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Draghis geldpolitische Bazooka: Ein Schuss ins eigene Knie?

Dirk Löhr

Draghi schießt nunmehr mit einer geldpolitischen Bazooka (Schulz / Rickens 2015): Die Europäische Zentralbank (EZB) – so gab er am 22. Januar in einer Pressekonferenz bekannt – werde ein “erweitertes Anleihenkaufprogramm” starten, das neben dem bereits laufenden Ankauf von Unternehmensanleihen nun bald auch Schuldscheine europäischer Staaten umfassen wird. Die EZB beabsichtigt, von Anfang März 2015 bis mindestens Ende September 2016 jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro zu kaufen, rund 80 Prozent davon sind Staatsanleihen. Das Gesamtvolumen des Programms beträgt damit zunächst gut 1,1 Billionen Euro, rund 920 Milliarden Euro davon sind Staatsanleihen (Schulz / Rickens 2015).

Mario Draghi
Mario Draghi

Mit diesen einschneidenden Maßnahmen möchte Draghi das drohende Deflationsgespenst einschüchtern – im Dezember sanken die Verbraucherpreise erstmals seit 2009 leicht ab.

Eine Deflation kann sich zu einer Abwärtsspirale entwickeln und außer Kontrolle geraten – mit entsprechenden Folgen für die Realwirtschaft.

 

Man kann das Pferd nur zur Tränke führen …

Ob der lahmenden Wirtschaft in vielen südlichen Eurostaaten damit auf die Sprünge geholfen werden kann, ist freilich fraglich. Die internationalen Erfahrungen sind diesbezüglich sehr heterogen. Man kann – so ein alter Ökonomenspruch – das Pferd mit solchen geldpolitischen Maßnahmen nur zur Tränke führen; zum Saufen zwingen kann man es freilich nicht. Und einiges spricht dafür, dass das Pferd mittlerweile schon bis zum Hals im Wasser steht. Die geldpolitischen Maßnahmen Draghis könnten zwar die Basis für eine keynesianische Fiskalpolitik sein, um realwirtschaftliche Impulse zu geben. Den meisten Staaten fehlen hierfür jedoch die fiskalischen Spielräume – der Schuldenstand ist schon jetzt höher, als durch Maastricht & Co. eigentlich erlaubt. Maßnahmen wie eine Umlaufsicherungsgebühr auf Geld werden derzeit noch nicht angedacht – wenngleich die EZB mit den Einlagesatz für Geschäftsbanken schon leicht in den negativen Bereich gegangen ist (hierzu s. den Blogeitrag “LIFE BELOW ZERO? EIN NACHWORT ZUR REDE VON BENOÎT CŒURÉ“).

Und allein mit angebotsseitigen Reformen wird man ebenfalls nicht weiterkommen: Oftmals laufen diese de facto auf weitere Reallohnsenkungen hinaus, und das ist das Letzte, was man derzeit braucht. Angebotsseitiger Spielraum bestünde jedoch in Bezug auf den in diesem Blog immer wieder vertretenen Tax Shift: Weg von einer Besteuerung der Leistungseinkommen und hin zu einer Abschöpfung der ökonomischen Renten (Löhr 2013) – doch auch dies befindet sich jenseits des Denkhorizontes der verantwortlichen Politiker.

 

Umverteilungsprogramm durch Assetpreisinflation

Im Übrigen beziehen sich die Deflationsängste „nur“ auf die Realwirtschaft. Hier wird Inflation und Deflation offiziell gemessen. Man muss aber kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass der Löwenanteil der Geldspritzen nicht in den realwirtschaftlichen Kreislauf wandern (und dort die erhofften Effekte auslösen) wird. Vielmehr wird die Finanzstratosphäre noch weiter aufgeblasen. Deren Assetpreisinflation geht freilich nicht in die amtlichen Preisstatistiken ein. Die Börsen dankten schon einmal Draghis Ankündigung mit hohen Gewinnen: Der Stoxx 600 hat in den vergangenen sechs Handelstagen 7,2 Prozent zugelegt und damit den höchsten 6-Tages-Gewinn seit 2011 verzeichnet (Kolf 2015). In der Finanzstratosphäre werden vor allem Land und Aktien (also die rententragenden Assets!!) weiter durch Draghis Geld aufgeblasen – Geld, das Ansprüche auf das Sozialprodukt verkörpert. Wenn diese sich aufgrund der Politik der EZB zunehmend in die Finanzstratosphäre verlagern, bedeutet dies eine massive Umverteilung – ebenfalls zu Lasten der Leistungseinkommen. Dies zumindest, bis die Blase platzt.

