Über den beklagenswerten Zustand der deutschen Infrastruktur berichtete – am Beispiel Niedersachsen – die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom Sonnabend, dem 14. Februar 2015 in einem Anzeigenspezial:
Die schwarze Null unseres Bundesfinanzministers bedeutet vor diesem Hintergrund nichts anderes als die Verschiebung von Lasten auf kommende Generationen. Im Übrigen könnte man sämtliche Fixkosten der Infrastrukturen bequem aus den Bodenrenten finanzieren, was das Henry George-Theorem beschreibt. Ein erster Schritt wäre eine Reform der Grundsteuer im Sinne einer Bodenwertsteuer, wie sie die Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” fordert. Gleichzeitig könnte die Grundsteuer zu Lasten anderer Steuern (“Tax shift”) gestärkt werden, was u.a. auch die OECD für Deutschland anmahnte. Dadurch würde u. a. auch der Wunsch Schäubles in Erfüllung gehen, Unternehmen dort zu besteuern, wo sie ihr Geld verdienen: Dies sind die Unternehmensstandorte.
Aber ein weltweites. Es gibt dort Bahnhöfe, Stellwerke, Haltestellen, Züge und Wagons, Passagiere und Frachtsendungen, natürlich ein Streckennetz und Fahrkarten. Einen ersten Unterschied gibt es: es gibt keine Fahrpläne. Jeder kann fahren wann und wohin er will. Wär‘ ja toll, wenn das auch so bei der Bahn so möglich wäre.
Stellen wir uns weiter vor, es gäbe so ein weltweites Eisenbahnnetz, bei dem alle Passagiere, alle Warensendungen gleich viel wert sind. Nichts wird bevorzugt. Egal ob jemand 100 Barren Gold oder einen Sack Reis versendet, es kostet immer gleich viel pro Kilo oder pro Kubikmeter. Klingt verrückt? So ist das Internet aber organsiert. Alle Passagiere, alle Datenpakete sind gleich, nichts wird per se priorisiert – fast schon sozialistisch. Verwaltet wird das das Ganze an oberster Stelle aus den USA.
Das macht die ICANN [1].
ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) als “zentrale Bahngesellschaft” des Internets
Wer ist nun eigentlich die ICANN? Die ICANN kommt ganz unscheinbar daher als Non-Profit-Organisation. US-basiert, nach US-Recht korporiert, mit Sitz in Los Angeles und mit einer Lizenz, einem Vertrag vom US-Department of Commerce (DoC) ausgestattet.
Die ICANN, und mit ihr die verschwisterten Internet-Organisationen IANA und IETF, unterstehen der NTIA [2] einer Behörde des DoC [3].
Sie bestimmt an oberster Stelle die Vergabe von IP-Adressen und Domainnamen, also über die Anzahl und regionale Verteilung der Bahnhöfe und Haltestellen des Internets. Sie vergibt als oberste Instanz die sogenannten AS-Nummern, das sind die autonomen Systeme (AS), die Bereiche von IP-Adressen die dann von einem Internet Service Provider (ISP), das sind die regionalen Bahngesellschaften, auch Local Internet Registry genannt, selbstständig verwaltet werden.
Die IETF übrigens setzt die technischen Standards [4] wie was im Internet versendet und verarbeitet wird. Sie legt damit de facto fest wie lang die Wagons sind und wie gross die Spurweite der Eisenbahnstrecken zu sein hat, was dann die lokalen ISPs berücksichtigen müssen.
Ein schnelles Streckennetz nutzt den lokalen ISPs, Firmen Verizon oder der Telekom per se wenig. Es freuen sich die grossen Fahrkartenbesitzer, die Content-Anbieter mit Zugang zu grossen Bahnhöfen, mit vielen IP-Adressen, Firmen wie Google oder Netflix, weil sie so ihre Ware, ihre Passagiere leichter und schneller zum Konsumenten an den kleinen Haltepunkten, dem DSL-Anschluss von John Doe, bringen können.
