Dirk Löhr
Noch sind sie nicht verheiratet, und schon kommt als uneheliches Kind eine Missgeburt zur Welt. Sein Name ist „Paket für bezahlbares Bauen und Wohnen“. Als Reaktion auf das Desaster am Wohnungsmarkt – v.a. in Universitätsstädten – will die Politik Handlungskompetenz vorschützen. Endgültig entschieden ist allerdings noch nichts, die Parteivorstände müssen den vorläufigen Beschlüssen noch zustimmen.
Dabei hätte man kein Prophet sein müssen um zu erkennen, dass ein Doppeljahrgang an Studieneinschreibern Engpässe verursachen wird. Rechtzeitig agiert hatte die Politik freilich nicht. Im Gegensatz zu den Lenkern dieses Landes können aufmerksame Leser dieses Blogs allerdings kaum verwundert darüber sein, dass eine höhere Nachfrage, verbunden mit einem tiefen Realzins sowohl einen Anstieg der Bodenrenten als auch höhere Bodenpreise hervorbringen muss – und dies äußert sich eben u.a. in steigenden Mieten.
Die erste Gegenmaßnahme der Großkoalitionäre im Rahmen des genannten Paketes ist die „Mietpreisbremse“. So soll in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten die neue Miete bei einem Wechsel des Mieters begrenzt werden. Sie darf maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen, Bestandsmieten sollen in angespannten Wohnungsmärkten künftig in vier Jahren höchstens um 15 Prozent steigen dürfen – bisher gilt dies für eine Frist von drei Jahren. Dabei soll es den Bundesländern überlassen bleiben, ob sie die Regelungen umsetzen wollen.
Soll die Mietpreisbremse wirksam werden, stellt sie im ökonomischen Sinne nichts anderes als eine administrierte Preisobergrenze dar. Erfahrungen mit derartigen Markteingriffen hat man in der Vergangenheit in verschiedenen Märkten schon reichlich sammeln können. Sie waren nicht positiv. U.a. bekommen die Wohnungseigentümer so einen Anreiz, bei der Instandhaltung und anderen Kosten zu sparen. Ökonomen sind daher im Allgemeinen wenig über eine solche Regelungen erquickt – wird doch das Angebot ausgebremst und gleichzeitig die Nachfrage künstlich erhöht. Die Lücke muss im Extremfall durch willkürliche und gleichheitswidrige Zuteilung geschlossen werden. Allerdings wird die Mietpreisbremse voraussichtlich weniger heiß gegessen als gekocht. Ihre faktische Wirkung dürfte nämlich beschränkt sein. In einigen Bundesländern existiert bereits eine ähnliche Regelung. De facto hilft sie aber nur wenigen Mietern. Die Wohnungsknappheit und der Markt schreiben eben eigene Gesetze. Die Stiftung Warentest schätzt, dass nur höchstens fünf Prozent der Mieterhöhungen die Kappungsgrenze eine Rolle spielen dürfte – insofern dürfte die Mietpreisbremse viel politisches Getöse sein, das mit wenig (positiver wie negativer) Wirkung verpuffen wird. Ohnehin kann das grundsätzliche Problem, nämlich die den hohen Mieten zugrunde liegende Knappheit, durch eine Preisobergrenze alleine nicht beseitigt werden.
