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Wahlrechtsreform – wen repräsentiert die repräsentative Demokratie?

Dirk Löhr

Gegen den Widerstand der Opposition hat die Ampel in der letzten Woche eine Wahlrechtsreform für den Bundestag durchgepeitscht. Die Reform war notwendig: Vorgesehen sind 598 Bundestagsabgeordnete, tatsächlich waren es zuletzt 736. Nur noch der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China ist größer – Deutschland leistet sich allerdings das größte frei gewählte Parlament. Der Grund dafür, dass der Bundestag aus allen Nähten platzt, ist das System aus Überhangs- und Ausgleichsmandaten, dem mit der Reform ein Riegel vorgeschoben werden soll.

Bislang kam es zu Überhangsmandaten, wenn eine Partei mehr Direktmandate über ihre Erststimme gewinnt, als ihr über die Zweitstimmen zustehen. Damit die Überhangsmandate nicht die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Fraktionen durchkreuzen, bekamen bisher die anderen Fraktionen sog. Ausgleichsmandate. In der Folge zogen immer mehr Abgeordnete in den Bundestag ein.

Wegfallen wird im Zuge der Reform auch die sog. Grundmandatsklausel, die sicherstellen sollte, dass Parteien auch dann u.U. Bundestagsabgeordnete ins Parlament entsenden können, wenn sie die Fünf-Prozent-Klausel nicht nehmen können, aber besonders in der Bevölkerung verankert sind. Nutznießer dieser Regelung waren bislang vor allem die CSU, die bislang nur in Bayern antritt, und die Linkspartei (s. Tagesschau.de). Kein Wunder, dass beide in seltener Eintracht vor Wut schäumen.

Den am politischen Spielfeldrand stehenden Beobachter wundert indessen etwas ganz anderes: So wird in den „Leitmedien“ von der Tatsache, dass die größte aller Parteien überhaupt nicht im Bundestag ist, kaum berichtet. Es handelt sich dabei um die die Partei der Nicht- und Protestwähler. Zu den Letzteren zählen auch die Wähler von Kleinstparteien, die wissen, dass angesichts der Fünf-Prozent-Hürde ihre Stimme damit „verschossen“ ist.

Die untenstehende Tabelle (Daten aufbereitet von: The Pioneer Briefing vom 13.03.2023) illustriert, dass in der letzten Bundestagswahl diese Gruppe zum ersten Mal stärker als die Regierungspartei war. Hierbei wurden die im Bundestag vertretenen Die Linke und die AfD noch nicht einmal mitgezählt.

              JahrKanzlerNichtwählerSonstige/
ungültig
SummeGewinnerpartei
1972Willy Brandt8,9%1,6%10,5%SPD: 41,6%
1983Helmut Kohl10,9%1,2%12,1%CDU/CSU: 43,1%
1998Gerhard Schröder17,8%5,8%23,6%SPD: 33,2%
2005    Angela Merkel22,3%4,2%26,5%CDU/CSU: 26,5%
2021Olaf Scholz23,4%7,3%30,7%SPD: 19,5%

Die Frage muss erlaubt sein: Wen repräsentiert eigentlich die “repräsentative Demokratie”? Die meisten Nicht- oder Protestwähler können mit dem etablierten Parteiensystem nicht mehr viel anfangen.

Sie fühlen sich durch keine der im Bundestag vertretenen Parteien richtig vertreten. De facto handelt es sich bei den im Bundestag vertretenen Parteien jeweils um gesellschaftliche Minderheiten. Ein Beispiel: Von den wie oben errechneten ca. 70% Wählern gaben für Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 14,8% ihre Stimme ab. Bezogen auf das Wählerpotenzial sind dies ca. 10,4%. Die Grünen dienen hier nur als Beispiel, für andere Parteien lässt sich Ähnliches sagen. Unabhängig davon, wie man zu den Positionen der Grünen im Einzelnen steht: Es lässt sich wohl kaum behaupten, dass es sich um Mehrheitspositionen handelt. Dennoch prägt das Agenda-Setting dieser sich im Parlament oder gar an der Macht befindlichen Minderheiten die politische Agenda und den medialen Diskurs.

Indessen kommt hier ein grundsätzliches Problem des „Parteienstaates“ zum Ausdruck. Dies beschreibt schon der Begriff an sich: Es geht um die Interessen von bestimmten Gruppen („Parteien“), nicht um das Interesse der Gesamtheit. Die (noch) im Bundestag vertretenen Parteien haben auch keinen Anreiz, auf die Anliegen der immer größer werdenden Gruppe der Nicht- und Protestwähler einzugehen.

Für sie zählt lediglich die relative Stärke im Vergleich zu den anderen Parteien. Hieran ändert sich nichts, wenn die Quote der Nicht- oder Protestwähler steigt – es sei denn, diese Quote ginge speziell zu Lasten der eigenen Partei. Allenfalls sinkt die Legitimität des politischen Handelns; am Ende wird dies aber von der politischen Klasse allenfalls als ein Schönheitsfehler wahrgenommen. Ob am Ende das Volk im Parlament überhaupt noch repräsentiert wird, ist zweitrangig.

Man sollte sich Sorgen machen, wenn der oben skizzierte Trend anhält. Guter Rat ist teuer. U.a. Gregor Gysi (Die Linke), Burkhard Hirsch (FDP) und Gerhart Baum (FDP) hatten schon des Längeren über diese Problematik nachgedacht.

  • Ein Vorschlag lautet, die Sitze im Bundestag entsprechend des Anteils der Nichtwähler unbesetzt zu lassen.
  • Ein anderer, die Parteienfinanzierung entsprechend der Quote der Nichtwähler zu kappen.

Vor allem der zweite Vorschlag ist nicht ohne Charme. Allerdings gibt es gute Gegenargumente gegen beide Wege: Diejenigen, die mit der sog. Parteiendemokratie auf Kriegsfuß stehen, könnten Kampagnen fahren, um die Bürger erst recht vom Wählen abzuhalten – „schenkt es den Parteien mal richtig ein“. Der Demokratie wäre auch dies nicht zuträglich.

M.E. sollte man an dieser Stelle nicht resignieren, sondern überlegen, ob möglicherweise Anreizsysteme etabliert werden können, damit genau dies nicht passiert. Folgt man beispielsweise dem zweiten Vorschlag (quotale Kappung der Parteienfinanzierung), könnte das Geld nicht an den Finanzminister zurückgehen, sondern bei der Folgewahl an jeden Wähler anteilig ausgezahlt werden. Das freilich setzt Digitalisierung und Registrierung voraus. Zudem könnte man mit Recht gegenhalten, dass es hier nicht um eine Frage geht, die ökonomisiert werden sollte. Und: Immer noch bestünde die Möglichkeit, dem Protest durch die Wahl von aussichtslosen Kleinstparteien Ausdruck zu verleihen. Andererseits: Warum sollte nicht auch eine Tierschutzpartei einmal in den Bundestag einziehen? Eine über alle Zweifel erhabene Lösung vermag ich nicht zu präsentieren. Und wahrscheinlich gibt es deutlich sinnvollere Vorschläge als den oben zur Diskussion gestellten – wichtig wäre jedoch, dass eine Debatte in diese Richtung endlich einmal zustande kommt.

Focus: Hetzjournalismus gegen die Grundsteuerreform

Dirk Löhr

In einem Focus-Artikel vom 10.03.2023 „Städte-Vergleich zeigt das ganze Ausmaß des Grundsteuer-Wirrwars“ verlautbart Focus-Redakteur Christian Böhm, dass Immobilienbesitzer teils drastische Erhöhungen melden. Welche Erhöhungen? Steuererhöhungen können es nicht sein. Die Finanzämter sind gerade dabei, die Grundlagenbescheide für die Grundsteuer (also die Bemessungsgrundlage) zu verschicken – soweit die Steuererklärungen überhaupt eingegangen sind. Folgebescheide mit Zahlungsaufforderung ergehen frühestens Ende 2024. Da die neuen Steuersätze (Hebesätze) noch nicht feststehen, können über die Steuerlasten derzeit noch keine definitiven Aussagen getroffen werden. Böhm hätte besser schreiben sollen: „Erhöhungen der Bemessungsgrundlage“ oder „Erhöhungen des Steuermessbetrages“.

Allerdings: Der Versuch, auch die kommenden Steuerlasten abzuschätzen, ist legitim. Böhm ließ also die ADVISA-Steuerberatungsgesellschaft (Frankfurt a.M.) rechnen.  Auf das zugrunde gelegte fiktive Haus in Stuttgart entfällt danach derzeit eine Grundsteuer von 455 Euro, in München 90 Euro und in Hamburg 73 Euro. Soweit keine Einwendungen, wenngleich die Differenzen ein wenig hoch erscheinen.

