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Energiewende: Sinn und Unsinn der Vorreiterrolle Deutschlands

Dirk Löhr

Ein zentrales Ziel der gegenwärtigen Energiewende in Deutschland ist die Einsparung von CO2. Unser Land trägt rd. 1,8 % des CO2-Ausstoßes an diesem Planeten bei; zu wenig, um im Rahmen eines Alleingangs “die Welt zu retten”. Die Bundesregierung möchte allerdings eine Blaupause zeichnen, an der sich andere Länder orientieren können. Gegenwärtig dürfte jedoch die Art und Weise, wie die Energiewende vollzogen wird, eher als abschreckendes Beispiel dienen (Wall Street Journal: World’s dumbest energy policy). Schieben wir dies aber einmal beiseite und gehen wir nachfolgend kontrafaktisch von der Annahme aus, dass andere Länder sich unserem Modell der Energiewende anschließen.

Entscheidend für den Erfolg der Energieeinsparung ist der Umgang mit fossilen Energieträgern. Was hierbei an Kohlenstoffen in den Verkehr kommt, landet früher oder später wieder in der Atmosphäre. Die Bundesregierung verfolgt nun einen Ansatz, der mittels der Substitution von fossilen durch erneuerbare Energien auf eine Reduktion der Nachfrage nach fossilen Energien abzielt. Das Problem hierbei ist, wie nachfolgend skizziert wird, dass die Angebotsseite vernachlässigt wird.

Die Angebotsseite von nicht erneuerbaren Ressourcen (hier: von fossilen Energiequellen) kann durch die sog. Hotelling-Regel beschrieben werden. Die Zielfunktion des Eigentümers ist dabei die Maximierung seines Vermögens. Grob vereinfacht dargestellt beschreibt die Hotelling-Regel folgende Zusammenhänge:

Im Laufe der Zeit, mit zunehmender Verknappung durch Ressourcenextraktion steigt der Wert der Ressourcen in situ V an, und zwar in Höhe des Zinssatzes r. Dieser Satz beschreibt auch den Ertrag, der durch Förderung der Ressourcen und Anlage des Erlöses am Kapitalmarkt erzielt werden kann. Erhöht sich der Wert der Ressourcen in situ V stärker als die Rendite aus der Ausbeutung (bzw. der Zinssatz) r, lassen die Eigentümer der Ressourcen im Boden – so kann der Wert des Vermögens V maximiert werden: v > r, mit v = dV/V (große Buchstaben stehen nachfolgend für Bestände, Kleinbuchstaben für Veränderungsraten). Ist umgekehrt der Zins höher als der Wertzuwachs des Ressourcenvermögens in situ (r>v), geht es anders herum. Es kommt zu verstärkter Extraktion (und CO2-Belastung), bis sich knappheitsbedingt der Wert der Ressource V wieder nach oben angepasst hat. Die Rendite aus der Ausbeutung bzw. der Satz r, zu dem sich die Gewinne aus der Ausbeutung verzinsen, bestimmen somit den langfristigen Gleichgewichtspfad. Im Gleichgewicht steigt der Wert der Ressource in situ mit dem Zinssatz an: v = r.

Obwohl das Hotelling-Theorem für die Ressourcenökonomie bahnbrechend war, wurde es aus mehreren Gründen kritisiert. Einer davon war der empirische Befund, dass sich der Preis bestimmter wichtiger Ressourcen (wie Rohöl) nicht mit der Dynamik entwickelte, die nach der Hotelling-Regel zu erwarten gewesen wäre – wenngleich der Preis im Trend gestiegen ist.

