Category Archives: Affordable Housing

Pestel-Studie: Fehlen mehr als 900.000 Sozialwohnungen?

Dirk Löhr

Derzeit geht eine Studie des Pestel-Instituts (“Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland) viral, die von einem Verbändebündnis in Auftrag gegeben wurde, dem der Mieterbund, die Baugewerkschaft sowie andere Sozial- und Branchenverbände angehören. Demnach fehlen mehr als 900.000 Sozialwohnungen in Deutschland. Zentral für dieses Ergebnis ist Tabelle 5 der Studie. Hier wird aufgrund verschiedener Kriterien ein Bedarf ermittelt, der einem Sollbestand gegenübergestellt wird. Immobilienökonom Michael Voigtländer vom IW Köln kritisiert allerdings, dass es sich bei diesem Sollbestand (insgesamt 2 Mio. Sozialwohnungen) um eine politisch gesetzte Größe handele – und damit auch bei dem ermittelten Defizit an Sozialwohnungen. Tatsächlich muten die Ergebnisse wenigstens teilweise merkwürdig an: Hiernach gäbe es in Hamburg und Nordrhein-Westfalen kaum ein Defizit an Sozialwohnungen, wohl aber in Niedersachsen.

Ein anderes Ergebnis der Studie ist ebenfalls interessant und wohl schwerer zu erschüttern: Demnach führt die Subjektförderung (v.a. bei den Kosten der Unterkunft) v.a. in Gebieten mit hohen Wohnungsdefiziten, starker wirtschaftlicher Dynamik, hoher Eigentumsquote und geringem Marktanteil gemeinwohlorientierter Vermieter zu überhöhten Mieten . Die entsprechenden Spielräume hierfür werden durch die Knappheiten eröffnet. Dies macht die Subjektförderung hier entsprechend teuer. Daraus kann geschlossen werden, dass v.a. in angespannten Märkten auch Objektförderung nötig ist, um die Knappheiten zu beseitigen. Für die Subjektförderung wurden in 2023 ca. 20 Mrd. Euro aufgewendet, für die Objektförderung hingegen nur 2,5 Mrd. Euro. Das bemerkenswerte Ergebnis: Es kann nicht um ein Gegeneinander von Subjekt- und Objektförderung gehen; vielmehr muss die Objektförderung in angespannten Märkten überhaupt erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Subjektförderung sinnvoll eingesetzt werden kann. Voigtländer kritisiert an der Objektförderung allerdings zurecht, dass sie aufgrund der hohen Anzahl von Fehlbelegungen derzeit wenig sozial treffgenau ist. Dies kann allerdings geändert werden, beispielsweise durch eine periodische Überprüfung der Wohnberechtigung. Hierfür fehlt jedoch derzeit offenbar der politische Wille.

Wohnungsmarkt und Konsumentenrente

Dirk Löhr

Vor einiger Zeit warteten die drei Professoren Kühling (Jurist, Uni Regensburg), Siegloch (VWL, Uni Köln), Sebastian (Immobilienfinanzierung, Uni Regensburg, ZEW), mit einer provokanten Analyse und einem radikalen Vorschlag auf. Die Knappheit an Wohnraum hänge auch damit zu zusammen, dass aufgrund der wohnungspolitischen Regulierungen (ortsübliche Vergleichsmiete, Mietpreisbremse etc.) unterhalb des markträumenden Gleichgewichtspreises liegt. So kommt es zu Konsumentenrenten auf dem Wohnungsmarkt, und folglich würde auch zu viel Wohnraum wird von Bestandsmietern nachgefragt. Die ginge zu Lasten von Zuzüglern und Familien, die wachstumsbedingt eine neue Bleibe suchen. Außerdem sei die Regulierung nicht sozial zielgenau, zumal auch einkommensstarke Haushalte in ihren Genuss kommen, die einen entsprechenden Schutz nicht brauchen. Die Lösung des Trios: Die betreffenden Regulierungen sollten geschliffen werden. Dies würde natürlich zu einem Anstieg der Mieten führen. Die Differenz zur gegenwärtigen, regulierten Miete solle jedoch nicht bei den Vermietern bleiben, sondern über geeignete Maßnahmen abgeschöpft werden. Diese Mittel sollten wiederum verwendet werden, um gezielt bedürftige Haushalte zu stützen. Der mutige Vorstoß der drei Professoren wurde scharf kritisiert, und zwar sowohl von Mieter- wie auch Vermieterorganisationen. Ich meine allerdings, dass es keine Denkverbote geben sollte, und dass die Analyse des Trios nicht aus der Luft gegriffen ist. Aus diesem Grunde habe ich in einem Artikel im letzten Wirtschaftsdienst den Versuch einer Einordnung und konstruktiven Kritik an den Vorschlägen vorgenommen. Zum Link: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/9/beitrag/wohnungspolitik-das-paradoxon-regulierungsbedingter-konsumentenrenten.html. Die Kritik wurde zumindest von Prof. Sebastian auch positiv aufgenommen – ich bin gespannt, ob und welche Schlüsse das Trio daraus zieht.