Foto: Christoph Scholz

Der Punkt ist jedoch: Die alte, auf Einheitswerten von 1964 (West) und 1935 (Ost) beruhende Bemessungsgrundlage dürfte regelmäßig nur einen Bruchteil der an Verkehrswerten orientierten Bemessungsgrundlage ausmachen, wie sie im Bundesmodell der Grundsteuer vorgesehen ist (teilweise nur um die 10%). Dem Bundesmodell folgen allerdings nicht Bayern, Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg. Baden-Württemberg besteuert dabei nur den Wert des Bodens (Bodenwertsteuer), die anderen Abweichler haben flächenorientierte Grundsteuermodelle im Rahmen einer neu eingeführten Öffnungsklausel im Grundgesetz gewählt.

Das derzeitige Grundsteueraufkommen kann generell wegen der geringen, auf den Einheitswerten basierenden Bemessungsgrundlage nur mit ziemlich hohen Hebesätzen erreicht werden. Stuttgart hat Böhm zufolge einen Hebesatz von 520%, München von 535% und Hamburg von 540%.

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Böhm malt nun v.a. für Baden-Württemberg ein Schreckensszenario. Richtig ist, dass sich hier die Bemessungsgrundlage aufgrund der Bodenwertorientierung um ein Vielfaches erhöhen wird. Allerdings: Um dasselbe Steueraufkommen wie heute (oder ein wenig mehr) zu erzielen, würde Stuttgart auch nur einen Bruchteil des heutigen Hebesatzes benötigen. Für Hamburg und München ist eine Absenkung des Hebesatzes nur in geringerem Ausmaß nötig, da in diesen Bundesländern die Erhöhung der Bemessungsgrundlage gegenüber dem Status quo aufgrund der Flächenorientierung geringer als im Bundesmodell oder im Modell Baden-Württemberg ausfällt. Das alles ficht aber Rechenkünstler Böhm nicht an, der unverdrossen die heutigen Grundsteuerhebesätze auf die neuen Bemessungsgrundlagen anlegt. In Stuttgart stiege für das fiktive Haus dann die Grundsteuer von 455 Euro auf 2.366 Euro an, aber auch in München ergäbe sich noch ein Anstieg von 90 auf 482 Euro. Nach der Logik Böhms müsste sich dann allerdings auch das Grundsteueraufkommen für Baden-Württemberg insgesamt um ein Vielfaches erhöhen. Legt man die verquere Rechen”logik” Böhms gar auf das gesamte Bundesgebiet an, hätte die Grundsteuer – bislang mit ca. 15 Mrd. Euro Aufkommen eher eine Bagatellsteuer – eine ähnliche Größenordnung wie die veranlagte Einkommensteuer.

Tatsächlich war und ist aber die Neutralität des Grundsteueraufkommens das politische Ziel – wenn auch davon auszugehen ist, dass dies oft nicht gelingt. Legen wir eine realistische Hebesatzanpassung für das Beispiel Stuttgart zugrunde, kommen wir zwar auch auf eine Steigerung der Grundsteuerbelastung für das betrachtete Objekt. Allerdings ist diese weitaus weniger dramatisch als von Böhm behauptet – der betreffende Eigentümer hätte vielleicht 200 bis 300 Euro mehr als heute zu bezahlen. Seriöse Belastungsverschiebungsrechnungen hätten Aufklärung für Böhm schaffen können (z.B. Henger & Schäfer 2015, Loehr 2023), diese passen aber nicht in das von ihm gezeichnete Schreckensbild. Belastungsverschiebungen im Rahmen der Grundsteuerreform sind im Übrigen grundsätzlich gerechtfertigt – ansonsten hätte das Bundesverfassungsgericht im April 2018 die alten, auf dem Einheitswert beruhenden grundsteuerlichen Bemessungsgrundlagen nicht verwerfen müssen. Und: Böhms Fall liegt eine Wohnfläche von 200 qm zugrunde, das Grundstück von 500 qm hat jedoch einen Bodenwert von einer halben Mio. Euro. Im deutschen Durchschnitt liegt der Bodenwert pro qm ca. bei 250 bis 300 Euro, nicht bei 1000 Euro. Die Zusatzbelastung durch die Bodenwertsteuer übt einen sanften Druck auf den Grundstückseigentümer aus, diese teure Grundstücksfläche doch vielleicht effizienter als durch ein Ein- oder Zweifamilienhaus zu nutzen. Mehr Wohnungen bedeuten bei der Bodenwertsteuer nämlich weniger Steuerlast pro Wohnung.

Bei den von Böhm zugrunde gelegten Daten kratzt man mit der Immobilie an der Millionengrenze, wobei der Bodenwert mehr als 50% des Gesamtwertes ausmachen und im letzten Jahrzehnt massiv gestiegen sein dürfte. Nach Braun (2021, S. 60) haben sich die Bodenwerte in den Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern allein im letzten Jahrzehnt um mehr als das 3,5-fache erhöht. Dieser Wertzuwachs ist aber nicht auf irgendeine Leistung des Eigentümers zurückzuführen.

Bei dem Hauseigentümer von Böhm handelt es sich also nicht um einen armen Menschen, sondern um einen Vermögensmillionär. Klar: Es sind extreme Fälle denkbar (wenngleich selten), wie eine alte Dame mit geringem Einkommen, die in einer herrlichen Stadtvilla lebt. Das ist der berühmte „Asset-rich-income poor“-Fall, die klassische „Willmersdorfer Witwe“ bzw. ihr Pendant in Stuttgart. Allerdings darf man eher seltene Fälle nicht zur Grundlage steuerlicher Typisierung machen – das Steuerrecht ist ein Massenfallrecht.

Und: Das Totschlagsargument der „Willmersdorfer Witwe“ ist auch aus ethischer Sicht abstrus. Nehmen wir eine Analogie: Die schlecht bezahlte langjährige Reinigungskraft Aschenputtel erbt ein riesiges Schloss von einem dahingeschiedenen Verehrer. Sie hat zwei Möglichkeiten: Einerseits ihren Lebenstraum erfüllen und dort allein als Schlossherrin wohnen. Oder aber das Schloss nicht vollständig selbst zu nutzen, sondern teilweise oder ganz zu verkaufen oder an ein Museum zu vermieten – und mit dem erlösten Geld in eine angemessen große, aber bessere Wohnung als gegenwärtig zu ziehen. Ich höre schon: „Was für ein Vergleich!“ – der Vergleich ist aber gar nicht verkehrt, denn genau wie bei Aschenputtel hat auch der Bodeneigentümer den Bodenwert nicht geschaffen, sondern Dritte (die Gemeinschaft, v.a. mit öffentlichen Infrastrukturinvestitionen). Wie bei Aschenputtel fallen dem Bodeneigentümer die Bodenwertsteigerungen unentgeltlich zu. Unser Aschenputtel entschließt sich jedoch, ihren Lebenstraum wahrzumachen und selbst allein in dem Schloss zu wohnen. Schnell erkennt sie, dass der Unterhalt des Schlosses ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigt. Sie rennt zum Journalisten B., der sofort empört schreibt, die Frau sei nun durch das Erbe zu einem Sozialfall geworden, und sie habe die Unterstützung der Gemeinschaft wohl dringend verdient. Wer so argumentiert, hat schiefe moralische Maßstäbe. Im Übrigen sind steuerliche Härtefallregelungen denkbar. Beispielsweise könnte die Steuer des schwäbischen Äquivalents der “Wilmersdorfer Witwe” eingefroren und dann der Differenzbetrag von den Erben oder Käufern beglichen werden (diese Regelung ist leider im Landesgrundsteuergesetz Baden-Württemberg nicht enthalten).