Die grossen Internetfirmen kommen aus den USA: Zufall?
Darüber sollten wir uns nicht wundern, denn dass das Department of Commerce als oberste Aufsichtsbehörde des Internets ausgewogen allen Organisationen der Welt gleich gerecht wird, ist wohl nicht zu erwarten.
Das ganze System funktioniert so, dass letztendlich die USA den Daumen drauf haben. Der Besitz, das Nutzungsrecht von vielen IP-Adressen ist bares Geld wert.
Die Kombination aus IP-Adressen und den zugehörigen Domainnamen sowie interessanten, meist zahlungspflichtigen Inhalten und leistungsfähigen Netzwerken mit Kommunikationssatelliten und Seekabeln aus Glaserfaser ist es, das Firmen wie Google oder Amazon so wertvoll macht.
Warum machen sich Länder kein eigenes Internet?
Weil es teuer ist. Ein Staat könnte natürlich seinen lokalen ISPs auferlegen ein lokales Internet zu bauen, mit eigenen IP-Adressen, eigenen Domainnamen und speziellen Netzwerk-Protokollen die z.B. Daten besser verschlüsseln. Aber dies wäre eben nur ein lokales Internet, völlig abgeschottet vom restlichen Internet. Um das weltweite Internet weiterhin nutzen zu können, wären viele zusätzliche Vermittlungsknoten und Rechenzentren notwendig. Wer will sich so eine zusätzliche Infrastruktur schon leisten? Diktaturen vielleicht.
Das Internet: Google, Facebook und Amazon – nicht der DSL-Anschluss!
Die Menschen wollen Googlen, bei Amazon einkaufen, sich bei Facebook austauschen. Die physischen Datenleitungen dahinter nehmen die meisten gar nicht wahr. Die reinen Glasfaserkabel, die DSL-Anschlüsse sind fast wertlos. Wer will schon einen DSL-Anschluss ohne Google haben? Entscheidend sind die Dienste, die angeboten werden und diese sind de facto monopolisiert in den USA.
Ein virtuelles Land
Das Internet ist eine weltweite Ressource so wie Wasser und Land, nur eben genauso mit Eigentumsrechten versehen. Entscheidend ist dabei der Besitz der Dienste mit denen Gewinn gemacht wird. Der Google-Suchindex, sprich die Google-Datenbank oder auch die Serverfarmen von Facebook plus der Zugang zu ihnen, sind der entscheidende Asset.
Will man das Internet demokratisieren, gerechter verteilen, muss man hier ansetzen. Eine Internationalisierung der ICANN wird ja schon länger diskutiert. Es wäre ein erster Schritt.
Nein, diesmal geht es nicht um den Lokführerstreik – hier war das Unternehmen Zukunft ausnahmsweise unschuldig. Dennoch es geht um gute alte – abwesende – Bekannte: Sicherheit und Pünktlichkeit. Denn besser wettet man hierzulande auf ein Pferd als auf einen pünktlichen Zug. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die verfallene Infrastruktur, das heruntergekommene Netz. Der Investitionsrückstau dürfte schon ca. 30 Mrd. Euro betragen. 1300 der insgesamt 25.000 Eisenbahnbrücken in Deutschland sind sanierungsbedürftig (o.V. 2014).
Eisenbahnbrücke in Werdohl (Foto: Frank Vincentz)
In verschiedenen Beiträgen (z.B. “Gewinne und Renten: Die deutsche Bahn auf dem Abstellgleis“) haben wir Gründe hierfür genannt. So wird in Deutschland wird die Wartung des Netzes durch die DB AG (2/3 der netzbezogenen Ausgaben) finanziert, (Re-) Investitionen (Ersatzbeschaffungen und Netzerweiterungen) durch den Staat (1/3 der netzbezogenen Ausgaben; vgl. DB Mobility Networks Logistics 2014). Dies gibt der DB AG einen Anreiz, die Instandsetzung und Wartung zu minimieren und auf Verschleiß zu fahren – für den Ersatz des verschlissenen Netzes kommt ja der Steuerzahler auf.