Um dieser Kritik zu begegnen, muss man die Hotelling-Regel jedoch nicht verwerfen, sondern lediglich modifizieren. Hintergrund ist, dass die Hotelling-Regel auf herkömmlichen Kapitalwertüberlegungen basiert. Ausbeutungsrechte an Ressourcen lassen sich jedoch viel besser als Realoptionen verstehen: Sie gewähren das Recht, aber nicht die Pflicht, die Ausbeutung innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorzunehmen. Man kann also die Ausbeutung von Teilen der Ressourcen in die Zukunft schieben. Dieses “Warten-Können” stellt eine Flexibilität dar, die einen eigenständigen – und erheblichen – Wert hat. Ausgebeutet werden die Ressourcen nur dann, wenn der Preis der Ressource so hoch ist, dass er die Förderkosten und den bei Ausbeutung verlustig gehenden Wert des “Warten-Könnens” überkompensiert, also bei r>f.

Die o.a. Gleichgewichtsüberlegung von Hotelling kann durch die Veränderung des Wertes des “Warten-Könnens” f ergänzt werden . Das Gleichgewicht ergibt sich dann als:

r + f = v

Die Veränderungsrate des Werts der Ressource bzw. entspricht in dieser einfachen Modifikation also der Rendite bei Ausbeutung und der Veränderung des Wertes des “Warten-Könnens” (wobei der Wert des “Warten-Könnens” nur bei Nicht-Ausbeutung der Ressource realisiert werden kann).

Diese Perspektive kann zusammen mit der Entdeckung weiterer Ressourcenvorkommen und technologiebedingten Effizienzsteigerungen eine Erklärung dafür liefern, warum der Bestand an nicht erneuerbaren Ressourcen höher ist, als nach der Hotelling-Regel zu erwarten wäre. Beispiel Erdöl: So betrug im Jahre 1940 die Reichweite der Erdölreserven mit 6 Mrd. Tonnen rd. 21 Jahre. Bis 2007 erfolgte ein Anstieg auf 46 Jahre (180 Mrd. Tonnen). Heute liegt die geschätzte Reichweite bei ca. 40 Jahren. Prognosen wie “Peak Oil” haben sich bislang nicht erfüllt.

Die Rohstoffpreise schwanken und folgen einem stochastischen Pfad. Wenn aber die Gewinne aus der Rohstoffextraktion den hierbei verlustig gehenden Wert des “Warten-Könnens” nicht mehr überkompensieren können (r<f), wird die Expansion der Rohstoffförderung vorübergehend ausgesetzt. Die Knappheit und die knappheitsbedingten Preissteigerungen (sowie die sog. Ressourcen-Renten) werden dann gegenüber dem nach der Hotelling-Regel zu erwartendem Pfad längerfristig gedämpft.

Was sind die Konsequenzen dieser Ergänzung des Hotelling-Theorems für die Energiewende? Die Verbreitung grüner Technologien hat eine Entwertung des Ressourcenbestandes in situ zur Konsequenz – so dass f fällt, ja sogar negativ werden kann (in der Terminologie des Realoptionsansatzes erhöht sich die “Dividende”). Das Gleichgewicht r + f = v wird hierdurch gestört gestört, weil r>f. Der Ressourceneigentümer kann sein Vermögen dann nur maximieren (Zielfunktion), wenn er das negative f durch ein entsprechend steigendes r ausgleicht. Weil die Nachfrage nach nicht erneuerbaren Ressourcen infolge der grünen Transformation sinkt, geht auch deren Preis zurück. Um den Vermögenswert zu maximieren, muss dann der sinkende Preis durch eine steigende Extraktionsmenge ausgeglichen werden. Auf gut Deutsch: Die Konsequenz aus der sinkenden Nachfrage nach nicht erneuerbaren Ressourcen ist, dass mehr (fossile) Ressourcen aus dem Boden geholt und auf den Markt gebracht werden. Dann aber tritt genau das ein, was Hans-Werner Sinn als grünes Paradoxon bezeichnete. Folgendes ist also zu erwarten:

  • Die grüne Transformation führt zu einer sinkenden Nachfrage nach nicht erneuerbaren Ressourcen und bedrohen langfristig deren Werthaltigkeit.
  • Entwicklungs- und Schwellenländer fragen verstärkt die im Preis gesunkenen Ressourcen nach.
  • Diese Länder treten an die Stelle der verzichtenden grünen Transformationsländer, so dass deren Anstrengungen bzgl. Energiewende konterkariert werden.
  • Je weiter f in den negativen Bereich abrutscht, umso mehr unterliegt die Angebotsseite einem Druck in Richtung beschleunigter Ausbeutung der Ressourcen.

