Wer schreit noch vor Glück? – Über das Ama-Zoning unserer Innenstädte

Dirk Löhr

Die neue Bedrohung

Der Tante-Emma-Laden wurde mittlerweile weitgehend vom großflächigen Einzelhandel abgelöst. Die Betriebsflächen wurden dabei in der Vergangenheit oft an neuen Standorten an der Peripherie der Siedlungen geplant (s. den Blogbeitrag “Gewinne und Renten: Alles Aldi oder was?“). Sie entstanden auf der grünen Wiese, an neuen, weder städtebaulich noch verkehrsbezogen gut integrierten Standorten – meist ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr. Die Expansion des großflächigen Einzelhandels ist dabei auch ein Ergebnis der Verlockungen des motorisierten Individualverkehrs; die Planung versuchte, den hierdurch gewandelten Mustern und Bedürfnissen der Bürger gerecht zu werden. Nicht berücksichtigt wurde dabei freilich, dass ein beträchtlicher Teil der Kosten des motorisierten Individualverkehrs externalisiert wird.
Der leichtfertige Ausweis solcher Flächen in gegenseitiger Konkurrenz durch die Kommunen war eine wichtige Ursache für die Marktmacht, die wenige Discounter innerhalb relativ kurzer Zeit erlangten. Zudem wurde potenziellen Wettbewerbern den Markteintritt erschwert (s. den Fall Walmart). Die Marktmacht der Einzelhandelsketten rief zwischenzeitig sogar die Wettbewerbshüter auf den Plan. In jüngster Zeit ist es allerdings um den großflächigen Einzelhandel in Deutschland ein wenig ruhiger geworden. Mittlerweile hat einerseits die Planung aus ihren Fehlern in der Vergangenheit gelernt, andererseits zieht es die Einzelhandelsketten mittlerweile weg von der Peripherie zurück in die Stadtkerne, wofür nicht zuletzt auch die demographische Entwicklung verantwortlich ist.

Während sich hier die Lage also langsam entschärft, macht den Wettbewerbshütern und Stadtplanern eine neue Entwicklung Kopfschmerzen: Der Online-Handel, durchgeführt auf Plattformen wie Amazon, eBay oder durch Firmen wie Zalando sowie die Marktmacht von Internet-Giganten wie Google. Insgesamt hat der Online-Handel zwar noch immer einen Anteil am Einzelhandels-Gesamtumsatz von nur gut 10 %, doch wächst er mit zweistelligen Raten – und zwar zu Lasten des stationären Einzelhandels.

Mittlerweile finden sich selbst stationäre Giganten wie Media-Markt, KiK, C&A, SportScheck, Drogerie Müller oder Saturn auf der Liste der bedrohten Arten (Hielscher 2014). Die mächtigen Discounter selber sind – da im Lebensmittelsektor verankert – derzeit noch nicht bedroht. Allerdings werden neue Vermachtungstendenzen mit entsprechenden Risiken für einen funktionierenden Wettbewerb erwartet. Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, es handle sich beim Siegeszug des Onlinehandels um eine Welle der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter) – wer im Wettbewerb die Zeichen der Zeit nicht erkennt und Sortimentsstruktur wie Online-Leistung optimiert, hat eben verloren.

M.E. verhält es sich jedoch nicht so einfach, zumal der Wettbewerb höchst selbst infrage gestellt ist. Der Grund hierfür sind Standortvorteile gegenüber dem stationären Handel. Diese sind beim Handel im Internethandel unschlagbar, da er im Wohnzimmer des Verbrauchers oder im Büro des Unternehmenskunden stattfindet. Aus der Sicht der Nachfrager werden Suchkosten sowie Wege- und Transportkosten minimiert. Dieser Kostenvorteil kann einerseits – zu Lasten der stationären Konkurrenz – an die Kunden weitergegeben werden. Wenn das Geschäftskonzept funktioniert, wird jedoch immer noch ein Gewinn ermöglicht, der den Charakter einer klassischen Differentialrente trägt und als solcher nicht weg zu konkurrieren ist. Der Grenzanbieter ist hierbei der stationäre Handel, der sich auf der Schwelle zur Geschäftsaufgabe bewegt.

 

Wettbewerb und steigende Grenzkosten

Wettbewerbsmärkte funktionieren nur bei steigenden Grenzkosten (s. auch den Blogbeitrag Wettbewerb und die einzelwirtschaftlichen Grenzen des Wachstums). Wenn die Preissetzungsmacht der Anbieter begrenzt ist (im Idealfall sind sie Preisnehmer) steigen nach neoklassischer Lesart mit zunehmender Ausbringungsmenge die Grenzkosten irgendwann so weit an, bis irgendwann keine positiven Deckungsbeiträge mehr erzielt werden können. Das Größenwachstum der Unternehmen nimmt dann ein organisches Ende. Mit ihrer Ausblendung des Produktionsfaktors Boden übersah die neoklassische Theorie jedoch, dass steigende Grenzkosten kaum darauf zurückzuführen sind, dass mit wachsender Ausbringungsmenge die Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital unproduktiver wird. Realiter lassen sich beide Produktionsfaktoren innerhalb relativ kurzer Zeit reproduzieren (bei Kapital durch Ersatzinvestitionen, bei Arbeit durch Öffnung der Grenzen) und auch in Grenzen gegenseitig ersetzen. Diesbeztüglich bestehen keine Schranken für eine über die gesamte Kapazität hinweg optimale Faktorkombination. Anders, als es die neoklassische Theorie annimmt, produzieren die meisten Unternehmen daher auch mit konstanten oder sogar fallenden Grenzkosten – bis zum Erreichen der Kapazitätsgrenzen (Löhr 2013).

Dennoch besteht eine – durch steigende Grenzkosten bedingte – einzelwirtschaftliche Grenze des Wachstums. Der Grund hierfür liegt im von der neoklassischen Theorie „wegdefinierten“ Produktionsfaktor Boden. Dies ist der einzige Produktionsfaktor, der sich der Vermehrung und dem Ersatz weitgehend entzieht. Steigende Grenzkosten sind somit – nicht nur in der Landwirtschaft, sondern generell – auf die Einsatzreihenfolge der Standorte zurückzuführen: Zuerst wird – mit weitgehend konstanten und entsprechend niedrigen Grenzkosten – auf den besten Standorten produziert. Bei Erreichen der Kapazitätsgrenze wird dann auf Standorte ausgewichen, die nur eine Produktion mit entsprechend höheren (aber ebenfalls weitgehend konstanten) Grenzkosten zulassen – ebenfalls bis zum Erreichen der Kapazitätsgrenze. Der Grenzanbieter auf dem ungünstigsten Standort und mit den höchsten Grenzkosten bestimmt dann den Marktpreis (s. beispielsweise den Blogbeitrag “Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion“).

Diese – für Wettbewerbsmärkte charakteristische – Konstellation steigender Grenzkosten trifft jedoch für den Online-Handel nicht zu. Dieser scheint sich vielmehr (von den Logistiklägern abgesehen) – weitgehend vom Produktionsfaktor Boden entkoppelt zu haben. Die Restriktionen der Standortverfügbarkeit bestehen hier somit nur sehr begrenzt; dementsprechend steigen die Grenzkosten des Online-Handels mit steigender Ausbringungsmenge nicht an. Da die betreffenden einzelwirtschaftlichen Schranken des Wachstums entfallen, entwickelt der Online-Handel Züge eines natürlichen Monopols (Haucap / Kehder 2013). Es entsteht ein ungebremster Gravitationseffekt: Je größer der Marktanteil, der durch solche Plattformen abgedeckt wird, umso attraktiver werden sie sowohl für Anbieter als auch für Nachfrager. Markteintritte werden so erschwert. Zwar werden viele scheinbare Internet-Monopole im Laufe der Zeit wieder obsolet. Doch können und sollen sich Wettbewerbshüter hierauf verlassen?

 

Externe Kosten: Verzerrung des raumwirtschaftlichen Kräftefeldes

Der Ordnungspolitiker muss nicht nur wegen der Bedrohung des Wettbewerbs auf der Hut sein. Auch die externen Kosten, die mit der unbegrenzten Ausweitung des Online-Handels verbunden sind, sollten ihn beunruhigen.

Bekannt ist, dass durch den Online-Handel am Fiskus vorbei dem Staat enorme Steuereinnahmen entgehen, über deren Höhe man nur spekulieren kann (vgl. Littich / Beyer 2013). Die Löcher im Staatssäckel haben andere zu füllen, darunter die Nachfrager und Anbieter im stationären Handel.

In aller Munde ist zudem die Klage der stationären Einzelhändler über „Beratungsklau“; also den Aufwand für die Beratung von Kunden, die dann am Ende doch online kaufen. Aktionen wie „Störsender“, die in Elektronikmärkten lästige Apps zum Preisvergleich blockieren, wie verzweifelt die Lage des stationären Einzelhandels mittlerweile ist (Hielscher / Hensen / Steinbuch 2013).

Externe Effekte treten jedoch auch in siedlungspolitischer Hinsicht auf – diese sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen weit gravierender einzuschätzen. Einige Phänomene sind greifbar und offensichtlich, so z.B. der erschwerte Zugang gerade von älteren Menschen mit eingeschränkter Mobilität zu Lebensmitteln und täglichen Gebrauchsgütern.

M.E. viel bedeutsamer ist jedoch ein anderer negativer siedlungspolitischer Effekt: Der Beitrag des Online-Handels zur Schwächung der raumwirtschaftlichen Gravitationskräfte von Agglomerationen in peripheren Regionen. Bis vor Kurzem war der stationäre Einzelhandel nämlich noch das raumwirtschaftliche Rückgrat der dortigen Agglomerationen. Doch auch und gerade in den peripheren Lagen ist es für den einzelnen Konsumenten wesentlich bequemer, einfacher und schneller, eine Bestellung online abzugeben, als sich in einen örtlichen Laden zu begeben, wo die Auswahl wesentlich geringer ist; oder eventuell tagelang auf eine im Dorfladen abgegebene Bestellung zu warten, die dann noch zu einem gegenüber dem Online-Kauf deutlich erhöhten Preis eintrifft. Speziell auf dem flachen Land gibt es kaum mehr Dorfläden, die noch als Anker für weitere Anbieter dienen könnten (Postservice, kleine Elektrogeschäfte etc.). Klein- und Mittelzentren in Deutschland werden, bedingt durch den Online-Handel, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten 2023 bis zu 31 % ihres heutigen Flächenumsatzes verlieren (Hielscher / Hensen / Steinbuch 2013). Milliardenbeträge fließen weg von klassischen Buchläden und Boutiquen, Bettenhändlern und Baumärkten hin zu den Netzgiganten.

