Category Archives: Sustainable Economic Order

Grundsteuerreform in Frontal 21 – Stimmungsmache statt Journalismus

Dirk Löhr

Suggestivjournalismus vom Feinsten im ZDF-Politikmagazin Frontal 21 vom 22.08.2023. In einem Beitrag von Andreas Halbach „Chaos um die Grundsteuer – Ungerecht und teuer?“ wird durch eine Aneinanderkettung von Halbwahrheiten und Auslassungen Stimmung gegen die neue Grundsteuer gemacht.

Die Neuregelungen wurden erforderlich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die von 1964 (Westen) und 1935 (Osten) stammenden Einheitswerte zur Bemessung der Grundsteuer in seinem wegweisenden Urteil vom 10.04.2018 als verfassungswidrig erkannt hatte: Diese hat weder in ihrer Höhe noch in ihrer Struktur noch irgendetwas mit den Verkehrswerten zu tun.

Vorausgeschickt werden muss, dass einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Hamburg) von einer grundgesetzlichen Öffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die es erlaubt, vom Bundesgrundsteuergesetz auch in umfassender Weise abzuweichen.

Gemeinsam ist den Gesetzen in allen Bundesländern, dass sich an der bisherigen Struktur der Grundsteuer nichts ändert: Auf die Bemessungsgrundlage (die je nach Steuergesetz anders ausfallen kann) werden Steuermesszahlen angelegt, die gesetzlich vorgegeben sind. Das Ergebnis ist der Grundsteuermessbetrag. Auf diesen legen die Kommunen nun den Hebesatz an.

Die Kommunen sind gehalten, die Umstellung auf die neue Grundsteuer möglichst aufkommensneutral vorzunehmen. Wenn also die Bemessungsgrundlage um das 10-fache steigt, wäre der Hebesatz entsprechend zu verringern. Die Kritik, dass der damalige Kanzler Scholz ein entsprechendes Versprechen niemals hätte geben dürfen, ist berechtigt – denn zuständig für die Festsetzung der Hebesätze sind die Gemeinden. Lediglich das Land Niedersachsen hat die Aufkommensneutralität bei der Umstellung auf das neue Recht gesetzlich verankert (§ 7 NGrStG).

Richtig ist ebenfalls, dass viele Kommunen sich wahrscheinlich nicht an das Postulat der Aufkommensneutralität halten werden. Absehbar werden viele Kommunen die Systemumstellung für eine Steigerung der Einnahmen nutzen, da einerseits gewisse Unsicherheiten bezüglich der Einnahmen im neuen System bestehen und zweitens ein erheblicher Teil der Kommunen auch finanziell überlastet ist. Letzteres ist aber unabhängig von der Grundsteuerreform zu sehen: Das eigentliche Problem, das von Halbach auch beschrieben wird, ist die Verletzung des sog. Konnexitätsprinzips. Bund und Länder weisen den Kommunen immer mehr Aufgaben zu, ohne aber die Finanzierung sicherzustellen. Halbach verweist beispielhaft anhand der Stadt Übach-Palenberg in NRW auf den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in Grundschulen ab 2026 oder die einzurichtenden Flüchtlingsunterkünfte. Die Kommunen sind unabhängig vom Grundsteuersystem darauf angewiesen, die Hebesätze zu erhöhen, wenn sie die Finanzierung dieser zugewiesenen Aufgaben sicherstellen wollen. Dies wird bei (fast) jedem Grundsteuermodell passieren und wäre im Übrigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei einer Fortgeltung des alten Grundsteuersystems erfolgt.

Insoweit ist nichts an dem Beitrag auszusetzen.

Ärgerlich ist etwas anderes: So bemüht sich Halbach gleich zu Beginn, die Volksseele mit dem Beispiel des Freiburger Grundstückseigentümers Norbert Stalter zum Kochen zu bringen. Hierbei schürt er in unverantwortlicher Weise bestehende Ängste in der Bevölkerung im Wesentlichen. Dabei hat er insbesondere wertbasierte Grundsteuermodelle im Visier, wie sie mit der Bundesgrundsteuer sowie dem Bodenwertmodell in Baden-Württemberg verfolgt werden. Freiburg liegt bekanntlich in Baden-Württemberg, wo künftig nur der Bodenwert – ohne das aufstehende Gebäude – besteuert wird. Dem Eigentümer Stalter aus Freiburg gehört nun ein 2.500 qm großes Grundstück im Süden der Stadt mit einem Bodenrichtwert von 1.050 Euro pro qm. Der Bodenwert des gesamten Grundstücks dürfte hiernach ca. 2,6 Mio. Euro betragen. Stalter hatte des Grundstück lt. dem Bericht Ende der 80er Jahre gekauft. Zum damaligen Zeitpunkt dürfte der Bodenwert nur einen Bruchteil des heutigen Wertes betragen haben. Hätten sich die Bodenwerte wie im Rest der Republik entwickelt, wären Stalter über 2 Mio. Euro „einfach so“, ohne weiteres Zutun zugewachsen. Wahrscheinlich dürften es aber mehr gewesen sein, da sich die Bodenwerte in den aufstrebenden Städten im Süden der Republik mit einer überdurchschnittlichen Dynamik entwickelten. „Gemacht“ hat den Bodenwertzuwachs allerdings nicht Herr Stalter, sondern die Allgemeinheit, nämlich v.a. über technische, soziale und institutionelle Infrastruktur, die über Steuermittel finanziert wurden. Herr Stalter findet es aber ungerecht, dass er fortan einen möglicherweise mehr von den ihm durch anderer Leute Arbeit zugefallenen Werten an die Allgemeinheit zurückgeben muss. Genau dies ist aber der Sinn der Bodenwertsteuer, da eben nicht der Eigentümer des Bodens dessen Wert „gemacht“ hat – im Unterschied zu den Bauten, die sich auf dem Grundstück befinden und die nicht der Besteuerung unterliegen. Der Eigentümer klagt dabei, dass die Grundsteuer sich von 433 Euro jährlich nun auf über 14.000 Euro erhöhen würde. Dies würde allerdings nur dann stimmen, wenn der zukünftige, ab 2025 geltende Hebesatz vollkommen unverändert belassen würde – diesen kann aber weder Herr Halbach noch der Eigentümer derzeit kennen. Tatsächlich dürften die Hebesätze vor allem in hochpreisigen Gebieten jedoch erheblich abgesenkt werden. Die Milchmädchenrechnung des Eigentümers wird durch Halbach aber durch keinen Einwand relativiert. Lediglich gegen Ende des Beitrages wird auf einmal außerhalb des o.a. Kontextes bemerkt „Kommt es in Extremfällen so wie in Freiburg zu einer Senkung der Hebesätze …“. Die Absenkung der Hebesätze wird jedoch nicht in Extremfällen, sondern regelmäßig stattfinden. Lediglich in ländlich strukturierten Kommunen mit geringen Bodenwerten und folglich geringen Änderungen des Steuermessbetrages wird dies in geringerem Umfang der Fall sein.