Natürlich war die Eisenbahn schon vor der formellen Privatisierung chronisch unterfinanziert. Eine solche chronische Unterfinanzierung der Infrastruktur ist aber nicht alternativlos. Das Beispiel Hong Kong zeigt auf, wie es gehen könnte. Dort wurde 1975 die MTR Aktiengesellschaft eingerichtet. Interessant ist ihr wirtschaftliches Konzept: Die MTR fungierte nämlich nicht nur als Bahn-, sondern gleichzeitig auch als Immobiliengesellschaft. Neu angelegte Bahntrassen führen zu einer Steigerung der Bodenerträge und Bodenwerte. Da die Gesellschaft sich vorher in den Besitz der betroffenen Areale gebracht hatte, brachten die erhöhten Mieten und Pachten genügend Geld ein, um die Netzinfrastruktur zu finanzieren. Erstaunlich: Obwohl die Gesellschaft durchaus nach kommerziellen Prinzipien agierte und Gewinne machte, konnten die Ticketpreise ab 1997 für viele Jahre eingefroren werden (Harrison 2006). Das Zauberwort heißt „sich selbst finanzierende Infrastruktur“ – die MTR wandte nämlich das Henry George-Prinzip auf betriebswirtschaftlicher Ebene an. Dieses besagt, dass unter bestimmten Umständen sämtliche staatlichen Ausgaben aus den Bodenrenten finanziert werden können. Dies gilt insbesondere für die Infrastruktur, durch die umgekehrt die Bodenrenten (und Bodenwerte) erst generiert werden. Das Henry George-Theorem wurde u.a. durch Arnott / Stiglitz (1979) und Atkinson / Stiglitz (1987) formalisiert.
Das Henry George-Prinzip ist verallgemeinerbar. Es funktioniert nicht nur für den Nahverkehr, sondern auch für den Fern- und Güterverkehr: Eine bessere Schieneninfrastruktur lässt Ortschaften zusammenrücken. Wird z.B. aufgrund einer Schienenanbindung ein Eifeldorf de facto zu einem Vorort (in der Funktion einer Wohnstadt) der Metropole Köln, so steigen im Eifeldorf die Bodenwerte an. Werden zwei Großstädte miteinander verbunden, sparen beide Transportkosten ein – die Interaktionsdichte, das arbeitsteilige Zusammenwirken wird intensiver. Es ergibt für Berlin und Frankfurt einen Unterschied, ob es eine Bahnverbindung zwischen den beiden Städten gibt oder nicht. Die aufgrund der Verkehrsverbindung entstehenden Produktivitätszuwächse schlagen sich aber auch in höheren Bodenrenten und Bodenwerten nieder. Es gilt „nur“, diese Erträge konsequent abzuschöpfen.
Ein weiteres Standbein der Finanzierung sollte die verursachungsgerechte Anlastung von Ballungskosten (die zugleich externe Kosten sind) sein (Vickrey 1948). Genau genommen setzt das Henry George-Prinzip diese Anlastung sogar voraus. Wer zu Stoßzeiten und auf hoch frequentierten Strecken fährt, soll mehr bezahlen, weil er seine Zeitgenossen einschränkt. Insoweit war die Absicht des 2002 und 2003 eingeführten und gescheiterten „Preis- und Erlösmanagementsystems“ nicht verkehrt. Es wurde allerdings unter ungeeigneten Umständen sowie in unzulänglicher Weise umgesetzt. Es orientierte sich am Luftverkehr und ignorierte – bei oftmals höheren Preisen – insbesondere einen entscheidenden Aspekt: Die höhere Flexibilität des Hauptkonkurrenten Auto. Anstatt die eigene Flexibilität weiter einzuschränken, wäre eine Anlastung der Grenzballungskosten über Auktionen ideal: Bestimmte Fahrtstrecken werden dabei vom Netzbetreiber ausgeschrieben (Knieps 2002). Handelt es sich um hoch frequentierte Strecken und um Stoßzeiten, so zahlen die Eisenbahnbetreiber eine höhere Gebühr, die sie auch an die Kunden weitergeben. Dies verlangt allerdings wiederum die Trennung zwischen Netz und Betrieb sowie Wettbewerb unter den Betreibern.