Zumal die Mietpreisbremse nicht nur die Mieten, sondern auch das Wohnungsangebot tendenziell beschränkt, wollen die Großkoalitionäre als weitere Maßnahme den Wohnungsneubau in Gebieten mit Wohnungsnot stimulieren. Das Paket möchte „bezahlbares Bauen“ erreichen. Nun kostet allerdings z.B. ein freistehendes Eigenheim (120 qm, mit Garage, mittlere bis gute Wohnlage) in Gelsenkirchen und Salzgitter ca. 130.000 Euro, in den „Spannungsgebieten“ Freiburg i.Br. 520.000 Euro und in München 710.000 Euro. Die Zahlen stammen aus 2011, die Abstände dürften zwischenzeitig noch einmal gewachsen sein. Aber warum diese Abstände? Sind Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter in Freiburg oder München so viel teurer als in Gelsenkirchen? Dann würde sich ein Bauherr aus Freiburg oder München eben Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter kommen lassen. Nein, die Preisunterschiede bestehen beim Boden – und resultieren aus Unterschieden in der Bodenrente. Standorte für Wohnungsbau sind in Freiburg und München wesentlich stärker nachgefragt als in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Diese knappen Standorte sind auch der limitierende Faktor für den Wohnungsneubau. Wenn die Großkoalitionäre nun daran denken, die vor einigen Jahren abgeschaffte degressive Abschreibung (“degressive Afa”) für Anlagen im Mietwohnungsneubau wieder einzuführen, handeln sie wie ein mittelalterlicher Arzt, der gegen Pestgeschwüre nur mit Schönheitspflästerchen aufzuwarten hat. Solche Leute nennt man gemeinhin „Scharlatan“. Schließlich führen Steuernachlässe – genauso wie Subventionen – zu höheren Bodenrenten, die durch die steuerzahlende Gemeinschaft finanziert werden. Ein schönes Umverteilungsprogramm von unten (Steuerzahler) nach oben (Grundstückseigentümer). Die höheren Bodenpreise, die aus den steuerlich subventionierten Bodenrenten hervorgehen werden, erzeugen einen Preisauftrieb bei Grundstücken und dürften so die Eigentumsbildung für untere und mittlere Einkommensschichten noch einmal weiter erschweren. Last but not least wird der ökologisch bedenkliche Flächenverbrauch durch derartige Maßnahmen weiter vorangetrieben. Freude kommt allerdings nicht nur bei den Grundstücksbesitzern auf, sondern auch bei Developern, die über den Wertzuwachs der zu Bauland konvertierten Grundstücke auf Kosten der Allgemeinheit noch mehr Bodenrenten und Bodenwertzuwächse in ihre privaten Taschen umleiten können.
Ein dritter Vorschlag setzt an den Maklergebühren an. Bislang müssen häufig die Mieter für die Maklergebühren aufkommen. Nach Planung der Großkoalitionäre sollen Vermieter, die einen Makler einschalten, diesen fortan selbst bezahlen. Klingt gut und entspricht auch grundsätzlich dem Verursacherprinzip. Allerdings sollte man sich hiervon nicht zu viel erhoffen. Wirtschaftlich gesehen ist derjenige, der die Gebühren zahlt, nämlich nicht unbedingt derjenige, der sie auch wirtschaftlich trägt. Maklergebühren können überwälzt werden; die Vermieter werden die Gebühr gerade in Märkten mit hoher Wohnungsknappheit in die Miete einpreisen und sich zuungunsten der Mieter schadlos halten. Ähnliches gilt übrigens auch bezüglich anderer Belastungen, wie z.B. der in einigen Bundesländern erhöhten Grunderwerbsteuer oder gesetzlich erzwungener erhöhte Aufwendungen für energetische Sanierung.
Also: Pfusch auf der Baustelle, nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit den skizzierten halbgaren Beschlüssen sind die Großkoalitionäre mit ihrem Latein offensichtlich am Ende. Zugegeben, die Thematik ist nicht einfach, und mit dem Wissen der ökonomischen Ratgeber können unserer Politiker das Problem auch nicht lösen.
Man kann – wie die Großkoalitionäre – an Symptomen kurieren, man kann aber auch an die Wurzeln gehen. Dazu bräuchte man allerdings Visionen, die über das übliche politische Durchgewurschtel hinausgehen. Man landet dann unweigerlich bei Ideen, die bis auf die Vorgänger von Adam Smith zurückgehen. Am weitesten verbreitet wurden sie wohl vom amerikanischen Bodenreformer Henry George. Dieser schlug eine Abschöpfung der Bodenrente durch entsprechende Abgaben vor.
