Tag Archives: Wolfgang Schäuble

Steuerliche Förderung des Wohnungsneubaus: Schuss ins eigene Knie

Dirk Löhr

wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 4. Februar berichtet (“Neue Steueranreize sollen Wohnungsbau in Fahrt bringen”, von A. Scheuermann), plant die Bundesregierung eine neue steuerliche Förderung zur Ankurbelung des Wohnungsneubaus. Es geht um eine Sonderabschreibung. Die Baumaßnahmen müssen bis Ende 2018 beginnen, damit diese in Anspruch genommen werden kann. Maßgebend ist das Datum des Bauantrages. Die Sonderabschreibung soll 10 Prozent jeweils im Jahr der Anschaffung beziehungsweise Herstellung und im Folgejahr sowie 9 Prozent im dritten Jahr betragen. Insgesamt können also zusätzlich zur normalen Abschreibung von 2 Prozent jährlich in den ersten drei Jahren 29 Prozent der Baukosten steuerlich abgeschrieben werden. Die Sonderabschreibung gilt nur zeitlich befristet. Letztmalig ist sie im Jahr 2022 möglich. Das Gesetz muss allerdings erst vom Parlament verabschiedet werden.Crowdfunding_Geldregen (1) Was sich zunächst gut anhört und natürlich von den Verbänden der Immobilienwirtschaft beklatscht wird, kann sich aber bei näherem Hinsehen als ein Schuss ins eigene Knie herausstellen. Woran die Förderung nämlich nichts ändert, ist die Knappheit der zur Verfügung stehenden Flächen – v.a. in den Agglomerationen, wo die Wohnungen gebraucht werden. Ganz im Gegenteil wird die Situation hier noch verschärft. Man versetze sich in die Situation eines potentiellen Investors. Dessen Zahlungsbereitschaft für Grundstücke richtet sich nach dem Residualwert, also der Differenz zwischen den (abdiskontierten) Einnahmen sowie den Kosten (incl. kalkulatorischen Gewinn). Schäubles Förderung erhöht dessen Einnahmen bzw. senkt seine Kosten – das Resultat sind höhere “Bieterrente”n und damit höhere Grundstückspreise.

Und die Rechnung geht wie üblich an den Steuerzahler: Laut Finanzministerium entgehen nämlich Bund, Ländern und Gemeinden durch die anvisierten Maßnahmen bis 2020 insgesamt 2,15 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Genau dieses Geld heizt die Grundstückspreise weiter an; und das Loch muss v.a. durch die Lohn- und Umsatzsteuerzahler gefüllt werden – nach dem Motto: Das Kleinvieh soll den Mist machen.

Das Ziel der Regierung, die sog. “Baukosten” auf 3.000 Euro pro Quadratmeter zu beschränken, dürfte so ziemlich sicher verfehlt werden – zumal regionale und auch zeitliche Unterschiede in den “Baukosten” eben am aller wenigsten aufgrund von Preisunterschieden zwischen Ziegeln, Stahlträgern und Mörtel zustande kommen. Wenn diese in Mainz zu teuer sind, holt sie ein Investor eben aus dem ländlichen Birkenfeld. Die Unterschiede in den sog. “Baukosten” resultieren eben weniger aus dem eigentlichen Bau, werden v.a. durch Unterschiede in den Grundstückspreisen bewirkt.  Und diese werden dank Schäuble & Co. weiter angeheizt.

Aus der Sache würde ein Schuh, wenn man die Zahlungsströme genau umdrehen würde: Eine höhere Grundsteuer, aber bitte auf den Bodenwert. Wir haben dieses Thema wieder und wieder in diesem Blog behandelt und dabei auf die Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” verwiesen.  Hierdurch könnte ein Nutzungsdruck für Grundstückseigentümer erzeugt werden, ihre Flächen einer effizienteren Nutzung zuzuführen, z.B. auf dem Weg der Nachverdichtung. Ein höherer Nutzungsdruck heißt zudem ein höheres Grundstücksangebot, und das drückt auf die Grundstückspreise. Und das eingenommene Geld könnten die Kommunen z.B. für sozialen Wohnbau nutzen.