Oder, wie Hans-Werner Sinn es sinngemäß ausdrückte: Wenn der Scheich merkt, dass der Wert seiner Ölvorkommen wegen der grünen Transformation sinkt, holt er so viel wie möglich aus dem Boden, solange der Preis noch einigermaßen anständig ist. Im Endeffekt erweist sich die – sehr teure – Vorreiterrolle der westlichen Transformationsökonomien somit als für das Klima desaströs: “Gut gemeint” ist dann wieder einmal das Gegenteil von “gut”.

Was wäre die Lösung? Sinn spricht von einer Stärkung der Eigentumsrechte der Ressourceneigentümer. Dies könnte das fallende f bremsen; aus allokativer Perspektive ist der Gedanke folgerichtig. Dennoch stößt er auf verteilungspolitische und ethische Bedenken (die hier nicht weiter vertieft werden können). Eine weitere Möglichkeit wäre die Kompensation des fallenden f durch Zahlungen der Transformationsländer an die Ressourceneigentümer. Die Scheichs müssten also durch uns kompensiert werden, damit diese auf die beschleunigte Ausbeutung der Ressourcen verzichten – und die Kompensationen müssten im Zeitverlauf steigen. Diesen Weg, den Edenhofer diskutiert, dürfte die Kosten der Energiewende in den Transformationsökonomien schnell bis in einen Bereich jenseits der Tragfähigkeit treiben und zudem kaum auf politische Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen.

Ein weiteres Instrument wäre eine Besteuerung fossiler Energien in den Transformationsländern. Sinn lehnt dies konsequenterweise ab – zu Recht, da diese den Verfall von f beschleunigen könnten. Eine Quellensteuer bei der Anlage der Gewinne aus der Ressourcenextraktion hält er hingegen für möglich – politisch dürfte dies allerdings kaum machbar sein.

Eher gangbar scheint ein “Klima-Club” zu sein, in dem die großen Ressourcenverbraucher (und vielleicht auch Erzeuger) vereint wären: Die USA, die EU, China und vielleicht auch Russland (weil Rohstoff-Supermacht). In diesem Klima-Club würde nach gemeinsamen Regeln gespielt. Diese sind ein gemeinsamer CO2-Cap und ein Emissionshandel, idealerweise auch mit einem “Klimageld” bei der Versteigerung der CO2-Zertifikate. Es gibt ein Cross-Border-Adjustment: Wer in das Club-Gebiet mit seinen Waren will, muss sich den dort geltenden Regeln anschließen oder zahlen. Umgekehrt werden die Club-Mitglieder bei Exporten außerhalb des Club-Gebietes entlastet. Der Club hätte Erfolg, wenn immer neue Mitglieder hinzutreten, die sich seinen Regeln dauerhaft unterwerfen. Allerdings setzt auch ein solcher Klima-Club mit dem CO2-Handel zunächst an der Nachfrageseite an. Dennoch könnte man seine Wirkungskraft auch auf die Angebotsseite ausdehnen. Beispielsweise könnte könnte man – vorübergehend – auf ein Klimageld verzichten und die Ressourceneigentümer statt dessen bei einer zukunftsfähigen Transformation ihrer Ökonomien unterstützen. Das Ziel wäre, diese von den Ressourcenrenten unabhängig zu machen – nicht aber, die versiegenden Ressourcenrenten zu stützen. Einige arabische Staaten machen schon heute ohne externe Unterstützung bemerkenswerte Fortschritte in diese Richtung.