Teilenteignung durch EU-Gebäuderichtlinie: Wenn der Wahnsinn zur Methode wird

Dirk Löhr

Man kann sich ja darüber streiten, ob eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz Seitens Deutschlands und/oder der EU klug ist – oder ob wir am Ende nicht damit der Welt demonstrieren, wie Klimaschutz besser nicht gemacht werden soll. Tatsache ist, dass der Bürger ziemlich gefordert wird.

Zuerst das umstrittene, aber am Ende entschärfte Gebäudeenergiegesetz, das am Freitag von Bundestag verabschiedet wurde. Dann bald die Überführung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) in ein eigens für Gebäude und Verkehr neu geschaffenes Segment des Europäischen Emissionshandels (EU ETS 2). Die größte Sau wurde indessen noch nicht medial durch’s Dorf gejagt, wenngleich die ersten Medien schon vor dem drohende Unwetter warnen: Brüssel arbeitet an einer neuen EU-Richtlinie zur Verbesserung der Gebäudeenergieeffizienz (nachfolgend: „Gebäuderichtlinie“). Die Richtlinie ist Teil des EU-Klimapaketes „Fit for 55“. Hiermit sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 gesenkt werden. In technischer Hinsicht wurden Regeln zur Einordnung der verschiedenen Gebäude in Effizienzklassen geschaffen. Im Sinne des Erfinders sollen diese zwar einheitlich sein – allein, dem saarländischen Schornsteinfegermeister fehlt der Glaube daran, wenn er über die französische Grenze blickt. Die Energieeffizienzklassen reichen von A+ bis G. In Deutschland befinden sich derzeit 42% der Wohnimmobilien in den schlechtesten Energieeffizienzklassen E bis H. Bis 2030 sollen allerdings alle Wohngebäude mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 zumindest die Energieklasse D erfüllen. Hierzu müssen die Eigentümer einen Plan vorlegen und entsprechende Sanierungsmaßnahmen ergreifen.

Eine überschlägige Berechnung (dargestellt in Anhang 1) ergibt, dass die Sanierungsaufwendungen für die betroffenen 42% der Wohngebäude ungefähr genauso hoch sind wie deren gegenwärtiger Wert – etwa 2 Billionen Euro. Dabei sind Nicht-Wohngebäude, die ja ebenfalls noch saniert werden müssen (wenn auch in geringerem Tempo – der Staat nimmt die Anforderungen für sich selbst herunter!) nicht eingerechnet.

Pessimisten würden hier von einem wirtschaftlichen Totalschaden für die betroffenen Eigentümer sprechen; die Befürworter der energetischen Sanierung setzen entgegen, dass die Energierechnung geringer ausfallen wird. Dies würde dazu führen, dass der Gebäudewert erhalten bleibt. Schließlich könne ein Vermieter aufgrund der geringeren Mietnebenkosten ja eine entsprechend höhere Kaltmiete einfordern; für selbstgenutztes Wohneigentum gelten ähnliche Überlegungen hinsichtlich der kalkulatorischen Mieten. Wer hat nun Recht?

Wir wollen einmal davon absehen, dass angesichts der Marktverhältnisse in peripheren Regionen die Durchsetzung höherer Mieten infolge geringerer Nebenkosten allenfalls nur teilweise möglich ist. In der in Anhang 2 dargestellten Überschlagsrechnung unterstellen wir jedoch kontrafaktisch die volle Durchsetzbarkeit. Die Berechnung ergibt dennoch, dass dann nur die Hälfte der Sanierungsinvestitionen i.H.v. 2 Billionen Euro werthaltig sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Wert von 42% der Wohnimmobilien halbiert wird.