 

 

 

 

Schwarze Null mit Folgen (ARD: Plusminus)

Dirk Löhr

Wie James Bond strebt auch er den Doppelnullstatus an: Wolfgang Schäuble. Und wie James Bond hinterlässt auch er eine Schleifspur der Verwüstung – mit einem zweifelhaften Konsolidierungskonzept für den öffentlichen Haushalt. Insbesondere Public Private Partnerships sind da auch keine Lösung, sondern verschärfen das Finanzproblem noch weiter – v.a. zu Lasten künftiger Generationen. Wir haben auf diese Zusammenhänge mehrfach hingewiesen:

Public Private Partnerships: El dorado für Rent Grabbing (bitte klicken)

und

Milliardengrab: Autobahnbau via Public Private Partnership (bitte klicken)

Am Mittwoch, den 14. Januar 2015, nahm das ARD-Magazin Plusminus das Thema noch einmal auf:

Schwarze Null mit Folgen (bitte klicken)

… und unser Bond-Girl “Angie” unternimmt leider wenig, um den Wahnsinn der “schwarzen Null” Namens Wolfgang Schäuble zu stoppen. Leider gibt es noch viele andere (und nicht nur schwarze) Nullen auf Ebene der Länder und auch der Kommunen. Die dickste davon ist rosarot und sitzt an Schäubles Kabinettstisch: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der wieder einen PPP-Tsunami in Bewegung bringen will. Mal sehen, was dieser Tsunami langfristig vom öffentlichen Vermögen noch übrig lässt.

 

Luxemburg: Die Steueroase am Pranger

Dirk Löhr

Luxemburg steht wegen seiner Steuersparmodelle am Pranger. Viele Milliarden Euro seien den Nachbarstaaten durch die Luxemburgischen Steuersparmodelle durch die Lappen gegangen. Großbanken und Großunternehmen haben die betreffenden Möglichkeiten reichlich genutzt. V.a. über „geistige Eigentumsrechte“ und Zinsen wurden konzernintern Gewinne aus Hochsteuerländern nach Luxemburg verschoben. Dies hat eine Reihe investigativer Journalisten (nicht die Steuerbehörden) aufgedeckt. Nachzulesen sind die Dokumente in

Luxembourg Leaks (bitte klicken).

Nun ermittelt Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission gegen sich selbst, da viele dieser Konstruktionen auf seine Amtszeit als luxemburgischer Regierungschef zurückgehen. Freilich bestreitet er dies und verweist auf die zuständige Kommissarin.

Luxemburg
Luxemburg

Der Bock wurde damit zum Gärtner gemacht. Dies scheint zum „Prinzip Juncker“ zu werden, wenn man sich die Auswahl von Junckers Kommissionsmitgliedern ansieht  – überraschend ist lediglich, dass sich Juncker nun selbst nahtlos zwischen seine Kommissionsmitglieder einreiht.

Doch auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dürfte nicht „amused“ sein. Schenkt man seinen Äußerungen Glauben, möchte er Gewinne dort besteuert wissen, “wo die zugrundeliegende unternehmerische Aktivität und die tatsächliche Wertschöpfung stattfindet” (Schäuble 2014). Noch empörter sind die Medien. In einem Kommentar in den Tagesthemen vom 06.11. um 22.30 redet Julia Stein (NDR) mit Blick auf die Steueroase Luxemburg von der Verletzung der „Steuergerechtigkeit“.

Nun, liebe Leute: Vielleicht tretet Ihr einmal mal einen Schritt zurück und schaut Euch das Bild genauer an:

Der Begriff „Steuergerechtigkeit“, liebe Frau Stein, beinhaltet einen immanenten Widerspruch. Dieser Begriff ist ungefähr so logisch wie ein „schwarzer Schimmel“. Denn: Der Steuerstaat macht die Rentenökonomie überhaupt erst möglich. Rentenökonomie: Dies sind „unverdiente“, weil leistungslose Einkommensströme. Ein einfaches Beispiel aus dem naheliegenden Immobilienbereich (Löhr 2013): Nehmen wir an, Hans sucht eine Mietwohnung in Hamburg oder München. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Dennoch soll Hans – im Glück – den Zuschlag erhalten. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt vielleicht das fünf- bis siebenfache der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer höhere Bodenerträge – also eine höhere „Bodenrente“ – als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierte Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer. Nur aufgrund dieser hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Hans im Glück hat einen Job, so dass von seinem Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten wird. Er kauft ein, und bei fast jedem Einkauf ist Umsatzsteuer fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat – was dem Vermieter indirekt zu Gute kommt. Nutznießer ist also in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte.