Die Folgewirkungen reichen aber noch weiter: Die nutzbaren Immobilien in der Peripherie stehen zunehmend leer, den Gemeinden entgeht Grund- und Gewerbesteuer, was sich wiederum auf die Möglichkeiten auswirkt, technische und soziale Infrastruktur (z.B. Alten- und Kinderbetreuung) anbieten zu können. Diese Abwärtsspirale wird noch durch den de facto subventionierten (da ebenfalls von seinen mannigfachen externen Kosten weitgehend entlastete) Straßenverkehr beschleunigt.

Mit dem Verlust der raumwirtschaftlichen Gravitations- und der subventionsbedingten Stärkung der Fliehkräfte verkommen die Agglomerationen in peripheren Regionen zunehmend zu konturlosen Splittersiedlungen, deren raumwirtschaftliche Funktion sich immer mehr nur noch auf Wohnen beschränkt. Ist der individuelle Vorteil der geringeren Suchkosten und gewonnener Zeit angesichts dieses Strudels an Externalitäten derart groß, dass all dies toleriert werden kann?

Wie schon gesagt: Obwohl die Möglichkeiten de facto sehr beschränkt sind, die Ausweisungssünden aus den vergangenen Jahrzehnten zu korrigieren, ist die Bauleitplanung mittlerweile beim großflächigen Einzelhandel sensibel geworden. Erleichtert wird das Geschäft der Planer dadurch, dass auch viele Filialisten auf dem flachen Land keine Zukunft mehr sehen.

Beim Online-Handel besteht hingegen Wildwuchs, und die damit einhergehende Problematik ist weitgehend unerkannt. Wie viel Kaufkraft hier zu wessen Lasten und zu wessen Gunsten abgeschöpft wird, entzieht sich weitgehend der Planung. Auch eine gute Bauleitplanung, die auf den Schutz des lokalen innerstädtischen Einzelhandels bedacht ist, wird so leicht konterkariert.

Auf einen Erfolg der Gegenstrategien des stationären Einzelhandels (wie Kooperationen mit den Erzrivalen im Internet oder verstärkte Service-Ambitionen) kann die Siedlungspolitik nicht setzen; es gibt nämlich einen entscheidenden Nachteil: Die Kunden spielen bislang nicht so mit, wie es für das Überleben des stationären Einzelhandels nötig wäre (Hielscher / Hensen / Steinbuch 2013).

 

Integration des Onlinehandels in die Bauleitplanung

Eine Möglichkeit zur Bewältigung der skizzierten Probleme soll hiermit zur Diskussion gestellt werden: Es handelt sich um die Integration des Online-Handels in die Bauleitplanung. Obwohl eine solche Integration wahrscheinlich leichter durchführbar wäre, als man zunächst denkt, sind doch einige bislang ungewohnte institutionelle Arrangements erforderlich.

Bei den lokalen und regionalen Planern existieren i.d.R. gute Vorstellungen darüber, wie viel Kaufkraft in den lokalen Agglomerationen vorhanden und wie viel Kaufkraftabzug noch verträglich ist. Dementsprechend könnten von der Regionalplanung für jede Kommune Online-Umsatzkontingente definiert werden, die man noch als mit der Fortexistenz des stationären Einzelhandels als verträglich betrachtet. Sodann werden diese von der Regionalplanung an die Kommunen zugeteilt. Als Zuteilungsschlüssel könnte für B2C-Umsätze die Größe und das Einkommen der jeweiligen Wohnbevölkerung herangezogen werden; bei Einbeziehung der B2B-Umsätze (Google etc.) wäre z.B. die Anzahl der Arbeitnehmer in der jeweiligen Kommune als Kriterium denkbar. Die Losgrößen dieser Kontingente könnten sehr kleinteilig bemessen sein (z.B. 1-Euro-Zertifikate).

Die betreffenden Kontingente können für verschiedene Handelssegmente herausgegeben werden, falls auch eine Steuerung der Umsatzstruktur des Onlinehandels sinnvoll erscheint. Obwohl sich dies derzeit noch nicht als ernst zu nehmendes Problem abzeichnet, könnte so gegebenenfalls zwischen Food- und Non-Food-Umsätzen, Fachmarkt- und Discounterartikeln etc. etc. unterschieden werden.

Der Handel der Kontingente sollte nur innerhalb der jeweiligen Gemeinde zulässig sein, um die Planung nicht zu konterkarieren. Für den Fall, dass eine solche Segmentierung vorgenommen wird, sollte der Handel zudem auf die jeweiligen Segmente beschränkt werden. Ein organisierter Handel der Online-Umsatzkontingente scheidet aus diesen Gründen aus. Die Diskussion um Handelbarkeit entfiele ohnehin, wenn – ohne die Möglichkeit des Banking und Borrowing – das jeweilige Online-Umsatzkontingent Uno-actu mit der Bestellung des Nachfragers erworben werden müsste (s. unten).

Online-Händler, die in die betreffenden Gemeinden liefern wollen, müssen zunächst ein solches Online-Umsatzkontingent erwerben. Dabei ist der Bestimmungsort des Umsatzes maßgeblich, nicht der Herkunftsort des Leistenden. Die Vergabe der Online-Umsatzkontingente kann über eine Auktion geschehen, die dem Online-Umsatz automatisiert vorgelagert wird und von der regionalen Vergabestelle ausgeführt wird.

Auf den Homepages der Online-Anbieter wird dementsprechend der Preis ohne die Kosten des Online-Umsatzkontingentes aufgeführt. Dabei wird darauf hingewiesen, dass sich der Abgabepreis noch um den Preis für die zu erwerbenden Online-Kontingente erhöht. Bei einer Bestellungsabsicht eines Kunden würde dann der aktuelle Preis des notwendigen Online-Umsatzkontingentes per Abfrage ermittelt und dem Kunden der Preis für das Gesamtangebot mitgeteilt. All dies ist unkompliziert zu programmieren; die notwendigen Informationen könnten in handlicher Form mittels weniger Mausklicks verfügbar sein. Die Online-Umsatzkontingente hätten also Konsequenzen für die Preisauszeichnung: Der Ausweis der Preise müsste a) den (festen) Nettoangebotspreis, b) die hierauf bezogene Mehrwertsteuer und c) den variablen Preis der Online-Umsatzkontingente enthalten. M.E. wäre es sinnvoll, die Online-Umsatzkontingente von der Umsatzsteuer zu befreien und den umsatzsteuerlichen Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung insoweit zu durchbrechen; andernfalls drohen möglicherweise Übersteuerungen.

Um keinen Missbrauch bereits bestehender Marktmacht zu befördern, wäre man gut beraten, die Vergabe der Kontingente zeitlich zu strecken (also nicht sämtliche Kontingente auf einmal zu vergeben). Damit würde u.a. eine Hortung zu Lasten von Konkurrenten verhindert. Auch Höchstgrenzen pro Händler sind diskutabel, m.E. aber nicht unbedingt notwendig.

Die Zuteilung der Kontingente via Auktion sollte wie schon erwähnt durch eine regionale Vergabestelle erfolgen. So würden die Kommunen administrativ entlastet und gleichzeitig ein unproduktiver Wettbewerb zwischen den Kommunen vermieden. Die Einnahmen aus der Auktion sollten nach Abzug der Verwaltungsaufwendungen der regionalen Vergabestelle den Kommunen zustehen und auf diese nach Maßgabe des o.a. Ausgabeschlüssels verteilt werden.

Auf diese Weise dürften die Kommunen mehr als das zurückbekommen, was ihnen derzeit an Realsteuersubstrat durch den Online-Handel ansonsten entzogen wird.

 

Schutz gegen Umgehungen

Der zentrale Einwand gegen die Online-Umsatzkontingente liegt auf der Hand: Die möglichen Umgehungen. Schließlich könnte sich ein Anbieter, der sich außerhalb des Systems stellt und „schwarz“ seine Leistungen anbietet, der zusätzlichen Belastungen durch die Kontingente entledigen und seine Wettbewerber durch Dumping-Angebote aus dem Feld schlagen. Zudem sind die Online-Umsätze ohnehin relativ schwer zu kontrollieren. Allerdings könnten Umgehungen auf diverse Weise verhindert werden. Ohne hier Anspruch auf Vollkommenheit anzumelden, könnte das Regime in folgende Richtung gehen:

– Teilnehmer am Online-Handel müssen sich einmalig in einem zentralen elektronischen Online-Handelsregister anmelden. Für Privatpersonen, die gelegentliche Transaktionen tätigen, können hierbei erleichterte Bedingungen gelten. Die Angebote der Online-Anbieter weisen die jeweilige Registrierungsnummer aus. Auf Plattformen wie E-Bay wird sie routinemäßig abgefragt und zur Überprüfung an das Register weitergeleitet.

– Erst die Registrierung eröffnet für die Online-Anbieter den Zugang zu akkreditierten Konten, auf denen ausschließlich Online-Umsätze abgewickelt werden. Die akkreditierten Konten sind durch ein einheitliches Kennzeichen für alle Verkehrsteilnehmer leicht identifizierbar. Die Behörden haben in die akkreditierten Konten volle Einsichtsmöglichkeiten. So können die Behörden ermitteln, ob einzelne Anbieter ihre Umsatzkontingente überstrapaziert haben.

– Die Registrierung und die Nutzung von akkreditierten Konten ist Voraussetzung dafür, dass die betreffenden Umsätze überhaupt den Schutz der hiesigen Rechtsordnung genießen. Ohne Weiteres wären Seitens der Nachfrager bei „schwarzen Leistungen“ z.B. Rücksendungen nicht einklagbar, Seitens der Anbieter können z.B. Mahnungen nicht rechtlich durchgesetzt werden.

– Ein entsprechender Mangel wird als Ordnungswidrigkeit angesehen, für den Anbieter und Nachfrager gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden (Erwerb eines entsprechend verteuerten Online-Umsatzkontingentes).

– Die Betriebsausgaben für den Erwerb der Umsatzkontingente werden bei den Ertragsteuern absetzbar gestellt.