Eine bessere Wahlkampfhilfe für die hiesige AfD könnte sich die Brüsseler Blase nicht einfallen lassen. Die Gesellschaft würde noch mehr gespalten, als sie es ohnehin schon ist. Betroffen sind nicht zuletzt ältere Menschen, die kaum mehr an einen Kredit kommen. Und betroffen sind v.a. die peripheren Regionen. Arm und Reich, Jung und Alt, Land und Stadt würden aufeinander losgehen, wenn die Pläne aus Brüssel Realität würden. Die Eigentümer der ärmeren Gebäude werden allerdings eine solche de facto-Teilenteignung nicht unwidersprochen hinnehmen. Die Mieter werden die Mieterhöhungen, die eigentlich erforderlich sind, nicht aufbringen können. Die Gebäuderichtlinie ist, wie sie derzeit angelegt ist, nicht nur unintelligent, sondern auch gesellschaftspolitisch gefährlich.

Der klügere Weg wäre, das immer noch überkomplexe deutsche Gebäudeenergiegesetz und auch die Gebäuderichtlinie einzustampfen bzw. gar nicht erst in die Welt zu setzen. Stattdessen sollte der CO2-Handel des EU ETS 2 in die Rolle des Leitinstruments gesetzt werden. Der CO2-Handel hat den Vorteil, dass er es den Gebäudeeigentümern überlässt, wie hoch die Sanierungsaufwendungen ausfallen sollen – oder ob es angesichts der kurzen Restnutzungsdauer eines Gebäudes nicht sinnvoller ist, das Meiste beim Alten zu belassen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass das Verbrennen von Geld auch mit einem aus ökologischer Sicht ineffizienten Ressourcenverbrauch einher geht. Und: Im Gegensatz zu den wenig kontrollierbaren Konsequenzen des geplanten Bürokratie-Kuddelmuddels steht der maximal mögliche Emissionsausstoß fest – höchste ökologische Zielgenauigkeit.

Bei der Weiterentwicklung des Emissionshandel sollte das EU ETS 2 mit dem EU ETS 1 verschnitten werden. Die bottom up-Regel des EU ETS 2, dass die Emissionen bereits mit einem Zertifikat belegt werden, wenn sie in den Verkehr gebracht werden, sollte verallgemeinert werden. Dann könnten beispielsweise auch Baustoffe miterfasst werden. Die Zertifikate sollten generell verkauft (wie für das EU ETS 2 vorgesehen), und nicht verschenkt werden. Die Erlöse sollten an die Bürger zu gleichen Teilen zurück verteilt werden; alle Bürger sind zu gleichen Teilen Berechtigte an der Atmosphäre. Da Einkommensschwächere einen geringeren CO2-Fußabdruck als „Reiche“ haben, wäre dies ein wesentlicher Beitrag zur sozialen Kompensation und auch zur Klimagerechtigkeit (s. auch: Blogbeitrag “Klimagerechtigkeit und Klimageld: Keine halben Sachen!“). Der gegenwärtige Transformations- und Klimafonds, aus dem alle möglichen öffentlichen Aufgaben finanziert werden, ist insoweit eine Fehlkonstruktion. Hoffnung macht Bundesbauministerin Geywitz, die das Problem offenbar erkannt hat und sich bezüglich der EU-Gebäuderichtlinie quer stellt.

Anhang 1: Überschlägige Berechnung der Sanierungskosten für die betroffenen Wohnimmobilien

Die Wohngebäude (ohne Grund und Boden) dürften in Deutschland in etwa 7 Billionen Euro wert sein. 42% hier von wären ca. 3 Billionen Euro; allerdings handelt es sich bei den Gebäuden der Energieklasse E bis H zumeist um unterdurchschnittlich werthaltige, oft in ländlichen Regionen belegene Gebäude. Geben wir den betreffenden Gebäuden also einen überschlägigen Wert von vielleicht 2 Billionen Euro. Nun gehen wir von einer (überdurchschnittlichen) Wohnfläche von ca. 160 qm (auf dem Land wird großzügiger gebaut, da die Bodenpreise geringer sind) und von konservativ angesetzten Sanierungskosten von 1.000 Euro/qm aus (1.500 Euro/qm dürften realistischer sein). Die gesamte Wohnfläche beträgt in Deutschland 3,87 Milliarden Quadratmeter. Weil aber die durchschnittliche Wohnfläche auf dem Land eben größer als in der Stadt ist, muss diese grob adjustiert werden. Hierfür nehmen näherungsweise einmal den Faktor 160/130, angelehnt an die Flächenrelation Land-Durchschnitt bei Einfamilienhäusern. Die Multiplikation der Sanierungskosten von 1.000 Euro/qm mit 42% von 3,87 Milliarden Quadratmetern, gewichtet mit dem o.a. Anpassungsfaktor ergibt ziemlich genau 2 Billionen Euro, also den gegenwärtigen Wert der betreffenden Immobilien.

