-seit-2011.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

o.V. / FAZ (2015): So kauft die EZB, in: FAZ vom 22.1. Online: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/ezb-anleihekaufprogramm-die-wichtigsten-punkte-13385221.html

Schultz, S. / Rickens, R. (2015): EZB-Anleihenkauf: Die große Geldflut, in: SpiegelOnline vom 22.1. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/europaeische-zentralbank-analyse-zum-kauf-von-staatsanleihen-der-ezb-a-1014353.html