Das genannte Prozedere gilt im Grundsatz (von der steuerlichen Absetzbarkeit abgesehen) auch für ausländische Händler; die Registrierung im zentralen Online-Handelsregister sollte daher auch in englischer Sprache ermöglicht werden. Die Endverbraucher wären darüber aufzuklären, dass bei ausländischen Online-Bestellungen eine Registrierung des Anbieters notwendig ist.

 

Effekte

Über die Online-Umsatzkontingente kann die Regionalplanung Niveau und Struktur der Online-Umsätze in einer Kommune (sowie der Region) zielgenau steuern. Der Kaufkraftentzug wird somit auf ein zumutbares Maß beschränkt. Dieses Maß richtet sich allerdings nach Vorgaben der Regional- und Bauleitplanung und nicht nach wohlfahrtsökonomischen Kriterien.

Die Wirkung der Online-Umsatzkontingente ähnelt denjenigen von (auktionierten) Verschmutzungszertifikaten: Werden die Kontingente knapp, schlägt sich dies in einem höheren Auktionspreis nieder. Die Anbieter geben diese Kosten an die Besteller der Online-Leistungen (als die eigentlichen Verursacher der negativen Externalitäten) weiter. Die online bestellten Produkte verteuern sich somit. Ist eine Kommune mit online-Leistungen übersättigt, sind die Kontingente entsprechend knapp und teuer. Ist dies nicht der Fall, so sind sie entsprechend preiswert. Angesichts des Bestimmungsortprinzips sind Ausweichreaktionen kaum denkbar.

Die Kommunen dürften nicht nur aufgrund der raumstrukturellen Effekte an den Online-Umsatzkontingenten sehr interessiert sein. Über die Rückverteilung der Auktionserlöse würden ökonomische Renten zugunsten der öffentlichen Kassen abgeschöpft, die aus der Beschränkung des Online-Handels entstehen. Dabei ist es auch möglich, lokale Arbeitsplätze zu schützen, die ansonsten (gerade im Einzelhandel) gefährdet wären. Insoweit entstehen durch höhere Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen aus dem stationären Einzelhandel sowie durch eingesparte Sozialausgaben auch indirekt positive Effekte für die kommunalen Haushalte.

Kritisch mag gegen den Vorschlag der Online-Umsatzkontingente eingewendet werden, dass durch die „künstliche“ Installation von Begrenzungen die Effizienz beeinträchtigt werde. Dieser Einwand ist jedoch allenfalls aus einzelwirtschaftlicher Perspektive nachvollziehbar, nicht aber – angesichts der oben beschriebenen externen Kosten – aus gesamtwirtschaftlicher Sicht.

Auch die wettbewerbspolitischen Auswirkungen wären nicht zu unterschätzen. Heutzutage hat der Online-Handel viele Züge eines natürlichen Monopols. Über Online-Umsatzkontingente würden jedoch gleichsam Engpässe in den Markt installiert. Hierdurch stiegen die Grenzkosten bei Erreichen des Engpasses an, wodurch das Ansteigen der Skalenerträge im Onlinehandel ein Ende nähme. So ginge man einen entscheidenden Schritt in Richtung hin auf einen Wettbewerbsmarkt.

Als Folge der Kontingente würde sich die Funktionen des Mediums Internet verlagern: Weg von der Handelsplattform und hin zum Informationsmedium, über das sich der Kunde vor dem Kauf Markttransparenz verschafft.

Auf die Parallele zum großflächigen Einzelhandel wurde schon verwiesen. Durch die Bauleitplanung ist auch dieser faktisch in seinen Niederlassungsmöglichkeiten beschränkt. Allerdings erreichte die Planung – wenn überhaupt – hier viel zu spät diejenige Rigidität, die eigentlich von Beginn des Phänomens „großflächiger Einzelhandel“ nötig gewesen wäre. Derselbe Fehler sollte nicht beim Online-Handel passieren. Es ist wichtig, dass die raumwirtschaftliche Dimension des Online-Handels verstanden und – angesichts seiner externen Effekte – die Freiheit des Online-Handels nicht als eine unbegrenzte verstanden wird.

 

Schluss

Die Parallelität zur Planung von Flächen für den großflächigen Einzelhandel ist möglicherweise auch der entscheidende Einwand gegen das zentrale Gegenargument zum hier vorgestellten Vorschlag: Die EU-Rechtswidrigkeit, zumal es sich bei den Online-Umsatzkontingenten um eine unzulässige Beschränkung der Freiheit des Verkehrs von Gütern und Dienstleistungen handeln könnte. Die Beurteilung dieser Frage hängt also wahrscheinlich davon ab, welche dogmatische Brille sich der Jurist zur Beurteilung dieser Frage aufsetzt. Warum soll die Einbeziehung der stationären Handelsumsätze in die Bauleitplanung zulässig sein, nicht aber die Einbeziehung der Online-Umsätze? „Zoned“ oder „amazoned“ – das ist hier die Frage.

 

Literatur:

Haucap, J. / Kehder, C. (2013): Suchmaschinen zwischen Wettbewerb und Monopol: Der Fall Google, Working Paper, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, No. 44, Juni 2013.

Hielscher, H. (2014): Die bedrohtesten Händler Deutschlands, Wirtschaftswoche Online 01.04. Online: http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/online-angreifer-die-bedrohtesten-haendler-deutschlands/9680678.html

Hielscher, H. / Hansen, N. / Steinbuch, A. (2013): So macht Amazon unsere Innenstädte platt, Wirtschaftswoche Online vom 7.11. Online: http://www.wiwo.de/unternehmen/handel/versandriesen-so-macht-amazon-unsere-innenstaedte-platt-seite-all/9009508-all.html

Littich, A. / Beyer, H. (2013): Steuerfahnder nehmen Online-Verkäufer ins Visier, in: ChannelPartner vom 30.10. Online: http://www.channelpartner.de/a/steuerfahnder-nehmen-online-verkaeufer-ins-visier,2612681

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013.

Sonderabgabe für Autofahrer: Torsten Albigs faules Osterei

Dirk Löhr

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, brütete über Ostern ein ganz besonderes Ei aus: Eine Sonderabgabe für den Unterhalt von Straßen, die in einen Sonderfonds “Reparatur Deutschland” fließen soll. Der Autofahrer soll mit einem Betrag in der Größenordnung von 100 Euro jährlich belastet werden. Ob Albig von anderen Großkoalitionären „vorgeschickt“ wurde, um mit seinem Vorschlag die Stimmung zu sondieren, ist Spekulation. Wenig spekulativ, sondern eindeutig zu beurteilen sind hingegen die Wirkungen der Abgabe:

Wenngleich sich viele Autofahrer als Melkkühe der Nation betrachten, ist der motorisierte Individualverkehr de facto erheblich subventioniert. Selbstverständlich sollten Autofahrer daher stärker belastet werden, als sie es heute sind. Insoweit hat Albig österliche Eier gezeigt. Eine höhere Belastung muss jedoch in einer Ziel führenden Weise geschehen – und zwar in Höhe der Grenzkosten, die der einzelne Autofahrer mit seinen Bewegungen verursacht. Adäquate Mechanismen wären beispielsweise eine Erhöhung der Mineralölsteuer (bei gleichzeitiger Abschaffung der derzeitigen, fahrleistungsunabhängigen Kfz-Steuer) oder eine Maut, die einsetzt, wenn sich die Fahrzeuge in Hochzeiten stauen. Auf diese Weise könnte man die durch die Autofahrer ausgelösten Transport und Ballungskosten erfassen; zudem könnten externe – also auf andere Bürger abgewälzte Kosten – reduziert werden. So könnte eine effizientere Nutzung des Autos angeregt und Staus reduziert werden, die ansonsten durch Fahrer mit weniger dringlichen Verrichtungen verschärft werden. Die Flatrate von Albig lädt hingegen noch zu weiterem Gebrause mit dem Auto zu Unzeiten ein – auf Kosten von Umwelt und anderen Verkehrsteilnehmern.

Schließlich lässt Albigs Vorschlag eine ganz zentrale Überlegung vermissen: Eine instand gehaltene Infrastruktur kommt nicht nur den Autofahrern, sondern auch den Grundstückseigentümern zugute. Wir haben in diesem Blog wiederholt auf das sog. Henry George-Theorem hingewiesen, wonach man die Infrastruktur bequem aus den finanziellen Erträgen des Bodens (der Bodenrente) finanzieren könnte (im Übrigen würde diese auch dadurch ansteigen, wenn – wie oben vorgeschlagen – die Grenzballungs- und Transportkosten erhöht werden). Das Henry George-Theorem ist allerdings Albig offenbar genauso wenig bekannt wie den anderen Großkoalitionären (Infrastrukturminister Dobrindt und Finanzminister Schäuble eingeschlossen).

Wie bei jeder Abgabenerhöhung wird auch durch Albigs Vorschlag am Ende einer der drei Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital betroffen: Im Vorschlag Albigs wird dabei jedoch der fixe Faktor Boden vollkommen verschont – und damit ausgerechnet der Produktionsfaktor, der ohne negative Auswirkungen für die Wirtschaft belastet werden könnte. Die Bürde zu tragen haben stattdessen v.a. Kapital und Arbeit. Die Neubildung von Kapital (und damit von Arbeitsplätzen) wird durch eine solche Abgabe erschwert, der Faktor Arbeit noch stärker als ohnehin schon belastet. Auf lange Sicht sitzt dabei der Faktor Arbeit am kürzesten Hebel.

Faktisch handelt es sich um eine Umverteilung zu Lasten von Kapital und v.a. von Arbeit zugunsten der Bodeneigentümer und der Bodenrente. Also: Ökologisch ohne Lenkungswirkung, ökonomisch belastend, sozial regressiv: Ein weiteres faules Ei, das im Nest der orientierungslosen zeitgenössischen Sozialdemokratie ausgebrütet wurde. Herzlichen Glückwunsch, Herr Albig!

Wettbewerb und die einzelwirtschaftlichen Grenzen des Wachstums

Dirk Löhr

Die neoklassisch geprägte Wirtschaftstheorie dreht sich um das Leitbild der vollkommenen Konkurrenz, zumal im Rahmen dieser Marktform die Wohlfahrt optimiert werden kann.