So sind, liebe Frau Stein, die Umverteilungswirkungen des Steuerstaates und der mit diesem verbundenen ökonomischen Renten (die vielfach in versteckter Form, also in Unternehmensgewinnen, als Zinsen oder Lizenzgebühren auftauchen, dazu unten mehr) beträchtlich. Dabei entsteht der Umverteilungseffekt in zweifacher Weise:

  • Über direkte Zahlungen an die Eigentümer von Land und ähnlichen Vermögenswerten. Um eine Größenordnung darzustellen: Diese Zahlungsströme dürften sich in Deutschland (einschließlich Subventionen) derzeit auf ca. 10 % des Volkseinkommens aufaddieren.
  • Doch auch die indirekten Zahlungen über die Steuern und Sozialversicherungen sind hinzuzuaddieren. In Deutschland beträgt die Steuerlast ca. 30 % des Volkseinkommens, mit Sozialversicherungsbeiträgen addieren sich die Abgaben auf ca. 45 % des Volkseinkommens auf. Egal ob die diversen Steuern mit dem Etikett Einkommenssteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer etc. belegt werden: Am Ende belasten sie entweder die Produktionsfaktoren Arbeit, Land oder Kapital. So kann z.B. auch die Umsatzsteuer als Flat-Rate-Einkommensteuer mit Ausnahme der Kapitalakkumulation interpretiert werden. Steuern werden v.a. den Beziehern von Arbeitseinkommen aufgebürdet, zumal der Faktor Arbeit anders als der Faktor Kapital schwer flüchten kann. Andererseits wird der Faktor Land in Deutschland größtenteils von der Besteuerung ausgenommen.

Und hier, Herr Schäuble, sollte doch Ihr frommer Wunsch in Erfüllung gehen können:

„Gewinne sollen dort besteuert werden, WO (Hervorhebung durch den Verf.) die zugrundeliegende unternehmerische Aktivität und die tatsächliche Wertschöpfung stattfinden“ (Schäuble 2014).

Dazu müsste man aber die ökonomischen Renten abschöpfen – allen voran die Bodenrenten. Land kann nämlich auch schwer flüchten.

Damit hätte man gleichzeitig auch das Problem der Unternehmensbesteuerung im Sack: Unternehmensgewinne sind nämlich im Kern nichts anderes als Bodenrenten (Löhr 2013; s. hierzu auch unseren Beitrag “‘Pay for what you get!’ – Henry George als Ergänzung zu Silvio Gesell“). So berichtet der Journalist Lütgert in seinem verdienstvollen Beitrag in der ARD-Sendung Panorama vom 6.11.2014

Luxemburg: Die Oase der Steuervermeider“ (bitte klicken)

vom Beispiel E.ON, das in Luxemburg ebenfalls seine Gewinne mindert. Natürlich wird nicht darüber gesprochen, dass die Gewinne von E.ON im Kern v.a. „versteckte“ Bodenrenten sind. E.ON profitiert immer noch in erheblichem Maße von Grundlastkraftwerken, hier v.a. Braunkohle (Löhr 2013). Ein Braunkohlekraftwerk kann aber nicht irgendwo betrieben werden; wegen der hohen Transportkosten von Kohle und Kalksteinmehl sollte entweder ein Braunkohletagebau, eine Eisenbahnlinie oder aber ein Hafen in unmittelbarer Nähe gelegen sein. Aus diesem Grunde entstanden Braunkohlekraftwerke historisch v.a. um die Vorkommen im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland und in der Lausitz (die sich ebenfalls in der Hand der großen „Energieversorger“ befinden – und die zu einem Spottpreis erworben wurden, der nicht im entferntesten den Wert der Kohlevorkommen abbildet), aber auch an Standorten, wo die Anlieferung über Binnenschiffe erfolgen kann. Zudem sollte ein Verbrauchsschwerpunkt weniger als 70 km vom Ort der Erzeugung entfernt sein und es sollte sich möglichst eine Stromautobahn (Höchstspannungsnetz) in unmittelbarer Nähe befinden. Die betreffenden Kraftwerke bedürfen schließlich der Planung und Genehmigung; längst nicht jedes geplante Kraftwerk hat diesbezüglich Erfolg. Weil die unterschiedlichen Kraftwerkstypen (Grund-, Mittel- und Spitzenlast) unterschiedlich hohe ökonomische Renten generieren und eben nicht jeder beliebige Kraftwerkstyp überall entstehen kann, ist die Standortfrage von hervorragender Bedeutung. Die planerische Zuweisung solcher Standorte ist ein Privileg, dass das exklusive Einstreichen der ökonomischen Renten erlaubt. Solche Privilegien werden den großen Unternehmen heutzutage nahezu kostenlos gewährt. Wie wäre es, wenn statt dessen die Renten aus der Standortnutzung, der Nutzung der Kohleressourcen und der Nutzung der Atmosphäre abgeschöpft und vergemeinschaftet würden? Dann hätte E.ON nichts mehr nach Luxemburg abzuführen. Das Übel wäre an der Wurzel angegriffen.