Der Eigentümer lamentiert weiter, dass ein Teil seines Grundstücks aufgrund von Wegerechten etc. nur eingeschränkt nutzbar sei und er daher zu hoch besteuert würde. Wenn dies so ist, würde dies die o.a. Aussage bezüglich der 2,6 Mio. Euro relativieren. Doch wieder wird von Halbach mit keinem Wort erwähnt, dass er gem. § 38 Abs. 4 des Landesgrundsteuergesetzes Baden-Württemberg ein Gutachten beibringen könnte, in dem er die Wertbeeinträchtigung darlegt.

Halbach interviewt stattdessen – um seine Aussagen zu bekräftigen – noch einen Vermieter. Und wieder dieselbe unseriöse Suggestion: Wenn die Hebesätze unverändert blieben, käme es zu einer Verzehnfachung der Grundsteuerlast, welche die Vermietung fortan unmöglich machen würde. Die Grundsteuerlast von 225 Euro pro Mieter und Monat (!) wäre nämlich untragbar. Und für das Privatgrundstück des Vermieters (800 qm) würde die Grundsteuer um das 80-fache auf 6.800 Euro pro Jahr steigen. Noch einmal: Die Hebesätze werden aber nicht unverändert bleiben. Es wird ebenfalls nicht erwähnt, dass die Bodenwertsteuer auf lange Sicht schlechter als andere Grundsteuermodelle wirtschaftlich auf die Mieter umlegbar sind. Genauso wenig, dass es gewichtige Stimmen gibt, welche eine Umlage der Bodenwertsteuer auf die Mieter für rechtswidrig halten (dies wird allerdings noch gerichtlich auszufechten sein). Weiß Herr Halbach das alles nicht oder will er es nicht wissen?

Halbach interviewt noch einen Wirtschaftsprüfer, der angibt, dass es bei der Bodenwertsteuer insbesondere für Ein- und Zweifamilienhäuser teurer wird. Dies ist – ungeachtet der verquasten Argumentation des Wirtschaftsprüfers – zwar grundsätzlich richtig, aber es geht nicht, wie hier suggeriert, um tausende von Prozenten. Hierzu gibt es tiefgehende Belastungsverschiebungsrechnungen aus verschiedenen Quellen (s. die vertiefende Literatur im Anhang dieses Artikels), die freilich von Halbach mit keinem Wort erwähnt werden. Der Autor dieser Zeilen hat selber Belastungsverschiebungsrechnungen vorgenommen, und diese u.a. in verschiedenen Landesfinanzministerien vorgestellt bzw. diesen Einblick gewährt. Ergebnis: Bei Aufkommensneutralität wird es für die Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern moderat teurer werden – es geht hier bei höheren Bodenrichtwertniveaus um Beträge von vielleicht 50 bis 100 Euro pro Jahr. Allerdings ist dies auch so gewünscht, da diese Bauweisen besonders viel Fläche in Anspruch nehmen, die dann für die Schaffung von Wohnraum insbesondere in Ballungsräumen fehlt. Es soll ja ein sanfter Druck auf mehr Flächeneffizienz vorgenommen werden. In niedrigpreisigen, peripheren Gegenden sind hingegen die Mehrbelastungen sehr überschaubar. Auch zu diesen Aspekten kein Wort von Halbach.

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Grundsteuer einen weiten Spielraum zugestanden. Geht der Gesetzgeber folgerichtig vor, so ist eine Verschiebung der Steuerlast zwischen den Steuerpflichtigen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gerade ein Gebot für eine neue Grundsteuer. Ansonsten hätte sich das Bundesverfassungsgericht sein Urteil sparen und alles beim Alten lassen können.

Halbach interviewt in seiner offenbar bestehenden Absicht, die Grundsteuerreform zu skandalisieren, auch nur die Verlierer der Reform. Die vielen Gewinner, die diesen bei Aufkommensneutralität gegenüberstehen müssen, werden hingegen nicht benannt. Die Verlierer sind bei wertbezogenen Bemessungsgrundlagen (Bundesgrundsteuermodell und Bodenwertsteuer Baden-Württemberg) aber v.a. vermögensstarke Haushalte, die Gewinner sind eher vermögensschwache Eigentümer und Mieter, die in eher kompakten Behausungen leben.

Im Übrigen dürfte für den Laien auch nicht klar hervorgehen, worauf sich die Aussagen einiger Interviewpartner überhaupt beziehen. Florian Köbler von der deutschen Steuergewerkschaft spricht von 5 Millionen Einsprüchen gegen die Festsetzung des Steuermessbetrages. Unklar bleibt, welche Modelle von dieser Aussage umfasst sind und in welchem Maße. Hans-Joachim Beck, ehemaliger Vorsitzender des Finanzgerichts Berlin und nunmehr für den Immobilienlobbyverband IVD tätig, beklagt die Mängel des – ja welchen? – Gesetzes. Offenbar ist das Bundesmodell gemeint.  Dies alles wird jedoch ohne Abgrenzung und quasi “in einem Atemzug” mit den oben dargestellten (unhaltbaren) Vorwürfen gegen das Bodenwertmodell vorgebracht.

Die Auflistung der Mängel, Fehler und Auslassungen im Beitrag von Halbach könnte fortgesetzt werden. Frontal 21 hat in der Vergangenheit auch über das Thema Grundsteuerreform durchaus kritisch und zugleich kompetent berichtet. Der Beitrag von Halbach ist diesbezüglich leider ein journalistischer Tiefpunkt; er diskreditiert auch Halbachs eigene, bislang sehr verdienstvolle Arbeit. Der Applaus vieler Interessensgruppen, die von Haus & Grund und andere Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft, den Steuerzahlerbund bis hin zur AfD reichen, dürfte ihm sicher sein. Mit Stolz sollte ihn das nicht erfüllen. Hoffentlich war der Beitrag nur ein Ausreißer. Fehler macht schließlich jeder, und einen Schuss sollte jeder frei haben. Vielleicht hat Halbach ja die Größe, sich selbst zu korrigieren.

Zur Vertiefung (Beispiele):
R. Henger, T. Schäfer (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer. IW-Policy Paper Nr. 32, 14.10. Online: https://www.iwkoeln.de/studien/ralph-henger-thilo-schaefer-mehr-boden-fuer-die-grundsteuer.html;

D. Löhr (2023): Impacts of Property Taxes on Planning and Settlement Development – Germany as a Living Lab. Modern Economy 14 (3). Online: https://scirp.org/(S(czeh2tfqyw2orz553k1w0r45))/journal/paperinformation.aspx?paperid=123605

Wegweisendes Urteil gegen den Flächenfraß

Dirk Löhr

Die Baulandkommission hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert, als sie in ihrem Abschlussbericht 2019 trotz der im Raum stehenden Europarechtswidrigkeit empfahl, § 13b BauGB befristet zu verlängern. § 13b BauGB erlaubt den Kommunen, Bebauungspläne in einem beschleunigten Verfahren unter Außerachtlassung der durch EU-Recht vorgeschriebenen Umweltprüfungen zu erlassen. Der Sinn der Vorschrift war, eine schnellere Reaktion auf einen steigenden Bedarf nach Wohnraum zu ermöglichen, wie man ihn häufig in den Ballungsräumen infolge von Zuzügen stattfindet. Tatsächlich wurde § 13b BauGB aber offenbar intensiv v.a. von kleineren, ländlichen Gemeinden ohne angespannte Wohnungsmärkte genutzt. Dies ist auch verständlich, wenn man sich die dortige enge Haushalts- und Personalsituation vor Augen hält. Viele größere Kommunen verzichteten hingegen freiwillig auf die Anwendung von § 13b BauGB. Die Verlängerung von §13b BauGB wurde dann mit dem Baulandmobilisierungsgesetz 2021 beschlossen.