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Wo so viel journalistischer Mist wie bei Böhm aufgehäuft wird, darf auf dem Gipfel keinesfalls der Augsburger Rechtsprofessor Gregor Kirchhof als Sahnehäubchen fehlen. Sein Name lässt das Herz eines jeden Immobilienlobbyisten höher schlagen. Er ist grundsätzlich ein Verfechter des bayerischen Flächenmodells, wonach nur Boden- und Gebäudefläche in die grundsteuerliche Bemessungsgrundlage eingehen, aber nicht der Wert. In der Folge wird eine alte, fast abrissreife Wohnimmobilie in schlechtester Lage genauso hoch besteuert wie eine nagelneue Immobilie in der allerbesten Lage, wenn nur die Größe dieselbe ist. Das Gesetz offenbart ein gelinde gesagt merkwürdiges Verständnis des Allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Dieser spielt auch im Steuerrecht eine große Rolle und besagt, dass wirtschaftlich Gleiches gleich und wirtschaftlich Ungleiches ungleich behandelt werden soll. Die eigentliche Rechtfertigung für das bayerische Flächenmodell heißt aber „Äquivalenz“. Der Steuerpflichtige soll der Kommune etwas von den Vorteilen zurückgeben, die er aufgrund der Nähe zu zentralen Infrastrukturen, öffentlichen Räumen etc. hat – eben allem, was eine durch öffentliche Mittel geschaffene gute Lage ausmacht. Ein guter Indikator für den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen wäre der Bodenwert, in dem sich genau dies abbildet. In den teuren zentralen Lagen mit gutem Infrastrukturzugang ist dieser hoch, in der räumlichen Peripherie gering. Doch Kirchhof weist das zurück und setzt primär auf die Fläche als Bemessungsgrundlage (Kirchhof 2018). Das wäre aber nur dann angemessen, wenn Wohn- wie Gewerbeflächen in teuren, zentralen Lagen tendenziell deutlich größer wären als in der Peripherie. Das allerdings wäre eine Erkenntnis, für die Kirchhof wohl einen Nobelpreis verdient hätte, zumal sie allem zuwiderläuft, was an raumwirtschaftlichen Mustern bekannt und untersucht ist. Ganz wohl ist Kirchhof mit diesen Behauptungen allerdings auch nicht, weswegen er die Ergänzung durch ein Regionalwertmodell vorschlägt. Ähnliches haben Hamburg, Niedersachsen und Hessen denn auch verwirklicht – allerdings können diese lagebezogenen Differenzierungen weder die Unterschiede im Verkehrswert der Gesamtimmobilie noch diejenigen des Bodenwertes auch nur annähernd abbilden. Es ist schon eine merkwürdige Interpretation von Äquivalenz, wenn am Ende die Nutznießer guter, zentraler Lagen (mit gutem Zugang zu Infrastruktureinrichtungen) relativ zum Wert ihrer Immobilie weniger bezahlen als die Bewohner einfacher Lagen.

Zudem preist Kirchhof im Artikel von Böhm noch einmal die Einfachheit der bayerischen Grundsteuer. Tatsache ist aber, dass Bayern derzeit bei den bislang eingegangenen Steuererklärungen mit seiner „Einfachsteuer“ das Schlusslicht unter allen deutschen Bundesländern ist. Auch hier müssen – wie im Bundesmodell – aufwändige Gebäudeflächenberechnungen durchgeführt werden (lediglich das Bodenwertsteuermodell kommt ohne diese aus). Wollen Sie, lieber Leser, ihren Vermieter verklagen: Machen Sie es am besten über die im Mietvertrag angegebene Fläche, die stimmt so gut wie nie. In Bayern fehlen derzeit noch etwa ein Drittel aller Grundsteuererklärungen. Bayern hat als einziges Bundesland die Abgabefrist noch einmal bis Ende April erweitert. Doch wollen wir fair sein: Die größte Hürde für die Abgabe der Steuererklärung dürften die benutzerunfreundlichen und unverständlichen in den ELSTER-Grundsteuerformulare sein, weniger die unterschiedliche Komplexität der verschiedenen Grundsteuermodelle.

Dennoch, es bleibt festzuhalten: Böhm verdingt sich mit seiner einseitigen Stellungnahme gegen wertorientierte Grundsteuermodelle als Sprachrohr der Immobilienwirtschaft, die durch wertorientierte Grundsteuermodelle allgemein, durch die Bodenwertsteuer im Besonderen ihr Geschäftsmodell angekratzt sieht.

Die Glaubwürdigkeit des Focus wird durch Stimmungsmache wie im Beitrag Böhms beschädigt.

Literatur

Braun, R. (2021): Versorgungsengpässe, Preisanstiege und Lösungsansätze auf großstädtischen Wohnungsmärkten. In: Spars, G. (Hrsg.): Wohnungsfrage 3,0. Stuttgart: Kohlhammer, S. 45-74.

Kirchhof, G. (2018): Die grundgesetzlichen Grenzen der Grundsteuerreform. Gutachten für DIE FAMILIENUNTERNEHMER e.V., Augsburg/Berlin.

Henger, R., & Schaefer, T. (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer-eine Simulationsanalyse verschiedener Grundsteuermodelle. IW Policy Paper Nr. 32/2015.
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2015/247476/Grundsteuer_Policy_Paper_IW_Koeln.pdf

Löhr, D. (2023): Impacts of Property Taxes on Planning and Settlement Development – Germany as a Living Lab. Modern Economy 14 (3). DOI: 10.4236/me.2023.143014

Auslaufmodell Indexmiete?

Dirk Löhr

Indexmietverträge, welche die Miete an den Verbraucherpreisindex (VPI) koppeln, sind zwar nicht weit verbreitet. Vor Einsetzen der inflationären Entwicklung waren sie allerdings oft für die Mieter vorteilhaft. Dies hat sich mittlerweile geändert: Die Mieter werden sowohl durch die Inflation als auch durch die nun mögliche Steigerung der Mieten in die Zange genommen. In der Diskussion ist eine schärfere Kappung auch für Indexmietverträge oder die Umstellung der Verträge auf einen Mietindex. S. hierzu den Übersichtsbeitrag von Deschermeier und Henger im Wirtschaftsdienst 1/2023.

Ein ähnliches Problem besteht im Übrigen auch bei Erbbaurechtsverträgen. Hier gibt es zwar eine Kappungsgrenze (§ 9a ErbbauRG). Diese orientiert sich jedoch an der Bruttolohnentwicklung wie am VPI. Beides ist in Zeiten einer stagflationären Entwicklung nicht geeignet. Die Bruttolöhne sinken derzeit preisbereinigt, aber nicht nominal. Der VPI wird gerade durch die Energiekosten mit getrieben. Ich hatte an das Bundesbauministerium den Vorschlag gerichtet, entweder den Maßstab VPI durch die Kerninflationsrate zu ersetzen, in dem die Preissteigerungen für Energie und Lebensmitteln herausgerechnet sind. Alternativ könnte man ebenfalls auf den Mietindex als Prüfungsmaßstab gehen.

Der Vorschlag wird voraussichtlich demnächst in der ErbbauZ (Zeitschrift für Erbbaurecht) veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber auf die Entwicklung reagiert.

DIE LINKE erhebt Popularklage gegen die bayerische Grundsteuer

Dirk Löhr

Wer in einer bayerischen Gemeinde in der schlechtesten Lage ein uraltes, heruntergekommenes Haus besitzt, zahlt dieselbe Grundsteuer wie jemand, der in der besten Lage eine schicke, energetisch modernisierte Villa sein Eigen nennt – wenn nur die Grundstücks- und Gebäudefläche übereinstimmt. Nun wird zwar der Allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) so interpretiert, dass wirtschaftliche Gleiches gleich und wirtschaftlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Das kümmert Söder, Aiwanger & Co. samt Entourage allerdings wenig. Ihr grundsteuerliches Flächenmodell hat zur Folge, dass die Grundsteuerlast vom Wert der Immobilie abgekoppelt wird. Oder, anders formuliert, dass die weniger Wohlhabenden verstärkt in den öffentlichen Haushalt zuschießen müssen. Wer seine Grundsteuererklärung in Bayern schon gemacht hat, weiß im Übrigen auch, dass diese keinesfalls so einfach ist, wie die bayerische Landesregierung behauptet hat. Gegen dieses muntere Treiben hat nun DIE LINKE in Bayern Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser gilt zwar als regierungsnah, aber einen Versuch ist es sicherlich wert. Der Schriftsatz und Hintergrundinformationen zur Popularklage sind hier zu finden. Good Luck!

Come back der Ressourcenrente: Die jüngste Erfolgsgeschichte von Shell & Co.

Dirk Löhr

Am 3. Februar meldete Gabor Steingart in seinem Briefing:

“Die Rekordgeschichte der Energiekonzerne geht weiter: Für Shell war 2022 das beste Geschäftsjahr aller Zeiten. Der Gewinn kletterte auf 40 Milliarden Dollar – eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr.

Grund dafür sind vor allem die rasant gestiegenen Gaspreise infolge des Krieges in der Ukraine. Shell ist der weltweit größte Händler von Flüssiggas. Im vergangenen Quartal war die Gassparte des Konzerns für fast zwei Drittel des Gewinns verantwortlich.

Vor allem die Shell-Aktionäre dürfen sich freuen: Der Konzern will die Dividende um 15 Prozent steigern, 2022 wurden insgesamt rund 26 Milliarden Dollar an die Anteilseigner ausgeschüttet. In den kommenden Monaten wird Shell außerdem Aktien im Wert von vier Milliarden Dollar zurückkaufen.”

