Dirk Löhr
Nein, diesmal geht es nicht um den Lokführerstreik – hier war das Unternehmen Zukunft ausnahmsweise unschuldig. Dennoch es geht um gute alte – abwesende – Bekannte: Sicherheit und Pünktlichkeit. Denn besser wettet man hierzulande auf ein Pferd als auf einen pünktlichen Zug. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die verfallene Infrastruktur, das heruntergekommene Netz. Der Investitionsrückstau dürfte schon ca. 30 Mrd. Euro betragen. 1300 der insgesamt 25.000 Eisenbahnbrücken in Deutschland sind sanierungsbedürftig (o.V. 2014).

In verschiedenen Beiträgen (z.B. “Gewinne und Renten: Die deutsche Bahn auf dem Abstellgleis“) haben wir Gründe hierfür genannt. So wird in Deutschland wird die Wartung des Netzes durch die DB AG (2/3 der netzbezogenen Ausgaben) finanziert, (Re-) Investitionen (Ersatzbeschaffungen und Netzerweiterungen) durch den Staat (1/3 der netzbezogenen Ausgaben; vgl. DB Mobility Networks Logistics 2014). Dies gibt der DB AG einen Anreiz, die Instandsetzung und Wartung zu minimieren und auf Verschleiß zu fahren – für den Ersatz des verschlissenen Netzes kommt ja der Steuerzahler auf.
Natürlich war die Eisenbahn schon vor der formellen Privatisierung chronisch unterfinanziert. Eine solche chronische Unterfinanzierung der Infrastruktur ist aber nicht alternativlos. Das Beispiel Hong Kong zeigt auf, wie es gehen könnte. Dort wurde 1975 die MTR Aktiengesellschaft eingerichtet. Interessant ist ihr wirtschaftliches Konzept: Die MTR fungierte nämlich nicht nur als Bahn-, sondern gleichzeitig auch als Immobiliengesellschaft. Neu angelegte Bahntrassen führen zu einer Steigerung der Bodenerträge und Bodenwerte. Da die Gesellschaft sich vorher in den Besitz der betroffenen Areale gebracht hatte, brachten die erhöhten Mieten und Pachten genügend Geld ein, um die Netzinfrastruktur zu finanzieren. Erstaunlich: Obwohl die Gesellschaft durchaus nach kommerziellen Prinzipien agierte und Gewinne machte, konnten die Ticketpreise ab 1997 für viele Jahre eingefroren werden (Harrison 2006). Das Zauberwort heißt „sich selbst finanzierende Infrastruktur“ – die MTR wandte nämlich das Henry George-Prinzip auf betriebswirtschaftlicher Ebene an. Dieses besagt, dass unter bestimmten Umständen sämtliche staatlichen Ausgaben aus den Bodenrenten finanziert werden können. Dies gilt insbesondere für die Infrastruktur, durch die umgekehrt die Bodenrenten (und Bodenwerte) erst generiert werden. Das Henry George-Theorem wurde u.a. durch Arnott / Stiglitz (1979) und Atkinson / Stiglitz (1987) formalisiert.
Das Henry George-Prinzip ist verallgemeinerbar. Es funktioniert nicht nur für den Nahverkehr, sondern auch für den Fern- und Güterverkehr: Eine bessere Schieneninfrastruktur lässt Ortschaften zusammenrücken. Wird z.B. aufgrund einer Schienenanbindung ein Eifeldorf de facto zu einem Vorort (in der Funktion einer Wohnstadt) der Metropole Köln, so steigen im Eifeldorf die Bodenwerte an. Werden zwei Großstädte miteinander verbunden, sparen beide Transportkosten ein – die Interaktionsdichte, das arbeitsteilige Zusammenwirken wird intensiver. Es ergibt für Berlin und Frankfurt einen Unterschied, ob es eine Bahnverbindung zwischen den beiden Städten gibt oder nicht. Die aufgrund der Verkehrsverbindung entstehenden Produktivitätszuwächse schlagen sich aber auch in höheren Bodenrenten und Bodenwerten nieder. Es gilt „nur“, diese Erträge konsequent abzuschöpfen.
Ein weiteres Standbein der Finanzierung sollte die verursachungsgerechte Anlastung von Ballungskosten (die zugleich externe Kosten sind) sein (Vickrey 1948). Genau genommen setzt das Henry George-Prinzip diese Anlastung sogar voraus. Wer zu Stoßzeiten und auf hoch frequentierten Strecken fährt, soll mehr bezahlen, weil er seine Zeitgenossen einschränkt. Insoweit war die Absicht des 2002 und 2003 eingeführten und gescheiterten „Preis- und Erlösmanagementsystems“ nicht verkehrt. Es wurde allerdings unter ungeeigneten Umständen sowie in unzulänglicher Weise umgesetzt. Es orientierte sich am Luftverkehr und ignorierte – bei oftmals höheren Preisen – insbesondere einen entscheidenden Aspekt: Die höhere Flexibilität des Hauptkonkurrenten Auto. Anstatt die eigene Flexibilität weiter einzuschränken, wäre eine Anlastung der Grenzballungskosten über Auktionen ideal: Bestimmte Fahrtstrecken werden dabei vom Netzbetreiber ausgeschrieben (Knieps 2002). Handelt es sich um hoch frequentierte Strecken und um Stoßzeiten, so zahlen die Eisenbahnbetreiber eine höhere Gebühr, die sie auch an die Kunden weitergeben. Dies verlangt allerdings wiederum die Trennung zwischen Netz und Betrieb sowie Wettbewerb unter den Betreibern.