Nun stellte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem Urteil (BverwG 4CN 3.22 – Urt. vom 18. Juli 2023) fest, dass § 13B BauGB europarechtswidrig ist und gab damit einer Klage des BUND gegen eine §13b-Bebauung statt. Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung überplant werden. § 13b BauGB darf wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. 

Das Urteil könnte erhebliche Auswirkungen auf die Flächenneuinanspruchnahme gerade in ländlich strukturierten Gebieten haben.

Hintergründe:

A.-M. Buchmann (2023): BUND-Klage stoppt §13b-Bebauung: Neue Schranke für den Flächenfraß? agrarheute vom 20.08. Online: https://www.agrarheute.com/management/recht/bund-klage-stoppt-13b-bebauung-neue-schranke-fuer-flaechenfrass-610146

Haufe Online-Redaktion (2023): BVerwG: § 13b BauGB nicht mit Europarecht vereinbar. News 19.07. Online: https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/grosse-regionale-unterschiede-bei-flaechenverbrauch-in-deutschland_84342_347216.html

Niger: Opfer des Ressourcenfluchs

Dirk Löhr

Im Juli hatten die Militärs im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum gestürzt. Der westafrikanische Staatenbund ECOWAS verhängte daraufhin am 30. Juli Sanktionen gegen den Niger und setzte dem neuen Regime eine Frist, um den Präsidenten binnen einer Woche wieder einzusetzen – ansonsten erwäge man eine Militärintervention. Die Frist verstrich einstweilen folgenlos. Letzteres wohl auch deshalb, weil das Putschistenregime Beistand von den ebenfalls durch Militärs geführte Nachbarländern Mali und Burkina Faso bekam. Zwar zählt das Militär in Niger nur wenige tausend Soldaten. Wegen der offenbar vorhandenen Unterstützung der neuen Machthaber durch die besagten Nachbarländer und auch weiter Teile der Bevölkerung ist aber abzusehen, dass in Westafrika bei einem Einmarsch ein Flächenbrand entstehen könnte.

Zumal die ECOWAS vom demokratischen und westlich orientierten Nigeria angeführt wird, zeichnet man auch hierzulande gerne das Bild eines Kampfes der Demokratie gegen den Totalitarismus . Die Hintergründe werden selten dargestellt (Negativbeispiel ZDF). Die ECOWAS-Staaten – wie auch Niger vor dem Putsch – sind westlich orientiert. Mali und Burkina Faso haben sich mittlerweile Russland zugewandt. Vieles spricht dafür, dass der Niger denselben Weg geht.

Worum geht es wirklich? Im Vordergrund solcher Konflikte stehen regelmäßig zwei Aspekte: Geostrategie und Rohstoffe. „Demokratie“ ist hingegen das Märchen, um die westliche Öffentlichkeit bei Laune zu halten.

Geostrategie: Für die USA ist der Niger eine wichtige Militärbasis mitten in der Sahelzone, über die auch in die Nachbarländer hinein Kontrolle ausgeübt werden kann. Im Niger haben die USA mit der Air Base 201 eine ihrer größten und wichtigsten Drohnenbasen. Obwohl für die USA also ziemlich viel auf dem Spiel steht, halten sie sich bislang erstaunlich zurück. Bislang versuchen sie offensichtlich, ihre Interessen (u.a. über Victoria Nuland – “Fuck the EU“) auf dem Verhandlungsweg zu wahren.

Rohstoffe: Nicht so Frankreich. Frankreich geht es in erster Linie um das Uran: Mehr als ein Viertel des Nachschubs kam zuletzt aus dem Niger. Würden diese Lieferungen wegfallen, bedeutete dies eine essentielle Gefahr für die wirtschaftliche und politische Stabilität in unserem Nachbarland. Weniger bekannt ist, dass der Niger auch über enorme Erdölreserven verfügt. Schätzungen belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Barrel. Schließlich gibt es auch reichhaltige Goldvorkommen. Es verwundet daher nicht, dass auch Frankreich mehr oder weniger unverhohlen mit dem Säbel (in Gestalt der Fremdenlegion) rasselt. In den hiesigen Nachrichtensendungen hört man hierüber freilich wenig – die Frauenfußball-WM scheint wichtiger zu sein.

Von seinem Ressourcenreichtum hat der Niger indessen nicht profitiert. Das Land ist ein typisches Beispiel für den Ressourcenfluch: Die rohstoffreichsten Länder haben die ärmste Bevölkerung. Von 192 Ländern nimmt der Niger Position 187 ein, mit einem BIP pro Kopf von 1.310 Dollar (zum Vergleich Deutschland: 51.238 Dollar). Die Unterentwicklung ist dabei das Resultat einer Überausbeutung. Wie fast alle Länder in der Region ist auch der Niger eine ehemalige französische Kolonie. Die Entlassung in die Unabhängigkeit geschah um den Preis sehr ungleicher Handelsverträge, die Frankreich das Recht gab, Rohstoffe zu einem deutlich unter dem Weltmarkt liegenden Preis zu beziehen. Die Terms of Trade befanden sich daher von Anfang an in einer gewaltigen Schieflage. Soweit das Land überhaupt von den Rohstoffen profitierte, ging das Geld an die einheimischen Eliten.

Ein Übriges tut dann noch der Franc CFA, eine von der französischen Nationalbank gesteuerte Währung für die ehemaligen Kolonien. Diese ist mit dem Euro fest verbunden – dies macht die ehemaligen Kolonien mit 150 Millionen Menschen zu heimlichen Euro-Mitgliedern, freilich ohne jegliche Einflussnahme auf die Geldpolitik. Die Währung ist nun aber deutlich zu stark für den wirtschaftlich schwachen Niger – das Problem ist sozusagen „Griechenland hoch zehn“. Der ungünstigen Kostensituation der Wirtschaft kann der Niger nicht mit Abwertungen begegnen. Frankreichs Rohstoffimporte ficht das freilich aufgrund der Handelsverträge nicht an. Und: Die Elite bringt das Geld außer Landes, vorzugsweise nach Europa.

Es verwundert nicht, dass das westliche Geschwätz von „Demokratie“ in den betroffenen Ländern als heuchlerisch wahrgenommen wird – als Fassade, hinter der die Ausbeutung der betreffenden Staaten weiter vollzogen werden kann, die es den dortigen Menschen nicht erlaubt, in Würde wenigstens mit dem Existenznotwendigen zu leben. Eine Regierung, die sich de facto an Frankreich verkauft hatte, war für die Putschisten nicht länger tolerabel.