Der Grund hierfür dürfte das Upstream-Geschäft sein: Shell bewirtschaftet (wie seine engeren Mitbewerber) eigene Ölquellen. Der Preis des Öls wird durch den Grenzanbieter bestimmt (der gerade noch auf seine Kosten kommt – und bei denen es sich nicht zuletzt um US-amerikanische Rohstoffunternehmen handelt). Ist das Öl in den eigenen Quellen günstiger zu fördern als das der Grenzanbieter, entsteht ein Kostenvorteil – die Ölrente. Insbesondere dann, wenn – wie im letzten Jahr – der Weltmarktpreis knappheitsbedingt eine ansehnliche Höhe erreicht, kommt dies dem Upstream-Geschäft zugute.

Dieses wird dann deutlich wichtiger als das Downstream-Geschäft, v.a. die Raffinierung von Rohölprodukten. Die für die Verbraucher so augenscheinlichen Tankstellen sind für die Mineralölkonzerne eher aus strategischen Gründen (Marktabdeckung), aber kaum wegen ihrer Erträge interessant.

Die Zahlen von Shell illustrieren eindrucksvoll, dass die Energiewende derzeit keineswegs in die gewünschte Richtung verläuft – eher kann man von einer Renaissance der fossilen Energieträger sprechen.

Der Gewinn von Shell sorgte bei Unmut bei den Kritikern. So demonstrierte Greenpeace am 2. Februar vor dem Shell-Firmensitz in London. Die britische Labour-Party forderte erneut eine Übergewinnsteuer (hierzu s. den Blogbeitrag vom 15.01.2023). Denn Shell hat im vergangenen Jahr lediglich 900 Millionen Dollar an Steuern an den britischen Fiskus abgeführt.

Reduktion der Kosten für Mietwohnbauten – Einführung des Vorsteuerabzuges?

Dirk Löhr

Der Wohnungsbau stagniert. Das im Koalitionsvertrag der Ampel verkündete Ziel, 400.000 neue Wohnungen jährlich zu schaffen (davon 100.000 mit Sozialbindung), rückt in immer weitere Ferne. Die Investoren befinden sich in der Klemme: Kostenseitig steigen Zinsen und Baukosten (Abriss von Lieferketten, erhöhte energetische Anforderungen) – von Seiten des Bodenmarktes kommt derzeit aber nicht die benötigte Entlastung in Gestalt ausreichend sinkender Bodenwerte. Die künftig durchsetzbaren Mietsteigerungen dürften angesichts des inflationsbedingten Realeinkommensverlustes der Mieter überschaubar sein. Die Investoren sind in die Zange genommen – viele Bauvorhaben werden aufgeschoben. Vonovia beispielsweise hat einen Baustopp verkündet.

Bislang setzt man zur Dämpfung der Baukosten auf – sicherlich vernünftige – Maßnahmen wie z.B. serielles und modulares Bauen. Eine Maßnahme, die auf einen Schlag eine Reduktion der Herstellungskosten um 16% (19%/119%) bewirken könnte, ist erstaunlicherweise aber bislang nicht in der Diskussion: Eine Änderung des Mehrwertsteuerregimes.

Der Ansatzpunkt könnte die Einführung eines Nullsteuersatzes für vermietete Wohnimmobilien sein. Diese sind bislang von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 12 UStG). Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 9 UStG ist derzeit jedoch nicht möglich. Es handelt sich allerdings nur um eine „unechte“ Befreiung, da auch die Vorsteuer auf die Planungs- und Bauleistungen nicht abgezogen werden kann.  Dementsprechend erhöhen sich die Herstellungskosten der Mietwohnungen.

Über die Einführung eines Nullsteuersatzes auf Wohnbauleistungen (soweit Einnahmenerzielungsabsicht besteht), bei gleichzeitiger Öffnung der Verzichtsmöglichkeit auf die Steuerbefreiung bei vermieteten Wohnimmobilien (§ 9 UStG) könnten Wohnimmobilien in die Steuerpflicht gebracht werden, ohne dass es für die Mieter teurer wird. Der Vorteil: Der Weg für den Vorsteuerabzug wäre frei – das könnte bis zu 16% verringerte Herstellungskosten für die Mietwohnbauten bedeuten.

Ein ähnlicher Weg wurde für kleine Photovoltaikanlagen im Rahmen der Anpassung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2022 beschritten. Ziffer 10 in Anhang III der Richtlinie 2005/112/EG (Gegenstände, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewendet werden dürfen) enthält schon die „Lieferung und Bau von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, wie von den Mitgliedstaaten festgelegt; Renovierung und Umbau, einschließlich Abriss und Neubau, sowie Reparatur von Wohnungen und Privatwohnungen; Vermietung von Grundstücken für Wohnzwecke“.

In diesem Rahmen (auch gedeckt durch Ziffer 15 der Liste) ergibt sich z.B. auch die Möglichkeit der Befreiung gemeinnütziger Organisationen, was für die geplante Neue Wohngemeinnützigkeit interessant sein könnte.

Die Mitgliedsstaaten dürfen für bis zu höchstens sieben der 29 Kategorien des Anhangs III auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zwei ermäßigte Steuersätze vorsehen, wovon einer der Steuersätze unter 5 % und der andere Steuersatz 0 % (Nullsteuersatz) betragen kann. Die Bundesregierung könnte dies zum Anlass nehmen, um ihre Prioritäten zu prüfen – ob ein Nullsteuersatz für Mietwohnungen ermöglicht werden kann.

Kein öffentliches Grundvermögen mehr versilbern – Hamburg macht es vor!

Dirk Löhr

Am Donnerstag, den 26.01.2022, war ich zu einer öffentlichen Anhörung des Verfassungs- und Bezirksausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft geladen. Es ging um die Vorbereitung einer Beschlussvorlage, der u.a. die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum als Staatszielbestimmung vorsieht und zudem ein verfassungsmäßig verankertes Veräußerungsverbot für Wohngrundstücke vorsieht. Diese sollen grundsätzlich nur noch via Erbbaurecht vergeben werden. Vorangegangen war eine Einigung mit der Volksinitiative “Boden & Wohnraum behalten – Hamburg sozial gestalten! Keine Profite mit Boden & Miete!”. Wird der Beschluss in seinem Kern von der Bürgerschaft tatsächlich verabschiedet, beschreitet Hamburg einen neuen Weg, der weisend auch für andere Bundesländer sein kann.

Meine mündliche Stellungnahme finden Sie hier:

“Danke für die Einladung!

I. Staatszielbestimmung Art. 73a LVV

  1. Darstellung:

Sachlich umfasst die Vorschrift die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Verpflichtung auf den Vorrang der Innenentwicklung und die Berücksichtigung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen bei der Ausweisung neuer Bauflächen.

2. Beurteilung:

Ich bin zwar kein Volljurist. Erlauben Sie mir dennoch folgende Anmerkungen.

Es handelt sich um explizit eine Staatszielbestimmung, d.h. um eine objektiv-rechtliche Selbstverpflichtung, die kein einklagbares subjektives Recht Seitens der Bürger statuiert oder in Konflikt mit Bundesgesetzen treten könnte, soweit der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht hat.

Einige Landesverfassungen sehen sogar ein explizites Recht auf Wohnraum vor, wie Bayern (Art. 106), Berlin (Art. 28), Bremen (Art. 14) und Sachsen (Art. 7). Ungeachtet der sprachlichen Ausgestaltung wird diesen Normen nach h.M. jedoch nicht der Charakter von subjektiven (also einklagbaren) Rechten zugestanden. Andere Landesverfassungen regeln die Wohnraumversorgung ausdrücklich als Staatszielbestimmungen – so Brandenburg (Art. 47), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 17), Niedersachsen (Art. 6a), Nordrhein-Westfalen (Art. 29), Rheinland-Pfalz (Art. 63), Sachsen-Anhalt (Art. 40) und Thüringen (Art. 15).

Genannt wurden gerade 11 von 16 Bundesländern. Mir fehlt das Vorstellungsvermögen dafür, dass in Hamburg rechtlich nicht möglich sein sollte, was in der Mehrzahl der Bundesländer schon implementiert wurde.

II. Kern des Beschlusses, Umsetzung im Rahmen des Art. 72 Abs. 6 LV

  1. Darstellung:

Intendiert ist die verfassungsmäßige Verankerung eines Veräußerungsverbotes an Wohngrundstücken. In einem Durchführungsgesetz werden Ausnahmen verankert, um entsprechende Flexibilität zu gewährleisten. In der Beschlussvorlage ist zudem ein Mehrungsgebot vorgesehen (positive Flächenbilanz), allerdings ohne expliziten Verfassungsrang. Gleiches gilt für die Abgabe der Grundstücke, die an Marktteilnehmer grs. über Erbbaurechte erfolgen soll. Hier kann man allerdings implizit (verfassungsrechtliches Veräußerungsverbot) ebenfalls Verfassungsrang annehmen.