Um einen Klima-Club zu installieren, bedarf es erheblicher diplomatischer Anstrengungen. Hier könnte Deutschland potenziell eine Rolle spielen – allerdings nicht mit einer Außenministerin, die zentrale potenzielle Clubmitglieder mit dem Etikett “Diktatur” belegt. Möglicherweise eröffnen gegenwärtige Probleme jedoch für die Zukunft auch Chancen: Beispielsweise könnte man Russland die Aussicht eröffnen, im Gegenzug für seine Kooperation in die Staatengemeinschaft zurückzukehren und den Status als Paria hinter sich zu lassen. So gering die Chancen für einen Klima-Club sind: Er hat eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit als Welt-Klimakonferenzen mit fast 200 teilnehmenden Staaten.

Deutschland könnte jedoch an anderer Stelle als Vorreiter aktiv werden: So bei neuen Technologien, die bei der Bewältigung der Herausforderungen helfen. Hierzu benötigte es jedoch der Technologieneutralität, auch bei der Forschungsförderung. Der Weg hierbei ist aber Ordnungspolitik, nicht Industriepolitik. Die gegenwärtige Bundesregierung (wie auch die EU-Kommission unter von der Leyen) ist jedoch genau umgekehrt unterwegs: Bestimmte Technologien (Wärmepumpe, Wind, Solar etc.) sind erwünscht, andere (Verbrenner, Kernkraft etc.) verpönt.

Es ist Zeit, die Richtung grundsätzlich zu korrigieren.

Globalisierung gestalten! Eine geoklassische Perspektive

Dirk Löhr

Globalisierung und Freihandel – hieran scheiden sich die Geister.

Auf der einen Seite stehen die Ökonomen, deren Lehrbücher eine Vermehrung des Wohlstandes durch Freihandel versprechen. Bei der Begründung fehlt zumeist nicht der Name “David Ricardo”, der mit seinem Theorem komparativer Kostenvorteile die theoretischen Grundlagen für den Freihandel legte. Knapp formuliert, macht danach sogar der Austausch zwischen Ländern Sinn, bei denen ein Partner überall kostengünstiger als der andere produziert. Er bekommt durch den Handel nämlich den Rücken frei, um sich auf das zu spezialisieren, was er am besten kann. Das „Mehr“ kann zwischen den Partnern aufgeteilt werden. Auf welche Weise dies geschieht, ist freilich in der Theorie Ricardos nicht bestimmt. Problematisch ist u.a. auch, dass die Theorie Ricardos nur unter bestimmten Bedingungen die gewünschten Ergebnisse hervorbringt, darunter die Abwesenheit von Arbeitslosigkeit.

Auf der anderen Seite stehen globalisierungskritische Bewegungen wie z.B. ATTAC. Freilich bekommt der Beobachter oft den Eindruck, dass dies oft eher aus dem Bauch als aus einer fundierten Analyse heraus geschieht. Andererseits gibt es auch fundierte Kritik, wie z.B. durch den Ökonomiepreisträger Joseph E. Stiglitz, der sich zu dem Thema am 20. August im Handelsblatt äußerte.

Joseph E. Stiglitz (source: Wikipedia)
Joseph E. Stiglitz (© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Stiglitz argumentiert, dass es großen Bevölkerungssegmenten in den hochentwickelten Ländern eben nicht gut geht. So leiden in den USA die unteren 90 Prozent – und das ist die Mehrheit – unter stagnierenden Einkommen. Dieser Prozess hält schon seit über 30 Jahren an.  Das mittlere Einkommen vollzeitbeschäftigter männlicher Arbeitnehmer liegt inflationsbereinigt niedriger als vor 42 Jahren. Am unteren Rand sind die Reallöhne mit dem Niveau von vor 60 Jahren vergleichbar. In Europa dürfte es im Trend nicht viel besser aussehen (s. für Deutschland auch Abbildung 2 unten). Das ist die Saat, auf der dann auch die rechte Agitation gedeiht.

