Tag Archives: Finanzierung

The day after Corona: Solidarisch aus der Krise!

Dirk Löhr

Ausgangssituation

Deutschland steht still. Das Corona-Virus ist Auslöser für die schwerwiegendsten wirtschaftlichen Einschnitte seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Um das Land vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren, soll ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) errichtet werden, der 400 Mrd. Euro Staatsgarantien für Verbindlichkeiten, 100 Milliarden Euro für direkte staatliche Beteiligungen und 100 Milliarden Euro für Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vorsieht. Dabei sind auch Soforthilfen für Unternehmen in Höhe von 50 Milliarden Euro geplant. Mit allen weiteren Maßnahmen zusammen hat die Regierung mittlerweile ca. 1,35 Billionen Euro an Hilfen zugesagt, was ca. 40 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ausmacht.[1] Die schwarze Null ist Geschichte. Die Regierungskoalition möchte zunächst 156 Mrd. Euro neue Schulden machen. Das wird aber nicht alles gewesen sein. Manche Stimmen gehen davon aus, dass die Corona-Krise allein für Deutschland teurer als die deutsch-deutsche Wiedervereinigung werden wird. pension-1338231_1920

Wenn schon die einbrechenden Umsätze der Unternehmen nicht subventioniert werden sollen (dies wäre unter Einschaltung der Finanzämter möglich), muss alles darangesetzt werden, die Haushalte und Unternehmen von fixen Kosten zu entlasten. Die Regelungen der Bundesregierung waren diesbezüglich zunächst einmal zielführend. Mietrückstände aus den Monaten April bis Juni 2020 dürfen einstweilen nicht zur Kündigung führen. Allerdings müssen die Mieten bis zum 30.06.2022 nachgezahlt werden. Hier wären weitergehende Maßnahmen wünschenswert gewesen; in den kommenden Monaten wird es wohl auch noch zu einigen Gesetzesreparaturen kommen.[2] Trotz der getroffenen Maßnahmen ist aber davon auszugehen, dass der deutsche Immobilienmarkt ordentlich durcheinandergeworfen wird. Dies betrifft nicht nur Mieter. Auch viele Eigentümer werden die Schulden nicht mehr bedienen können und zum Verkauf gezwungen sein. Vorübergehend ist mit Preiseinbrüchen zu rechnen.

Der derzeitige Shutdown kann allerdings nicht über mehrere Monate durchgehalten werden; er wird in einigen Wochen wieder aufgehoben werden müssen. Wenn auch die Nachwehen über eine gewisse Zeit noch zu spüren sein werden (vor allem Arbeitslosigkeit), wird sich die Wirtschaft über kurz oder lang wieder erholen.

Nach Corona: Wie die Lasten schultern?

Wenn die Wirtschaft wieder auf die Beine kommt, werden auch die Immobilienwerte wieder ansteigen. Genauer gesagt ist der Anstieg dann vor allem auf die Bodenwerte zurückzuführen. Der Bodenwert ist ein Indikator für die konjunkturelle Lage. Diejenigen, die in der Krise billig gekauft haben, werden dann hohe Immobilien- bzw. Bodenwertzuwächse erzielen können.

Nach dem Ende der Einschränkungen wird es nicht zuletzt darum gehen, die sozialen und finanziellen Folgen der Corona-Krise solidarisch zu schultern. Eine höhere Belastung der Einkommen nach dem Vorbild des Solidaritätszuschlages würde allerdings sehr stark die Arbeitnehmer und auch Selbstständige treffen, die ohnehin unter den Folgen der Corona-Krise zu leiden haben und wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen müssen. Eine Erhöhung der Umsatzsteuer wäre zwar fiskalisch effektiv, wirkt aber in sozialer Hinsicht regressiv. Zu denken wäre auch an eine einmalige Vermögensabgabe oder eine Vermögensteuer. Dem steht aber allein schon die Komplexität bei der Vermögensbewertung im Weg. Besonders die südeuropäischen Staaten haben nicht die notwendige Finanzverwaltung hierzu. Außerdem ist die Vermögensteuer für konservative und liberale Kräfte ein „No-Go“, die an den üblichen politischen Frontlinien scheitern dürfte. Richtig an den Überlegungen zur Vermögensteuer ist jedoch, dass sie letztlich auf das Eigenkapital der Vermögensbesitzer abzielt. Die Vermögensteuer ist vom Wesen her eine Subjektsteuer, bei der Schulden als Minderungen der Leistungsfähigkeit abgezogen werden können. Das Eigenkapital ist aber letztlich das Spiegelbild der ökonomischen Leistungsfähigkeit.