2. Beurteilung:

Diese Neuorientierung ist unbedingt sinnvoll. In der Zukunft werden sich für Hamburg weitere Zuwanderungen ergeben. Gleichzeitig werden mehr Flächen für grüne und blaue Infrastruktur etc. benötigt, wobei diese nicht mit hochproduktiven wirtschaftlichen Nutzungen auf dem Markt konkurrieren können. Die Flächenkonkurrenz wird sich erhöhen. Mit den vielfachen Herausforderungen, die sich mit Blick auf bezahlbaren Wohnraum, die Adaption an den Klimawandel, Schwammstadtkonzepte, Resilienz (auch mit bewusst eingebauten redundanten Infrastrukturen) etc. stellen, ist ein allein auf Markt und Privateigentum basierender Allokationsmechanismus aber überfordert. Die Beschlussvorlage möchte diesen Allokationsmechanismus nicht ersetzen, sondern ergänzen. Im Übrigen verweise ich hier auf meine schriftliche Stellungnahme.

In den bestehenden Regelwerken (Landes- und Gemeindeordnungen) ist typischerweise festgelegt, dass Vermögensgegenstände (darunter unterschiedslos auch Boden und Wohnungen) nur erworben werden können, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Gebietskörperschaft notwendig ist. Sie dürfen nur veräußert werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden (FHH: noch andere Kriterien). § 63 LHO der FHH bildet hier keine Ausnahme.

Was aber „notwendig“ ist und ob die Vermögenswerte noch benötigt werden, stellt Auslegungssache dar – es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe.

Die geplante Ergänzung des Art. 72 Abs. 6 LV (Veräußerungsverbot bei Wohngrundstücken) stellt insoweit eine Leitlinie dar, die in den Rang eines Verfassungsauftrages gerückt wird. Mit dem Mehrungsgebot („positive Flächenbilanz“), öffnet der Beschluss auch das Tor für eine Bodenvorratspolitik, wenngleich auch dem Mehrungsverbot kein unmittelbarer Verfassungsrang zukommen soll.

Für eine systematische Bodenvorratspolitik, wie sie z.B. die Stadt Ulm seit 130 Jahren erfolgreich betreibt (übrigens ausgelöst durch Druck von Unternehmerseite), ist jedoch eine Grundsatzorientierung nötig. Hier muss ein Konsens existieren (wie eben in Ulm), und am besten auch eine Rechtsgrundlage. Zudem muss es möglich sein, die Grundstückskäufe antizyklisch vorzunehmen: Also gerade dann, wenn sie anscheinend – aus kurzfristiger Perspektive – eben nicht erforderlich sind, nämlich bei einem entspannten Markt. Das geben die Regelungen der LHO mit ihren Verweisen auf die „Notwendigkeit“ für sich genommen derzeit nicht ohne Weiteres her. Auf der Grundlage der Verfassungsergänzung kann eine vollständig neue Interpretation dessen erfolgen, was “notwendig” ist. Ob eine klarstellende Änderung der LHO vor diesem Hintergrund nötig ist, mögen die Juristen entscheiden.

So sehr die Richtung stimmt, erlauben Sie mir auch ein wenig Kritik an der Beschlussvorlage:

  • Gerade im Zuge der Adaption an den Klimawandel kann es auch sinnvoll sein, Grundstücke zu bevorraten, ohne dass deren künftiger Verwendungszweck genau festliegt. Daher und aus anderen Gründen hätte ich mir bei Art. 72 Abs. 6 auch keine Beschränkung auf Wohngrundstücke gewünscht.
  • Die Beschlussvorlage enthält zwar das Bestreben nach einer positiven Flächenbilanz – m.E. wäre es jedoch gut, wenn auch das Mehrungsgebot explizit in der Landesverfassung verankert würde.

Schließlich sei noch der Hinweis erlaubt, dass das Ziel einer positiven Flächenbilanz auch der Bereitstellung finanzieller Mittel bedarf. Es ist zumindest kurz- und mittelfristig kaum zu erwarten, dass die Erbbauzinsen hierfür hinreichend sein.

Dennoch: Auch mit Art. 72 Abs. 6 der Beschlussvorlage schlägt die FHH einen neuen Weg ein, der auch weisend für andere Bundesländer sein kann.

III. Abgabe der Grundstücke grs. auf dem Wege des Erbbaurechts

  1. Darstellung:

Die Abgabe der städtischen Wohngrundstücke soll grundsätzlich im Wege des Erbbaurechts erfolgen.

2. Beurteilung:

Auch dies ist eine sehr sinnvolle Maßnahme. Die FHH kann so u.a. den Nutzungszyklus der Grundstücke (incl. Zwischen- und Nachnutzungen) kontrollieren. Sie kann ihre sozialen, ökologischen und städtebaulichen Ziele – im Rahmen von Konzeptvergabeverfahren – unmittelbar umsetzen. Zusätzlich profitiert sie von stetigen und sehr sicheren Zahlungsströmen und vom Bodenwertzuwachs. Die Investoren erhalten einen kapitalfreien Zugang zum Boden, der in Hamburg bekannterweise teuer ist.  

Allerdings: Die FHH kann auch über ihre eigenen Unternehmen nicht die gesamte Stadt bauen. Sie ist auf die Mitwirkung privater Investoren angewiesen – diese kann man aber nicht zum Bauen zwingen.

Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass die Erbbaurechte im Markt akzeptiert werden. Dies erfordert eine Ausgestaltung der Erbbaurechte, die weitgehend dem Volleigentum angenähert ist und bei denen die Nachteile, die Investoren aus den Erbbaurechten erwachsen, weitestgehend kompensiert werden.

In der Vergangenheit nahm die FHH im bundesweiten Vergleich der Städte und Stadtstaaten hier schon eine Vorreiterrolle ein. Allerdings kann noch weiter optimiert werden. Das betrifft nicht nur die Erbbaurechte selbst (Entschlackung, Vorrecht auf Erneuerung etc.), sondern auch die Förderlandschaft. Anders als bei Volleigentum können beispielsweise Sozialbindungen Investoren über die gesamte Vertragsdauer des Erbbaurechts auferlegt werden. Allerdings gilt es, die Investoren für diesbezügliche Auflagen neben den allgemeinen Nachteilen des Erbbaurechts gegenüber Volleigentum zu kompensieren (Beleihungswert, Eingriff in die Verfügungsrechte).

Insbesondere muss eine Quersubventionierung von gebundenen durch freie Wohnungen möglichst vermieden werden, geförderte Wohnungen müssen für sich selbst tragfähig sein. Falls nicht, sind die Investoren darauf angewiesen, die Preissetzungsspielräume bei den Mieten zum Zwecke der Quersubventionierung auszureizen. Dann aber drohen Konsequenzen für die Leistbarkeit von Wohnen und auch den Mietspiegel.

Mittlerweile gibt es schon interessante Fördermodelle bei Erbbaurechten – in diesem Kontext sei auf Stuttgart verwiesen. Eine weitere Optimierung der Förderlandschaft ist sicherlich auch im Sinne des von der FHH gefahrenen kooperativen Ansatzes.

Danke!”

Übergewinnsteuer – den Kriegsgewinnlern an den Kragen?

Dirk Löhr

In einer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit im Auftrag der Rosa Luxemburg Stiftung herausgegebenen Studie beziffern Trautvetter und Kern-Fehrenbach (2022) die durch die infolge des Ukrainekrieges erhöhten Energiepreise entstandenen rechnerischen Übergewinne. Diese betrügen 38 Milliarden Euro bei Öl und 25 Milliarden Euro für Gas für ein Jahr. Bei den Produzenten von Strom aus Kernkraft und erneuerbaren Energien entstünde ein Übergewinn von ca. 50 Mrd. Euro.