Das – konjunkturpolitisch nachvollziehbare – Programm der EZB ist also gleichzeitig ein Umverteilungsprogramm von unten nach oben. Erstaunlicherweise wird auch in der Fachöffentlichkeit kaum thematisiert, dass auch mit Assetpreisinflationen massive Umverteilungswirkungen verbunden sein können (obwohl dies eigentlich spätestens seit dem jüngst erschienenen Oxfam-Bericht Thema sein sollte; s. den Blogbeitrag “OXFAM-PROGNOSE 2016: EIN PROZENT HAT MEHR ALS ALLE ANDEREN“). Wird die Finanzstratosphäre mit ihren rententragenden Assets im Vergleich zur Realwirtschaft immer größer, müssen die relativ wenigen Großeigentümer der rententragenden Assets relativ an Vermögen hinzugewinnen. Niedrigzinspolitik muss in Rentenökonomien eben nicht nur positive Verteilungswirkungen haben.

Zum Umverteilungsprogramm der Rentenökonomie gehört auch das Verschieben von Lasten auf eine schlecht organisierte Allgemeinheit. In Draghis Anleihenkaufprogramm ist zwar die Haftung der einzelnen Länder für das Anleihenkaufprogramm der Notenbank zumindest auf dem Papier begrenzt (o.V. / FAZ 2015). So sollen die nationalen Notenbanken vor allem Staatsanleihen ihres jeweiligen Landes kaufen. Nur für 20 Prozent der Anleihen soll die gemeinsame Risikohaftung der Eurostaaten gelten (Schulz / Rickens 2015). Doch die Zentralbanken werden nur dann in Schieflage geraten, wenn auch der betreffende Staat in einer Schieflage ist. Letzterer ist jedoch auch für die Eigenkapitalausstattung seiner Zentralbank zuständig. Und man wird jedoch einen Mitgliedstaat nicht mit Mann und Maus untergehen lassen – hier springen die anderen Staaten bzw. deren Steuerzahler ein – allen voran der deutsche Steuerzahler. Die betreffende Maßnahme kann also allenfalls Juristen beruhigen, aber keine Ökonomen.

 

Ende in Sicht?

Es steht zu befürchten, dass mit der jetzt verkündeten Maßnahme noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Angeblich sind derzeit staatliche Schuldscheine im Gesamtwert von rund 6,5 Billionen Euro im Umlauf, die die EZB im Rahmen ihres Anleihenprogramms kaufen könnte. Die EZB könnte laut Draghi notfalls bis zu ein Drittel der Staatsanleihen eines jeden Eurolandes aufkaufen. Das wären rein rechnerisch Papiere im Wert von fast zwei Billionen Euro – gut doppelt so viel, wie das derzeitige Anleihenprogramm vorsieht.  Und Draghi will das Aufkaufprogramm notfalls über 2016 hinaus verlängern (Schulz / Rickens 2015).

 

Mehr Information:

Kolf, I. (2015): Europas Börsen nach Draghi mit höchstem 6-Tages-Gewinn seit 2011, in: Die Welt vom 22.1. Online: http://www.welt.de/newsticker/bloomberg/article136673092/Europas-Boersen-nach-Draghi-mit-hoechstem-6-Tages-Gewinn-seit-2011.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

o.V. / FAZ (2015): So kauft die EZB, in: FAZ vom 22.1. Online: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/ezb-anleihekaufprogramm-die-wichtigsten-punkte-13385221.html

Schultz, S. / Rickens, R. (2015): EZB-Anleihenkauf: Die große Geldflut, in: SpiegelOnline vom 22.1. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/europaeische-zentralbank-analyse-zum-kauf-von-staatsanleihen-der-ezb-a-1014353.html

EZB-Beschlüsse: Weniger geht nicht?

Dirk Löhr

Gestern, am 4.9., hat die EZB alle drei Leitzinssätze um jeweils 10 Basispunkte reduziert. Der Hauptrefinanzierungssatz wurde auf 0,05 Prozent gesenkt und der Einlagensatz liegt nun bei minus 0,2 Prozent.