Die Finanzierung über ein verallgemeinertes Henry George-Prinzip und der verursachungsgerechten Anlastung von externen Kosten entspricht auch den von Joseph E. Stiglitz (2014) propagierten Finanzierungsprinzipien für „Public Goods“. Folgte man diesen Prinzipien, ließen sich die Ticketpreise auf die sog. „Grenzkosten“ des Betriebes der Bahnen beschränken. Mit Zugtickets, die die heutigen BahnCard 50-Preise in den Schatten stellen, könnte Verkehr auf die Schiene gelenkt und diese gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig gemacht werden. Hiermit könnte auch die notwendige Verkehrswende auf den Weg gebracht werden.
Dies alles lässt sich freilich nicht stemmen, wenn man die Privatisierung öffentlich geschaffener Werte weiterhin als eine heilige Kuh behandelt. Für die Bahn sind die Folgen der Privatisierung der Bodenrente u.a. höhere, weil die Fixkosten der Infrastruktur umfassende Fahrpreise. Diese stiegen in den letzten zehn Jahren um mehr als 30 % (Bahn für alle 2012) – was viele potenzielle Fahrgäste vom Umstieg auf die Schiene abhält. Doch selbst die erhöhten Fahrpreise vermögen nicht die Kosten der Infrastruktur zu decken – deswegen wird noch der Steuerzahler zur Finanzierung herangezogen (und dessen privat geschaffene Werte über die Steuern sozialisiert).
Nun soll die Bahn nach Angaben von Spiegel Online vom 16.10.2014 eine Milliarde zusätzlich aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen (o.V. 2014). Im Gegenzug möchte der Bund strenger die Verwendung der Mittel kontrollieren. Kurzfristig richtig – wenn das aber alles gewesen sein soll, ist dies nichts als Flickschusterei.
Eine tragkräftige Bahnreform benötigt mehr. Sie sollte auf folgenden Säulen ruhen:
Netz und Betrieb sind zu trennen. Das Schienennetz gehört in öffentliche Hand. Es ist ohne Gewinnerzielungsabsicht zu betreiben. Kein Eisenbahnunternehmen darf bevorzugt oder diskriminiert werden.
Der Betrieb kann durch private Eisenbahnunternehmen im Wettbewerb stattfinden.
Das Angebot an Mobilitätsleistungen sollte zu Grenzkosten erfolgen.
Dies kann geschehen, wenn die Finanzierung der (Netz-) Infrastruktur aus abgeschöpften Bodenrenten sowie angelasteten Ballungskosten geleistet wird.
Vielleicht kommt das ja eines schönen Tages bei der Politik an. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben …
Literatur
Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, Quarterly Journal of Economics, Vol. 93 No. 4, S. 471-500.
Atkinson, A. B. / Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics. McGraw-Hill Book Co., London.
Bahn für alle (2012): Die wahre Bilanz der Deutschen Bahn – oder: Was Rüdiger Grube lieber verschweigt. Alternativer Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2011, Berlin.
DB Mobility Networks Logistics (2014): Die Finanzierung der Eisenbahn des Bundes, position paper, Berlin.
Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune, Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, The Institute of Economic Affairs, London.
Knieps, G. (2002): Knappheitsprobleme in Netzen: Was leistet die Ökonomie? Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft: Knappe Netzkapazitäten – Probleme und Lösungsstrategien in offenen Verkehrs- und Versorgungsnetzen, Reihe B, B 252, S. 7-22.