„Boden-Soli“

Gesamtwirtschaftlich sind Immobilien der mit Abstand wichtigste Vermögenswert – sie machen ca. 87 % des volkswirtschaftlichen Sachvermögens aus.[3] Immobilien bestehen in der Regel aber aus zwei Wirtschaftsgütern: zum einen Grund und Boden, zum anderen das aufstehende Gebäude. Im Bundesdurchschnitt ergibt sich eine Relation zwischen den aufstehenden Gebäuden (die das Anlagevermögen dominieren) und den Grundstücken von ca. 70 % zu 30 %.[4] Was die Finanzierungsseite angeht, zeigen sich typischerweise zu Beginn einer Finanzierung ebenfalls Relationen von Fremd- zu Eigenkapital von ca. 70 % zu 30 %.[5] In einer Schichtenbetrachtung wird also das Gebäude dominant durch Fremdkapital und der Boden dominant über Eigenkapital finanziert. Diese quantitativen Entsprechungen sind kein Zufall:

  • Investitionen in Gebäude generieren Abschreibungen, welche zur Kredittilgung genutzt werden können. Die Finanzierungskonditionen sind zumeist für viele Jahre fix vereinbart.
  • Der Boden ist hingegen ein nicht abnutzbares Wirtschaftsgut, auf den keine Normalabschreibungen entfallen – genauso wenig, wie das Eigenkapital Tilgungen benötigt.
  • Der Bodenertrag stellt – wie der Gewinn aus einer Immobilie – eine Restgröße dar. Dieser Rest entsteht, nachdem aus den Einnahmen die überwiegend fixen sonstigen Kosten bezahlt wurden.

Die nachfolgende Abbildung stellt dies noch einmal im Überblick dar.

Sonderopfer Boden

Kommt es nach Ablauf der Corona-Krise wieder zu einer Erholung, werden die Immobilienerträge und Immobilienpreise wieder ansteigen. Dies ist dann aber v.a. auf die ansteigenden Bodenerträge zurückzuführen, weil die auf den Boden entfallenden residualen Erträge steigen.[6] Dies wirkt sich dann auch auf die Bodenwerte entsprechend aus.

Aus diesem Grunde bietet es sich an, die Bodenerträge zur Finanzierung der Folgelasten der Corona-Krise wenigstens für einen begrenzten Zeitraum über eine solidarische Bodenwertabgabe abzuschöpfen. Durch einen solchen „Boden-Soli“ wird aufgrund der o.a. dargestellten typischen Finanzierungskonstellation primär das Eigenkapital der Immobilieneigentümer herangezogen. Eine Belastung von Arbeit und Investitionen sowie des Verbrauchs, welche die wirtschaftliche Erholung bremsen könnten, wäre hingegen für die wirtschaftliche Erholung kontraproduktiv. Durch einen Boden-Soli tragen v.a. diejenigen zu den Finanzierungslasten bei, die ansonsten passiv – ohne eigenes Zutun – von einer wirtschaftlichen Erholung wieder profitieren würden.

Ein solcher Boden-Soli könnte in einer Höhe von 1 % auf den Bodenwert festgesetzt werden. Bei einem Bodenwert von aktuell ca. 5.000 Mrd. Euro in Deutschland[7] wäre damit die Pandemie-bedingte Neuverschuldung i.H.v. ungefähr 150 Mrd. Euro in 3,5 Jahren abzutragen, wenn es sich um eine rein deutsche Abgabe handeln würde.