Die Idee einer Übergewinnsteuer zielt auf nichts anderes als die Abschöpfung der mittlerweile drastisch erhöhten Ressourcenrenten ab. Diese ergeben sich durch die zwischenzeitig gestiegenen Marktpreise von Öl und v.a. Erdgas infolge des Ukraine-Krieges. Gewinner sind hier u.a. die großen Mineralölkonzerne, die derzeit erhebliche Gewinne über ihr Fördergeschäft machen (Upstream-Geschäft). Teilweise profitieren hier auch die hiesigen großen Energieversorger, soweit diese als Verteiler nicht selbst die Energie einkaufen müssen. Allerdings ist – anders, als manch ein Politiker zunächst verlautbarte – auch der Strommarkt betroffen: Grund hierfür ist die sog. Merit Order, also die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Die Grundversorgung erfolgt derzeit noch mit Grund- und Mittellastkraftwerken, die relativ geringe Grenzkosten, dafür aber hohe Fixkosten aufweisen. Typischerweise handelt es sich hierbei um Atom- oder (Braun-) Kohlekraftwerke. Für den Strompreis entscheidend sind aber die Grenzkosten desjenigen Anbieters, der die letzte nachgefragte Spitze auf dem Energiemarkt verkauft (Grenzanbieter). Diese arbeiten i.d.R. mit Spitzenlastkraftwerken, die oftmals Öl und Gas verfeuern. Profiteure des erhöhten Strompreises sind alle Produzenten mit geringeren Grenzkosten als die Grenzanbieter, darunter nicht zuletzt die Produzenten erneuerbarer Energien. Bei den Übergewinnen handelt es sich um nichts anderes als um ökonomische Renten, die den Energieproduzenten ohne weitere Leistung zufallen (windfall-profits).

Die Abschöpfung der ökonomischen Renten an der Quelle ist gegenwärtig nicht in der Diskussion. Hierzu müsste man über eine Besteuerung der Quelle als Objektsteuer die Aktiva der betreffenden Unternehmen belasten – dies würde einen tiefen Eingriff in die Eigentumsrechte und einen Fächer an steuerpolitischen Gesetzgebungsaktivitäten erfordern. Eine objekt- bzw. quellenbezogene Besteuerung der ökonomischen Renten könnte allerdings potenziell nach dem Ursprung des Übergewinns differenzieren.

Hierbei könnten allerdings nur diejenigen Übergewinne erfasst werden, die auch in Deutschland entstehen. Weil aber zumindest ein erheblicher Teil der Gewinne der Mineralölkonzerne im sog. Upstream-Geschäft mit den fossilen Energien, die im mittleren Osten oder in Afrika gefördert werden entsteht, könnte eine Abschöpfung an der Quelle nur durch die Förderstaaten erfolgen (Erhöhung der Konzessionsabgaben), kaum aber durch den deutschen Staat. Auch ein Zoll ist hier keine Lösung; dieser führt nicht zu einer Abschöpfung der ökonomischen Renten der Energiekonzerne, sondern zu einer zusätzlichen Verteuerung für den hiesigen Verbraucher. Will man die betreffenden Übergewinne also erfassen, müsste dies insoweit nachgelagert geschehen – die Gewinne der Unternehmen müssten hierfür herhalten.

Mit dem Jahressteuergesetz 2022 wurde tatsächlich eine Übergewinnsteuer beschlossen. Diese adressiert nun zunächst Unternehmen, die im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätig sind (Haufe 2022). Betroffen sind Unternehmen, die 75 Prozent ihres Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielen. Die Übergewinnsteuer wird für die Jahre 2022 und 2023 erhoben und beträgt 33 % des Teils des Gewinns, der um mehr als 20 % oberhalb des durchschnittlichen Gewinns der Jahre 2018 – 2021 liegt. Allerdings ist in der Diskussion, ob nicht auch sog. „intramarginale Anbieter“ auf dem Strommarkt mit einbezogen werden sollen. Derzeit erscheint es allerdings so, dass viele EU-Staaten über einen Strompreisdeckel nachdenken, der durch eine Übergewinnsteuer gegenfinanziert wird. Grundsätzlich wäre auch ein administrierter Höchstpreis denkbar, der eine ähnliche Wirkung wie die Abschöpfung der intramarginalen Renten durch eine Steuer hätte – allerdings sind auch investitionshemmende Wirkungen nicht ausgeschlossen.

Ein Problem der nun beschlossenen Übergewinnsteuer ist, dass hiermit auch Gewinne aus anderen Aktivitäten miterfasst werden. Unternehmen betreiben normalerweise ein ganzes Portfolio an Aktivitäten. So haben die besagten Mineralölkonzerne mittlerweile nahezu allesamt auch ein Standbein auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien. Zudem: „Kriegsgewinnler“ sind ja nicht nur die Mineralölkonzerne, sondern auch andere Unternehmen – man denke hier z.B. an Rüstung. Sofort kommt hier natürlich das Argument, dass angesichts der Aggression Russlands eine verstärkte Rüstungsproduktion angereizt werden müsse. Sind die einen Übergewinne gut, die anderen schlecht? Vieles sprich dafür, dass die Fütterung der Spitzenlastkraftwerke mit Öl und Gas ebenfalls eines Anreizes bedarf, wenn man diese als Brücke der Energiewende nicht verlieren will. Angesichts der notwendigen, aber nicht darstellbaren Speicherkapazitäten für Erneuerbare Energien ist dies – wie Hans-Werner Sinn (2022) in seiner Weihnachtsvorlesung 2022 eindrucksvoll gezeigt hat – nicht ratsam. Schließlich gibt es auch strukturelle Übergewinne, die durch monopolistische Marktmacht im Zusammenhang mit Netzeffekten (Amazon, Google & Co.) oder auf zweifelhafte Patente zurückzuführen sind (z.B. Monsanto, mittlerweile Bestandteil des Bayer-Konzerns). Es dürfte aber aus ordnungspolitischer Sicht keine gute Idee und rechtlich fragwürdig sein, wirtschaftliche Aktivitäten in „besser“ und „schlechter“ für die Gesellschaft zu klassifizieren und dementsprechend differenziert mit Ertragsteuern zu belegen. Hier ist man dabei, mit Ertragsteuern zu steuern – und zwar mit Ertragsteuern. Dies ist zwar rechtlich im Grundsatz durchaus möglich (§ 3 Abs. 1 AO). Grundsätzlich handelt es sich hierbei aber um eine Verletzung der Tinbergen-Regel, wonach verschiedene Zwecke (hier: Fiskalzweck, Umverteilungszweck, Umweltzweck) mit unterschiedlichen Instrumenten verfolgt werden sollen (Tinbergen 1952). Ertragsteuern sollten möglichst neutral sein.

Die ertragsteuerliche Erfassung der Übergewinne kann somit allenfalls eine zweitbeste Lösung sein, wenn die Erfassung der Renten an der Quelle nicht möglich ist. Dann aber sollten den o.a. Einwendungen soweit wie möglich der Wind aus den Segeln genommen werden. So sollte die Übergewinnbesteuerung nicht nur bestimmte Branchen treffen, sondern derselbe Maßstab für alle Unternehmen angelegt werden. Dies könnte mit einer grundlegenden Änderung der Unternehmensbesteuerung verknüpft werden.

Dabei empfiehlt es sich, Übergewinne als ökonomische Renten zu betrachten, die so in einem Gleichgewichtsmarkt nicht entstehen würden. Übergewinne gehen definitionsgemäß über die Normalverzinsung des Eigenkapitals hinaus.

Die Normalverzinsung enthält einerseits eine risikofreie Basisverzinsung – entspricht also insoweit der Rendite auf eine langlaufende Bundesanleihe. Diese risikofreie Basisverzinsung kann steuerfrei gestellt werden. Dies greift den alten Vorschlag der zinsbereinigten Einkommensteuer auf (vgl. Spengel et al. 2012). Hierdurch kann man auch eine größere Finanzierungsneutralität erreichen: Schließlich sind bislang Fremdfinanzierungskosten steuerlich abzugsfähig, Eigenkapitalkosten aber nicht, was die Finanzierung durch Eigenkapital diskriminiert.

Der vorliegende Vorschlag geht jedoch über denjenigen der zinsbereinigten Einkommensteuer hinaus: So sollten insbesondere die kalkulatorischen Risikokosten im Gewinn freigestellt werden, die eine „Selbstversicherung“ des Unternehmens darstellen. Die Höhe dieser Kosten unterscheidet sich von Branche zu Branche. Um diese zu identifizieren, könnte man sich an kapitalmarktorientierten Verfahren wie beispielsweise der Capital Asset Pricing-Theorie orientieren (CAPM; Sharpe 1964). Die kalkulatorische Risikoprämie wäre zusammen mit dem Basiszinssatz steuerfrei zu stellen. Es wäre daran zu denken, die Unternehmen zu verpflichten, die steuerbefreiten Risikokosten mit einer Ausschüttungssperre zu versehen bzw. in eine eigens zu bildende Rücklage einzustellen.

Würden also die kalkulatorische risikofreie Basisverzinsung und die branchenübliche Risikoprämie steuerfrei gestellt, würden nur Monopol- und Übergewinne über die Ertragsbesteuerung der Unternehmen abgeschöpft.

So weit, so gut – allerdings steckt wieder einmal der Teufel im Detail:

So muss definiert werden, worauf sich die steuerfreie „Normalverzinsung“ des Eigenkapitals überhaupt bezieht: Ist hier der Buchwert oder der Marktwert des Eigenkapitals maßgebend? Letzterer wäre bei der kapitalmarktbezogenen Identifikation (CAPM) die angemessene Größe, könnte zweifelsfrei nur bei börsengehandelten Gesellschaften halbwegs zutreffend ermittelt werden.