Stiglitz betont einen wichtigen Aspekt, der in der herkömmlichen ökonomischen Theorie gemeinhin zu wenig Aufmerksamkeit findet: Der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen ist ein Ersatz für Migration. Es steht zwar nicht der chinesische Arbeiter in der chinesischen Fabrik in Deutschland und konkurriert unmittelbar die Löhne des deutschen Kollegen herunter. Aber der Preisdruck, den das importierte chinesische Produkt auf die deutsche Konkurrenz ausübt, kann eine ähnliche Wirkung erzeugen. Dies betrifft vor allem die Kosten ungelernter Arbeit bzw. von Tätigkeiten, in denen die alten Industrieländer über geringere (Produktivitäts-) Vorteile verfügen. Die Kosten des hochmobilen Faktors Kapital werden ohnehin zunehmend international bestimmt.

Das nachfolgend dargestellte Modell illustriert die Problematik aus einer geoklassischen Perspektive für den Faktor Arbeit (der Faktor Kapital wird aus didaktischen Gründen nicht berücksichtigt): Es knüpft an die Erkenntnis von Thünens an, dass im raumwirtschaftlichen Zentrum höherwertige Güter und Dienstleistungen (pro Kopf) produziert werden als in der raumwirtschaftlichen Peripherie. Das (Pro-Kopf-) Einkommen im Zentrum ist dementsprechend höher. Das Zentrum-Peripherie-Schema ist ubiquitär; es kann auf Ortschaften, Regionen, Länder, Kontinente und weltweit angewendet werden. Aus den erzielten Einkommen werden die Kosten für die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bezahlt. Neben den mobilen Faktoren Arbeit und Kapital gibt es einen immobilen Produktionsfaktor: Dies ist Land, wobei dieser Begriff sehr weit zu fassen ist – beispielsweise gehören mit gewissen Einschränkungen auch Assets mit ähnlichen Eigenschaften wie Grund und Boden dazu (wie z.B. Patente). Nachdem aus dem Einkommen die Kosten für die mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital bezahlt wurden, ergibt sich das Entgelt des Produktionsfaktors Land als Residuum.

Vor Einsetzen der Globalisierung wurde der Lohn für ungelernte Arbeit in den westlichen Industriestaaten im Grenzland X* bestimmt – also in den peripheren Gebieten, wo gerade noch kostendeckend gewirtschaftet werden konnte. Dies führte zum Grenzlohn für ungelernte Arbeit L*. Das Residuum Bodenrente war dabei überschaubar; es wird in Abbildung 1 durch das relativ kleine Dreieck zwischen dem Einkommen und L* dargestellt.

Globalisierung und Freihandel bewirken nun, das relevante Grenzland nicht mehr in den westlichen Industriestaaten zu verorten ist, sondern in China oder in vergleichbaren Staaten. Es verschiebt sich in offenen Volkswirtschaften von X* hin zu X**. Damit wird auch der Lohn für ungelernte Arbeit von L* in Richtung L** gedrückt. Dies wiederum bedeutet in den westlichen Industrieländern v.a. einen Lohndruck für ungelernte Arbeitskräfte. Parallel dazu sanken im Übrigen auch noch weltweit die Zinssätze, also die Einkünfte für Kapital, ab. Die Kosten der mobilen Produktionsfaktoren gleichen sich – soweit sie homogen sind – also im Zuge der Globalisierung über den Raum hinweg aus.

Abbildung 1: Die geoklassische Perspektive auf die Globalisierung

Globalisierung

Wenn nun aber die Entgelte für die mobilen Produktionsfaktoren bei immer weiter steigenden Einkommen stagnieren oder gar sinken, so heißt der Gewinner „Land“. Im Ausgangsfall (geringe Globalisierung) ist die Bodenrente durch die Differenz zwischen dem Einkommen und L* bestimmt, im Zuge der Globalisierung erhöht sich die Bodenrente auf die Differenz zwischen dem Einkommen und L**.