Leider ist die Privatisierung der ökonomischen Renten eine heilige Kuh, die nicht nur von konservativer Seite mit Zähnen und Klauen verteidigt wird.

Lütgert bringt ebenfalls das Beispiel von Amazon. Wie wäre es, wenn sich die EU-Staaten – nicht nur bezogen auf Land, sondern auch auf das Netz – einmal auf ihre „Eminent Domain“ besinnen würden? Dass Amazon, Google, Ebay etc. deutsche Domains (www.amazon.DE, Hervorhebung d. Verf.) und Netzstrukturen kostenfrei und unkontrolliert nutzen können, fällt doch nicht vom Himmel. Märkte – auch solche im Internet – sind soziale Konstrukte. Man kann die betreffenden Nutzungsrechte an den digitalen Plattformen auch versteigern und ihre Nutzung kontrollieren (was wahrscheinlich manchen Netzromantiker irritiert).

Wir hatten in unserem Beitrag „Flucht vor der Dummheit“ schon einmal den Steuerwettbewerb zwischen Luxemburg und Deutschland mit einem Autorennen verglichen, bei dem Deutschland mit angezogener Handbremse fährt. Soll Luxemburg nun auch die Handbremse anziehen, oder sollen die anderen Staaten (allen voran Deutschland) diese nicht besser lösen? Die Frage ist rhetorisch. Ein Abschöpfen der ökonomischen Rente brächte dem Staat wesentlich mehr Geld als heute ein und wäre dabei wirtschaftlich vollkommen unschädlich. Anders als bei Steuern gäbe es keine Effizienznachteile. Immer wieder haben wir es in diesem Blog betont: Ökonomische Renten sind zwar im Volkseinkommen enthalten, aber nicht als Kostenblock, sondern als sozialer Überschuss. Dieser wird aber in Deutschland privatisiert; und umgekehrt werden die auf der Arbeit lastenden Kosten immer weiter erhöht, um die öffentlichen Ausgaben zu finanzieren. Dies, obwohl die gesamten Staatsausgaben aus den ökonomischen Renten bestritten werden könnten (dies besagt das ebenfalls in diesem Blog immer wieder diskutierte Henry George-Theorem). Steuern, um die Privatisierung der ökonomischen Renten abzusichern: Dies ist nicht nur ein ungerechtes, sondern auch ein ausgesprochen unintelligentes (um keine stärkeren Worte zu gebrauchen) System, das die Wettbewerbsfähigkeit schwächt.

Wenn Luxemburgs Premier Bettel gegen die Kritik an Luxemburg einwendet, dass er die Steuern nicht erhöhen könne, damit es seinen verschuldeten Nachbarn besser geht (vgl. Brinkmann et al. 2014), ist dies nachvollziehbar. Nicht durch die Steuerkonkurrenz Luxemburgs, sondern durch den Verzicht auf die Vereinnahmung der ökonomischen Renten entgehen dem Staat die entscheidenden Einnahmen (Löhr 2013). Das Problem ist hausgemacht. Und so geht die öffentliche Diskussion systematisch an seinem Kern vorbei.

Mein Appell geht vor diesem Hintergrund vor allem an die “vierte Gewalt” – die Medien: In ihrer Hand liegt es, die Öffentlichkeit auch einmal über Alternativen zu informieren, anstatt immer wieder die alten abgedroschenen wie nutzlosen Phrasen zu kolportieren. Ich bin mir nicht sicher, ob hier der Richtige am Pranger steht.

 

Mehr Informationen:

Brinkmann, B. / Gammelin, C. / Obermayer, B. (2014): Konzerne ertricksen sich in Luxemburg Milliarden an Steuern, in: Sueddeutsche.de vom 5.11. Online: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luxemburg-leaks-konzerne-ertricksen-sich-in-luxemburg-milliarden-an-steuern-1.2206997

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg. Online: http://www.amazon.de/Prinzip-Renten%C3%B6konomie-Wenn-Eigentum-Diebstahl/dp/3731610132

Schäuble, W. (2014): Bekämpfung von Steuerflucht, in: BMF vom 06.11. Online: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Reden/2014/2014-11-06-regierungserklaerung-steuerflucht-textfassung.html

Denken tut doch gar nicht weh! Zu Gabriels PPP-Renaissance

Dirk Löhr

Es geht um die zunehmend verrottende Infrastruktur. Nichts weniger als der Standort Deutschland steht auf dem Spiel. Seit Jahren wird in Deutschland viel zu wenig in Straßen, Brücken und Schulen investiert.