Es geht um die zunehmend verrottende Infrastruktur. Nichts weniger als der Standort Deutschland steht auf dem Spiel. Seit Jahren wird in Deutschland viel zu wenig in Straßen, Brücken und Schulen investiert.
Schultoilette
Allein für die Sanierung der Verkehrswege sind schätzungsweise pro Jahr rund sieben Milliarden Euro zusätzlich nötig; der Etat sieht für die gesamte Legislaturperiode aber nur fünf Milliarden vor. Vor allem durch das Fahren auf Verschleiß will Schäuble also auf die schwarze Null kommen (s. unseren Beitrag „Die ´schwarze Null´: Schäubles Mogelpackung“).
Dass es dies alleine aber nicht sein kann, weiß auch Schäuble. In unserem Beitrag „PKW-Maut: Lichtblick am Horizont“ haben wir erläutert, warum eine PKW-Maut daher grundsätzlich nicht verkehrt ist. Allerdings nicht so, wie sie Verkehrsminister Dobrindt ausgestalten will. Und auch in finanzpolitischer Hinsicht ist die umstrittene PKW-Maut ein Rohrkrepierer. Selbst wenn die Koalitionspartner noch einen Gesetzentwurf zustande bringen, wird die Abgabe bei Weitem nicht genug Geld einbringen, um einen nennenswerten Beitrag zur Lösung des Infrastrukturproblems zu erreichen (Schieritz 2014).
Schlagloch
Also greift man erneut auf ein Konzept zurück, das schon in der Vergangenheit wiederholt versagt hat: Öffentlich-Private Partnerschaften (Public Private Partnerships, PPPs). Finanzminister Schäuble kalkuliert bereits, wie viel ein privater Betrieb von Autobahnen kosten würde. Der Rechenschieber wird ihm dabei von Wirtschaftsminister Gabriel gehalten, der eine diesbezügliche Arbeitsgruppe eingesetzt hat. In dieser Arbeitsgruppe sitzen unabhängige Experten wie der Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen, Allianz-Vorstandsmitglied Helga Jung und Torsten Oletzky, Vorstandsvorsitzender der Ergo Gruppe (o.V. 2014).
In dieser Gruppe sollen verschiedene Modelle geprüft werden, um v.a. die unter den derzeit niedrigen Zinsen leidenden Versicherungen ein wenig glücklicher zu machen: U.a. geht es darum, wie die strengen Kapitalanlagevorschriften für Versicherer modifiziert werden können, damit diese besser in Infrastrukturprojekte investieren können, um sich an den Infrastrukturrenten während der Niedrigzinsphase schadlos zu halten. Es wird u.a. darüber nachgedacht, den Bau von Straßen oder Brücken im Rahmen von PPPs an Betreiberunternehmen auszulagern. Diese könnten die Infrastrukturanlagen dann über 30 Jahre und mehr betreiben; sie könnten sich über privat eingenommene Nutzungsgebühren finanzieren. Ebenfalls ist ein Fonds im Gespräch, der bei Banken und Versicherungen Geld einsammeln soll, mit dem der Straßen und Brückenbau sowie –sanierung finanziert werden soll.
Man muss jedoch kein Prophet sein, um die Auswirkungen derartiger PPPs abzuschätzen: Sattsam bekannt ist, dass privates Kapital ist teurer als öffentliches, weil Risikoprämien bezahlt werden müssen. Allein dieser Effekt stellt in der Regel sämtliche Effizienzvorteile von privaten Betreibern in den Schatten (Löhr 2013). Selbst, wenn sich der Staat noch weiter verschulden würde, wäre dies in der derzeitigen Niedrigzinsphase wahrscheinlich wesentlich wirtschaftlicher als die Heranziehung von Kapital im Rahmen von PPPs.
