Dirk Löhr
Die Hamas entführt drei israelische Youngsters und tötet sie. Israelische Siedler ermorden aus Revanche einen unschuldigen palästinensischen Jugendlichen. Die Hamas terrorisiert – wie auch schon in den Jahren zuvor – die israelische Bevölkerung aus dem Gazastreifen heraus mit Raketenangriffen, und missbraucht dabei ihre eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilder. Israel antwortet mit Militärschlägen, die bis Mitte Juli 2014 bereits mehr als 2oo Palästinenser das Leben gekostet haben. Es ist die Stunde der Hardliner auf beiden Seiten, die sich auch noch gegenseitig in die Hände spielen. Sie rekrutieren sich dabei einerseits aus religiösen Fanatikern, andererseits aus Nationalisten. Die Hamas möchte die Juden am liebsten ins Meer werfen, Palästina den Palästinensern! Israel okkupiert über seine Siedlungspolitik die Westbank – die Siedlungen stehen dabei zu einem erheblichen Teil auf strategisch wichtigen unterirdischen Wasserreserven, deren Kontrolle man heute und in Zukunft ungern den Palästinensern überlassen möchte.
Siedler, es hört sich so harmlos, so friedlich an. Dabei war es der Siedler Kain, der den Nomaden Abel erschlug – ein menschlicher Urkonflikt, der schon in der Bibel beschrieben ist. Es waren auch Siedler, die den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern verübten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bereits der sich ansiedelnde moderne Mensch vor vielleicht 10.000 Jahren für das Verschwinden der Neandertaler wesentlich mit verantwortlich war. Die Liste ähnlicher Vorkommnisse ist lang. Diese „Erbsünde“ durchzieht die Geschichte der Menschheit seit der neolithischen Revolution.
Die Logik des Konfliktes heißt „Okkupation“, „Exklusivität“ und „Verdrängung“: Land und Wasser soll nur entweder Palästinensern oder Israelis gehören. Steht nicht schon in der Bibel geschrieben, dass das Territorium – und zwar ein viel größeres als das des derzeitigen Israel – den Israeliten zusteht? Andererseits: Waren die Palästinenser nicht viel eher da? Diese Logik ist aber eine Logik der Barbarei. Wer siedelte im Heiligen Land eigentlich vor den Palästinensern? Tatsächlich kultivieren wir über diese Logik einen territorialen Atavismus, der sich offenbar in uns seit den Zeiten der neolithischen Revolution tief eingefressen hat. Nach Grimmel (1996) verhalten wir uns (in einer biologischen Deutung) immer noch wie „… Tiere, die ein bestimmtes Territorium besetzt und andere Tiere daraus vertrieben haben.“ Doch solche kritischen Stimmen, wie auch die von Novalis (1984), werden kaum gehört: „Allen Geschlechtern gehört die Erde – jeder hat Anspruch auf alles.“ Das passt nicht zur Logik der Okkupation, der Exklusivität und der Verdrängung. Es passt nicht zur Idee des Privateigentums, der Idee der Nation oder der Idee des Völkerrechts.
Solange man nicht begreift, dass kein Mensch Land und Natur geschaffen hat, sondern dieses vielmehr das gemeinsame Erbe der Menschheit ist (J. St. Mill 1952), bleiben wir im Kriegszustand. Silvio Gesell (1949) drückte es plastisch wie folgt aus: „Alle Menschen, jeder einzelne Mensch, hat auf den Boden, auf den ganzen Erdball (und dessen grs. unvermehrbaren Naturgüter, D.L.) die gleichen, unveräußerlichen Rechte, und jede Einschränkung dieses Urrechts bedeutet Gewalt, bedeutet Krieg.“
Wir finden das Denken in Okkupation, Exklusivität und Verdrängung beim Privateigentum an Grund und Boden, an Wasser, an mineralischen Ressourcen, bei der unentgeltlichen Zuweisung von CO2-Zerifikaten, von Start- und Landerechten, von Frequenzen etc. etc. Die Ökonomen reden uns ein, dieses Aneignungsregime sei „effizient“. Wir finden es in der Idee des Nationalstaates und im Völkerrecht. Politik- und Rechtswissenschaftler feiern diese Denke in positivistischer Manier als Errungenschaft. Doch: Wir leben nicht in einem Zeitalter der Aufklärung, geschweige denn in einem aufgeklärten Zeitalter. Der Verfasser ist überzeugt, dass Denke in Okkupation, Exklusivität und Verdrängung, die einen großen Teil der Menschheit von den Grundlagen des Überlebens ausschließt, in einigen Jahrhunderten in der Rückschau ähnlich gesehen wird wie die Sklaverei. Auch diese war damals anscheinend ebenso selbstverständlich wie alternativlos.
Sozialtechnische Lösungen zur gemeinschaftlichen Bewirtschaftung von Land und Natur existieren; ich habe sie u.a. breit im „Prinzip Rentenökonomie“ vorgestellt (Löhr 2013). Der Mangel an Alternativen ist nicht das Problem. Das Problem ist eines der (Un-) Kultur: Wir wollen uns mit diesen Alternativen nicht beschäftigen.
Literatur:
S. Gesell (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg.
E. Grimmel (1996): Geowissenschaftliche Grundlagen eines umweltverträglichen Rohstoffrechts, in: Zeitschrift für Sozialökonomie 109, S. 3-14.
D. Löhr (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.
J. S. Mill (1952): Grundsätze der politischen Ökonomie nebst einigen Anwendungen auf die Gesellschaftswissenschaft, 2. Bd., Hamburg (Perthes-Besser und Mauke).
Novalis (Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg) (1984): Fragmente und Studien, Stuttgart.