Schultoilette
Schultoilette

Allein für die Sanierung der Verkehrswege sind schätzungsweise pro Jahr rund sieben Milliarden Euro zusätzlich nötig; der Etat sieht für die gesamte Legislaturperiode aber nur fünf Milliarden vor. Vor allem durch das Fahren auf Verschleiß will Schäuble also auf die schwarze Null kommen (s. unseren Beitrag „Die ´schwarze Null´: Schäubles Mogelpackung“).

Dass es dies alleine aber nicht sein kann, weiß auch Schäuble. In unserem Beitrag „PKW-Maut: Lichtblick am Horizont“ haben wir erläutert, warum eine PKW-Maut daher grundsätzlich nicht verkehrt ist. Allerdings nicht so, wie sie Verkehrsminister Dobrindt ausgestalten will. Und auch in finanzpolitischer Hinsicht  ist die umstrittene PKW-Maut ein Rohrkrepierer. Selbst wenn die Koalitionspartner noch einen Gesetzentwurf zustande bringen, wird die Abgabe bei Weitem nicht genug Geld einbringen, um einen nennenswerten Beitrag zur Lösung des Infrastrukturproblems zu erreichen (Schieritz 2014).

Schlagloch
Schlagloch

Also greift man erneut auf ein Konzept zurück, das schon in der Vergangenheit wiederholt versagt hat: Öffentlich-Private Partnerschaften (Public Private Partnerships, PPPs). Finanzminister Schäuble kalkuliert bereits, wie viel ein privater Betrieb von Autobahnen kosten würde. Der Rechenschieber wird ihm dabei von Wirtschaftsminister Gabriel gehalten, der eine diesbezügliche Arbeitsgruppe eingesetzt hat. In dieser Arbeitsgruppe sitzen unabhängige Experten wie der Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen, Allianz-Vorstandsmitglied Helga Jung und Torsten Oletzky, Vorstandsvorsitzender der Ergo Gruppe (o.V. 2014).

In dieser Gruppe sollen verschiedene Modelle geprüft werden, um v.a. die unter den derzeit niedrigen Zinsen leidenden Versicherungen ein wenig glücklicher zu machen: U.a. geht es darum, wie die strengen Kapitalanlagevorschriften für Versicherer modifiziert werden können, damit diese besser in Infrastrukturprojekte investieren können, um sich an den Infrastrukturrenten während der Niedrigzinsphase schadlos zu halten. Es wird u.a. darüber nachgedacht, den Bau von Straßen oder Brücken im Rahmen von PPPs an Betreiberunternehmen auszulagern. Diese könnten die Infrastrukturanlagen dann über 30 Jahre und mehr betreiben; sie könnten sich über privat eingenommene Nutzungsgebühren finanzieren. Ebenfalls ist ein Fonds im Gespräch, der bei Banken und Versicherungen Geld einsammeln soll, mit dem der Straßen und Brückenbau sowie –sanierung finanziert werden soll.

Man muss jedoch kein Prophet sein, um die Auswirkungen derartiger PPPs abzuschätzen: Sattsam bekannt ist, dass privates Kapital ist teurer als öffentliches, weil Risikoprämien bezahlt werden müssen. Allein dieser Effekt stellt in der Regel sämtliche Effizienzvorteile von privaten Betreibern in den Schatten  (Löhr 2013). Selbst, wenn sich der Staat noch weiter verschulden würde, wäre dies in der derzeitigen Niedrigzinsphase wahrscheinlich wesentlich wirtschaftlicher als die Heranziehung von Kapital im Rahmen von PPPs.

Kurzfristig wird so über PPPs zwar der Haushalt geringfügig entlastet, langfristig kommen aber umso größere Summen auf die Allgemeinheit zu – allerdings sind Schäuble und Gabriel dann voraussichtlich nicht mehr im Amt. Diese Kosten und Mehrkosten können in der Zukunft entweder über

  • höhere Gebühren (wenn die Autofahrer zur Kasse gebeten werden);
  • höhere Steuern (wenn die Belastungen auf die Allgemeinheit abgewälzt werden);
  • Einsparungen bei anderen staatlichen Leistungen (z.B. im Rahmen des Sozialsystems) oder
  • zusätzlicher Verschuldung eben in der Zukunft

eingefangen werden.

Wie die Landesrechnungshöfe sieht denn auch der Bundesrechnungshof die PPPs, wie sie u.a. im Straßenbau um sich greifen, kritisch. Beispielsweise sind beim Ausbau der A 8 von Augsburg nach München im Vergleich zu einer “konventionellen Realisierung” die Kosten explodiert. Fünf der bisher sechs realisierten Projekte in privater Hand sind um insgesamt mehr als 1,9 Milliarden Euro teurer gewesen als eine herkömmliche Finanzierung über den Haushalt (Kröger 2014a; Kröger 2014b).