Niger, Burkina Faso und Mali eint, dass sie vom westlichen Neokolonialismus die Nase gestrichen voll haben. Trotz ehemals z.T. enger Verbindungen mit den USA orientieren sich die Führer der drei Länder an antikolonialen, teils marxistischen Vorbildern – mit Blick auf die dortigen Ökonomien sind das freilich auch keine guten Aussichten. Sie wenden sich – als Alternative zum Westen – Russland und China zu. Beide Länder haben auf dem afrikanischen Kontinent schon beachtliche Einflusssphären errichtet – Russland eher militärisch (hier ist auch die Wagner-Gruppe von Bedeutung), China vor allem wirtschaftlich. Russland wird die Chance hier ergreifen, wenn sie sich bietet – ungeachtet dessen, dass es den Militärcoup offiziell verurteilt hat. An den Chinesen wird geschätzt, dass diese mit ihren Investitionen die betreffenden Länder wirtschaftlich voranbringen und auch größtenteils fairere Konditionen als der „wertegeleitete Westen“ offerieren. Zudem gibt es keinen erhobenen Zeigefinger und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betreffenden Staaten.

Man kann nur hoffen, dass der Konflikt um den Niger friedlich beigelegt wird – ansonsten droht in Westafrika die Gefahr eines Flächenbrandes, der die Region noch weiter zurückwerfen kann. Dass die Sache für die ECOWAS gut ausgeht, ist u.a. angesichts des Wagner-Engagements keineswegs sicher. Das mag auch die offenbare Lustlosigkeit der ECOWAS-Staaten bezüglich einer Militärintervention erklären. Potenziell könnte auch Deutschland bei der Beilegung des Konflikts eine Rolle spielen – allerdings nicht mit einer Außenministerin, die offenbar nicht Nigeria von Namibia unterscheiden kann, und die – anstatt die Interessen ihres Landes wahrzunehmen – den USA in Vasallentreue folgt und Staaten mit anderer Kultur und anderem politischen System mit erhobenem Zeigefinder anzeigt, wie am deutschen Wesen die Welt genesen soll.

Quellen und zugleich Lese- und Hörempfehlungen:

B. Norton (2023): US/France threaten intervention in resource-rich Niger: Fears of war in West Africa. Geopolitical Economy vom 05.08. Online: https://geopoliticaleconomy.com/2023/08/05/us-france-intervention-niger-west-africa/?fbclid=IwAR3zyGkHI820Uxh7QTujX2wsSyFO47GgJ7qfrT9amyUb7bWFLFQ0lHMuxJQ

O. Schalk (2023): Niger coup will have global ramifications for the US, France and Canada. Canadian Dimension com 09.08. Online: https://canadiandimension.com/articles/view/niger-coup-will-have-global-ramifications-for-the-us-france-and-canada?fbclid=IwAR1bD-ctMeugR2_pCLwKxja2Z4n2RTE6JovQ3y8mOMfvuSLmM-eUBbu-7fo

B. Schmidt (2023): Niger: Kriegsgefahr in Afrika wächst – aggressives Frankreich und lavierende USA. Telepolis vom 11.08. Online: https://www.telepolis.de/features/Niger-Kriegsgefahr-in-Afrika-waechst-aggressives-Frankreich-und-lavierende-USA-9240968.html?seite=all

Hörenswert als Hintergrundinformation auch: BTO 2.0 (2022): Die 150 Millionen vergessenen Euro-Mitglieder. Podcast/Interview von D. Stelter mit B. Kappeler vom 22.04. Online: https://think-beyondtheobvious.com/stelters-lektuere/die-150-millionen-vergessenen-euro-mitglieder/

S. Ritter (2023): Westen hat keine Ahnung, worauf er sich einlässt”. Gegenpol-Interview vom 11.08. Online: https://www.youtube.com/watch?v=TZENEK5nN1c

Strompreissubvention für die Industrie?

Dirk Löhr

Deutschland ist das industrieintensivste Land in Europa. Mittlerweile ist auch im Bundeswirtschaftsministerium angekommen, dass das Geschäftsmodell Deutschlands durch die hohen Energiepreise – darunter auch die Strompreise – gefährdet ist. Die Antwort Habecks soll eine Heruntersubventionierung des Strompreises für energieintensive Industrien auf 6 Cent/kWh sein. Das ist erstaunlich, weil durch die Subvention auch die Sparanreize außer Kraft gesetzt werden – die grüne Energiepolitik konterkariert sich selbst. Die Pläne wurden aus anderen Gründen auch vom Einzelhandel kritisiert. Es sei zwar richtig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Abwanderung der energieintensiven Industrien zu verhindern. Die Heruntersubventionierung des Strompreises sei allerdings hierfür ungeeignet. Vielmehr müsse die Politik für einen im internationalen Vergleich konkurrenzfähigen Marktpreis in Deutschland sorgen (s. Hellmeyer Report vom 10.05.2023). Bislang nehmen nur wenige große Unternehmen die Strompreisbremse in Anspruch, weil diese mit bestimmten Auflagen verbunden ist (wie einer “Standortgarantie” und der Bezahlung der Mitarbeiter nach Tarif).

Es ist verwunderlich, dass erst ein Problem politisch geschaffen wird (Art und Weise der Sanktionierung Russlands, Abschaltung der restlichen Kernkraftwerke), um es im Nachhinein mit Geld zuzuschütten. Bereits heute existiert eine zweigeteilte Strommarktbremse. Private Verbraucher zahlen bis max. 30.000 kWh Verbrauch 40 Cent brutto pro kWh, Industriekunden haben bis 70 Prozent des prognostizierten Verbrauchs 13 Cent pro kWh aufzubringen.

Mit den Plänen Habecks würde diese Strompreisbremse fortgeführt und für Teile der Industrie sogar verschärft, während sie für private Verbraucher am 30. April 2024 wegfällt. Das Geld für die Subvention soll weiterhin aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen, der Kreditermächtigungen i.H.v. 200 Mrd. Euro beinhaltet. Am Ende finanzieren die Schuldentilgung und Zinsen aber Arbeitnehmer (Lohnsteuern), Verbraucher (Verbrauchsteuern), aber auch der Mittelstand (über die Unternehmenssteuern). Die hohe Abgabenlast hierzulande ist aber ein weiterer Standortnachteil – neben der schwachen Digitalisierung, der maroden Infrastruktur und der Bürokratie. Die Heruntersubventionierung des Strompreises ist nicht langfristig durchzuhalten. Dies wissen auch die Manager der Abwanderungskandidaten. An der Standortverlagerung können auch Standortgarantieren nichts ändern, die mit der Strompreisbremse verknüpft sind. Niemand kann die Industrie daran hindern, Reinvestitionen hierzulande zu unterlassen und statt dessen neue Standorte in attraktiveren Ländern aufzubauen. Die Heruntersubventionierung des Industriestroms schafft sogar ein Zeitfenster, um die schleichende Verlagerung einzuleiten. Sie kann die sich anbahnende Deindustrialisierung Deutschlands nicht verhindern.

Statt der unintelligenten Gebäudesanierungsstrategie der Regierung: Low hanging fruits first!