Die Theorie bietet jedoch eine merkwürdige Ableitung für dieses Leitbild: Hiernach hat jedes Unternehmen steigende Grenzkosten, d.h. mit jeder zusätzlich ausgebrachten Einheit steigen die Kosten an. In einem vollkommenen Konkurrenzmarkt kann das einzelne Unternehmen den Marktpreis nicht beeinflussen. Es ist Preisnehmer, der Marktpreis stellt zugleich den Grenzerlös dar. Dort, wo die (mit zunehmender Produktionsmenge) steigenden Grenzkosten den Preis erreichen, stoppt das einzelne Unternehmen die weitere Produktion. Jede zusätzlich produzierte Einheit würde nämlich zu negativen Deckungsbeiträgen führen. Damit sind einzelwirtschaftlich die Grenzen des Produktionswachstums erreicht.

Die steigenden Grenzkosten werden in der Neoklassik durch das ungünstiger werdende Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit erklärt. Wenn so viel Arbeiter eingestellt werden, dass sich diese gegenseitig auf den Füßen stehen, entsteht ein Engpass an den Maschinen. Als Folge sinkt die Grenzproduktivität; die Kosten für die letzte produzierte Einheit steigen. Tausende und Abertausende Studierende der Wirtschaftswissenschaften bekommen diese Vorstellung in ihre Köpfe gehämmert.

Vor allem Steve Keen (2004), und vor ihm Piero Sraffa (1926) haben jedoch die Absurdität eines solchen Managementverhaltens dargestellt. Kein Unternehmen agiert so, wie die neoklassische Theorie dies behauptet. Vielmehr wird das Verhältnis von Arbeit und Kapital realiter so belassen, dass die Grenzproduktivität bis zur Kapazitätsgrenze laufend optimiert wird. Als Folge ergeben sich jedoch im Rahmen der vorhandenen Kapazität nicht steigende, sondern konstante oder möglicherweise sogar Grenzkosten als Normalfall – und zwar nicht nur bei natürlichen Monopolen (wie die neoklassische Theorie vorgibt), sondern auch in Wettbewerbsmärkten. Dies ist eine Tatsache, die u.a. schon vom bekannten deutschen Betriebswirt Erich Gutenberg (1983) thematisiert und durch die Monopolkommission (1986) belegt wurde. Die empirisch gesicherten Erkenntnisse von Keen und Sraffa werden von der Orthodoxie allerdings weitgehend ignoriert. Dabei können die Konsequenzen dramatischer eigentlich nicht sein.

Wichtig ist: In der betriebswirtschaftlichen Realität kann – zumindest langfristig betrachtet – das Verhältnis von Arbeit und Kapital kann deswegen laufend optimiert werden, weil es sich um gegenseitig ersetzbare und erneuerbare Produktionsfaktoren (Kapital!) handelt. Der einzige Produktionsfaktor, der nicht ersetzt oder substituiert werden kann, ist Land (in dem weiten – dem „Naturbegriff“ angenäherten Sinne, in dem die klassischen Ökonomen diesen Produktionsfaktor verstanden). Hier stößt die Optimierbarkeit an Grenzen. Wird die Kapazitätsgrenze erreicht, so setzt das weitere Wachstum voraus, dass in neue Maschinen angeschafft und mehr Arbeitnehmer eingestellt werden. Beides ist längerfristig möglich: Um die Maschinen anzuschaffen, holt man sich Geld von der Bank. Werden die Arbeitskräfte knapp, öffnet man im Notfall die Landesgrenzen und gibt „Greencards“ aus – die „Reservearmee“ im In- und Ausland wartet. Allerdings braucht man auch einen neuen Standort, wenn der alte ausgelastet ist. Doch in den meisten Fällen stehen keine weiteren Standorte mit derselben Qualität wie der Ursprungsstandort mehr zur Verfügung. Dann müssen die Unternehmen auf zweit- oder drittklassige Standorte ausweichen, wenn es überhaupt gelingt. Hierdurch steigen die Kosten für die Produktion. Die neoklassische Theorie kann diesen Aspekt leider nicht würdigen, da sie den Produktionsfaktor Land aus ihren Betrachtungen ausgeschlossen bzw. diesen mit dem Faktor Kapital in einem Topf verrührt hat.

Was für Land gilt, trifft in ähnlicher Weise auch für die dem Privateigentum an Land nachgeäfften geistigen Eigentumsrechte zu: Ist die Lizenz für das effizienteste Produktionsverfahren nicht zugänglich (weil dieses vom Inhaber selber genutzt oder blockiert wird), muss auf zweit- oder drittbeste Technologien ausgewichen werden. Auch dadurch steigen die Kosten der Produktion derjenigen Anbieter, die nicht über den Zugang zu den effizientesten Technologien verfügen (Löhr 2013).

Also: In der Regel bleiben die Grenzkosten der Unternehmen konstant, wenn die Produktion auf einem bestimmten Standort innerhalb der bestehenden Kapazitäten ausgeweitet wird. Jedes einzelne Unternehmen hat konstante oder sogar fallende Grenzkosten – ganz anders, als es die neoklassische Theorie postuliert. Dies gilt aber nur innerhalb der vorhandenen Kapazitäten – und damit im Rahmen der aktuell genutzten Standorte. Stößt die Produktion auf einem bestimmten Standort an ihre Grenzen, müssen neue Standorte erschlossen werden. Diese haben dann aber oft eine mindere Qualität als die erstbesten Standorte – aufgrund höherer Kosten steigen die Grenzkosten der auf dem neuen Standort produzierten Einheiten dann sprunghaft an. Die steigenden Grenzkosten sind also gesamtwirtschaftlich zu erklären, aus einer Einsatzreihenfolge der Standorte: Zuerst werden die besten Standorte genutzt, und wenn diese ausgereizt sind, die weniger guten (Analoges gilt auch für die Nutzung von geistigen Eigentumsrechten). Entscheidend ist also, dass in längerfristiger Betrachtung die steigenden Grenzkosten in Wettbewerbsmärkten durch die beschränkte Verfügbarkeit von Land zustande kommen, nicht durch die beschränkte Verfügbarkeit von Arbeit oder Kapital!

Diese Sicht der Dinge hat erhebliche Konsequenzen: Ohne steigende Grenzkosten sind nämlich Wettbewerbsmärkte gar nicht möglich. Wenn keine anderweitigen Begrenzungen bestehen, würden konstante Grenzkosten nämlich dazu führen, dass ein einziger Anbieter den Markt günstiger als eine Vielzahl konkurrierender Anbieter bedienen könnte. Der Grund dafür ist, dass bei konstanten Grenzkosten die Durchschnittskosten mit steigender Ausbringungsmenge immer weiter fallen: Der größte Anbieter ist dann zugleich der billigste – er kann alle anderen aus dem Feld schlagen.

Wenn aber Wettbewerbsmärkte erst durch steigende Grenzkosten zustande kommen und steigende Grenzkosten wiederum durch die beschränkte Verfügbarkeit von Land bedingt sind, sind Wettbewerbsmärkte bei nur bei beschränkter Verfügbarkeit von Land möglich. Gäbe es die standortbedingten Engpässe nicht, würden sich die Unternehmen auf jedem Markt immer weiter vergrößern, bis die Nachfrage abgedeckt ist. Das Resultat wären Oligopole oder gar Monopole.

Ein weiterer Schwachpunkt der neoklassischen Theorie ist, dass sie zwar die Existenz natürlicher Monopole auf konstante Grenzkosten (und die damit einhergehenden steigenden Skalenerträge) zurück führt, aber nicht sagt, wie es zu diesen konstanten Grenzkosten kommen kann – oder, anders formuliert: Sie erklärt nicht, warum die standortbedingten Kapazitätsschranken bei natürlichen Monopolen keine Bedeutung haben (Kirzner 1973). Wie sollte sie dies auch tun, wenn sie den Faktor Land systematisch ausblendet? Die Ursachen für den Wegfall dieser Engpässe bei natürlichen Monopolen können verschiedener Art sein. Einige Beispiele:

–  Die Netzinfrastruktur gilt als Paradebeispiel für ein natürliches Monopol. Bei der Netzinfrastruktur unterstützt jedoch der Staat im Sinne des Gemeinwohls das Interesse der Netzbetreiber an der weitergehenden Verfügbarkeit von Land. Die Rechte der Grundstücksinhaber, durch deren Land die Netzinfrastruktur gelegt werden muss, werden insoweit beeinträchtigt. Oder aber Vater Staat stellt das betreffende Land gleich selbst zur Verfügung (zumeist natürlich unentgeltlich, auch wenn der Netzbetreiber privat ist). Möglicherweise betreibt der Staat die Netze jedoch auch selbst – so wie dies den klassischen Ökonomen vorschwebte.

–  Auch die Marktmacht der großen Discounter – die zeitweise ebenfalls unter Beobachtung der Wettbewerbshüter standen – hat Züge eines natürlichen Monopols: Zumindest einzelwirtschaftlich kann sie maßgeblich auf steigende Skalenerträge zurückgeführt werden. Je marktmächtiger die Unternehmung, umso höher die Einkaufsmacht. Voraussetzung für diese Marktmacht war aber eine entsprechend großzügige Flächenausweisung durch die zueinander in unproduktivem Wettbewerb stehenden Kommunen in der Vergangenheit. Dies führte zu einer Masse an Märkten auf nicht integrierten Standorten, die den Discountern zu Vorzugskonditionen zufielen. Gleichzeitig wurde die Kaufkraft aus den Innenstädten abgezogen, die immer mehr ausbluteten und ihre raumwirtschaftliche Gravitationskraft verloren. Ohne die de-facto-Geschenke bei der Standortverfügbarkeit auf Kosten Dritter hätten die Discounter niemals so marktmächtig werden können, wie sie es heute sind.

–  Doch auch andere Industrien stehen unter Beobachtung der Wettbewerbshüter, da sie Züge eines natürlichen Monopols tragen. Zu nennen sind z.B. Online-Plattformen wie E-Bay. Auch deren Expansion unterliegt keinen Standortschranken. Zugleich geht sie u.a. auf Kosten des stationären Einzelhandels, der Leistungsfähigkeit der raumwirtschaftlichen Struktur, der Finanzausstattung der Kommunen, in denen der Online Handel den stationären Handel verdrängt etc. Der derzeit ungezügelte Online-Handel hat ähnliche Effekte auf Agglomerationen wie die frühere exzessive Ausweisung von Gebieten für den großflächigen Einzelhandel.