Dennoch greift Vater Staat gerne auf PPPs zurück. Bei der herkömmlichen Kreditaufnahme in staatlicher Eigenregie müssten die Kredite für das geplante Bauwerk nämlich sofort als Schulden verbucht werden. Dagegen steht jedoch die Schuldenbremse. Bei einer PPP fällt hingegen nur die jährliche Rate an den privaten Partner an. Die Schuldenbremse wird so wirksam umgangen (vgl. auch den Blogbeitrag „Milliardengrab: Autobahnbau via Public Private Partnership“ ).

Dabei gibt es Alternativen jenseits von PPPs und höherer Verschuldung. Ein effizientes öffentliches Finanzierungssystem würde nämlich (auch für öffentliche Güter) diejenigen bezahlen lassen, die von den öffentlichen Gütern profitieren. Dies auf Basis von Grenzkostenpreisen, nicht anders als bei privaten Gütern. Dabei sind die Nutznießer der Investitionen in öffentliche Güter nicht unbedingt mit den unmittelbaren Nutzern der Einrichtungen identisch: Eine neue Straße oder ein Hochgeschwindigkeitszug reduziert Transportkosten. Nun sind die Bodenrenten ein Residuum, das verbleibt, nachdem alle anderen Produktionsfaktoren bezahlt wurden (s. die Tabelle unten). Daher schlagen sich reduzierte Transportkosten in erhöhten Bodenrenten und Bodenwerten nieder. Eine neue Straßen- oder Zugverbindung wertet beispielsweise eine angeschlossene Ortschaft auf. Die dortigen Bodenrenten und Bodenwerte steigen. Wird jedoch die Straße nicht aus einer Abgabe auf die Bodenrente finanziert, zahlt nicht der Grundstückeigentümer für den erhaltenen Gegenwert. Weil diesem die erhöhte Bodenrente überlassen wird, blutet stattdessen i.d.R. der Steuerzahler.

Gegen dieses Prinzip der Rentenökonomie steht das der Reziprozität, also der Verbindung von Leistung und Gegenleistung: „Pay for what you get!“ Hiernach müsste der Grundstücksbesitzer für seinen Vorteil – den höheren Grundstückswert – bezahlen, und der Nutzer einer Infrastrukturanlage für die Grenzkosten, die er der Gemeinschaft aufbürdet.

Diese Forderungen führen zum Henry George-Theorem. Gemäß dem Henry George-Theorem (auch bekannt als George-Hotelling-Vickrey-Theorem) könnten unter idealen Bedingungen (optimal Bevölkerungsgröße etc.) alle öffentlichen Güter in einem Gemeinwesen allein aus ihrer (Boden-) Rente finanziert werden, ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste (dabei wird vorausgesetzt, dass externe Kosten durch geeignete Abgaben internalisiert werden).

Das Henry George-Theorem kann aber auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen. Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird. Ohne öffentliche Infrastruktur könnten die Vorteile von Agglomerationen nicht genutzt werden. Öffentliche Infrastruktur macht erst die Produktion von privaten Gütern und Dienstleistungen möglich. Wenn man überhaupt – neben Arbeit, Boden und Kapital – noch eine Kraft in den Rang eines vierten Produktionsfaktors erheben will, so die öffentliche Infrastruktur (dies ist jedenfalls wesentlich sinnvoller als die Einführung eines vierten Produktionsfaktors „Wissen“, was ja auf nichts anderes als eine Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit“ hinausläuft). Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Leistungen und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (vgl. Löhr 2013). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden. Dies läuft auf die Erkenntnis von Adam Smith hinaus, dass – da Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte. Es ist die Öffentlichkeit, die die rententragenden Vermögensgegenstände eines Gemeinwesens in Wert setzt.

Tabelle: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Volkseinkommen
Zusammensetzung   Verteilung   Charakter
Private Güter und Dienstleistungen <=> Löhne (Arbeit) <=> Kosten
Zinsen (Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=> Renten aus Land und Natur <=> Sozialer Überschuss

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Güter aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen. Wenn jedoch – wie heutzutage der Fall – die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Güter verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Güter auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen und Kosten im Steuerstaat.