Die derzeit hohen Bodenrenten werden nämlich nur beschränkt durch eine Erhöhung des Neubaus an Wohnungen zurückgeführt werden können. Diese Rückführung könnte man jedoch – auch ohne unnötigen Flächenverbrauch – erreichen, wenn mehr ungenutzte oder untergenutzte Bestände vor allem in den Innenbereichen mobilisiert werden könnten. Eigentümern ungenutzter oder untergenutzter Bestände könnten zu einem höheren Angebot bewegt werden, indem sie – unabhängig davon, wie intensiv ihre Bestände genutzt werden – in Höhe ihres Nutzungsvorteils zur Kasse gebeten werden. Dieser Nutzungsvorteil entspricht aber eben der Bodenrente. Genauso würden spekulativ vorgehaltene oder ineffizient genutzte Immobilien zur Miete oder zum Kauf angeboten, würde man sie in Höhe der an ihnen heftenden Bodenrente belasten. Will man primär die Potenziale in den Innenbereichen noch stärker ausschöpfen, dürfte die Entwicklung neuer Baugebiete allerdings nicht mehr wie heute üblich geschehen: Indem nämlich v.a. private Landentwickler an den Bodenrenten und am Bodenwertzuwachs profitieren (value capture). Vielmehr müssten diese auf Grundlage öffentlich nachvollziehbarer Verträge für ihre Auslagen entschädigt werden, wobei natürlich auch ein entsprechender Gewinn eingepreist sein darf (cost covering). Dies würde zudem – Seitens der Developer – den Druck nehmen, die Planungsinstanzen auf der Suche nach neuen Renten aus der Landentwicklung zu vereinnahmen (state capture).
Statt sich dieser (und anderer) Aspekte anzunehmen, sichert die Politik der Großkoalitionäre faktisch die private Vereinnahmung der Bodenrente ab. Diese wird jedoch keinesfalls von den privaten Grundstückseigentümern und Developern geschaffen. Vielmehr handelt es sich um eine Leistung der Allgemeinheit. Nutzen (Bodenrenten) und Kosten (Inwertsetzung, Verzichtskosten) sind in unserer Rentenökonomie voneinander entkoppelt; die Folge ist u.a. ein Versagen der Grundstücksmärkte. In Deutschland kämpft v.a. die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ (http://www.grundsteuererform.net) diesbezüglich um einen ersten Schritt in eine andere Richtung.
Würde man das Potenzial an Bodenrente (von genutzten wie un- und untergenutzten Grundstücken) hingegen konsequent abschöpfen , könnte der Staat genug von dem Aufkommen einbehalten, um seine Kernaufgaben (v.a. Infrastruktur, Sicherheit) zu bestreiten. Andere Steuern könnten dabei zeitgleich stark reduziert, eventuell abgeschafft werden („tax shift“). Einige Ökonomen, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz haben gezeigt, dass so im Idealfall das gesamte Staatswesen finanziert werden könnte (“Henry George-Theorem“). Dies v.a. vor dem Hintergrund, dass dasselbe Prinzip auch auf andere „bodenähnliche“ Vermögenswerte angewendet werden kann, wie Wasser, die Atmosphäre, die Biodiversität, das elektromagnetische Spektrum etc. etc. – all dies (und noch viel mehr) ist nämlich „Land“ im Sinne der klassischen Ökonomen (und von Henry George).
Ökonomen wissen auch, dass eine solche Abgabe auf die Bodenrente – eine stringente Landnutzungsplanung vorausgesetzt – nicht auf die Mieter / Nutzer überwälzbar ist – sie ist vom Grundstückseigentümer zu tragen. Mit der Abschöpfung der Bodenrente werden die Grundstückseigentümer als Nutznießer für die Kosten der Inwertsetzung ihrer Grundstücke zur Kasse gebeten. Wer die Nutzen hat, trägt auch die Kosten – eigentlich ein zutiefst marktwirtschaftliches Prinzip.
Nachdem die Kernaufgaben des Staates (Sicherheit, Infrastruktur, Planung etc.) finanziert sind, könnte man den verbleibenden Rest an Bodenrente als ressourcenbasiertes Grundeinkommen an die Bürger ausschütten. Wenn die Knappheit an Land und damit die Bodenrente steigt, würde es für die Bürger zwar teurer. Allerdings würden dann auch die Ausschüttungen höher. So könnte man sich auch eine höhere Miete wieder leisten – dies gilt angesichts der relativ geringeren Wohnansprüche und der relativ (zum Einkommen) höheren Ausschüttungen v.a. für kleine und mittlere Einkommen. Die Rückverteilung der Bodenrenten wirkt insoweit besser als jede heutige (Miet-) Subvention. Über ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen erhält jeder Bürger die Möglichkeit des durchschnittlich gleichen Zugangs zum Boden.
Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do