Werden also die „natürlichen Grenzen des einzelwirtschaftlichen Wachstums“ – in Gestalt der beschränkten Verfügbarkeit von Land – für bestimmte Unternehmen beseitigt, geschieht dies zumeist zu Lasten Dritter. Werden die wirtschaftlichen Folgen dieser Belastungen nicht in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Verursachers zurückgeführt, handelt es sich um externe Kosten. Die für natürliche Monopole charakteristischen steigenden Skalenerträge gehen daher häufig mit externen Kosten Hand in Hand. Externe Effekte können umgekehrt zu einem großen Teil auch als unkompensierte Inanspruchnahme von Land i.w.S. zu Lasten Dritter interpretiert werden.

Würden umgekehrt Schranken gesetzt bzw. die externen Kosten in die Wirtschaftsrechnung der Verursacher zurückgeführt, wird den steigenden Skalenerträgen und dem einzelwirtschaftlichen Wachstum der Garaus gemacht. Die einzelwirtschaftlichen Grenzen des Wachstums sind also durch die begrenzte Verfügbarkeit von Land bedingt. Entfällt diese, ist auch der Wettbewerb gefährdet – und damit auch dessen Macht begrenzende Funktion (Hayek 1968).

Wie oben schon gesagt: Wettbewerbsmärkte haben nur dort eine realistische Chance, wo die Verfügbarkeit von Land begrenzt ist und wo die einzelwirtschaftlichen Grenzen des Wachstums noch bestehen. Doch auch dies ist keine heile Welt: Die Begrenzungen bei der Verfügbarkeit von Land erzeugen Engpässe und Knappheiten. Dort, wo Engpässe sind, entstehen aufgrund der Knappheiten auch ökonomische Renten und zwar zugunsten derjenigen Anbieter, die innerhalb dieser Grenzen auf den bevorzugten Standorten produzieren können (intramarginale Anbieter, intramarginale Renten). Die ökonomische Macht, die mit dem beständigen Zufluss solcher intramarginaler Renten in private Schatullen einhergeht, ist ebenfalls eine latente Bedrohung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Die begünstigten Unternehmen können z.B. Konkurrenten aufkaufen und haben aufgrund ihrer Kapitalausstattung (höherer Anteil an Eigenfinanzierung) bessere Ausgangsbedingungen im Wettbewerb.

Obwohl bei der Freiburger Schule die Themen Macht und Wettbewerb im Zentrum der Betrachtung standen, wurde diesen Aspekten von den Ordoliberalen keine Beachtung geschenkt (Eucken 1990). Auch in der gängigen Wettbewerbstheorie stellen die natürlichen Grenzen des einzelwirtschaftlichen Wachstums durch die begrenzte Verfügbarkeit von Land dementsprechend kein Thema dar. So kommt es, dass die Wettbewerbshüter bestimmten Phänomenen (wie z.B. dem Online-Handel) ziemlich hilflos gegenüberstehen (wir werden in diesem Blog demnächst einen Beitrag hierzu bringen).

Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Wettbewerbspolitik: Ein funktionierender Wettbewerb erfordert die Aufrechterhaltung oder Aufrichtung der einzelwirtschaftlichen Grenzen des Wachstums. Dies ist Aufgabe einer entsprechenden Eigentumsordnung und der Landnutzungsplanung. Ein funktionierender Wettbewerb erfordert aber ebenfalls die Abschöpfung der intramarginalen Renten, die sich aufgrund solcher Begrenzungen ergeben. Dies ist die Aufgabe eines entsprechenden Abgabensystems, das derzeit in der real existierenden Privilegienwirtschaft weder gerecht noch effizient ist.

 

Literatur:

Eucken, W. (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., Tübingen.

Gutenberg, E. (1983): Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Erster Band: Die Produktion, 24. Aufl., Berlin/Heidelberg.

Hayek, F.A. v. (1968), Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Kiel.

Keen, S. (2004): Debunking Economics – The Naked Emperor of the Social Sciences. Zed Books, London, New York.

Kirzner, I.M. (1973): Competition and Entrepreneurship, Chicago / London.

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird. Marburg.

Monopolkommission (1986): Hauptgutachten VI (1984 / 1985): Gesamtwirtschaftliche Chancen und Risiken wachsender Unternehmensgrößen, Bonn.

Sraffa, P. (1926): The Law of Returns under Competitive Conditions, Economic Journal 40, S. 538-550.

Let’s talk about tax: Steuern und Steuerstaat

Dirk Löhr

EUR_10_obverse_(2002_issue)Was sind Steuern, und was ist der Steuerstaat? Die kurze Antwort: Die Kehrseite der Privatisierung der ökonomischen Renten, die durch die Gemeinschaft geschaffen wurden. Die lange Antwort fällt ein wenig komplizierter aus.

Illustrieren wir die Problematik anhand der Bodenrenten (Bodenerträge): Wenn sich Fachkräfte in Agglomerationen wie München oder Hamburg ballen, spürt man dies in der erhöhten Produktivität dieser Metropolen. Sie übersteigt wesentlich die Produktivität in der Peripherie (Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern). Voraussetzung für eine solche Agglomeration ist aber eine entsprechend dichte öffentliche Infrastruktur (z.B. Straßen, Schienen, Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser). Wird die Agglomeration hierdurch produktiver gemacht, so spürt man dies an den Bodenrenten und Bodenwerten: Die Bodenrenten stellen den sozialen Überschuss dar, und sie steigen infolge der erhöhten Produktivität an. Dieser soziale Überschuss fließt aber größtenteils starken privaten Akteuren zu. Doch die öffentliche Infrastruktur, und auch die Agglomeration von Fachkräften (die arbeitsteilig zusammenwirken) kostet Geld – viel Geld. Die öffentlichen Leistungen – als Basis der Agglomeration – werden jedoch größtenteils öffentlich – durch den Steuerzahler – finanziert. Die Kosten werden also weitgehend auf schwach organisierte Gruppen abgewälzt (cf. Tullock 2005) – darunter die Steuerzahler. Daher bewirkt die Privatisierung der Bodenrente eine Durchbrechung des Äquivalenzprinzips – die Bodeneigentümer ernten, wo andere gesät haben, sie sind die Nutznießer der öffentlichen Investitionen, für die die Steuerzahler zwangsweise aufzukommen haben.

Nutzen und Lasten der öffentlichen Finanzierung sind also im Steuerstaat entkoppelt. Machen wir uns das Ganze noch einmal an einem konkreten Beispiel klar (vgl. Löhr 2013):

Nehmen wir an, Hans sucht eine Mietwohnung in Hamburg oder München. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Doch nehmen wir an, Hans im Glück bekommt den Zuschlag. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt vielleicht das fünf- bis siebenfache der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer eine höhere Bodenrente als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierten Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer. Nur aufgrund dieser gemeinschaftlich geschaffenen Vorteile hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Hans im Glück hat nun einen Job, so dass von seinem Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten wird. Er kauft ein, und bei fast jedem Einkauf ist Umsatzsteuer fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat – was dem Vermieter indirekt zu Gute kommt. Nutznießer ist also in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte.

Um die Konsequenzen der Entkopplung von Nutzen und Lasten aus öffentlichen Leistungen wirklich verstehen zu können, benötigt man einen „archimedischen Punkt“. Einen solchen stellt das Henry George-Theorem dar (auch bekannt als George-Hotelling-Vickrey-Theorem). Hiernach könnten unter idealen Bedingungen (optimale Bevölkerungsgröße etc.) alle öffentlichen Güter allein aus der (Boden-) Rente finanziert werden (Arnott and Stiglitz, 1979; Atkinson and Stiglitz, 1987), ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste.

Tabelle: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Volkseinkommen
Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen <=> Löhne (Arbeit)
Zinsen (Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=> Renten (Land im weiten Sinne)

Das Henry George-Theorem kann aber eben auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen.  Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird. Ohne öffentliche Infrastruktur könnten die Vorteile von Agglomerationen nicht genutzt werden.

Erst die öffentliche Infrastruktur macht die Produktion von privaten Gütern und Dienstleistungen möglich. Wenn man überhaupt – neben Arbeit, Boden und Kapital – noch eine Kraft in den Rang eines vierten Produktionsfaktors erheben will, so die (öffentliche) Infrastruktur (dies ist jedenfalls wesentlich sinnvoller als ein vierter Produktionsfaktor „Wissen“, was ja auf nichts anderes als eine Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit“ hinausläuft). Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Gütern und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (Marshall, 1920). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden (Harrison, 2006).

Das Henry George-Theorem korrespondiert auch mit der Erkenntnis von Adam Smith, dass – da Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte (Smith 1776). Es ist die Regierung bzw. der Staat, der die rententragenden Vermögensgegenstände in Wert setzt. Was würde beispielsweise mit den Bodenwerten in München passieren, wenn die bayerische Landesregierung durch die Taliban ersetzt würde? Man möge sich die auf der Hand liegende – flapsige – Antwort verkneifen: Das Resultat könnte am Bodenwertniveau sehr deutlich abgelesen werden.

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Güter aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen.  Wenn stattdessen die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Güter verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Güter auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen und Kosten im Steuerstaat (Löhr 2013).

In nahezu allen Rechtsordnungen werden Steuern als voraussetzungslose Zwangsabgaben an den Staat definiert. Es existiert kein individueller Anspruch auf Gegenleistung, und keine Äquivalenz zwischen Geben und Nehmen. Zudem fließen gemäß dem sog. „Nonaffektationsprinzip“ alle Steuern in einen „großen Topf“, aus dem dann die Verwaltung für alle möglichen Zwecke Geld entnimmt. Steuern werden also normalerweise nicht zweckgebunden vereinnahmt (Löhr 2013).