Dirk Löhr

Die energetische Sanierung im Gebäudebereich ist in den kommenden Dekaden eine zentrale Herausforderung. Bis zum Jahr 2050 möchte die EU CO2-neutral sein, Deutschland sogar bis 2045. Es stellt sich die Frage, ob das Ziel und die eingeschlagenen Wege zur Zielerreichung vernünftig sind.

Denn entgegen dem zur Schau gestellten Zweckoptimismus v.a. aus dem Hause Habeck dürfte die umfassende Sanierung des Gebäudebestands sehr teuer werden. Es droht eine massive Entwertung des Volksvermögens. Hierzu folgende überschlägige Berechnung: Der Wert der Immobilien in Deutschland machte ausweislich der Vermögensbilanzen von Deutscher Bundesbank und dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2021 ca. 10,6 Billionen Euro aus und stellt damit das wichtigste Asset in der Volkswirtschaft dar. Diese Zahl umfasst Wohn- wie Nichtwohngebäude. Gehen wir nun davon aus, dass der durchschnittliche Wohnflächenkonsum 47,6 qm / Person beträgt, rechnen wir mit 82 Millionen Menschen (die Flüchtlingsunterkünfte sollten nicht voll gezählt werden) und setzen wir moderat durchschnittliche Sanierungskosten von 500 Euro / qm Wohnfläche an, so erhalten wir allein für Wohngebäude einen Sanierungsaufwand i.H.v. 1,9 Billionen Euro, was 18% des Wertes des gesamten Gebäudebestandes ausmacht. Wohlgemerkt, die Nicht-Wohngebäude sind in den 1,9 Billionen Euro Sanierungsaufwand noch gar nicht enthalten. Die Sanierungsmaßnahmen führen angesichts des neuen rechtlichen Rahmens aber nicht zu einer Aufwertung der Gebäude, sondern verhindern nur eine Abwertung. M.a.W.: Es handelt sich um puren Aufwand, dem kaum ein einzelwirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht. In dieses Bild passt, dass Immobilien mit einer schlechten Energieklasse schon heute in Vorwegnahme der neuen Anforderungen mit Wertabschlägen von bis zu einem Drittel gehandelt werden (mittlere Differenz).

Das heißt u.a., dass die Altersvorsorge, die viele Menschen in Form von Immobilien getroffen haben, zum Geldgrab wird. Selbst der duldsame deutsche Michel wird einer solchen Politik der kalten Enteignung früher oder später nicht mehr folgen wollen.

Eine neuere Studie des BDI (Klimapfade für Deutschland) besagt jedoch, dass ein 80%-Pfad durchaus noch mit vertretbaren Belastungen machbar ist. Die letzten 20% der klimapolitischen Ziele verursachen allerdings extrem hohe Vermeidungskosten. Goldman Sachs rechnet ebenfalls in einer Studie vor (Carbonomics), dass mit demselben Mitteleinsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich höhere Vermeidungswirkungen zu erzielen wären als hierzulande, weil dort die “low hanging fruits” dort noch gar nicht geerntet sind (s. auch die Argumentation von Daniel Stelter hierzu).

Natürlich kann man – wie die Bundesregierung dies in ideologischer Weise tut – auf eine Vorbildfunktion setzen und mit mit einem 100%-Ziel den sozialen Frieden gefährden. Man kann sich aber auch – wie dies die Schweiz, Japan und Südkorea machen – auf Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens berufen und die letzten 20% der Vermeidungsinvestitionen nicht im Heimatland vornehmen, sondern in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dies entspricht auch dem Pareto-Prinzip, wonach 80% des Erfolges mit 20% der Anstrengungen zu verwirklichen sind und vice versa.

Outbound-Investment-Screening durch die EU?

Dirk Löhr

Wie Gabor Steingart in seinem Pioneer-Briefing vom 31. März 2022 (auch abgedruckt im Focus desselben Tages) berichtet, beabsichtigt Ursula von der Leyen, die deutschen Auslandsinvestitionen zu kontrollieren bzw. ein Genehmigungsverfahren einzuführen. “Managed Trade” heißt das auf neudeutsch; es scheint eines der Ergebnisse ihres Besuchs in den USA gewesen zu sein. Die EU würde sich mit einer solchen “wirtschaftlichen Sicherheitsstrategie” die Einteilung in Freund und Feind der USA zu Eigen machen, ohne Berücksichtigung eigener wirtschaftlicher Interessen. Dies trifft auch und gerade Deutschland: China, welches die sich im Abstieg befindliche Weltmacht USA unbedingt eindämmen will, ist der größte Handelspartner Deutschlands in Asien. Das Handelsvolumen übertrifft mit das 300 Mrd. Euro den Wert der Austauschbeziehungen mit den USA, den Niederlanden und Frankreich zusammen. Von größter Bedeutung ist der Austausch mit China für die deutschen Kernindustrien Chemie, Automobile sowie dem Maschinen- und Anlagenbau. Auch der industrielle Mittelstand setzt zunehmend auf China. Während große Teile von SPD und FDP sich gegen eine zunehmende Abkopplung stellen, sind im anderen Lage große Teile der CDU und der Grünen vereint. Die Fronten gehen also quer durch Regierung und Opposition. Fazit: Die EU – und insbesondere Deutschland – sollte keinen wirtschaftlichen Stellvertreterkrieg für die USA führen, sondern sich auf ihre eigenen Interessen besinnen.

Wahlrechtsreform – wen repräsentiert die repräsentative Demokratie?

Dirk Löhr

Gegen den Widerstand der Opposition hat die Ampel in der letzten Woche eine Wahlrechtsreform für den Bundestag durchgepeitscht. Die Reform war notwendig: Vorgesehen sind 598 Bundestagsabgeordnete, tatsächlich waren es zuletzt 736. Nur noch der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China ist größer – Deutschland leistet sich allerdings das größte frei gewählte Parlament. Der Grund dafür, dass der Bundestag aus allen Nähten platzt, ist das System aus Überhangs- und Ausgleichsmandaten, dem mit der Reform ein Riegel vorgeschoben werden soll.

Bislang kam es zu Überhangsmandaten, wenn eine Partei mehr Direktmandate über ihre Erststimme gewinnt, als ihr über die Zweitstimmen zustehen. Damit die Überhangsmandate nicht die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Fraktionen durchkreuzen, bekamen bisher die anderen Fraktionen sog. Ausgleichsmandate. In der Folge zogen immer mehr Abgeordnete in den Bundestag ein.

Wegfallen wird im Zuge der Reform auch die sog. Grundmandatsklausel, die sicherstellen sollte, dass Parteien auch dann u.U. Bundestagsabgeordnete ins Parlament entsenden können, wenn sie die Fünf-Prozent-Klausel nicht nehmen können, aber besonders in der Bevölkerung verankert sind. Nutznießer dieser Regelung waren bislang vor allem die CSU, die bislang nur in Bayern antritt, und die Linkspartei (s. Tagesschau.de). Kein Wunder, dass beide in seltener Eintracht vor Wut schäumen.