Solidarität mit den europäischen Partnern

Allerdings ist nicht nur Deutschland betroffen, sondern ganz Europa – v.a. Italien und Spanien. Doch die finanzielle Solidarität fällt schwer. Insbesondere von den Nord-Staaten wird eine Corona-Anleihe („Corona-Bonds“) abgelehnt; es wird befürchtet, dass dies ein Einfallstor für die Vergemeinschaftung weiterer Schulden darstellen könnte.[8] Auf der anderen Seite könnte sich die Krise für die europäische Idee als existenzgefährdend erweisen, wenn den schwächeren Staaten die Solidarität verweigert wird. Vorzugswürdig wäre es daher, die Bodenwertabgabe in einen europäischen Sonderfonds fließen zu lassen. Die Mittel aus diesem Sonderfonds könnten an die verschiedenen europäischen Länder nach einem Schlüssel verteilt werden, der sich an der Einwohnerzahl und der Betroffenheit durch die Corona-Epidemie orientiert.[9]

In Ländern wie Deutschland wäre die Abgabe technisch relativ einfach durchzuführen. In Deutschland sind nach § 196 Abs. 1 S. 1 BauGB flächendeckend Bodenrichtwerte festzustellen. In anderen Ländern, die kein ausgebautes Gutachterausschusswesen haben, könnte ein Fiskalregister erstellt werden. Dabei erfolgen entweder Bodenrichtwerterhebungen auf statistischer Grundlage oder es findet eine grobe Richtwertermittlung auf Basis von Lageklassen statt.[10] Nachrangig und ergänzend könnte ebenfalls eine Selbstveranlagung der Grundstückseigentümer unter der Maßgabe erfolgen, dass die öffentliche Hand ein Vorkaufsrecht zu dem vom Eigentümer angegebenen Bodenwert ausüben darf. Bei entsprechendem politischen Willen und genügend politischer Entschlossenheit könnten sich die betreffenden Maßnahmen innerhalb von wenigen Monaten durchführen lassen. Zu einer Auszahlung aus dem europäischen Sonderfonds kommt es nur dann, wenn das betreffende Land vorher die von der EU geforderten Einzahlungen auf Grundlage des Fiskalregisters geleistet hat. Dieses muss zuvor von der EU offiziell akzeptiert worden sein.

Kehrtwende?

Die Corona-Krise hat die Länder mit einem schwachen öffentlichen Gesundheitswesen am stärksten getroffen. Vor allem hier wurden die Bodenerträge in der Vergangenheit weitestgehend privatisiert, anstatt sie – i.S. des Henry-George-Prinzips[11] – für die Bereitstellung öffentlicher Leistungen wenigstens teilweise abzuschöpfen. Die Folgen der Pandemie betreffen aber viele Länder.

Vor allem asiatische Staaten haben gezeigt, wie die Bekämpfung des Virus und seiner ökonomischen und sozialen Folgen funktionieren könnte. Zu erwähnen ist hier insbesondere Singapur. Der Stadtstaat ist zwar in politischer Hinsicht nur sehr bedingt ein Vorbild; er zeigt jedoch, dass öffentliche Bereitstellungsleistungen in auskömmlicher Weise erbracht werden können, wenn nur die Bodenerträge als Finanzierungsquelle genutzt werden.

 

Anmerkungen

[1] Focus (2020): 750 Milliarden Euro! Das ist die Corona-Quittung, die Deutschland jetzt zahlt, 26. März. Online: https://www.focus.de/finanzen/boerse/konjunktur/bund-und-laender-versprechen-massive-hilfen-750-milliarden-euro-das-ist-die-corona-quittung-die-deutschland-jetzt-zahlt_id_11813526.html. Ettel, A. und Zschäpitz, H. (2020): Das 9,2-Billionen-Euro-Experiment. Welt, 26. März. Online: https://www.welt.de/finanzen/article206802607/Regierungen-Fed-und-EZB-stellen-9-2-Billionen-Euro-bereit.html.

[2] Haufe (2020): Vorerst keine Kündigung bei Corona-bedingten Mietschulden. 27. März. Online: https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/mietenmoratorium-gesetzgeber-reagiert-auf-corona-krise_84342_512414.html.

[3] Destatis (2019): Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1999 – 2018, Wiesbaden, Tab. S1 + S11. Online: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Publikationen/_publikationen-innen-vermoegensrechnung.html, eigene Berechnungen.

[4] S. Fn. 3.