Konkret zeigt sich die angestiegene Bodenrente (die in den letzten Jahren durch die Niedrigzinsphase noch einmal einen Schub erhalten hat) beispielsweise in steigenden Mieten in den Agglomerationen – bei gleichzeitig stagnierenden Realeinkommen der Lohnabhängigen. Die augenblicklichen Probleme auf den Wohnungsmärkten reflektieren insoweit die gegenwärtige Schieflage in der Einkommensverteilung. Am Rande bemerkt: Vor diesem Hintergrund gehen die von der Politik ergriffenen Mittel zielsicher an den Notwendigkeiten vorbei: Den arbeitenden Menschen wird noch mehr Geld aus der Tasche gezogen, um dieses dann in Form von Subventionen an Bauinvestoren auszuschütten. Die dadurch erhöhte Nachfrage nach Bauland trifft aber auf ein sehr beschränktes Angebot – die Folgen sind einmal weiter steigende Bodenrenten und Bodenpreise und eine entsprechende Umverteilung zugunsten des Faktors Boden.

In einem anderen Blogbeitrag (Einkommensverteilung: Bodenlose Geisterdiskussion) habe ich versucht, näherungsweise die Konsequenzen der oben beschriebenen Mechanismen für die Einkommensverteilung in Deutschland zu illustrieren:

Abbildung 2: Verschiebung der Einkommensverteilung in Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

In der Neoklassik kommt nun der Faktor Land nicht vor; er wurde mit dem Faktor Kapital vermischt, und danach wurde kräftig umgerührt. Die Neoklassik kann daher die Problematik, welche von Globalisierung und Freihandel auf den Wohlstand ausgeht, konzeptionell gar nicht erfassen. Aus diesem Grunde werden von den neoklassischen Ökonomen mantraartig nur die positiven Wirkungen hervorgehoben – die Ökonomie als Wissenschaft verliert auch so immer mehr Relevanz für die Lebenswirklichkeit der Menschen.

Was kann die Politik tun? Die Grenzen zu schließen – also Protektionismus – kann die Lösung nicht sein. Erstens gibt es tatsächlich wohlstandsfördernde Effekte des Freihandels, zweitens wird dort, wo gehandelt wird, nicht geschossen und drittens bietet der Freihandel auch den aufstrebenden Staaten Chancen, die man ihnen nicht nehmen sollte. Es geht vielmehr – wie auch Stiglitz immer wieder angemerkt hat – darum, die Globalisierung zu gestalten.

Dies bedeutet jedoch nicht die Manipulation der Entgelte für die mobilen Produktionsfaktoren gegen die Marktkräfte. Höhere Mindestlöhne würden beispielsweise bedeuten, dass das Lohnniveau für gering Qualifizierte über L** hinaus erhöht würde. Eine solche Strategie kann nur insoweit erfolgreich sein, wie die oben diskutierten Ausgleichsprozesse durch Marktunvollkommenheiten beschränkt werden. Marktunvollkommenheiten werden im Zeitverlauf aber eher abgebaut; sie stellen daher ein schwaches Fundament für eine Gestaltungsstrategie dar (wie „erfolgreich“ preisliche Interventionen in den Markt sind, zeigt sich derzeit einmal wieder bei der Mietpreisbremse). Höhere Mindestlöhne werden vor diesem Hintergrund zu mehr Arbeitslosigkeit bzw. – in einer Boomphase – zu geringeren Beschäftigungsgewinnen und zu verstärkter Auslagerung der Produktion führen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit, die Deutschland ebenfalls seit ca. 30 Jahren plagt, hat insoweit auch noch andere als die immer wieder diskutierten Gründe (Hysterese etc.).