Anhang 2: Werthaltigkeit der Sanierungsinvestitionen für die betroffenen Wohnimmobilien

Nehmen wir an, dass durch den Übergang von Energieklasse H zu D ungefähr 36 Euro/qm Energie gespart werden können. Es werden wieder Sanierungskosten von ca. 1.000 Euro/qm hierfür zugrunde gelegt. Um sauber zu rechnen, müssen die Ersparnisse an Energiekosten abgezinst werden. Hierfür legen wir 3,5% zugrunde – ein Wert, der sich an den Liegenschaftszinssätzen in eher peripheren Regionen orientiert. Es muss beachtet werden, dass gerade auch in ländlichen Regionen die meisten schlecht sanierten Immobilien schon viele Jahre auf dem Buckel haben. Gehen wir von durchschnittlichen 80 Jahren wirtschaftlicher Gesamtnutzungsdauer und 20 Jahren Restnutzungsdauer aus, so beträgt nach 20 Jahren (dem Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer) der Kapitalwert der Investitionsmaßnahmen ca. -500 Euro /qm. Für die gesamten 42% betroffenen Wohngebäude bedeutet dies einen negativen Kapitalwert von einer Billionen Euro.  

Statt der unintelligenten Gebäudesanierungsstrategie der Regierung: Low hanging fruits first!

Dirk Löhr

Die energetische Sanierung im Gebäudebereich ist in den kommenden Dekaden eine zentrale Herausforderung. Bis zum Jahr 2050 möchte die EU CO2-neutral sein, Deutschland sogar bis 2045. Es stellt sich die Frage, ob das Ziel und die eingeschlagenen Wege zur Zielerreichung vernünftig sind.

Denn entgegen dem zur Schau gestellten Zweckoptimismus v.a. aus dem Hause Habeck dürfte die umfassende Sanierung des Gebäudebestands sehr teuer werden. Es droht eine massive Entwertung des Volksvermögens. Hierzu folgende überschlägige Berechnung: Der Wert der Immobilien in Deutschland machte ausweislich der Vermögensbilanzen von Deutscher Bundesbank und dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2021 ca. 10,6 Billionen Euro aus und stellt damit das wichtigste Asset in der Volkswirtschaft dar. Diese Zahl umfasst Wohn- wie Nichtwohngebäude. Gehen wir nun davon aus, dass der durchschnittliche Wohnflächenkonsum 47,6 qm / Person beträgt, rechnen wir mit 82 Millionen Menschen (die Flüchtlingsunterkünfte sollten nicht voll gezählt werden) und setzen wir moderat durchschnittliche Sanierungskosten von 500 Euro / qm Wohnfläche an, so erhalten wir allein für Wohngebäude einen Sanierungsaufwand i.H.v. 1,9 Billionen Euro, was 18% des Wertes des gesamten Gebäudebestandes ausmacht. Wohlgemerkt, die Nicht-Wohngebäude sind in den 1,9 Billionen Euro Sanierungsaufwand noch gar nicht enthalten. Die Sanierungsmaßnahmen führen angesichts des neuen rechtlichen Rahmens aber nicht zu einer Aufwertung der Gebäude, sondern verhindern nur eine Abwertung. M.a.W.: Es handelt sich um puren Aufwand, dem kaum ein einzelwirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht. In dieses Bild passt, dass Immobilien mit einer schlechten Energieklasse schon heute in Vorwegnahme der neuen Anforderungen mit Wertabschlägen von bis zu einem Drittel gehandelt werden (mittlere Differenz).

Das heißt u.a., dass die Altersvorsorge, die viele Menschen in Form von Immobilien getroffen haben, zum Geldgrab wird. Selbst der duldsame deutsche Michel wird einer solchen Politik der kalten Enteignung früher oder später nicht mehr folgen wollen.

Eine neuere Studie des BDI (Klimapfade für Deutschland) besagt jedoch, dass ein 80%-Pfad durchaus noch mit vertretbaren Belastungen machbar ist. Die letzten 20% der klimapolitischen Ziele verursachen allerdings extrem hohe Vermeidungskosten. Goldman Sachs rechnet ebenfalls in einer Studie vor (Carbonomics), dass mit demselben Mitteleinsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich höhere Vermeidungswirkungen zu erzielen wären als hierzulande, weil dort die “low hanging fruits” dort noch gar nicht geerntet sind (s. auch die Argumentation von Daniel Stelter hierzu).