Eine solche Entkopplung liegt auch bei PPPs vor. Auch hierbei werden die ökonomischen Renten privatisiert mit der Folge, dass sie nicht zur Finanzierung der Infrastruktur zur Verfügung stehen. Die Folge sind Ineffizienzen, die über die herkömmlicherweise in den Medien diskutierten Aspekte weit hinausgehen:

  • Viele der diskutierten Infrastruktureinrichtungen haben den Charakter eines natürlichen Monopols. Über an sich wohlfahrtsoptimale Grenzkostenpreise könnten daher die gesamten Kosten gar nicht abgedeckt werden; der Steuerstaat muss immer auf Kosten der Allgemeinheit zuschießen. Dies gilt umso mehr, wenn die Anlagen durch Private betrieben werden.
  • Finanziert der Staat den privaten Betreiber einer Infrastrukturanlage über Steuern, hat dies zudem Entmutigungseffekte (steuerliche Zusatzlasten) zur Folge. Zudem wird der soziale Überschuss durch die höheren Kosten, die den mobilen Produktionsfaktoren auferlegt werden, gedämpft. Der volkswirtschaftliche Kuchen wird durch das Zusammenwirken dieser beiden Effekte wesentlich kleiner, als er sein könnte.
  • Schließlich besteht das Problem der Überlastungen der Infrastruktur, wenn diese – weil über Steuern finanziert – kostenlos zur konkreten Nutzung zur Verfügung gestellt wird.
  • Will der Staat diese Probleme der Steuerfinanzierung vermeiden, muss er den privaten Betreibern die Vereinnahmung von kostendeckenden Gebühren gestatten (die auch die erhöhten privaten Kapitalkostenforderungen abdecken). Bei vollkostenorientierten Gebühren besteht aber die Gefahr, dass die Nutzung der Infrastruktureinrichtung so weit zurückgeht, dass eine Refinanzierung nicht mehr möglich ist. Konkret wird in der o.a. Arbeitsgruppe über eine streckenabhängige Abgabe der Autofahrer nachgedacht. Die Ballungskosten sollen hingegen offenbar nicht eingefangen werden (so dass man unabhängig davon dieselbe Abgabe für eine Straßenstrecke zahlen würde, ob diese während der Hauptverkehrszeit oder mitten in der Nacht benutzt wird). Die Fehlallokation des Verkehrs ist hier vorprogrammiert.
  • Die gebührenorientierten Finanzierungsmodelle bergen übrigens auch für den privaten Betreiber die Gefahr in sich, dass sie sich nicht rechnen, weil die Bodenrente durch andere Private abgeschöpft wird. Dennoch ist es verlockend, die Infrastrukturrente abzugreifen – schließlich befinden sich Infrastrukturanlagen ja außerhalb der Konkurrenz. Wie viele private Betreiber sich neben der öffentlichen Hand auch noch eine blutige Nase holen werden, hängt somit davon ab, ob das Gebühren- oder das Steuermodell in den Ausgestaltungen überwiegt.

Die o.a. Liste könnte fortgesetzt werden. Der Weg zur Lösung der Infrastrukturmisere ist also ein gänzlich anderer als Gabriel und Schäuble ihn gehen wollen:

  • Die Infrastruktureinrichtungen sollten einerseits verursachungsgerecht über die Bodenrente finanziert werden, die durch diese entsprechend erhöht wird. Die Abschöpfung setzt natürlich politischen Mut und ökonomische Einsicht voraus. Beides ist derzeit in den politischen Parteien und ihren Beratern nicht vorhanden.
  • Die Nutzung der Infrastruktureinrichtungen sollte andererseits gegen eine Gebühr erfolgen, welche die Grenzkosten der Nutzung bzw. die Ballungskosten wiederspiegelt. Im Falle einer Autobahn sollte jemand, der eine Fahrt während der Hauptverkehrszeit und auf einer viel befahrenen Strecke vornimmt, somit einen höheren Obolus entrichten.
  • An anderer Stelle hatten wir noch ein rentenbasiertes Grundeinkommen vorgeschlagen, um jedermann in gleichem Maße die Nutzung öffentlicher Einrichtungen zu erlauben (Beitrag “EinsPlus: Nie wieder arbeiten? Das Grundeinkommen für jeden“). Ein solches Grundeinkommen könnte bequem aus den Bodenrenten finanziert werden.
  • Andere Steuern könnten hingegen zurückgeführt werden – im Extremfall bis auf Null, wenn das genannte Konzept konsequent umgesetzt wird.