Die Finanzierung über ein verallgemeinertes Henry George-Prinzip und der verursachungsgerechten Anlastung von externen Kosten entspricht auch den von Joseph E. Stiglitz (2014) propagierten Finanzierungsprinzipien für „Public Goods“. Folgte man diesen Prinzipien, ließen sich die Ticketpreise auf die sog. „Grenzkosten“ des Betriebes der Bahnen beschränken. Mit Zugtickets, die die heutigen BahnCard 50-Preise in den Schatten stellen, könnte Verkehr auf die Schiene gelenkt und diese gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig gemacht werden. Hiermit könnte auch die notwendige Verkehrswende auf den Weg gebracht werden.
Dies alles lässt sich freilich nicht stemmen, wenn man die Privatisierung öffentlich geschaffener Werte weiterhin als eine heilige Kuh behandelt. Für die Bahn sind die Folgen der Privatisierung der Bodenrente u.a. höhere, weil die Fixkosten der Infrastruktur umfassende Fahrpreise. Diese stiegen in den letzten zehn Jahren um mehr als 30 % (Bahn für alle 2012) – was viele potenzielle Fahrgäste vom Umstieg auf die Schiene abhält. Doch selbst die erhöhten Fahrpreise vermögen nicht die Kosten der Infrastruktur zu decken – deswegen wird noch der Steuerzahler zur Finanzierung herangezogen (und dessen privat geschaffene Werte über die Steuern sozialisiert).
Nun soll die Bahn nach Angaben von Spiegel Online vom 16.10.2014 eine Milliarde zusätzlich aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen (o.V. 2014). Im Gegenzug möchte der Bund strenger die Verwendung der Mittel kontrollieren. Kurzfristig richtig – wenn das aber alles gewesen sein soll, ist dies nichts als Flickschusterei.
Eine tragkräftige Bahnreform benötigt mehr. Sie sollte auf folgenden Säulen ruhen:
- Netz und Betrieb sind zu trennen. Das Schienennetz gehört in öffentliche Hand. Es ist ohne Gewinnerzielungsabsicht zu betreiben. Kein Eisenbahnunternehmen darf bevorzugt oder diskriminiert werden.
- Der Betrieb kann durch private Eisenbahnunternehmen im Wettbewerb stattfinden.
- Das Angebot an Mobilitätsleistungen sollte zu Grenzkosten erfolgen.
- Dies kann geschehen, wenn die Finanzierung der (Netz-) Infrastruktur aus abgeschöpften Bodenrenten sowie angelasteten Ballungskosten geleistet wird.
Vielleicht kommt das ja eines schönen Tages bei der Politik an. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben …
Literatur
Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, Quarterly Journal of Economics, Vol. 93 No. 4, S. 471-500.
Atkinson, A. B. / Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics. McGraw-Hill Book Co., London.
Bahn für alle (2012): Die wahre Bilanz der Deutschen Bahn – oder: Was Rüdiger Grube lieber verschweigt. Alternativer Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2011, Berlin.
DB Mobility Networks Logistics (2014): Die Finanzierung der Eisenbahn des Bundes, position paper, Berlin.
Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune, Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, The Institute of Economic Affairs, London.
Knieps, G. (2002): Knappheitsprobleme in Netzen: Was leistet die Ökonomie? Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft: Knappe Netzkapazitäten – Probleme und Lösungsstrategien in offenen Verkehrs- und Versorgungsnetzen, Reihe B, B 252, S. 7-22.
o.V. (2014): Marode Infrastruktur: Bahn erhält eine Milliarde Euro mehr fürs Schienennetz, in: Spiegel Online vom 16.10. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-kriegt-eine-milliarde-euro-mehr-fuers-schienennetz-a-997432.html
Stiglitz, J. E. (2014): Reforming Taxation to Promote Growth and Equity, White Paper, Roosevelt Institute, 28. Mai, online: http://rooseveltinstitute.org/sites/all/files/Stiglitz_Reforming_Taxation_White_Paper_Roosevelt_Institute.pdf
Vickrey, W. (1948): Some Objections to Marginal-Cost Pricing, in: The Journal of Political Economy 56, Nr. 3, S. 218-238.