Den am politischen Spielfeldrand stehenden Beobachter wundert indessen etwas ganz anderes: So wird in den „Leitmedien“ von der Tatsache, dass die größte aller Parteien überhaupt nicht im Bundestag ist, kaum berichtet. Es handelt sich dabei um die die Partei der Nicht- und Protestwähler. Zu den Letzteren zählen auch die Wähler von Kleinstparteien, die wissen, dass angesichts der Fünf-Prozent-Hürde ihre Stimme damit „verschossen“ ist.

Die untenstehende Tabelle (Daten aufbereitet von: The Pioneer Briefing vom 13.03.2023) illustriert, dass in der letzten Bundestagswahl diese Gruppe zum ersten Mal stärker als die Regierungspartei war. Hierbei wurden die im Bundestag vertretenen Die Linke und die AfD noch nicht einmal mitgezählt.

              JahrKanzlerNichtwählerSonstige/
ungültig
SummeGewinnerpartei
1972Willy Brandt8,9%1,6%10,5%SPD: 41,6%
1983Helmut Kohl10,9%1,2%12,1%CDU/CSU: 43,1%
1998Gerhard Schröder17,8%5,8%23,6%SPD: 33,2%
2005    Angela Merkel22,3%4,2%26,5%CDU/CSU: 26,5%
2021Olaf Scholz23,4%7,3%30,7%SPD: 19,5%

Die Frage muss erlaubt sein: Wen repräsentiert eigentlich die “repräsentative Demokratie”? Die meisten Nicht- oder Protestwähler können mit dem etablierten Parteiensystem nicht mehr viel anfangen.

Sie fühlen sich durch keine der im Bundestag vertretenen Parteien richtig vertreten. De facto handelt es sich bei den im Bundestag vertretenen Parteien jeweils um gesellschaftliche Minderheiten. Ein Beispiel: Von den wie oben errechneten ca. 70% Wählern gaben für Bündnis 90/Die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 14,8% ihre Stimme ab. Bezogen auf das Wählerpotenzial sind dies ca. 10,4%. Die Grünen dienen hier nur als Beispiel, für andere Parteien lässt sich Ähnliches sagen. Unabhängig davon, wie man zu den Positionen der Grünen im Einzelnen steht: Es lässt sich wohl kaum behaupten, dass es sich um Mehrheitspositionen handelt. Dennoch prägt das Agenda-Setting dieser sich im Parlament oder gar an der Macht befindlichen Minderheiten die politische Agenda und den medialen Diskurs.

Indessen kommt hier ein grundsätzliches Problem des „Parteienstaates“ zum Ausdruck. Dies beschreibt schon der Begriff an sich: Es geht um die Interessen von bestimmten Gruppen („Parteien“), nicht um das Interesse der Gesamtheit. Die (noch) im Bundestag vertretenen Parteien haben auch keinen Anreiz, auf die Anliegen der immer größer werdenden Gruppe der Nicht- und Protestwähler einzugehen.

Für sie zählt lediglich die relative Stärke im Vergleich zu den anderen Parteien. Hieran ändert sich nichts, wenn die Quote der Nicht- oder Protestwähler steigt – es sei denn, diese Quote ginge speziell zu Lasten der eigenen Partei. Allenfalls sinkt die Legitimität des politischen Handelns; am Ende wird dies aber von der politischen Klasse allenfalls als ein Schönheitsfehler wahrgenommen. Ob am Ende das Volk im Parlament überhaupt noch repräsentiert wird, ist zweitrangig.

Man sollte sich Sorgen machen, wenn der oben skizzierte Trend anhält. Guter Rat ist teuer. U.a. Gregor Gysi (Die Linke), Burkhard Hirsch (FDP) und Gerhart Baum (FDP) hatten schon des Längeren über diese Problematik nachgedacht.

  • Ein Vorschlag lautet, die Sitze im Bundestag entsprechend des Anteils der Nichtwähler unbesetzt zu lassen.
  • Ein anderer, die Parteienfinanzierung entsprechend der Quote der Nichtwähler zu kappen.

Vor allem der zweite Vorschlag ist nicht ohne Charme. Allerdings gibt es gute Gegenargumente gegen beide Wege: Diejenigen, die mit der sog. Parteiendemokratie auf Kriegsfuß stehen, könnten Kampagnen fahren, um die Bürger erst recht vom Wählen abzuhalten – „schenkt es den Parteien mal richtig ein“. Der Demokratie wäre auch dies nicht zuträglich.

M.E. sollte man an dieser Stelle nicht resignieren, sondern überlegen, ob möglicherweise Anreizsysteme etabliert werden können, damit genau dies nicht passiert. Folgt man beispielsweise dem zweiten Vorschlag (quotale Kappung der Parteienfinanzierung), könnte das Geld nicht an den Finanzminister zurückgehen, sondern bei der Folgewahl an jeden Wähler anteilig ausgezahlt werden. Das freilich setzt Digitalisierung und Registrierung voraus. Zudem könnte man mit Recht gegenhalten, dass es hier nicht um eine Frage geht, die ökonomisiert werden sollte. Und: Immer noch bestünde die Möglichkeit, dem Protest durch die Wahl von aussichtslosen Kleinstparteien Ausdruck zu verleihen. Andererseits: Warum sollte nicht auch eine Tierschutzpartei einmal in den Bundestag einziehen? Eine über alle Zweifel erhabene Lösung vermag ich nicht zu präsentieren. Und wahrscheinlich gibt es deutlich sinnvollere Vorschläge als den oben zur Diskussion gestellten – wichtig wäre jedoch, dass eine Debatte in diese Richtung endlich einmal zustande kommt.

Focus: Hetzjournalismus gegen die Grundsteuerreform

Dirk Löhr

In einem Focus-Artikel vom 10.03.2023 „Städte-Vergleich zeigt das ganze Ausmaß des Grundsteuer-Wirrwars“ verlautbart Focus-Redakteur Christian Böhm, dass Immobilienbesitzer teils drastische Erhöhungen melden. Welche Erhöhungen? Steuererhöhungen können es nicht sein. Die Finanzämter sind gerade dabei, die Grundlagenbescheide für die Grundsteuer (also die Bemessungsgrundlage) zu verschicken – soweit die Steuererklärungen überhaupt eingegangen sind. Folgebescheide mit Zahlungsaufforderung ergehen frühestens Ende 2024. Da die neuen Steuersätze (Hebesätze) noch nicht feststehen, können über die Steuerlasten derzeit noch keine definitiven Aussagen getroffen werden. Böhm hätte besser schreiben sollen: „Erhöhungen der Bemessungsgrundlage“ oder „Erhöhungen des Steuermessbetrages“.

Allerdings: Der Versuch, auch die kommenden Steuerlasten abzuschätzen, ist legitim. Böhm ließ also die ADVISA-Steuerberatungsgesellschaft (Frankfurt a.M.) rechnen.  Auf das zugrunde gelegte fiktive Haus in Stuttgart entfällt danach derzeit eine Grundsteuer von 455 Euro, in München 90 Euro und in Hamburg 73 Euro. Soweit keine Einwendungen, wenngleich die Differenzen ein wenig hoch erscheinen.