[5] M. Jäger, M. Voigtländer (2006): Immobilienfinanzierung – Hypothekenmärkte und ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln, S. 30; BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Auswirkungen von Basel III auf die Immobilienfinanzierung in Deutschland. BBSR-Online-Publikation 09/2014, Bonn, September 2014, S. 13.

[6] Knoll K., Schularick M., Steger T. (2017): No Price like Home: Global House Prices, 1870-2012. American Economic Review 107: 331 – 353.

[7] Vgl. Fn. 3.

[8] Süddeutsche Zeitung (2019): Heftiger EU-Streit über Coronabonds, 29. März. Online: https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-heftiger-eu-streit-ueber-corona-bonds-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200329-99-513011.

[9] Vgl. Harrison F. und Löhr, D. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe. Wirtschaftsdienst 93, S. 702 – 709. – Eigentlich ist eine Bodenwertabgabe genuin eine kommunale Abgabe; dennoch kann sie auch dazu dienen, übergeordnete staatliche Stellen mit zu finanzieren.

[10] Ein grobes Verfahren zur Ermittlung von Bodenrichtwerten könnte folgendermaßen aussehen, wenn kein Gutachterausschusswesen zur Feststellung von Bodenrichtwerten existiert: Es wird ein Komitee mit Sachverständigen und Ortskundigen eingesetzt. Dieses unterteilt eine Kommune in eine überschaubare Anzahl von Lageklassen (ländliche Kommunen mit niedrigen Bodenwerten haben vielleicht ein bis drei Lageklassen, in Großstädten gibt es vielleicht zehn davon). Es wird ein generalisiertes, durchschnittliches Bodenrichtwertniveau für eine Durchschnittslage (Mediancharakter) geschätzt. Jeder Lageklasse wird daraufhin eine Lagekennzahl zugewiesen, welche die Wertigkeit in Relation zur Durchschnittslage festlegt. Transaktionen werden statistisch erfasst und in der Folge die Bodenrichtwertermittlung sukzessive verfeinert. S. ähnlich Empirica (2019): Reform der Grundsteuer – zoniertes Bodenwertmodell statt eierlegender Wollmilchsau, empirica-Paper Nr. 249. Online: https://www.empirica-institut.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen_Referenzen/PDFs/empi249rb.pdf

[11] Vgl. Arnott, R. J. und Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size. Quarterly Journal of Economics 93, S. 471-500.

Bahn kriegt mehr Staatsknete

Dirk Löhr

Nein, diesmal geht es nicht um den Lokführerstreik – hier war das Unternehmen Zukunft ausnahmsweise unschuldig. Dennoch es geht um gute alte – abwesende – Bekannte: Sicherheit und Pünktlichkeit. Denn besser wettet man hierzulande auf ein Pferd als auf einen pünktlichen Zug. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die verfallene Infrastruktur, das heruntergekommene Netz. Der Investitionsrückstau dürfte schon ca. 30 Mrd. Euro betragen. 1300 der insgesamt 25.000 Eisenbahnbrücken in Deutschland sind sanierungsbedürftig (o.V. 2014).

Eisenbahnbrücke in Werdohl (Foto: Frank Vincentz)
Eisenbahnbrücke in Werdohl (Foto: Frank Vincentz)

In verschiedenen Beiträgen (z.B. “Gewinne und Renten: Die deutsche Bahn auf dem Abstellgleis“) haben wir Gründe hierfür genannt. So wird in Deutschland wird die Wartung des Netzes durch die DB AG (2/3 der netzbezogenen Ausgaben) finanziert, (Re-) Investitionen (Ersatzbeschaffungen und Netzerweiterungen) durch den Staat (1/3 der netzbezogenen Ausgaben; vgl. DB Mobility Networks Logistics 2014). Dies gibt der DB AG einen Anreiz, die Instandsetzung und Wartung zu minimieren und auf Verschleiß zu fahren – für den Ersatz des verschlissenen Netzes kommt ja der Steuerzahler auf.