Kurzfristig wird so über PPPs zwar der Haushalt geringfügig entlastet, langfristig kommen aber umso größere Summen auf die Allgemeinheit zu – allerdings sind Schäuble und Gabriel dann voraussichtlich nicht mehr im Amt. Diese Kosten und Mehrkosten können in der Zukunft entweder über
höhere Gebühren (wenn die Autofahrer zur Kasse gebeten werden);
höhere Steuern (wenn die Belastungen auf die Allgemeinheit abgewälzt werden);
Einsparungen bei anderen staatlichen Leistungen (z.B. im Rahmen des Sozialsystems) oder
zusätzlicher Verschuldung eben in der Zukunft
eingefangen werden.
Wie die Landesrechnungshöfe sieht denn auch der Bundesrechnungshof die PPPs, wie sie u.a. im Straßenbau um sich greifen, kritisch. Beispielsweise sind beim Ausbau der A 8 von Augsburg nach München im Vergleich zu einer “konventionellen Realisierung” die Kosten explodiert. Fünf der bisher sechs realisierten Projekte in privater Hand sind um insgesamt mehr als 1,9 Milliarden Euro teurer gewesen als eine herkömmliche Finanzierung über den Haushalt (Kröger 2014a; Kröger 2014b).
Dennoch greift Vater Staat gerne auf PPPs zurück. Bei der herkömmlichen Kreditaufnahme in staatlicher Eigenregie müssten die Kredite für das geplante Bauwerk nämlich sofort als Schulden verbucht werden. Dagegen steht jedoch die Schuldenbremse. Bei einer PPP fällt hingegen nur die jährliche Rate an den privaten Partner an. Die Schuldenbremse wird so wirksam umgangen (vgl. auch den Blogbeitrag „Milliardengrab: Autobahnbau via Public Private Partnership“ ).
Dabei gibt es Alternativen jenseits von PPPs und höherer Verschuldung. Ein effizientes öffentliches Finanzierungssystem würde nämlich (auch für öffentliche Güter) diejenigen bezahlen lassen, die von den öffentlichen Gütern profitieren. Dies auf Basis von Grenzkostenpreisen, nicht anders als bei privaten Gütern. Dabei sind die Nutznießer der Investitionen in öffentliche Güter nicht unbedingt mit den unmittelbaren Nutzern der Einrichtungen identisch: Eine neue Straße oder ein Hochgeschwindigkeitszug reduziert Transportkosten. Nun sind die Bodenrenten ein Residuum, das verbleibt, nachdem alle anderen Produktionsfaktoren bezahlt wurden (s. die Tabelle unten). Daher schlagen sich reduzierte Transportkosten in erhöhten Bodenrenten und Bodenwerten nieder. Eine neue Straßen- oder Zugverbindung wertet beispielsweise eine angeschlossene Ortschaft auf. Die dortigen Bodenrenten und Bodenwerte steigen. Wird jedoch die Straße nicht aus einer Abgabe auf die Bodenrente finanziert, zahlt nicht der Grundstückeigentümer für den erhaltenen Gegenwert. Weil diesem die erhöhte Bodenrente überlassen wird, blutet stattdessen i.d.R. der Steuerzahler.
Gegen dieses Prinzip der Rentenökonomie steht das der Reziprozität, also der Verbindung von Leistung und Gegenleistung: „Pay for what you get!“ Hiernach müsste der Grundstücksbesitzer für seinen Vorteil – den höheren Grundstückswert – bezahlen, und der Nutzer einer Infrastrukturanlage für die Grenzkosten, die er der Gemeinschaft aufbürdet.
Diese Forderungen führen zum Henry George-Theorem. Gemäß dem Henry George-Theorem (auch bekannt als George-Hotelling-Vickrey-Theorem) könnten unter idealen Bedingungen (optimal Bevölkerungsgröße etc.) alle öffentlichen Güter in einem Gemeinwesen allein aus ihrer (Boden-) Rente finanziert werden, ohne dass auf Steuern zurückgegriffen werden müsste (dabei wird vorausgesetzt, dass externe Kosten durch geeignete Abgaben internalisiert werden).