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Der Punkt ist jedoch: Die alte, auf Einheitswerten von 1964 (West) und 1935 (Ost) beruhende Bemessungsgrundlage dürfte regelmäßig nur einen Bruchteil der an Verkehrswerten orientierten Bemessungsgrundlage ausmachen, wie sie im Bundesmodell der Grundsteuer vorgesehen ist (teilweise nur um die 10%). Dem Bundesmodell folgen allerdings nicht Bayern, Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg. Baden-Württemberg besteuert dabei nur den Wert des Bodens (Bodenwertsteuer), die anderen Abweichler haben flächenorientierte Grundsteuermodelle im Rahmen einer neu eingeführten Öffnungsklausel im Grundgesetz gewählt.

Das derzeitige Grundsteueraufkommen kann generell wegen der geringen, auf den Einheitswerten basierenden Bemessungsgrundlage nur mit ziemlich hohen Hebesätzen erreicht werden. Stuttgart hat Böhm zufolge einen Hebesatz von 520%, München von 535% und Hamburg von 540%.

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Böhm malt nun v.a. für Baden-Württemberg ein Schreckensszenario. Richtig ist, dass sich hier die Bemessungsgrundlage aufgrund der Bodenwertorientierung um ein Vielfaches erhöhen wird. Allerdings: Um dasselbe Steueraufkommen wie heute (oder ein wenig mehr) zu erzielen, würde Stuttgart auch nur einen Bruchteil des heutigen Hebesatzes benötigen. Für Hamburg und München ist eine Absenkung des Hebesatzes nur in geringerem Ausmaß nötig, da in diesen Bundesländern die Erhöhung der Bemessungsgrundlage gegenüber dem Status quo aufgrund der Flächenorientierung geringer als im Bundesmodell oder im Modell Baden-Württemberg ausfällt. Das alles ficht aber Rechenkünstler Böhm nicht an, der unverdrossen die heutigen Grundsteuerhebesätze auf die neuen Bemessungsgrundlagen anlegt. In Stuttgart stiege für das fiktive Haus dann die Grundsteuer von 455 Euro auf 2.366 Euro an, aber auch in München ergäbe sich noch ein Anstieg von 90 auf 482 Euro. Nach der Logik Böhms müsste sich dann allerdings auch das Grundsteueraufkommen für Baden-Württemberg insgesamt um ein Vielfaches erhöhen. Legt man die verquere Rechen”logik” Böhms gar auf das gesamte Bundesgebiet an, hätte die Grundsteuer – bislang mit ca. 15 Mrd. Euro Aufkommen eher eine Bagatellsteuer – eine ähnliche Größenordnung wie die veranlagte Einkommensteuer.

Tatsächlich war und ist aber die Neutralität des Grundsteueraufkommens das politische Ziel – wenn auch davon auszugehen ist, dass dies oft nicht gelingt. Legen wir eine realistische Hebesatzanpassung für das Beispiel Stuttgart zugrunde, kommen wir zwar auch auf eine Steigerung der Grundsteuerbelastung für das betrachtete Objekt. Allerdings ist diese weitaus weniger dramatisch als von Böhm behauptet – der betreffende Eigentümer hätte vielleicht 200 bis 300 Euro mehr als heute zu bezahlen. Seriöse Belastungsverschiebungsrechnungen hätten Aufklärung für Böhm schaffen können (z.B. Henger & Schäfer 2015, Loehr 2023), diese passen aber nicht in das von ihm gezeichnete Schreckensbild. Belastungsverschiebungen im Rahmen der Grundsteuerreform sind im Übrigen grundsätzlich gerechtfertigt – ansonsten hätte das Bundesverfassungsgericht im April 2018 die alten, auf dem Einheitswert beruhenden grundsteuerlichen Bemessungsgrundlagen nicht verwerfen müssen. Und: Böhms Fall liegt eine Wohnfläche von 200 qm zugrunde, das Grundstück von 500 qm hat jedoch einen Bodenwert von einer halben Mio. Euro. Im deutschen Durchschnitt liegt der Bodenwert pro qm ca. bei 250 bis 300 Euro, nicht bei 1000 Euro. Die Zusatzbelastung durch die Bodenwertsteuer übt einen sanften Druck auf den Grundstückseigentümer aus, diese teure Grundstücksfläche doch vielleicht effizienter als durch ein Ein- oder Zweifamilienhaus zu nutzen. Mehr Wohnungen bedeuten bei der Bodenwertsteuer nämlich weniger Steuerlast pro Wohnung.

Bei den von Böhm zugrunde gelegten Daten kratzt man mit der Immobilie an der Millionengrenze, wobei der Bodenwert mehr als 50% des Gesamtwertes ausmachen und im letzten Jahrzehnt massiv gestiegen sein dürfte. Nach Braun (2021, S. 60) haben sich die Bodenwerte in den Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern allein im letzten Jahrzehnt um mehr als das 3,5-fache erhöht. Dieser Wertzuwachs ist aber nicht auf irgendeine Leistung des Eigentümers zurückzuführen.

Bei dem Hauseigentümer von Böhm handelt es sich also nicht um einen armen Menschen, sondern um einen Vermögensmillionär. Klar: Es sind extreme Fälle denkbar (wenngleich selten), wie eine alte Dame mit geringem Einkommen, die in einer herrlichen Stadtvilla lebt. Das ist der berühmte „Asset-rich-income poor“-Fall, die klassische „Willmersdorfer Witwe“ bzw. ihr Pendant in Stuttgart. Allerdings darf man eher seltene Fälle nicht zur Grundlage steuerlicher Typisierung machen – das Steuerrecht ist ein Massenfallrecht.

Und: Das Totschlagsargument der „Willmersdorfer Witwe“ ist auch aus ethischer Sicht abstrus. Nehmen wir eine Analogie: Die schlecht bezahlte langjährige Reinigungskraft Aschenputtel erbt ein riesiges Schloss von einem dahingeschiedenen Verehrer. Sie hat zwei Möglichkeiten: Einerseits ihren Lebenstraum erfüllen und dort allein als Schlossherrin wohnen. Oder aber das Schloss nicht vollständig selbst zu nutzen, sondern teilweise oder ganz zu verkaufen oder an ein Museum zu vermieten – und mit dem erlösten Geld in eine angemessen große, aber bessere Wohnung als gegenwärtig zu ziehen. Ich höre schon: „Was für ein Vergleich!“ – der Vergleich ist aber gar nicht verkehrt, denn genau wie bei Aschenputtel hat auch der Bodeneigentümer den Bodenwert nicht geschaffen, sondern Dritte (die Gemeinschaft, v.a. mit öffentlichen Infrastrukturinvestitionen). Wie bei Aschenputtel fallen dem Bodeneigentümer die Bodenwertsteigerungen unentgeltlich zu. Unser Aschenputtel entschließt sich jedoch, ihren Lebenstraum wahrzumachen und selbst allein in dem Schloss zu wohnen. Schnell erkennt sie, dass der Unterhalt des Schlosses ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigt. Sie rennt zum Journalisten B., der sofort empört schreibt, die Frau sei nun durch das Erbe zu einem Sozialfall geworden, und sie habe die Unterstützung der Gemeinschaft wohl dringend verdient. Wer so argumentiert, hat schiefe moralische Maßstäbe. Im Übrigen sind steuerliche Härtefallregelungen denkbar. Beispielsweise könnte die Steuer des schwäbischen Äquivalents der “Wilmersdorfer Witwe” eingefroren und dann der Differenzbetrag von den Erben oder Käufern beglichen werden (diese Regelung ist leider im Landesgrundsteuergesetz Baden-Württemberg nicht enthalten).