Somit zahlt der Steuerbürger unter Zwang ohne Anspruch auf individuelle Gegenleistung, und auf der anderen Seite wird das Geld ohne Rücksicht auf seine Herkunft verausgabt. Im Steuerstaat liegt daher eine zweifache Entkopplung vor. Diese doppelte Entkopplung ist einerseits der Grund für Steuervermeidung und Steuerhinterziehung – eine rationale Reaktion, wenn für den Bürger nur Kosten vorliegen, ohne dass man einen Nutzen hat. Auf der anderen Seite wird der Verschwendung durch die Administration Tür und Tor geöffnet – es ist ja schließlich nicht das eigene Geld, mit dem man so großzügig umgeht. Also: Einerseits a) Steuervermeidung Seitens der Bürger (die keine Gegenleistung sehen) und andererseits b) Verschwendung Seitens der Administration (die mit dem Geld der Bürger eigene Ziele verfolgt; man denke an das Drohnendebakel der Bundeswehr, an Stuttgart 21 oder die “Bankenrettungen”) – genauso, wie die Entkopplung von Nutzen und Kosten im privaten Sektor ursächlich für Marktversagen ist, verursacht somit die Entkopplung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben Staatsversagen. Bei Marktversagen entstehen zu viele Güter, deren Kosten auf andere Wirtschaftsteilnehmer abgewälzt werden (externe Kosten). Andererseits gibt es zu wenig Güter, die auch für andere Wirtschaftsteilnehmer Nutzen spenden (externe Nutzen). Staatsversagen bezieht sich auf Politiker und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, die anderer Leute Geld (das der Steuerzahler) wenig Nutzen stiftend ausgeben, so dass nicht mehr ausreichend Mittel für notwendige, Nutzen Stiftende Ausgaben zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig sichert der steuerbasierte Staat das passende Eigentumsrecht ab, das die Privatisierung der ökonomischen Renten sichert. Allerdings ist die Privatisierung der Renten nicht nur im Rahmen von Privateigentum, sondern auch in einem korrupten Pachtsystem möglich, wenn der Pächter den Löwenanteil der Bodenrente in die eigene Tasche wirtschaften kann und nicht an die Öffentlichkeit abzuführen hat.

Auch die Verteilungswirkungen des Steuersystems müssen gesehen werden. Egal, ob es sich um die Einkommen-, die Umsatz-, die Gewerbe- oder gar die Hundesteuer handelt: Am Ende treffen alle Steuern entweder die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital oder Boden. Die Bodenrenten sind in unserer Gesellschaft eine heilige Kuh und werden kaum angetastet. Geldkapital kann leicht ausweichen, nach Österreich, Luxemburg oder in die Schweiz. Ähnliches gilt – langerfristig – sogar für Sachkapital: Es wird einfach nicht mehr gebildet oder ersetzt, wenn es zu bunt wird. Nur Arbeit kann nicht ausweichen und steht unter permanentem Angebotsdruck: Das wusste bereits Karl Marx, und dieser Angebotsdruck ist auch ein wichtiges Erklärungsmuster bei Silvio Gesell (1949). Dieser schwächste Faktor hat – entweder direkt oder durch Überwälzungen – den Löwenanteil der Steuerlasten zu tragen. An anderer Stelle (Blogbeitrag „A kind of magic: Die 70-30-Regel der Rentenökonomie“) haben wir die funktionale Umverteilungswirkung (hin zu den Empfängern ökonomischer Renten) auf ca. 20 -30% des Volkseinkommens geschätzt. Allerdings ist sie in personeller Hinsicht diffus, da gerade Teile des Mittelstandes nicht nur belastet werden, sondern auch ökonomische Renten vereinnahmen. Diese Intransparenz mildert einerseits die Umverteilungswirkungen, korrumpiert jedoch andererseits gerade den Mittelstand, der sich auf der Sonnenseite des Systems wähnt und die Belastungen als durch die Steuern, und nicht durch die ökonomischen Renten verursacht wahrnimmt. In Wirklichkeit dürfte gerade der Mittelstand (solange er nicht über ein hohes Nettovermögen) verfügt, eher Leidtragender des Systems sein. Über die Entkopplung von Nutzen und Lasten ist der Steuerstaat ein wesentlicher Grund für die Erosion des Mittelstandes.

Schließlich wirken Steuern auch entmutigend. Je komplizierter ein Steuersystem und je höher die Steuerlast, umso kleiner wird der Kuchen. Ökonomen bezeichnen dies als „steuerliche Zusatzlasten“. Gleichzeitig werden die besteuerten Faktoren teurer und verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Nahezu die Hälfte des Bruttolohns geht heutzutage für Lohnzusatzkosten drauf. Die Konsequenz: Schwarzarbeit und Steuerumgehung, sowie eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit (s. beispielsweise den Blogbeitrag „Luftkampf: Abschuss des Kranichs“). Dies alles reduziert den sozialen Überschuss. Insgesamt richtet der Staat durch die Besteuerung mehr volkswirtschaftlichen Schaden an, als er durch die Besteuerung an Geld einnimmt (Löhr 2013). Effizient geht anders. Die effektive Grenzsteuerbelastung bezeichnet diesen Schaden in Prozent: Angenommen, der Grenzsteuersatz bei der Einkommensteuer liegt bei 25 %, aber es entsteht aufgrund der oben genannten Effekte für 2.000 zusätzlich verdiente Euro ein Schaden i.H.v. 1.000 Euro: Dann wäre der Grenzsteuersatz schon 75 %. Knüpfen die Sozialversicherungsbeiträge noch an dieselbe Bemessungsgrundlage an, wäre der effektive Grenzsteuersatz noch höher.

Was wäre effizient? Zunächst einmal wären sämtliche Renten aus „Land“ i.w.S. zugunsten der Finanzierung des Gemeinwesens abzuschöpfen (bei rechtlichen Monpolen wäre die Rechtsordnung derart zu modifizieren, dass Monopolrenten erst gar nicht entstehen können). Den weiteren Weg gibt die orthodoxe ökonomische Theorie vor: Um den sozialen Überschuss (und die Bodenrente ist nichts anderes als das) zu maximieren, wären Grenzkostenpreise optimal. Dabei können öffentliche Güter nicht anders als private Güter behandelt werden. Ganz im Gegenteil gilt das Gesetz des einen Preises: Es ist nämlich geradezu eine Bedingung für die Wohlfahrtsoptimalität von Grenzkostenpreisen, dass diese universal eingeführt werden – die Preisbildung sollte also im privaten wie im staatlichen Sektor einheitlich, an Grenzkosten bemessen, erfolgen.  Dies verweist auf einen Gebührenstaat, für den – im Gegensatz zum Steuerstaat – das Prinzip „Leistung-Gegenleistung“ gilt. Dabei kann er sich ruhig privater Agenten bedienen, die u.U. sogar im Wettbewerb zueinander stehen können.

Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass bestimmte gesellschaftliche Bereiche (wie z.B. Kultur und Wissenschaft oder das soziale Auffangnetz) nach anderen Kriterien betrieben werden müssen. Hier ist eine Entkopplung von Leistung und Gegenleistung sachgerecht, damit auch eine Finanzierung durch Steuern. Die Effizienzeinbußen sind insoweit hinzunehmen, zumal das System Gesellschaft einer Mehrzahl von Leitwerten (Bossel 1998) genügen muss – nicht nur der Effizienz. Effizienz ist kein absoluter Wert.

Die Einwände gegen den Gebührenstaat liegen auf der Hand:

(1) Mit Grenzkostenpreisen ließe sich insbesondere bei steigenden Skalenerträgen, wie sie z.B. allgemein für natürliche Monopole und speziell für Netzinfrastruktur (Schienen-, Gas- Elektrizitätsnetze etc.) typisch sind, keine Vollkostendeckung erreichen – die Grenzkosten liegen hier nämlich unterhalb der Durchschnittskosten. Dem ist zuzustimmen.

Dennoch könnte man die Fixkosten solcher Infrastrukturen aus den Bodenrenten abdecken. Heutzutage wird dies nicht getan. Folglich müssen die Bürger für die Nutzung von öffentlichen Einrichtungen mehr als die Grenzkosten entrichten – weil die Bodenrente eben verschenkt wird, anstatt sie für die Abdeckung der Fixkosten der Infrastrukturen zu verwenden. Wenn die Bürger für die Nutzung von Einrichtungen – egal unter welchem Rechtskleid –  mehr als die Grenzkosten aufbringen müssen, handelt es sich wirtschaftlich gesehen insoweit aber immer um eine Steuer. Es würde hingegen marktwirtschaftlichen Grundsätzen entsprechen, wenn der Bürger als Verursacher einer staatlichen Leistung nur mit den Kosten belastet wird, die er durch die Inanspruchnahme verursacht. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen etc. (also “Land” im weiten Sinne). Viele der heutigen “hippen” „Privatisierungsmaßnahmen“ (wie vor allem Public Private Partnerships) stellen in wirtschaftlicher Hinsicht lediglich eine Privatisierung der Steuereintreibung dar  („tax farming“), was nicht unbedingt ein zivilisatorischer Fortschritt ist.

(2) Der zweite Einwand: Ein Gebührenstaat wirkt regressiv und ist unsozial. Dies ist allenfalls bei Vollkostenfinanzierung richtig. Bei Grenzkostenpreisen für öffentliche Leistungen könnte diese Aussage jedoch selbst dann nicht gehalten werden, wenn sämtliche Einnahmen aus ökonomischen Renten in der öffentlichen Hand zur Finanzierung verblieben. Allerdings würde dieser Weg (der auf eine „single tax“ hinausläuft) auf die Präferenzen der Bürger keine Rücksicht nehmen.

Vorzugswürdig wäre es, wenn der Staat nach Abdeckung der Fixkosten der öffentlichen Leistungen die darüber hinaus gehenden Einnahmen (aus der Abschöpfung von Renten) wieder an die Bürger in gleichen Teilen zurückverteilt (rentenbezogenes Grundeinkommen; vgl. Schreiber-Martens 2007). Auf Grundlage dieser Zahlungen haben alle Bürger in gleicher Weise die Möglichkeit, öffentliche Leistungen zu Grenzkostenpreisen in Anspruch zu nehmen. Die Bereitstellung müsste nicht unbedingt durch staatliche Institutionen, sondern könnte auch durch private Anbieter erfolgen, die öffentliche Hand hätte allerdings eine Gewährleistungsfunktion (Löhr 2013).

Wie an anderer Stelle schon dargestellt, ist das rentenbezogene Grundeinkommen nur geeignet, um den gleichen Zugang zu den öffentlichen Leistungen zu sichern. Es handelt sich hingegen um kein existenzsicherndes Grundeinkommen, da es – im Gegensatz zum Konzept des Götz Werner (2008) – den Zusammenhang Leistung – Gegenleistung erst herstellt und nicht auflöst.

Letzteres würde auch den Charakter des Staates ändern: Weg vom alles erdrückenden und dennoch ohnmächtigen Leviathan – hin zu einem sich selbst beschränkenden, aber dennoch starken Staat (von Humboldt 1792/2009): Der Steuerstaat hat – wie man z.B. gut beim Studium der Daumenschrauben in der Abgabenordnung sehen kann – einen obrigkeitlichen und repressiven Charakter. Steuerrecht ist Subordinationsrecht. Der skizzierte Gebührenstaat – in Kombination mit einem rentenbasierten Grundeinkommen – stellt den Bürger hingegen auf dieselbe Stufe wie den Staat. Gebühren wären insoweit keine Zwangsabgaben mehr – es geht um freiwillige Koordination des Einzelnen mit seinem Gemeinwesen.