Dieses Finanzierungskonzept spiegelt finanzpolitische Vorstellungen wieder, wie sie u.a. von Joseph E. Stiglitz vertreten werden (Beitrag „Steuerreform – Vorschläge von Joseph E. Stglitz“). Sie beinhalten als wesentliche Stützen des Abgabensystems ein verallgemeinertes Henry George-Prinzip (Abschöpfung der ökonomischen Renten) und eine konsequente Internalisierung externer Effekte – zum Wohle der öffentlichen Hand. Die Ideen sind eigentlich nicht schwer zu verstehen. Und, Herr Schäuble und Herr Gabriel: „Denken tut doch gar nicht weh!“

 

Literatur und mehr Informationen

Kröger, M. (2014a): Öffentlich-private Partnerschaft: Wo der Staat seine Schulden versteckt, in: Spiegel Online vom 12.06. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oeffentlich-private-partnerschaft-staat-als-zahlmeister-a-974794.html

Kröger, M. (2014b): Warum Deutschlands Straßen so holprig sind, in: Spiegel Online vom 29.08. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/strassenbau-und-verkehrsnetze-gabriel-hofft-auf-das-geld-privater-investoren-a-988661.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Schieritz, M. (2014): Das wird teuer! In: ZeitOnline vom 12.9. Online: http://www.zeit.de/2014/38/infrastruktur-oeffentlich-private-partnerschaft

O.V. (2014): Gabriel gründet Beirat mit Deutsche Bank-Chef und anderen, in: Spiegel Online vom 28.8. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gabriel-will-investitionen-mit-hilfe-von-finanzexperten-ankurbeln-a-988485.html

Die “schwarze Null”: Schäubles Mogelpackung

Dirk Löhr

1024px-A_Pothole_in_BroadmoorDie „schwarze Null“: Diese möchte unser Finanzminister Wolfgang Schäuble unbedingt erreichen, zum ersten Mal seit 1969 (Kontraste 2014). Grundsätzlich ist das machbar, allerdings nicht im gegenwärtigen System: Der gesamte Staatshaushalt ließe sich theoretisch bequem aus den ökonomischen Renten finanzieren. Dies besagt das Henry George-Theorem. Dieses kann so interpretiert werden, dass (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen werden. Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Leistungen und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (Marshall 1961). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden (Harrison, 2006) – es ist die öffentliche Hand, welche die rententragenden Vermögensgegenstände in Wert setzt. Dies mündet in die Erkenntnis von Adam Smith, dass – zumal Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte (Smith 1776).

Volkseinkommen

Zusammensetzung

  Verteilung

Private Güter und Dienstleistungen

<=>

Löhne (Arbeit)

Zinsen (Kapital)

Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=>

Renten (Land im weiten Sinne)

Abbildung: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)

Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Leistungen aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich also eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen.

Wie Smith bemerkt hatte, setzt das Abschöpfen der Bodenrenten aber gute Regierungsführung voraus. Wenn stattdessen – was heutzutage regelmäßig in den allermeisten Staaten der Fall ist – die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Leistungen verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Leistungen auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen / Einnahmen und Kosten / Ausgaben im Steuerstaat (Löhr 2013). Alternativ wird eben das Angebot an öffentlichen Leistungen zurückgeschraubt (mit der Folge von Unterrichtsausfällen, Notstand in den Pflegeheimen, Schlaglöchern in den Straßen etc.) oder die Kosten über Verschuldung auf künftige Generationen abgewälzt (Schuldendienst). Genau dies macht Schäuble. Damit werden aber ebenfalls Kosten auf künftige Generationen abgewälzt – versteckt. Es besteht ein Instandhaltungsrückstau, für den diese teuer werden zahlen müssen – damit sich die gegenwärtige Regierung im Glanz der schwarzen Null präsentieren kann.

Die Sendung Kontraste vom 17.7.2012 stellte die Problematik eindringlich dar. Laut Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung übersteigt der Verschleiß der Infrastruktur die Investitionen pro Jahr um 40 Mrd. Euro. Allein für die Schulen fehlen heute schon deutschlandweit 22 Milliarden Euro, weil notwendige Sanierungsarbeiten seit Jahren verschoben werden. Das gleiche Desaster besteht bei der Verkehrsinfrastruktur: Nur für ihren Erhalt fehlen pro Jahr 6,5 Milliarden Euro. Das weiß auch der Bundesfinanzminister – und trotzdem rückt der Bund jährlich nur 1, 2 Milliarden zusätzlich heraus. Die versteckten Schulden sind überall.

 

Literatur:

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune – Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, London.

Kontraste (ARD): Mogelpackung „schwarze Null“, Donnerstag 17.07., 22.00. Online nachlesbar: http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-vom-17-07-2014/mogelpackung–schwarze-null—wie-finanzminister-schaeuble-weite.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Marshall, A. (1961): Principles of Economics, ninth variorum edition edited by C W Guilleband,  Macmillan, London.

Smith, A. (1776): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: Methuen & Co. Ltd., online: http://www.econlib.org/library/Smith/smWN.html