Natürlich war die Eisenbahn schon vor der formellen Privatisierung chronisch unterfinanziert. Eine solche chronische Unterfinanzierung der Infrastruktur ist aber nicht alternativlos. Das Beispiel Hong Kong zeigt auf, wie es gehen könnte. Dort wurde 1975 die MTR Aktiengesellschaft eingerichtet. Interessant ist ihr wirtschaftliches Konzept: Die MTR fungierte nämlich nicht nur als Bahn-, sondern gleichzeitig auch als Immobiliengesellschaft. Neu angelegte Bahntrassen führen zu einer Steigerung der Bodenerträge und Bodenwerte. Da die Gesellschaft sich vorher in den Besitz der betroffenen Areale gebracht hatte, brachten die erhöhten Mieten und Pachten genügend Geld ein, um die Netzinfrastruktur zu finanzieren. Erstaunlich: Obwohl die Gesellschaft durchaus nach kommerziellen Prinzipien agierte und Gewinne machte, konnten die Ticketpreise ab 1997 für viele Jahre eingefroren werden (Harrison 2006). Das Zauberwort heißt „sich selbst finanzierende Infrastruktur“ – die MTR wandte nämlich das Henry George-Prinzip auf betriebswirtschaftlicher Ebene an. Dieses besagt, dass unter bestimmten Umständen sämtliche staatlichen Ausgaben aus den Bodenrenten finanziert werden können. Dies gilt insbesondere für die Infrastruktur, durch die umgekehrt die Bodenrenten (und Bodenwerte) erst generiert werden. Das Henry George-Theorem wurde u.a. durch Arnott / Stiglitz (1979) und Atkinson / Stiglitz (1987) formalisiert.

Das Henry George-Prinzip ist verallgemeinerbar. Es funktioniert nicht nur für den Nahverkehr, sondern auch für den Fern- und Güterverkehr: Eine bessere Schieneninfrastruktur lässt Ortschaften zusammenrücken. Wird z.B. aufgrund einer Schienenanbindung ein Eifeldorf de facto zu einem Vorort (in der Funktion einer Wohnstadt) der Metropole Köln, so steigen im Eifeldorf die Bodenwerte an. Werden zwei Großstädte miteinander verbunden, sparen beide Transportkosten ein – die Interaktionsdichte, das arbeitsteilige Zusammenwirken wird intensiver. Es ergibt für Berlin und Frankfurt einen Unterschied, ob es eine Bahnverbindung zwischen den beiden Städten gibt oder nicht. Die aufgrund der Verkehrsverbindung entstehenden Produktivitätszuwächse schlagen sich aber auch in höheren Bodenrenten und Bodenwerten nieder. Es gilt „nur“, diese Erträge konsequent abzuschöpfen.

Ein weiteres Standbein der Finanzierung sollte die verursachungsgerechte Anlastung von Ballungskosten (die zugleich externe Kosten sind) sein (Vickrey 1948). Genau genommen setzt das  Henry George-Prinzip diese Anlastung sogar voraus. Wer zu Stoßzeiten und auf hoch frequentierten Strecken fährt, soll mehr bezahlen, weil er seine Zeitgenossen einschränkt. Insoweit war die Absicht des 2002 und 2003 eingeführten und gescheiterten „Preis- und Erlösmanagementsystems“ nicht verkehrt. Es wurde allerdings unter ungeeigneten Umständen sowie in unzulänglicher Weise umgesetzt. Es orientierte sich am Luftverkehr und ignorierte – bei oftmals höheren Preisen – insbesondere einen entscheidenden Aspekt: Die höhere Flexibilität des Hauptkonkurrenten Auto. Anstatt die eigene Flexibilität weiter einzuschränken, wäre eine Anlastung der Grenzballungskosten über Auktionen ideal: Bestimmte Fahrtstrecken werden dabei vom Netzbetreiber ausgeschrieben (Knieps 2002). Handelt es sich um hoch frequentierte Strecken und um Stoßzeiten, so zahlen die Eisenbahnbetreiber eine höhere Gebühr, die sie auch an die Kunden weitergeben. Dies verlangt allerdings wiederum die Trennung zwischen Netz und Betrieb sowie Wettbewerb unter den Betreibern.