Das heutige Steuersystem ist antiquiert. Es sichert Privilegien, ist ein wesentlicher Umverteilungsmotor von unten nach oben, es erodiert den Mittelstand und trägt maßgeblich zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen bei. Es verzerrt den Charakter des Staates. Es wird Zeit, darüber ein wenig Gehirnschmalz zu investieren.

 

Literatur:

Arnott, R. J. and Stiglitz, J. E. (1979), Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. In: Quarterly Journal of Economics 93, 471-500.

Atkinson, A. B., Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics, London, S. 523-525.

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München: Droemer Knaur.

Gesell, S. (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl. (Erstauflage aus 1919), Lauf bei Nürnberg.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune – Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, London.

Von Humboldt, W. (1792/2009): The Limits of State Action, ed. by J.W. Burrow, Cambridge: University Press, translation, first printed at 1792, online:http://assets.cambridge.org/97805211/03428/frontmatter/9780521103428_frontmatter.pdf

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32, online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Smith, A. (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: Methuen & Co. Ltd., online: http://www.econlib.org/library/Smith/smWN.html

Tullock G (2005): The Rent-Seeking Society (Liberty Funds, Indianapolis).

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

 

 

Flughafen Berlin: Kettenreaktion

Dirk Löhr

Die ZDF-Sendung „Frontal 21“ berichtete in der Sendung vom 8. April 2014 von der drohenden Pleite der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft, der Air Berlin. Dummerweise ist auch das wirtschaftliche Schicksal des Berliner Pannenflughafen auf’s Engste mit der Zukunft der Air Berlin verknüpft. Fällt die Air Berlin aus, kann man das Projekt BER wohl endgültig wirtschaftlich abschreiben. Der Flughafen wird dann wohl definitiv zum Milliardengrab. Es droht eine wirtschaftliche Kettenreaktion.

Die einzige Rettung droht ausgerechnet von der gefürchteten arabischen Konkurrenz: Der Golf-Airline Etihad. Die Araber haben schon Airlines aus der Schweiz, Irland und Serbien an sich gebunden. Demnächst möchte die Fluggesellschaft in die Alitalia einsteigen. Die ansonsten so auf Wettbewerb bedachten Europäer können sich nur notdürftig durch marktwirtschaftliche „Blutgrätschen“ helfen: Die Araber werden bislang mehr oder weniger erfolgreich durch europäische und deutsche Regelungen in ihren Start- und Landerechten sowie ihren Beteiligungsmöglichkeiten beschränkt – und damit konkret auch in ihren Möglichkeiten, etwas zur Rettung der angeschlagenen Air Berlin beizusteuern. Es ist pervers: Die Regelungen, die die europäischen Airlines „schützen“ sollen, drohen Air Berlin und dem Projekt BER den wirtschaftlichen Garaus zu machen.

In unserem Blogbeitrag „Luftkampf: Der Abschuss des Kranichs“ hatten wir schon die merkwürdige Situation beschrieben: Ausgerechnet Araber (!), denen dazu das Öl ausgegangen ist (!), rollen mit Staatsairlines (!) den westlichen Luftraum auf – und zahlen ihrem Personal gleichzeitig noch mehr als üppige Gehälter (!). So steht das nicht in den Lehrbüchern! Eine wesentliche Erfolgsquelle ihrer Airlines liegt jedoch nicht etwa in unlauteren Subventionen, wie ihre europäischen Konkurrenten argwöhnen. Vielmehr haben die Araber eine neue Ressource entdeckt: Ihre geographische Lage, die sie als internationales Drehkreuz für den Luftverkehr prädestiniert. Und – obwohl es sich um feudale Herrschaftsstrukturen handelt, für die der Staat Privatsache ist – machen die Machthaber dennoch Eines richtig: Die Bodenrenten werden in die bestehenden Infrastrukturen gesteckt, anstatt sie an Aktionäre auszuschütten.

Die westlichen Flughäfen müssen nämlich Rendite erwirtschaften – die nichts anderes als Bodenrente ist und an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Die Bodenrente wird also nicht in die Infrastruktur investiert. Hingegen stammt die satte Eigenkapitalausstattung des Hub in Dubai aus reinvestierten Bodenrenten. Der Airport wird zudem als staatliche Angelegenheit betrachtet. Auch muss – anders als in westlichen Staaten – nicht der Steuerzahler für die Finanzierung der umgebenden staatlichen Infrastruktur aufkommen, die gerade für Flughäfen von überragender Bedeutung ist. Dementsprechend sind die Abgaben niedrig – anders als bei der westlichen Konkurrenz. Die hohe Abgabenbelastung von Flughäfen, Airlines, Personal und Tickets lässt so die westlichen Airlines unweigerlich ins wirtschaftliche Hintertreffen geraten.

Allerdings handelt es sich bei der Privatisierung der Bodenrenten um eine heilige Kuh der westlichen Wirtschaftssysteme – der allerdings möglicherweise mit der Luftfahrtindustrie ein weiteres Standbein amputiert schmerzhaft werden muss.

Auch, wenn die volkswirtschaftlichen Seminare das westliche System als effizient feiern: Dümmer geht’s nimmer.

UK ‘aid’ is financing a corporate scramble for Africa

Land grabbing is rent grabbing!

See the article and the film: http://www.theecologist.org/News/news_analysis/2343978/uk_aid_is_financing_a_corporate_scramble_for_africa.html

of Miriam Ross: £600 million of UK aid money is going to help companies like Unilever and Monsanto take over African land and agriculture, writes Miriam Ross. The corporate power-grab will be disastrous for the small-scale farmers who feed at least 70% of Africa’s people.

Grundsteuer: Die überfällige Reform

Das renommierte Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat sich mittlerweile zu Gunsten des Bodenwertmodells positioniert (siehe “Grundsteuer: Die überfällige Reform”) und unterstützt auch die Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” Siehe auch die weitergehenden Erläuterungen: Vier Modelle und ein klarer Favorit.

Internet: Schmalspur auf der letzten Meile

Dirk Löhr

Es gab Widerstand, mit dem René Obermann, der damals noch amtierende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, allerdings gerechnet hatte: Er wollte in den DSL-Verträgen eine Obergrenze für das enthaltene Datenvolumen festschreiben. Sobald diese erreicht wird, reduziert das Unternehmen die Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses auf ein Minimum. „Vielsurfer“, die mehr Datenkapazität benötigen, sollen eben mehr zahlen. Allerdings benötigen auch Normalhaushalte in Zeiten von Streamingdiensten, Mediatheken oder internettauglichen Fernsehgeräten immer mehr Datenkapazität. Die Schnellsurfgrenze von 75 Gigabyte dürfte so rasch überschritten werden; bei den HD-Filmen neuester Generation kommt man demnächst sogar auf mehr als 100 Gigabyte. Würde man dann zurückgestuft, landet man bei einer Datenübertragungsrate wie in den 90er Jahren – oder man zahlt erheblich drauf. Zwischenzeitig ruderte die Telekom wieder ein Stück zurück. So will sie ein Tarif-Portfolio einführen, dass aus unlimitierten Flatrates und gedrosselten Volumen-Tarifen besteht. Vom Tisch ist die Sache also nicht. Der Grund für die geplante Drosselung – manche sprechen gar von der faktischen Abschaltung – des Internets sind Engpässe bei der Datenübertragung. Mit zunehmendem technischen Fortschritt und wachsendem Internetbezug wird der Datenhunger und damit die Engpassproblematik auf Dauer aber noch weiter zunehmen (Eikmann 2013).

Warum aber dieser Stau? Zwar ist der Datenverkehr gewachsen, die Netzkapazitäten haben allerdings mitgehalten. Insbesondere kann von einem Engpass im Backbone, dem aus Glasfaserkabeln und Knotenpunkten bestehenden Rückgrat des Telekommunikationsnetzes, keine Rede sein. Auch die Kosten für den Datentransport sind stetig gefallen, da einmal verlegte Kabel nur noch geringe Folgekosten durch Wartungsarbeiten verursachen. Der Engpass befindet sich vielmehr auf der Abfahrt von den Datenautobahnen (den Glasfasernetzen) hin zu den einzelnen Haushalten. Diese letzte Meile besteht aus Kupferkabeln, die zum überwiegenden Teil der Deutschen Telekom gehören. Finanziert wurde diese Infrastruktur mit Steuergeldern zu Zeiten des Staatsmonopols der Bundespost. Diese Kupferkabel sind grundsätzlich veraltet, wenngleich die Telekom mit beschränkten Mitteln nachrüstet. Mit beschränkten Mitteln, denn sie verdient gerade mit dem Engpass eine Menge Geld: Es handelt sich um mehrere Milliarden Euro im Jahr, indem sie anderen Anbietern die „Teilnehmeranschlussleitung“ vermietet. Die Telekom dürfte daher wenig Interesse haben, die letzte Meile des Netzes auszubauen und dem Ast, auf dem sie als privater Monopolist sitzt, abzusägen. Dieses Ausnutzen künstlich geschaffener Engpässe ist nämlich nichts anderes als eine ökonomische Rente, die durch eine private Monopolposition verursacht ist (Eikmann 2013).

Natürlich stellt nicht das gesamte Infrastrukturnetz ein natürliches Monopol dar, sondern nur bestimmte Teile davon. Monopolistische Engpässe bestehen v.a. auf der Verbindung zwischen der Verteilzentrale und dem Teilnehmeranschluss, der so genannten „letzten Meile“. Das Einziehen eines zweiten Telefonkabels auf der „letzten Meile“ wäre volkswirtschaftlich gesehen reine Ressourcenverschwendung, da sich das neue Kabel nicht vom bestehenden unterscheiden und jeder Teilnehmer stets nur eines davon nutzen würde. Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre der Aufbau eines zweiten Kupferanschlussnetzes nicht sinnvoll, denn die Aussicht, diese Investition jemals zu amortisieren, wäre zum Vornherein gleich null.