Mario Draghi
Mario Draghi

Letzteres heißt, dass die Banken einen noch höheren Strafzins bezahlen müssen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, statt es in Form von Krediten an Unternehmen weiterzureichen (o.V. 2014).

Zudem möchte die EZB mit einem groß angelegten Kaufprogramm für Asset Backed Securities (ABS) und Pfandbriefe dafür sorgen, dass die Banken diese zweifelhaften Forderungen aus ihren Bilanzen und dafür Luft für neue Kredite bekommen. Dies bedeutet jedoch nichts anderes als die Sozialisierung der Risiken aus zweifelhaften Immobilienkrediten aus der Vergangenheit. Zweifelhaft, weil bei den zugrundeliegenden Sicherheiten gerade der Wert des Grund und Bodens über Kredite aufgeblasen wurde. Diese Blasen können immer noch platzen, und die Zeche zahlt nach Aufkauf der Papiere dann der Steuerzahler.

Generell spricht aus den Maßnahmen der EZB die Verzweiflung. Die Staaten der Euro-Peripherie versinken in einer Dauerrezession. Das Deflationsgespenst geht um.

Draghi kann mit den jüngsten Maßnahmen das Pferd nur zur Tränke führen – zum Saufen zwingen kann er es aber nicht. Nun seien – so die Meinung Draghis – die Regierungen mit „wachstumsfreundlichen Maßnahmen“ gefordert. Dabei zielt Draghi offenbar auf die Angebotspolitik. Es gibt eben wenig Neues unter der Sonne. Warum soll nun auf einmal funktionieren, was in der Vergangenheit floppte?

Nach den herrschenden Konventionen hat Draghi nun sein Pulver weitgehend verschossen. Theoretisch wären zwar noch weitgehendere Maßnahmen der EZB möglich – wie eine Umlaufsicherungsgebühr auf Bargeld und kurzfristige Einlagen mit Geldcharakter. Nicht nur bekannte Ökonomen wie Buiter und Mankiw, auch die japanische und amerikanische Zentralbank hatten sich hiermit schon auseinandergesetzt. Dies sicherlich Linderung bringen, würde aber als isolierte Maßnahme immer noch nicht ausreichen.

Denn: Der Euro ist grundsätzlich eine Missgeburt. Periphere Staaten mit einer geringen Produktivitätsentwicklung wie Griechenland, Spanien, Portugal, Irland etc. dürfen nicht demselben währungspolitischen Regime unterworfen werden wie Deutschland oder die Niederlande. Hier bedarf es einer dringenden Reform, eines Euro-Systems mit mindestens zwei Geschwindigkeiten (Löhr 2012).

Und: Derzeit werden die Staaten der Peripherie durch die Maßnahmen der Troika stranguliert und belastet. Genau das Gegenteil ist nötig.

Schließlich: Je radikaler die Niedrigzinspolitik der Zentralbank, umso stärker die Gefahr neuer Blasen auf den Immobilien- und Aktienmärkten.

Zusammen mit Harrison habe ich dargestellt, wie durch eine EU-weite Bodenwertabgabe in Kombination mit einem Tax-Shift (weg von den herkömmlichen Steuern) die Peripherie entlastet werden könnte (Löhr / Harrison 2013). Gleichzeitig könnte damit auch die Gefahr von Vermögenspreisblasen gebannt werden. Für einen solchen Schritt ist aber wahrscheinlich der Mut der Verzweiflung notwendig, die derzeit anscheinend immer noch nicht groß genug ist – genauso wie die Einsicht in derartige Zusammenhänge.

 

Mehr Informationen:

D. Löhr (2012): Gresham und die Drachme, in Humane Wirtschaft 2, S. 26-27. Online: http://www.humane-wirtschaft.de/2012_02/HW_2012_02_S26-27.pdf

D. Löhr / F. Harrison (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, 93. Jahrgang, 2013, Heft 10, S. 702-709. Online: http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10273-013-1586-1

o.V. (2014): EZB-Chef Draghi überrascht fast alle, in NZZ 4.9. Online: http://www.nzz.ch/wirtschaft/ezb-senkt-leitzins-ueberraschend-auf-rekordtief-1.18377096