Die Finanzierung über ein verallgemeinertes Henry George-Prinzip und der verursachungsgerechten Anlastung von externen Kosten entspricht auch den von Joseph E. Stiglitz (2014) propagierten Finanzierungsprinzipien für „Public Goods“. Folgte man diesen Prinzipien, ließen sich die Ticketpreise auf die sog. „Grenzkosten“ des Betriebes der Bahnen beschränken. Mit Zugtickets, die die heutigen BahnCard 50-Preise in den Schatten stellen, könnte Verkehr auf die Schiene gelenkt und diese gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig gemacht werden. Hiermit könnte auch die notwendige Verkehrswende auf den Weg gebracht werden.

Dies alles lässt sich freilich nicht stemmen, wenn man die Privatisierung öffentlich geschaffener Werte weiterhin als eine heilige Kuh behandelt. Für die Bahn sind die Folgen der Privatisierung der Bodenrente u.a. höhere, weil die Fixkosten der Infrastruktur umfassende Fahrpreise. Diese stiegen in den letzten zehn Jahren um mehr als 30 % (Bahn für alle 2012) – was viele potenzielle Fahrgäste vom Umstieg auf die Schiene abhält. Doch selbst die erhöhten Fahrpreise vermögen nicht die Kosten der Infrastruktur zu decken – deswegen wird noch der Steuerzahler zur Finanzierung herangezogen (und dessen privat geschaffene Werte über die Steuern sozialisiert).

Nun soll die Bahn nach Angaben von Spiegel Online vom 16.10.2014 eine Milliarde zusätzlich aus Steuermitteln zur Verfügung gestellt bekommen (o.V. 2014). Im Gegenzug möchte der Bund strenger die Verwendung der Mittel kontrollieren. Kurzfristig richtig – wenn das aber alles gewesen sein soll, ist dies nichts als Flickschusterei.

Eine tragkräftige Bahnreform benötigt mehr. Sie sollte auf folgenden Säulen ruhen:

  • Netz und Betrieb sind zu trennen. Das Schienennetz gehört in öffentliche Hand. Es ist ohne Gewinnerzielungsabsicht zu betreiben. Kein Eisenbahnunternehmen darf bevorzugt oder diskriminiert werden.
  • Der Betrieb kann durch private Eisenbahnunternehmen im Wettbewerb stattfinden.
  • Das Angebot an Mobilitätsleistungen sollte zu Grenzkosten erfolgen.
  • Dies kann geschehen, wenn die Finanzierung der (Netz-) Infrastruktur aus abgeschöpften Bodenrenten sowie angelasteten Ballungskosten geleistet wird.

Vielleicht kommt das ja eines schönen Tages bei der Politik an. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben …

 

Literatur

Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, Quarterly Journal of Economics, Vol. 93 No. 4, S. 471-500.

Atkinson, A. B. / Stiglitz, J. E. (1987): Lectures on Public Economics. McGraw-Hill Book Co., London.

Bahn für alle (2012): Die wahre Bilanz der Deutschen Bahn – oder: Was Rüdiger Grube lieber verschweigt. Alternativer Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2011, Berlin.

DB Mobility Networks Logistics (2014): Die Finanzierung der Eisenbahn des Bundes, position paper, Berlin.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune, Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, The Institute of Economic Affairs, London.

Knieps, G. (2002): Knappheitsprobleme in Netzen: Was leistet die Ökonomie? Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft: Knappe Netzkapazitäten – Probleme und Lösungsstrategien in offenen Verkehrs- und Versorgungsnetzen, Reihe B, B 252, S. 7-22.

o.V. (2014): Marode Infrastruktur: Bahn erhält eine Milliarde Euro mehr fürs Schienennetz, in: Spiegel Online vom 16.10. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-kriegt-eine-milliarde-euro-mehr-fuers-schienennetz-a-997432.html

Stiglitz, J. E. (2014): Reforming Taxation to Promote Growth and Equity, White Paper, Roosevelt Institute, 28. Mai, online: http://rooseveltinstitute.org/sites/all/files/Stiglitz_Reforming_Taxation_White_Paper_Roosevelt_Institute.pdf

Vickrey, W. (1948): Some Objections to Marginal-Cost Pricing, in: The Journal of Political Economy 56, Nr. 3, S. 218-238.