Das Henry George-Theorem kann aber auch anders herum gelesen werden: Danach werden (Boden-) Renten erst durch öffentliche Güter und Dienstleistungen geschaffen. Die (Boden-) Renten entstehen aufgrund ökonomischer Vorteile von Agglomerationen und der Arbeitsteilung, den Opportunitätskosten durch die Nutzung knapper Standorte durch bestimmte Nutzer, und nicht zuletzt durch die Infrastruktur, die durch die Öffentlichkeit geplant und finanziert wird. Ohne öffentliche Infrastruktur könnten die Vorteile von Agglomerationen nicht genutzt werden. Öffentliche Infrastruktur macht erst die Produktion von privaten Gütern und Dienstleistungen möglich. Wenn man überhaupt – neben Arbeit, Boden und Kapital – noch eine Kraft in den Rang eines vierten Produktionsfaktors erheben will, so die öffentliche Infrastruktur (dies ist jedenfalls wesentlich sinnvoller als die Einführung eines vierten Produktionsfaktors „Wissen“, was ja auf nichts anderes als eine Aufwertung des Produktionsfaktors „Arbeit“ hinausläuft). Alfred Marshall erkannte schon den Zusammenhang zwischen Bodenrenten und öffentlichen Leistungen und beschrieb die Bodenrenten als “the annual public value of the land” (vgl. Löhr 2013). Dementsprechend kann der Staat als eine „rentengenerierende Institution“ („rent creating institution“) gesehen werden. Dies läuft auf die Erkenntnis von Adam Smith hinaus, dass – da Bodenrenten durch eine „gute Regierung“ erzeugt werden – dieselbe Regierung auch diese Bodenrenten zum Zwecke der Finanzierung der öffentlichen Güter einsammeln sollte. Es ist die Öffentlichkeit, die die rententragenden Vermögensgegenstände eines Gemeinwesens in Wert setzt.
Tabelle: Henry George-Theorem (vereinfachte Version, eigene Darstellung)
Volkseinkommen
Zusammensetzung
Verteilung
Charakter
Private Güter und Dienstleistungen
<=>
Löhne (Arbeit)
<=>
Kosten
Zinsen (Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen
<=>
Renten aus Land und Natur
<=>
Sozialer Überschuss
Würden die Kosten für die Finanzierung der öffentlichen Güter aus den Bodenrenten finanziert, ließe sich eine natürliche Kopplung zwischen Nutzen und Kosten herstellen. Wenn jedoch – wie heutzutage der Fall – die Bodenrenten privatisiert werden (durch private Grundbesitzer und Unternehmen), können sie nicht für die Finanzierung öffentlicher Güter verwendet werden. Als Konsequenz müssen die Produktionskosten der öffentlichen Güter auf die Steuerzahler abgewälzt werden – mit der Folge der Entkopplung von Nutzen und Kosten im Steuerstaat.
Eine solche Entkopplung liegt auch bei PPPs vor. Auch hierbei werden die ökonomischen Renten privatisiert mit der Folge, dass sie nicht zur Finanzierung der Infrastruktur zur Verfügung stehen. Die Folge sind Ineffizienzen, die über die herkömmlicherweise in den Medien diskutierten Aspekte weit hinausgehen:
Viele der diskutierten Infrastruktureinrichtungen haben den Charakter eines natürlichen Monopols. Über an sich wohlfahrtsoptimale Grenzkostenpreise könnten daher die gesamten Kosten gar nicht abgedeckt werden; der Steuerstaat muss immer auf Kosten der Allgemeinheit zuschießen. Dies gilt umso mehr, wenn die Anlagen durch Private betrieben werden.
Finanziert der Staat den privaten Betreiber einer Infrastrukturanlage über Steuern, hat dies zudem Entmutigungseffekte (steuerliche Zusatzlasten) zur Folge. Zudem wird der soziale Überschuss durch die höheren Kosten, die den mobilen Produktionsfaktoren auferlegt werden, gedämpft. Der volkswirtschaftliche Kuchen wird durch das Zusammenwirken dieser beiden Effekte wesentlich kleiner, als er sein könnte.