Natürlich kann man – wie die Bundesregierung dies in ideologischer Weise tut – auf eine Vorbildfunktion setzen und mit mit einem 100%-Ziel den sozialen Frieden gefährden. Man kann sich aber auch – wie dies die Schweiz, Japan und Südkorea machen – auf Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens berufen und die letzten 20% der Vermeidungsinvestitionen nicht im Heimatland vornehmen, sondern in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dies entspricht auch dem Pareto-Prinzip, wonach 80% des Erfolges mit 20% der Anstrengungen zu verwirklichen sind und vice versa.

Hinweis: Wohnwende in Baden-Württemberg – Veranstaltung zur Neuen Wohngemeinnützigkeit

Dirk Löhr

Am Montag, den 13.02.2023, findet von 16.00 bis 19.00 eine Online-Veranstaltung zur Neuen Wohngemeinnützigkeit statt, die von der Evangelischen Akademie Bad Boll in Kooperation mit dem Deutschen Mieterbund (Baden-Württemberg) organisiert wurde.

Anmeldungen sind noch möglich. S. https://www.ev-akademie-boll.de/tagung/451323.html

Einbeziehung der Mieten in die Umsatzsteuer?

Dirk Löhr

Am 1. Februar dieses Jahres hatte ich in diesem Blog den Vorschlag gemacht, die Wohnungsmieten (per Option) in die Umsatzsteuer einzubeziehen – allerdings mit einem Steuersatz von 0%. Dafür könnte die gesamte Vorsteuer gezogen werden, was zu einer erheblichen Absenkung der Herstellungskosten für Mietwohnbauten (bis zu 16%) führen könnte.

Zuerst ein dickes Kompliment an das Bundesbauministerium: Es hat sich umgehend der Sache angenommen!

Das Ergebnis der Prüfung: Leider ist derzeit nur ein Umsatzsteuersatz von 5% möglich, nicht von 0% (Art. 98 Abs. 1 Unterabs. 2 MWStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 10).

Darüber hinaus dürfen die Mitgliedstaaten für zwei Leistungen auch einen Umsatzsteuersatz von unter 5% festlegen (also auch einen Umsatzsteuersatz von 0%). Allerdings ist dieser nur für bestimmte, in Art. 98 Abs. 2 MWStSystRL aufgeführte Leistungen zulässig. Hierzu zählen die im o.a. Post angeführten Solarpanele, nicht aber die Vermietung von Wohnungen.

Weiterhin ist ein Nullsteuersatz auch für Leistungen möglich, die einem anderen Mitgliedstaat aufgrund von alten Ausnahmeregelungen zum 1.1.2021 mit 0% besteuert wurden (Art. 98 Abs 2 Unterabsatz 2 lit b i.V.m. Artikel 105a Abs. 1 MWStSystRL). Mit Blick auf Vermietungsleistungen ist dies jedoch für kein EU-Land bekannt.

Was bleibt: Entweder die Mehrwertsteuer von 5% – bei einer Verminderung der Herstellungskosten um 16% kann dies (je nach Bodenwertanteil der Immobilie) auch eine Reduktion der Mieten von 5 bis 8% bewirken – hier liegt aber auch ein politischer Sprengsatz, wenn die Sache in den Medien falsch verstanden wird oder verstanden werden will (“Regierung will Mieten durch Umsatzsteuer verteuern!”). Oder eine Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, um einen Nullsteuersatz auch für Wohnungsmieten hinzubekommen. Das ist zwar ein dickes Brett, aber womöglich stünde Deutschland mit dem Ansinnen nicht alleine.

Reduktion der Kosten für Mietwohnbauten – Einführung des Vorsteuerabzuges?

Dirk Löhr

Der Wohnungsbau stagniert. Das im Koalitionsvertrag der Ampel verkündete Ziel, 400.000 neue Wohnungen jährlich zu schaffen (davon 100.000 mit Sozialbindung), rückt in immer weitere Ferne. Die Investoren befinden sich in der Klemme: Kostenseitig steigen Zinsen und Baukosten (Abriss von Lieferketten, erhöhte energetische Anforderungen) – von Seiten des Bodenmarktes kommt derzeit aber nicht die benötigte Entlastung in Gestalt ausreichend sinkender Bodenwerte. Die künftig durchsetzbaren Mietsteigerungen dürften angesichts des inflationsbedingten Realeinkommensverlustes der Mieter überschaubar sein. Die Investoren sind in die Zange genommen – viele Bauvorhaben werden aufgeschoben. Vonovia beispielsweise hat einen Baustopp verkündet.