Es bliebe somit die Orientierung am Buchwert des Eigenkapitals, wenn man auf aufwändige Unternehmensbewertungen verzichten will. Dies kann bei allen Gewinneinkunftsarten geschehen, unabhängig von der Art der Gewinnermittlung – so auch bei Einnahmenüberschussrechnern (§ 4 Abs. 3 EStG). Der Preis für die Vereinfachung wären jedoch u.U. erhebliche Unschärfen bei der steuerlichen Erfassung des Übergewinns. Andererseits: Geht man davon aus, dass der Buchwert regelmäßig unterhalb des Marktwertes des Eigenkapitals liegt, würden v.a. Unternehmen mit einer hohen Marktkapitalisierung bei einer Orientierung am Buchwert des Eigenkapitals eine geringere Steuerfreistellung erhalten. Die Regelung würde also kleinere und mittlere Unternehmen begünstigen. Dies ist mit Blick auf die Vermutung, dass die größeren Unternehmen stärker von ökonomischen Renten profitieren sowie mit Blick auf die wettbewerblichen Effekte nicht negativ zu sehen.

Zu diskutieren ist weiter die Behandlung von kalkulatorischen Unternehmerlöhne bei Personenunternehmen. Auch hierbei handelt es sich um kalkulatorische Kosten, die einen Bestandteil des Gewinnes bilden. Auch diese Komponente müsste eigentlich steuerfrei gestellt werden, was über nach Unternehmensgröße differenzierte Freibeträge für geschäftsführende Gesellschafter erfolgen könnte. Andererseits würde dann die Systemgerechtigkeit der Besteuerung eine Erfassung dieser Beträge bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit erfordern (§ 19 EStG). Daher ist ein Verzicht auf die Steuerbefreiung der kalkulatorischen Unternehmerlöhne bei Personenunternehmen wohl aus Vereinfachungsgründen sinnvoll.

All dies hört sich zunächst kompliziert an; tatsächlich ließe es sich aber mit überschaubarem Aufwand in das deutsche Steuerrecht integrieren.

Der Steuersatz, der auf die nicht steuerbefreiten Übergewinne angelegt wird, müsste einerseits deutlich höher als bei einer zinsbereinigten Einkommensteuer, andererseits deutlich geringer als 100% angesetzt werden, um eventuelle Innovationsanreize nicht zu unterdrücken (Wissenschaftlicher Rat beim BMF 2022). Es gibt nämlich eine Grauzone zwischen leistungsbezogenen Pionier- und Innovationsgewinnen sowie solche, die ohne Zutun der Unternehmen als „windfall profits“ anfallen. Um den Steuersatz festzulegen, bietet sich eine Orientierung an der Aufkommensneutralität an.

Die betreffenden Regelungen würden sich auch in der Gewerbesteuer niederschlagen, da diese an der einkommensteuerlichen bzw. körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlung anknüpft. Die Konsequenz wären möglicherweise erhebliche Einnahmeverschiebungen bei den Kommunen, was die politische Durchsetzung des Vorschlags nicht leichter macht.

Von den betreffenden Regelungen wären nur unbeschränkt steuerpflichtige Unternehmen betroffen. Das größere Problem stellen aber die beschränkt steuerpflichtigen Unternehmen dar – darunter die großen Mineralölkonzerne. Bei der Besteuerung von Dividenden und Zinsen gilt international das Wohnsitzlandprinzip, bei der Besteuerung der Unternehmensgewinne hingegen das Quellenlandprinzip. Weil die „Quelle“ speziell der Übergewinne der Mineralölkonzerne aber die Ressourcenrenten sind, die zu einem hohen Teil im ausländischen Upstreamgeschäft entstehen, dürfte der Übergewinn, auf den eine steuerliche Zugriffsmöglichkeit des deutschen Staates besteht, deutlich geringer als der von Trautvetter und Kern-Fehrenbach rechnerisch ermittelte rechnerische Übergewinn sein (s. oben). Wollte man das ändern, müssten wohl zahlreiche Grundprinzipien des internationalen Steuerrechts neu verhandelt werden, einschließlich der Doppelbesteuerungsabkommen.

Es wird deutlich, dass die Besteuerung der Übergewinne im Kontext einer Freistellung der kalkulatorischen branchenüblichen Normalverzinsung auf das Eigenkapital der Unternehmen zwar relativ gut in die gegenwärtige Steuerrechtsordnung integriert werden kann, aber dennoch keinesfalls ein einfaches Unterfangen ist. Die vorgeschlagene Freistellung der Normalverzinsung des Eigenkapitals wäre jedoch eine Möglichkeit, das Thema „Übergewinnbesteuerung“ unter Vermeidung von Kollateralschäden anzugehen. Längerfristig wäre jedoch die objektbezogene Abschöpfung der Übergewinne an der Quelle zielführender – beispielsweise über eine Bodenwertsteuer, marktgerechte Konzessions- und Fördergebühren, eine Reform der Regeln um geistige Eigentumsrechte etc. Dies bedeutet allerdings ein langes Bohren dicker politischer Bretter.

Literatur

Haufe (2022): Jahressteuergesetz 2022. Haufe New vom 20.12.2022. Online: https://www.haufe.de/steuern/gesetzgebung-politik/jahressteuergesetz-2022-jstg-2022_168_572028.html

H.-W. Sinn (2022): „Schwarze Schwäne – Krieg, Inflation und ein energiepolitischer Scherbenhaufen“, Weihnachtsvorlesung 2022. Online: https://www.youtube.com/watch?v=78ntekFBE4o

W. F. Sharpe (1964): Capital Asset Prices: A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk. Journal of Finance 19, S. 425–442.

C. Spengel, K. Finke, J. H. Heckemeyer (2012): Konsequenzen einer zinsbereinigten Bemessungsgrundlage für die Steuerbelastung deutscher Unternehmen – Langversion. ZEW, Mannheim.

J. Tinbergen (1952): On the Theory of Economic Policy. Amsterdam (NL): North-Holland.

C. Trautvetter, D. Kern-Fehrenbach (2022): Kriegsgewinne besteuern – Ein Beitrag zur Debatte um Übergewinnsteuern. Berlin.

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2022): Übergewinnsteuer. Gutachten 3/2022, Berlin.

In eigener Sache

Dirk LöhrNr.4

Liebe LeserInnen des Blogs,

einige von Ihnen haben sich schon gefragt, ob es mich überhaupt noch gibt. Im letzten Jahr musste ich meine Blogger-Aktivitäten zurückfahren, um sie dann vorübergehend ganz einzustellen. Tatsächlich war ich laufend unterwegs – ein oder zwei Mal die Woche, zumeist in Berlin.

Im Zug lässt sich zwar zumeist arbeiten, aber eben nicht an Blogs, wenn man angesichts der fantastischen digitalen Infrastruktur in diesem Lande kaum Internetverbindung hat (allein mit vergeblichen Versuchen, Mails abzusenden, kann man die Zeit zwischen dem Saarland und Berlin auskömmlich füllen). Und daneben gibt es ja schließlich auch noch die Lehrveranstaltungen und die Forschungsprojekte an der Hochschule, die bearbeitet werden wollen … Die Corona-Epidemie hat zumindest insoweit etwas Gutes, als dass die betreffenden Aktivitäten voll ausgebremst wurden und nun wieder ein wenig Zeit für diesen Blog ist.