Schließlich besteht das Problem der Überlastungen der Infrastruktur, wenn diese – weil über Steuern finanziert – kostenlos zur konkreten Nutzung zur Verfügung gestellt wird.
Will der Staat diese Probleme der Steuerfinanzierung vermeiden, muss er den privaten Betreibern die Vereinnahmung von kostendeckenden Gebühren gestatten (die auch die erhöhten privaten Kapitalkostenforderungen abdecken). Bei vollkostenorientierten Gebühren besteht aber die Gefahr, dass die Nutzung der Infrastruktureinrichtung so weit zurückgeht, dass eine Refinanzierung nicht mehr möglich ist. Konkret wird in der o.a. Arbeitsgruppe über eine streckenabhängige Abgabe der Autofahrer nachgedacht. Die Ballungskosten sollen hingegen offenbar nicht eingefangen werden (so dass man unabhängig davon dieselbe Abgabe für eine Straßenstrecke zahlen würde, ob diese während der Hauptverkehrszeit oder mitten in der Nacht benutzt wird). Die Fehlallokation des Verkehrs ist hier vorprogrammiert.
Die gebührenorientierten Finanzierungsmodelle bergen übrigens auch für den privaten Betreiber die Gefahr in sich, dass sie sich nicht rechnen, weil die Bodenrente durch andere Private abgeschöpft wird. Dennoch ist es verlockend, die Infrastrukturrente abzugreifen – schließlich befinden sich Infrastrukturanlagen ja außerhalb der Konkurrenz. Wie viele private Betreiber sich neben der öffentlichen Hand auch noch eine blutige Nase holen werden, hängt somit davon ab, ob das Gebühren- oder das Steuermodell in den Ausgestaltungen überwiegt.
Die o.a. Liste könnte fortgesetzt werden. Der Weg zur Lösung der Infrastrukturmisere ist also ein gänzlich anderer als Gabriel und Schäuble ihn gehen wollen:
Die Infrastruktureinrichtungen sollten einerseits verursachungsgerecht über die Bodenrente finanziert werden, die durch diese entsprechend erhöht wird. Die Abschöpfung setzt natürlich politischen Mut und ökonomische Einsicht voraus. Beides ist derzeit in den politischen Parteien und ihren Beratern nicht vorhanden.
Die Nutzung der Infrastruktureinrichtungen sollte andererseits gegen eine Gebühr erfolgen, welche die Grenzkosten der Nutzung bzw. die Ballungskosten wiederspiegelt. Im Falle einer Autobahn sollte jemand, der eine Fahrt während der Hauptverkehrszeit und auf einer viel befahrenen Strecke vornimmt, somit einen höheren Obolus entrichten.
An anderer Stelle hatten wir noch ein rentenbasiertes Grundeinkommen vorgeschlagen, um jedermann in gleichem Maße die Nutzung öffentlicher Einrichtungen zu erlauben (Beitrag “EinsPlus: Nie wieder arbeiten? Das Grundeinkommen für jeden“). Ein solches Grundeinkommen könnte bequem aus den Bodenrenten finanziert werden.
Andere Steuern könnten hingegen zurückgeführt werden – im Extremfall bis auf Null, wenn das genannte Konzept konsequent umgesetzt wird.
Dieses Finanzierungskonzept spiegelt finanzpolitische Vorstellungen wieder, wie sie u.a. von Joseph E. Stiglitz vertreten werden (Beitrag „Steuerreform – Vorschläge von Joseph E. Stglitz“). Sie beinhalten als wesentliche Stützen des Abgabensystems ein verallgemeinertes Henry George-Prinzip (Abschöpfung der ökonomischen Renten) und eine konsequente Internalisierung externer Effekte – zum Wohle der öffentlichen Hand. Die Ideen sind eigentlich nicht schwer zu verstehen. Und, Herr Schäuble und Herr Gabriel: „Denken tut doch gar nicht weh!“