Bislang setzt man zur Dämpfung der Baukosten auf – sicherlich vernünftige – Maßnahmen wie z.B. serielles und modulares Bauen. Eine Maßnahme, die auf einen Schlag eine Reduktion der Herstellungskosten um 16% (19%/119%) bewirken könnte, ist erstaunlicherweise aber bislang nicht in der Diskussion: Eine Änderung des Mehrwertsteuerregimes.

Der Ansatzpunkt könnte die Einführung eines Nullsteuersatzes für vermietete Wohnimmobilien sein. Diese sind bislang von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 12 UStG). Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 9 UStG ist derzeit jedoch nicht möglich. Es handelt sich allerdings nur um eine „unechte“ Befreiung, da auch die Vorsteuer auf die Planungs- und Bauleistungen nicht abgezogen werden kann.  Dementsprechend erhöhen sich die Herstellungskosten der Mietwohnungen.

Über die Einführung eines Nullsteuersatzes auf Wohnbauleistungen (soweit Einnahmenerzielungsabsicht besteht), bei gleichzeitiger Öffnung der Verzichtsmöglichkeit auf die Steuerbefreiung bei vermieteten Wohnimmobilien (§ 9 UStG) könnten Wohnimmobilien in die Steuerpflicht gebracht werden, ohne dass es für die Mieter teurer wird. Der Vorteil: Der Weg für den Vorsteuerabzug wäre frei – das könnte bis zu 16% verringerte Herstellungskosten für die Mietwohnbauten bedeuten.

Ein ähnlicher Weg wurde für kleine Photovoltaikanlagen im Rahmen der Anpassung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2022 beschritten. Ziffer 10 in Anhang III der Richtlinie 2005/112/EG (Gegenstände, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewendet werden dürfen) enthält schon die „Lieferung und Bau von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, wie von den Mitgliedstaaten festgelegt; Renovierung und Umbau, einschließlich Abriss und Neubau, sowie Reparatur von Wohnungen und Privatwohnungen; Vermietung von Grundstücken für Wohnzwecke“.

In diesem Rahmen (auch gedeckt durch Ziffer 15 der Liste) ergibt sich z.B. auch die Möglichkeit der Befreiung gemeinnütziger Organisationen, was für die geplante Neue Wohngemeinnützigkeit interessant sein könnte.

Die Mitgliedsstaaten dürfen für bis zu höchstens sieben der 29 Kategorien des Anhangs III auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zwei ermäßigte Steuersätze vorsehen, wovon einer der Steuersätze unter 5 % und der andere Steuersatz 0 % (Nullsteuersatz) betragen kann. Die Bundesregierung könnte dies zum Anlass nehmen, um ihre Prioritäten zu prüfen – ob ein Nullsteuersatz für Mietwohnungen ermöglicht werden kann.

Kein öffentliches Grundvermögen mehr versilbern – Hamburg macht es vor!

Dirk Löhr

Am Donnerstag, den 26.01.2022, war ich zu einer öffentlichen Anhörung des Verfassungs- und Bezirksausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft geladen. Es ging um die Vorbereitung einer Beschlussvorlage, der u.a. die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum als Staatszielbestimmung vorsieht und zudem ein verfassungsmäßig verankertes Veräußerungsverbot für Wohngrundstücke vorsieht. Diese sollen grundsätzlich nur noch via Erbbaurecht vergeben werden. Vorangegangen war eine Einigung mit der Volksinitiative “Boden & Wohnraum behalten – Hamburg sozial gestalten! Keine Profite mit Boden & Miete!”. Wird der Beschluss in seinem Kern von der Bürgerschaft tatsächlich verabschiedet, beschreitet Hamburg einen neuen Weg, der weisend auch für andere Bundesländer sein kann.

Meine mündliche Stellungnahme finden Sie hier:

“Danke für die Einladung!

I. Staatszielbestimmung Art. 73a LVV

  1. Darstellung:

Sachlich umfasst die Vorschrift die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Verpflichtung auf den Vorrang der Innenentwicklung und die Berücksichtigung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen bei der Ausweisung neuer Bauflächen.

2. Beurteilung:

Ich bin zwar kein Volljurist. Erlauben Sie mir dennoch folgende Anmerkungen.

Es handelt sich um explizit eine Staatszielbestimmung, d.h. um eine objektiv-rechtliche Selbstverpflichtung, die kein einklagbares subjektives Recht Seitens der Bürger statuiert oder in Konflikt mit Bundesgesetzen treten könnte, soweit der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.