Ich möchte an dieser Stelle kurz über einige wichtige Aktivitäten berichten:

  • Im Jahr 2018 wurde unter der Führung des Bundesinnenministeriums (organisiert und durchgeführt von BBSR und DV) ein “Fachdialog Erbbaurecht” eingerichtet (Link zur Ergebnisdokumentation: https://www.die-wohnraumoffensive.de/fileadmin/user_upload/aktivitaeten/veroeffentlichungen/B%C3%BCndnis_Fachdialog_Erbbaurecht.pdf), bei dem ich Mitglied war. Hier wurden große Fortschritte v.a. bezüglich des konzeptionellen Verständnisses von Erbbaurechten erzielt. Es steht zu hoffen, dass die kommunale Praxis hieran anknüpft.
  • Im selben Jahr wurde die “Baulandkommission” von der Bundesregierung eingesetzt (Übersicht: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2019/07/20190702-Baulandkommission.html) . Auch hier war ich festes Mitglied. U.a. flossen die Ergebnisse des Fachdialogs Erbbaurecht hier ein. Die anstehende Novellierung des Baugesetzbuches dürfte durch die Ergebnisse der Kommission maßgeblich beeinflusst werden. Die Arbeit der Baulandkommission wurde – zu Recht – stark kritisiert. Angesichts der heterogenen Besetzung der Kommission (mit einem Übergewicht der Immobilien-Lobby) war es für mich jedoch ein kleines Wunder, dass überhaupt Ergebnisse erzielt wurden, die im Ansatz in die richtige Richtung weisen. Dies ist nicht zuletzt der Führung der Kommission unter dem damaligen Staatssekretär Marco Wanderwitz (CDU, Vorsitzender) und besonders auch der Hamburger Bausenatorin Dorothee Stapelfeld (SPD, stv. Vorsitzende) zu verdanken.
  • Im Zuge der Arbeit der Baulandkommission entstand ein enger und anhaltender Kontakt mit Hans-Jochen Vogel, dem ehemaligen Bundesminister, SPD-Vorsitzenden und bodenreformerischen Urgestein. Im Alter von 93 Jahren veröffentlichte dieser 2019 sein Buch “Mehr Gerechtigkeit“. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass er mich einlud, die Rede bei der Vorstellung des Buches zu halten (zur Veranstaltung, auf der auch Hans-Jochen Vogel selbst auftrat: https://www.youtube.com/watch?v=BCPmpH-gI80).
  • Nach den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10.04.2018 wurde das Grundsteuergesetz im Herbst 2019 reformiert. Dies nahm mich mit einer Vielzahl von Aufsätzen und Fachveranstaltungen in Anspruch (zur Literaturliste: http://www.dirk-loehr.de/literaturverzeichnis.html). Am 11. September 2019 war ich zu einer öffentlichen Expertenanhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages geladen. Hierbei betonte ich u.a., dass die Ausgestaltung des nunmehr geltenden Bundesrechts nicht verfassungsgemäß sei (zur Stellungnahme: https://www.bundestag.de/resource/blob/656414/63eef7068bf5865dcbb54fb42092a9c0/13-Prof-Loehr-data.pdf). Besonders freute mich dabei, dass die ebenfalls geladene renommierte Steuerrechtlerin Prof. Johanna Hey sich meine schon in der Zeitschrift für Kommunalfinanzen (2019, S. 169 ff.) dargelegte Argumentation zu Eigen gemacht hatte (zur Stellungnahme von Frau Hey: https://www.bundestag.de/resource/blob/656092/1417af2f0455d387d0484f5393ec26c5/09-Prof-Hey-data.pdf ). Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages schlossen sich der Argumentation im Wesentlichen an (zum Gutachten: https://www.bundestag.de/resource/blob/664158/f3fd0a20847629b3fa63fbfccc42fb62/WD-4-119-19-pdf-data.pdf). Mit großer Sicherheit ist über die Grundsteuer noch nicht das letzte Wort des Bundesverfassungsgerichtes gesprochen.
  • Positiv am Reformpaket zur Grundsteuer war jedoch, dass auf Drängen Bayerns eine Länderöffnungsklausel in das Grundgesetz implementiert wurde (Art. 72 III Nr. 7 GG). Im Rahmen der Öffnungsklausel ist es den Bundesländern möglich, eigene Grundsteuermodelle zu fahren – so auch die Bodenwertsteuer, wenn der politische Wille hierzu vorhanden ist. Die für die Öffnungsklausel nötige Verfassungsänderung bedurfte jedoch auch der Zustimmung der Oppositionsparteien. Im Vorfeld der Abstimmung stand ich im Austausch mit den Freien Demokraten – obwohl diese größtenteils das von mir bekämpfte bayerische Flächenmodell vertreten, sah ich v.a. die FDP als ein Bollwerk gegen drohendes Ungemach: Dies war eine unsinnige parallele Steuererklärung, die für solche Bundesländer drohte, welche die Öffnungsklausel in Anspruch nahmen. Hintergrund war der Finanzausgleich, der auf Grundlage des Bundesmodells vorgenommen werden sollte. Meine Warnung, dass dies die Öffnungsklausel ad absurdum führen könnte, stieß bei der FDP auf offene Ohren. Tatsächlich erteilte die FDP ihre Zustimmung nur, nachdem dieser Unsinn weg verhandelt wurde.
  • Kontinuierlich war ich zusammen mit meinem unentwegten Sprecher-Kollegen Ulrich Kriese im Rahmen der Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” als Anwalt der Bodenwertsteuer aktiv. Neben einer Vielzahl von Einzelgesprächen nahmen wir auch auf Veranstaltungen von Parteien auf Bundes und Landesebene teil. Zudem führten Ulrich Kriese und ich (zusammen mit den ehemaligen Koordinatoren Henry Wilke und Philipp Heuer) u.a. Gespräche mit dem Hamburger Finanzsenator Dressel, der grünen Finanzministerin von Schleswig-Holstein Heinold und zuletzt mit Finanzsenator Kollatz aus Berlin. Unsere Aktivitäten fielen wenigstens in Baden-Württemberg auf fruchtbaren Boden. Die grüne Finanzministerin Sitzmann hatte in 2019 einen Entwurf für ein Landesgrundsteuergesetz ausarbeiten lassen, das eine Bodenwertsteuer vorsieht. Allerdings war das Modell in der Regierung umstritten; die CDU als Koalitionspartner konnte sich hiermit nicht anfreunden. Am 31.01.2020 fand eine Expertenrunde der Landesregierung statt, bei der auch ich geladen war. Als Sachverständige waren weiter auch Prof. Hey, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Eichberger, der Ökonom Prof. Horst Zimmermann (Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Bundesfinanzministeriums) sowie der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft Eigenthaler geladen. In dieser Runde wurde der Landesregierung Baden-Württemberg einvernehmlich von einer Übernahme des “Bundesmodells” abgeraten. Verfassungsrechtliche Bedenken wurden von den anwesenden Juristen auch gegenüber Modellen geäußert, welche Wert- und Flächenmodelle kombinieren (leider betrifft dies auch das von unserer Initiative befürwortete Difu-Modell, das Bodenwert und Bodenfläche in eine Bemessungsgrundlage zusammenführt). Gegen die reine Bodenwertsteuer wurden jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken laut. In der Runde kam der Vorschlag auf, die Grundsteuerbelastung nach Wohnen und Gewerbe zu differenzieren; die rechtliche Durchführbarkeit wird noch überprüft. Auch der Städtetag Baden-Württemberg unterstützt das Bodenwertmodell (hierbei spielte auch der grüne Tübinger OB Boris Palmer eine maßgebliche Rolle). Mittlerweile hat sich die Koalition zwar auf das Bodenwertmodell geeinigt, erhält aber noch starken Gegenwind von Teilen der CDU und der Grundeigentümer-Lobby. Die weitere Entwicklung wird abzuwarten sein, es besteht aber Grund zu verhaltenem Optimismus.
  • Schließlich ist auch vom Ausschuss Bodenpolitik der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung zu berichten, dem ich ebenfalls als Mitglied angehöre. Diese führt die bodenreformerische Agenda unter der Leitung von Stephan Reiß-Schmidt (auch einer der Gründer der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht) und Ricarda Pätzold (Difu) weiter und versucht, diese in den politischen Raum zu tragen.
  • Erfreulich ist auch die Arbeit des Arbeitskreis Raumentwicklung, Bau, Wohnen der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem ich seit 2020 angehöre. Dieser Kreis trägt die betreffenden Themen auch in die SPD, die hier lange Zeit inaktiv war.

Die genannten Anstrengungen fanden auch einen medialen Widerhall. Anzuführen sind u.a. Sendungen in Monitor, in Panorama 3 (NDR) in Frontal 21 (Grundsteuer) oder eine Sendung im Rahmen “Die Story im Ersten” (Bodenthema allgemein).  Ebenfalls wurde in Rundfunk und Zeitungen umfänglich über das Thema berichtet.

Das war’s in aller gebotenen Kürze. Die geneigten Leser können mein zwischenzeitiges Schweigen hoffentlich nachvollziehen. Es ist einerseits gut, dass das Corona-Virus uns alle “entschleunigt” und auch mir Gelegenheit gibt, den Blog nun wieder zu bedienen. Allerdings dürfte auch der Immobilienmarkt im Zuge der Corona-Krise durcheinander geworfen werden. Dahinter stehen zu einem großen Teil wirtschaftliche Dramen – andererseits erschwert dies nun auch Modelle wie das von Airbnb, die mit zur Verknappung von dringend benötigtem Wohnraum beitragen. Die große Schattenseite: Unseren Aktivitäten wurde durch die Corona-Krise natürlich das Momentum genommen. Umso mehr gilt es, auch in Zukunft nicht nachzulassen, selbst wenn andere Themen nunmehr zeitweise in den Vordergrund geraten.