M.E. geht also kein Weg daran vorbei, sich bei dem Lohn für gering qualifizierte Arbeitskräfte an L** zu orientieren. Andererseits besteht kein Grund dafür, warum die – im Zuge der Globalisierung zwangsweise steigenden Bodenrenten in den raumwirtschaftlichen Zentren – privaten Landeigentümern zufallen sollen, wie dies in der Vergangenheit geschah. Bodenrenten sind v.a. das Resultat von Anstrengungen der Öffentlichkeit (Infrastruktur etc.) – die privaten Bodeneigentümer haben sie nicht gemacht. Diese Renten könnten – im Übrigen ohne Schaden für die Wirtschaft – abgeschöpft und ein Teil davon zugunsten der Verlierer der Globalisierung umverteilt werden. Dies betrifft konkret die  Differenz zwischen L* und L**. Ein probates Mittel zur Abschöpfung wäre die am meisten unterschätzte aller Steuern, nämlich die Grundsteuer. Die Umverteilung kann auf mehrere Arten vor sich gehen, wie z.B. durch einen allgemeinen staatlichen Lohnzuschuss – aber dies wäre einen eigenen Artikel wert.

Eine Abschöpfung und Umverteilung der ökonomischen Renten könnte zudem noch unterstützt werden durch Maßnahmen, die schon heute durchgeführt werden. Zu nennen sind  Qualifikationsmaßnahmen und weitere Anstrengungen, um die Produktivität der hiesigen Arbeitskräfte zu erhöhen und auf dem Markt „Zuschläge“ auf L** zu „rechtfertigen“. Ebenso können solche Maßnahmen dazu dienen, freigesetzte Arbeitskräfte schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch auch hier hat die Vergangenheit gezeigt, dass allein dies nicht ausreicht. Die letztgenannten Maßnahmen sind insbesondere dann bei weitem überfordert, wenn man ihnen allein die Kompensation der negativen Auswirkungen der Globalisierung aufbürden möchte.

Im Übrigen kann die restliche Bodenrente dazu verwendet werden,  die Fixkosten des Staates zu decken: Nach dem Henry George-Theorem ist dies bei geeigneter Organisation des Staatswesens hundertprozentig möglich; auf Steuern im heutigen Sinne könnte vollkommen verzichtet werden. Heutzutage sind hingegen die Arbeitnehmer – und hier v.a. der arbeitende Mittelstand – die Melkkühe der Nation. Beim Tax Wedge, also dem Unterschied zwischen brutto und netto, nimmt Deutschland auf der OECD-Rangliste einen Spitzenplatz ein (Platz 3; hinzu kommt die Belastung mit Umsatzsteuern etc., die faktisch auch vornehmlich von Arbeitnehmern getragen werden). Eine Umschichtung der Abgaben auf die ökonomischen Renten könnte also dazu beitragen,

  • bislang ungehobene Abgabenpotentiale zu nutzen;
  • aufgrund der dann sinkenden Lohnzusatzkosten auch die inländische Wettbewerbsfähigkeit und die Nachfrage nach Arbeit erhöhen;
  • und gleichzeitig Spielraum für Lohnerhöhungen zu schaffen – relevant für die oben beschriebenen Ausgleichsprozesse ist ja der Bruttolohn.

Es muss nicht betont werden, dass sich die Wirtschafts“wissenschaft“ aufgrund ihrer Ausklammerung des Faktors Boden bislang mit derartigen Möglichkeiten noch nicht beschäftigt hat. Dabei könnte die derzeit diskutierte Grundsteuerreform auch im Kontext der Gestaltung der Globalisierung verhandelt werden. Würde sie als Bodenwertsteuer ausgestaltet, könnten die Bodenrenten abgeschöpft werden. Gleichzeitig sollte ein Tax Shift durchgeführt werden, also eine Erhöhung der Grundsteuer zu Lasten anderer, schädlichen Steuern. Ebenso eine Änderung der Umverteilungsmechanismen.

Derzeit wird im Zuge der Grundsteuerreform freilich etwas anderes diskutiert: Der Schwerpunkt auch einer reformierten Grundsteuer soll nach dem Willen der Länderfinanzminister das aufstehende Gebäude (= Besteuerung von Kapital) bleiben, und nicht der Bodenwert. Zudem soll sich die Reform an Aufkommensneutralität orientieren. Keine Rede also von „Tax Shift“. Generell wird das Thema „Grundsteuerreform“ in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion nicht in Zusammenhang mit der Gestaltung der Globalisierung gebracht.