Einige Landesverfassungen sehen sogar ein explizites Recht auf Wohnraum vor, wie Bayern (Art. 106), Berlin (Art. 28), Bremen (Art. 14) und Sachsen (Art. 7). Ungeachtet der sprachlichen Ausgestaltung wird diesen Normen nach h.M. jedoch nicht der Charakter von subjektiven (also einklagbaren) Rechten zugestanden. Andere Landesverfassungen regeln die Wohnraumversorgung ausdrücklich als Staatszielbestimmungen – so Brandenburg (Art. 47), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 17), Niedersachsen (Art. 6a), Nordrhein-Westfalen (Art. 29), Rheinland-Pfalz (Art. 63), Sachsen-Anhalt (Art. 40) und Thüringen (Art. 15).

Genannt wurden gerade 11 von 16 Bundesländern. Mir fehlt das Vorstellungsvermögen dafür, dass in Hamburg rechtlich nicht möglich sein sollte, was in der Mehrzahl der Bundesländer schon implementiert wurde.

II. Kern des Beschlusses, Umsetzung im Rahmen des Art. 72 Abs. 6 LV

  1. Darstellung:

Intendiert ist die verfassungsmäßige Verankerung eines Veräußerungsverbotes an Wohngrundstücken. In einem Durchführungsgesetz werden Ausnahmen verankert, um entsprechende Flexibilität zu gewährleisten. In der Beschlussvorlage ist zudem ein Mehrungsgebot vorgesehen (positive Flächenbilanz), allerdings ohne expliziten Verfassungsrang. Gleiches gilt für die Abgabe der Grundstücke, die an Marktteilnehmer grs. über Erbbaurechte erfolgen soll. Hier kann man allerdings implizit (verfassungsrechtliches Veräußerungsverbot) ebenfalls Verfassungsrang annehmen.

2. Beurteilung:

Diese Neuorientierung ist unbedingt sinnvoll. In der Zukunft werden sich für Hamburg weitere Zuwanderungen ergeben. Gleichzeitig werden mehr Flächen für grüne und blaue Infrastruktur etc. benötigt, wobei diese nicht mit hochproduktiven wirtschaftlichen Nutzungen auf dem Markt konkurrieren können. Die Flächenkonkurrenz wird sich erhöhen. Mit den vielfachen Herausforderungen, die sich mit Blick auf bezahlbaren Wohnraum, die Adaption an den Klimawandel, Schwammstadtkonzepte, Resilienz (auch mit bewusst eingebauten redundanten Infrastrukturen) etc. stellen, ist ein allein auf Markt und Privateigentum basierender Allokationsmechanismus aber überfordert. Die Beschlussvorlage möchte diesen Allokationsmechanismus nicht ersetzen, sondern ergänzen. Im Übrigen verweise ich hier auf meine schriftliche Stellungnahme.

In den bestehenden Regelwerken (Landes- und Gemeindeordnungen) ist typischerweise festgelegt, dass Vermögensgegenstände (darunter unterschiedslos auch Boden und Wohnungen) nur erworben werden können, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Gebietskörperschaft notwendig ist. Sie dürfen nur veräußert werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden (FHH: noch andere Kriterien). § 63 LHO der FHH bildet hier keine Ausnahme.

Was aber „notwendig“ ist und ob die Vermögenswerte noch benötigt werden, stellt Auslegungssache dar – es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe.

Die geplante Ergänzung des Art. 72 Abs. 6 LV (Veräußerungsverbot bei Wohngrundstücken) stellt insoweit eine Leitlinie dar, die in den Rang eines Verfassungsauftrages gerückt wird. Mit dem Mehrungsgebot („positive Flächenbilanz“), öffnet der Beschluss auch das Tor für eine Bodenvorratspolitik, wenngleich auch dem Mehrungsverbot kein unmittelbarer Verfassungsrang zukommen soll.

Für eine systematische Bodenvorratspolitik, wie sie z.B. die Stadt Ulm seit 130 Jahren erfolgreich betreibt (übrigens ausgelöst durch Druck von Unternehmerseite), ist jedoch eine Grundsatzorientierung nötig. Hier muss ein Konsens existieren (wie eben in Ulm), und am besten auch eine Rechtsgrundlage. Zudem muss es möglich sein, die Grundstückskäufe antizyklisch vorzunehmen: Also gerade dann, wenn sie anscheinend – aus kurzfristiger Perspektive – eben nicht erforderlich sind, nämlich bei einem entspannten Markt. Das geben die Regelungen der LHO mit ihren Verweisen auf die „Notwendigkeit“ für sich genommen derzeit nicht ohne Weiteres her. Auf der Grundlage der Verfassungsergänzung kann eine vollständig neue Interpretation dessen erfolgen, was “notwendig” ist. Ob eine klarstellende Änderung der LHO vor diesem Hintergrund nötig ist, mögen die Juristen entscheiden.