Natürlich gehen die Interessen der Telekom dahin, das Monopol auf der letzten Meile aufrecht zu erhalten. So kann sie aus ihrer Monopolposition heraus gleich mehrfach abkassieren: Auf der einen Seite bei den Kunden, die neben ihrem Internetanschluss auch noch für zusätzliche Datenpakete und Zusatzangebote zahlen müssen. Auf der anderen Seite bei den Anbietern datenintensiver Dienste, die mit der Telekom eine kostenpflichtige Partnerschaft eingehen müssen, um ihre Angebote als sogenannte Managed Services vom begrenzten Datenvolumen auszunehmen (Eikmann 2013). Auch aufgrund dieses Monopols steht Deutschland bei der Dateninfrastruktur im internationalen Vergleich eher schlecht da: Kein Breitband, sondern Schmalspur auf der ganzen Linie (o.V. 2014).

Dennoch sehen Optimisten in der potentiellen Konkurrenz einen Hoffnungsschimmer. Denn das natürliche Monopol auf der „letzten Meile“ ist nicht unangreifbar. Mittlerweile gibt es alternative Anschlusstechnologien – beispielsweise in Form von Glasfaserkabeln, die, wenn sie sich auf breiter Linie durchsetzen, das natürliche Monopol des Kupferanschlussnetzes überwinden können. So betreibt bereits Google in den USA ein hochmodernes Glasfasernetz. Nicht unmöglich, dass der Konzern in die Lücke stößt, die sich in Deutschland auftut. Allerdings: Hat Google auch Interesse daran, die Peripherie (Mecklenburg-Vorpommern, den bayerischen Wald etc.) mit Glasfaserkabeln zu versorgen? Wahrscheinlich nein, denn das Investment rechnet sich unter den gegebenen Bedingungen nur in Agglomerationen. Die Konsequenz: Periphere Regionen dürften noch weiter von der Infrastruktur abgehängt werden – und v.a. für die Wirtschaft als Standort zunehmend an Attraktivität verlieren – wenn nicht die Investitionen in die Glasfasernetze subventioniert werden (Fischbach 2009).

Der Ausbau in die Peripherie kann allenfalls unter massiver Subventionierung durch die öffentliche Hand stattfinden. Und das Eigentum an der subventionierten Netzinfrastruktur soll dann bei wenigen großen Akteuren liegen? Wenn dies eintritt, ist die Glasfaser in privater Hand eine ausgesprochen problematische Angelegenheit: Mit der schier unerschöpflichen Bandbreite von mindestens 60 THz, die im Vergleich zu den 1 GHz eines Koaxkabels mehr als die 60 000-fache Übertragungskapazität bietet, schlägt der First Mover potenzielle Wettbewerber unweigerlich aus dem Feld. Die Duplizierung einer solch gewaltigen Kapazität ist etwa so sinnvoll wie der zweite Hauptbahnhof in einer Kleinstadt. Wie oben erwähnt, handelt es sich eben um ein „natürliches Monopol“. Dennoch besteht keinerlei Garantie, dass wenigstens die betreffenden privaten Monopolisten glücklich werden (s. unten).

Natürliche Monopole gehören in öffentliche Hand. Das ist nicht etwa eine sozialistische, sondern eine ur-liberale Forderung. Zwar wird immer wieder wird eingeworfen, der Staat könne hier nicht tätig werden, da er ansonsten die Innovationsdynamik ersticke. M.E. wird hier jedoch etwas verwechselt: Die Entwicklung der entsprechenden Technik ist sicherlich keine Aufgabe des Staates – genauso wenig wie die Providerdienste. Allerdings sollte die Installation einer Grundversorgung sehr wohl als Aufgabe der Daseinsvorsorge betrachtet werden (BBNA 2009) – und damit als eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Die Befürchtung, Innovationen würden durch einen öffentlich vorangetriebenen Ausbau der Netzinfrastruktur gebremst, ist absurd. Das Legen von Kabeln und die Verwaltung der Infrastruktur hat wenig mit Innovation zu tun, wohl aber mit der Kontrolle über die Daten, deren Priorisierung im Falle von Engpässen und auch mit der Abschöpfung der ökonomischen Renten, die sich in diesem Falle ergeben. Inwieweit soll ein privater Mammutkonzern hier besser, kontrollierbarer und dem Gemeinwohl dienlicher sein als die öffentliche Hand? Das Internet ist ohnehin schon entgegen der Vorstellungen vieler Netzromantiker mittlerweile eine hoch zentralisierte Veranstaltung geworden, die von wenigen großen Akteuren beherrscht wird. Diese definieren auch die Filter, welche im Falle eines Engpasses im Netz die Daten priorisiert weiterleiten – im Wesentlichen ohne demokratische und rechtsstaatliche Aufsicht und Kontrolle. Dies schafft weitgehend unkontrollierte Macht in privater Hand – ein Aspekt, bei dem eigentlich bei jedem Ordnungspolitiker die Alarmglocken klingeln müssten. Macht muss monopolisiert werden – aber nicht in privaten Händen, sondern – von der Öffentlichkeit kontrolliert – beim Staat (ein Anliegen, das bereits Oppenheimer und die Ordoliberalen sehr beschäftigte). So ist der Staat beim Ausbau des Glasfasernetzes durchaus gefordert.

Wenn aber Private weitere Anstrengungen unternehmen, technische Alternativen zu entwickeln und das natürliche Monopol durch Substitute zu schwächen – umso besser. Aber: Egal ob die Datenübertragung via Funk oder physische Leitungen erfolgt: Die öffentliche Hand sollte nicht vergessen, dass immer „Land“ im klassisch-ökonomischen Sinne genutzt wird und daher marktgerechte Konzessionsabgaben verlangen, welche die ökonomischen Renten der Netzbetreiber abschöpfen. Die vertikale Integration von Telekommunikationsunternehmen (Netz und Betrieb unter einem Dach) ist nicht zuletzt deswegen verführerisch, weil dies derzeit größtenteils unterlassen wird und den Unternehmen physischen Grundlagen für die Netzinfrastruktur weitgehend unentgeltlich überlassen werden – am Ende auf Kosten des Steuerzahlers. Nicht zuletzt dies trägt auch zur Entstehung marktmächtiger Unternehmen bei – und Marktmacht ist ein wesentlicher Teil des Problems auf den betreffenden Märkten (s. die Debatte um den „Open Access“).

Ein weiteres prominentes Gegenargument gegen das Engagement der öffentlichen Hand beim Breitbandausbau zieht ebenfalls nicht: Der Mangel an finanziellen Mitteln. Bessere Datenwege auf der letzten Meile reduzieren nämlich die Transportkosten (der Daten). Genauso, wie ausgebaute Straßen die Bodenrenten und Bodenwerte abgelegener Standorte steigen lassen können, ist dies auch bei ausgebauten Datenwegen der Fall – die Nutzer rücken zusammen. Die eingesparten Transportkosten schlagen sich in höheren Bodenrenten und Bodenwerten nieder (von Bedeutung sind hier nur die Kosten der Investitionsinfrastruktur, nicht die Grenzkosten der Übertragung der Daten). Wie in diesem Blog immer wieder und auch weiter oben in diesem Beitrag erwähnt: Solange diese Renten von den privaten Grundstückseigentümern kassiert werden können, dürfte – ohne Subventionierung durch die Allgemeinheit – auch die Lust privater Konzerne, in den Ausbau der letzten Meile zu investieren, gering sein (o.V. 2009). So waren auch in der Vergangenheit die privaten Netzbetreiber nicht die großen Nutznießer des Internetbooms (Fischbach 2009). Würde man hingegen die Grundstückseigentümer – als diejenigen, die den Vorteil des Ausbaus über höhere Grundstückswerte einstreichen – auch zur Finanzierung heranziehen, ließe sich der Ausbau jedoch bequem stemmen. Allerdings: Die Privatisierung dieser ökonomischen Renten ist in unserer Gesellschaft eine heilige Kuh – aber eben kein Naturgesetz. Dem Verfasser dieses Beitrags ist ein monopolistischer Engpass in öffentlicher Hand – wenn er denn gesellschaftlich kontrolliert wird – wesentlich lieber als einer, der sich unkontrolliert in der Hand marktmächtiger Akteure befindet.

Die modernen Zeiten haben allen Unkenrufen zum Trotz einige zentrale alte ökonomische Gesetze nicht außer Kraft gesetzt. Dazu gehört, dass sich natürliche Monopole in öffentlicher Hand befinden sollten (Fischbach 2009). Allerdings darf der Staat dabei nicht in die falschen Hände geraten bzw. muss diesen entrissen werden (s. den Beitrag zu Franz Oppenheimer in diesem Blog). Derzeit haben bei den Verhandlungen mit der Bundesnetzagentur vor allem gut organisierte und mächtige Wirtschaftsinteressen das Wort – das ist entschieden die falsche Richtung. Ein weiterer wunder Punkt ist die Trennung von Netz und Betrieb. Der Staat sollte lediglich die Basisnetzinfrastruktur bereitstellen und über Konzessionsabgaben die ökonomischen Vorteile privater Netzbetreiber abschöpfen. Das Betreiben von Providerdiensten ist hingegen Sache der Privaten. Damit wären schon wesentliche Schritte zur Entflechtung getan, ohne dass es des Regulierungsdickichts bedürfte, das sich derzeit im Rahmen der Politik der Bundesnetzagentur abzeichnet. Erst über ein offen erreichbares, diskriminierungsfreies Netz lässt sich der Wettbewerb einer Vielzahl von Anbietern gegenüber dem Endkunden überhaupt einrichten.

 

Literatur:

BBNA (2009): Breitbandversorgung als kommunale Daseinsvorsorge. Online: http://www.breitband-neckaralb.de/index.php?id=15&tx_ttnews%5Btt_news%5D=7&cHash=0e63392ad279b54702778369e21caa16

Eikmann, J. (2013): Das erdrosselte Internet, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni. Online: https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/juni/telekom-das-erdrosselte-internet%20%20

Fischbach, R. (2009): Internet: Zensur, technische Kontrolle und Verwertungsinteressen, in: Bisky, L. et al. (Hrsg.): Medien – Macht – Demokratie – Neue Perspektiven, Berlin, S. 109-133.

o.V. (2013): IPv6-Rat: Subventionen nur für IPv6-Breitband-Internet, heise-online. Online: http://www.heise.de/netze/meldung/IPv6-Rat-Subventionen-nur-fuer-IPv6-Breitband-Internet-199533.html

o.V. (2014): Breitbandanschlüsse in Deutschland mangelhaft. Online: http://www.macerkopf.de/2014/01/30/breitbandanschluesse-in-deutschland-mangelhaft/