So sehr die Richtung stimmt, erlauben Sie mir auch ein wenig Kritik an der Beschlussvorlage:

  • Gerade im Zuge der Adaption an den Klimawandel kann es auch sinnvoll sein, Grundstücke zu bevorraten, ohne dass deren künftiger Verwendungszweck genau festliegt. Daher und aus anderen Gründen hätte ich mir bei Art. 72 Abs. 6 auch keine Beschränkung auf Wohngrundstücke gewünscht.
  • Die Beschlussvorlage enthält zwar das Bestreben nach einer positiven Flächenbilanz – m.E. wäre es jedoch gut, wenn auch das Mehrungsgebot explizit in der Landesverfassung verankert würde.

Schließlich sei noch der Hinweis erlaubt, dass das Ziel einer positiven Flächenbilanz auch der Bereitstellung finanzieller Mittel bedarf. Es ist zumindest kurz- und mittelfristig kaum zu erwarten, dass die Erbbauzinsen hierfür hinreichend sein.

Dennoch: Auch mit Art. 72 Abs. 6 der Beschlussvorlage schlägt die FHH einen neuen Weg ein, der auch weisend für andere Bundesländer sein kann.

III. Abgabe der Grundstücke grs. auf dem Wege des Erbbaurechts

  1. Darstellung:

Die Abgabe der städtischen Wohngrundstücke soll grundsätzlich im Wege des Erbbaurechts erfolgen.

2. Beurteilung:

Auch dies ist eine sehr sinnvolle Maßnahme. Die FHH kann so u.a. den Nutzungszyklus der Grundstücke (incl. Zwischen- und Nachnutzungen) kontrollieren. Sie kann ihre sozialen, ökologischen und städtebaulichen Ziele – im Rahmen von Konzeptvergabeverfahren – unmittelbar umsetzen. Zusätzlich profitiert sie von stetigen und sehr sicheren Zahlungsströmen und vom Bodenwertzuwachs. Die Investoren erhalten einen kapitalfreien Zugang zum Boden, der in Hamburg bekannterweise teuer ist.  

Allerdings: Die FHH kann auch über ihre eigenen Unternehmen nicht die gesamte Stadt bauen. Sie ist auf die Mitwirkung privater Investoren angewiesen – diese kann man aber nicht zum Bauen zwingen.

Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass die Erbbaurechte im Markt akzeptiert werden. Dies erfordert eine Ausgestaltung der Erbbaurechte, die weitgehend dem Volleigentum angenähert ist und bei denen die Nachteile, die Investoren aus den Erbbaurechten erwachsen, weitestgehend kompensiert werden.

In der Vergangenheit nahm die FHH im bundesweiten Vergleich der Städte und Stadtstaaten hier schon eine Vorreiterrolle ein. Allerdings kann noch weiter optimiert werden. Das betrifft nicht nur die Erbbaurechte selbst (Entschlackung, Vorrecht auf Erneuerung etc.), sondern auch die Förderlandschaft. Anders als bei Volleigentum können beispielsweise Sozialbindungen Investoren über die gesamte Vertragsdauer des Erbbaurechts auferlegt werden. Allerdings gilt es, die Investoren für diesbezügliche Auflagen neben den allgemeinen Nachteilen des Erbbaurechts gegenüber Volleigentum zu kompensieren (Beleihungswert, Eingriff in die Verfügungsrechte).

Insbesondere muss eine Quersubventionierung von gebundenen durch freie Wohnungen möglichst vermieden werden, geförderte Wohnungen müssen für sich selbst tragfähig sein. Falls nicht, sind die Investoren darauf angewiesen, die Preissetzungsspielräume bei den Mieten zum Zwecke der Quersubventionierung auszureizen. Dann aber drohen Konsequenzen für die Leistbarkeit von Wohnen und auch den Mietspiegel.

Mittlerweile gibt es schon interessante Fördermodelle bei Erbbaurechten – in diesem Kontext sei auf Stuttgart verwiesen. Eine weitere Optimierung der Förderlandschaft ist sicherlich auch im Sinne des von der FHH gefahrenen kooperativen Ansatzes.

Danke!”