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Wo so viel journalistischer Mist wie bei Böhm aufgehäuft wird, darf auf dem Gipfel keinesfalls der Augsburger Rechtsprofessor Gregor Kirchhof als Sahnehäubchen fehlen. Sein Name lässt das Herz eines jeden Immobilienlobbyisten höher schlagen. Er ist grundsätzlich ein Verfechter des bayerischen Flächenmodells, wonach nur Boden- und Gebäudefläche in die grundsteuerliche Bemessungsgrundlage eingehen, aber nicht der Wert. In der Folge wird eine alte, fast abrissreife Wohnimmobilie in schlechtester Lage genauso hoch besteuert wie eine nagelneue Immobilie in der allerbesten Lage, wenn nur die Größe dieselbe ist. Das Gesetz offenbart ein gelinde gesagt merkwürdiges Verständnis des Allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Dieser spielt auch im Steuerrecht eine große Rolle und besagt, dass wirtschaftlich Gleiches gleich und wirtschaftlich Ungleiches ungleich behandelt werden soll. Die eigentliche Rechtfertigung für das bayerische Flächenmodell heißt aber „Äquivalenz“. Der Steuerpflichtige soll der Kommune etwas von den Vorteilen zurückgeben, die er aufgrund der Nähe zu zentralen Infrastrukturen, öffentlichen Räumen etc. hat – eben allem, was eine durch öffentliche Mittel geschaffene gute Lage ausmacht. Ein guter Indikator für den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen wäre der Bodenwert, in dem sich genau dies abbildet. In den teuren zentralen Lagen mit gutem Infrastrukturzugang ist dieser hoch, in der räumlichen Peripherie gering. Doch Kirchhof weist das zurück und setzt primär auf die Fläche als Bemessungsgrundlage (Kirchhof 2018). Das wäre aber nur dann angemessen, wenn Wohn- wie Gewerbeflächen in teuren, zentralen Lagen tendenziell deutlich größer wären als in der Peripherie. Das allerdings wäre eine Erkenntnis, für die Kirchhof wohl einen Nobelpreis verdient hätte, zumal sie allem zuwiderläuft, was an raumwirtschaftlichen Mustern bekannt und untersucht ist. Ganz wohl ist Kirchhof mit diesen Behauptungen allerdings auch nicht, weswegen er die Ergänzung durch ein Regionalwertmodell vorschlägt. Ähnliches haben Hamburg, Niedersachsen und Hessen denn auch verwirklicht – allerdings können diese lagebezogenen Differenzierungen weder die Unterschiede im Verkehrswert der Gesamtimmobilie noch diejenigen des Bodenwertes auch nur annähernd abbilden. Es ist schon eine merkwürdige Interpretation von Äquivalenz, wenn am Ende die Nutznießer guter, zentraler Lagen (mit gutem Zugang zu Infrastruktureinrichtungen) relativ zum Wert ihrer Immobilie weniger bezahlen als die Bewohner einfacher Lagen.

Zudem preist Kirchhof im Artikel von Böhm noch einmal die Einfachheit der bayerischen Grundsteuer. Tatsache ist aber, dass Bayern derzeit bei den bislang eingegangenen Steuererklärungen mit seiner „Einfachsteuer“ das Schlusslicht unter allen deutschen Bundesländern ist. Auch hier müssen – wie im Bundesmodell – aufwändige Gebäudeflächenberechnungen durchgeführt werden (lediglich das Bodenwertsteuermodell kommt ohne diese aus). Wollen Sie, lieber Leser, ihren Vermieter verklagen: Machen Sie es am besten über die im Mietvertrag angegebene Fläche, die stimmt so gut wie nie. In Bayern fehlen derzeit noch etwa ein Drittel aller Grundsteuererklärungen. Bayern hat als einziges Bundesland die Abgabefrist noch einmal bis Ende April erweitert. Doch wollen wir fair sein: Die größte Hürde für die Abgabe der Steuererklärung dürften die benutzerunfreundlichen und unverständlichen in den ELSTER-Grundsteuerformulare sein, weniger die unterschiedliche Komplexität der verschiedenen Grundsteuermodelle.

Dennoch, es bleibt festzuhalten: Böhm verdingt sich mit seiner einseitigen Stellungnahme gegen wertorientierte Grundsteuermodelle als Sprachrohr der Immobilienwirtschaft, die durch wertorientierte Grundsteuermodelle allgemein, durch die Bodenwertsteuer im Besonderen ihr Geschäftsmodell angekratzt sieht.

Die Glaubwürdigkeit des Focus wird durch Stimmungsmache wie im Beitrag Böhms beschädigt.

Literatur

Braun, R. (2021): Versorgungsengpässe, Preisanstiege und Lösungsansätze auf großstädtischen Wohnungsmärkten. In: Spars, G. (Hrsg.): Wohnungsfrage 3,0. Stuttgart: Kohlhammer, S. 45-74.

Kirchhof, G. (2018): Die grundgesetzlichen Grenzen der Grundsteuerreform. Gutachten für DIE FAMILIENUNTERNEHMER e.V., Augsburg/Berlin.

Henger, R., & Schaefer, T. (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer-eine Simulationsanalyse verschiedener Grundsteuermodelle. IW Policy Paper Nr. 32/2015.
https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2015/247476/Grundsteuer_Policy_Paper_IW_Koeln.pdf

Löhr, D. (2023): Impacts of Property Taxes on Planning and Settlement Development – Germany as a Living Lab. Modern Economy 14 (3). DOI: 10.4236/me.2023.143014

Auslaufmodell Indexmiete?

Dirk Löhr

Indexmietverträge, welche die Miete an den Verbraucherpreisindex (VPI) koppeln, sind zwar nicht weit verbreitet. Vor Einsetzen der inflationären Entwicklung waren sie allerdings oft für die Mieter vorteilhaft. Dies hat sich mittlerweile geändert: Die Mieter werden sowohl durch die Inflation als auch durch die nun mögliche Steigerung der Mieten in die Zange genommen. In der Diskussion ist eine schärfere Kappung auch für Indexmietverträge oder die Umstellung der Verträge auf einen Mietindex. S. hierzu den Übersichtsbeitrag von Deschermeier und Henger im Wirtschaftsdienst 1/2023.

Ein ähnliches Problem besteht im Übrigen auch bei Erbbaurechtsverträgen. Hier gibt es zwar eine Kappungsgrenze (§ 9a ErbbauRG). Diese orientiert sich jedoch an der Bruttolohnentwicklung wie am VPI. Beides ist in Zeiten einer stagflationären Entwicklung nicht geeignet. Die Bruttolöhne sinken derzeit preisbereinigt, aber nicht nominal. Der VPI wird gerade durch die Energiekosten mit getrieben. Ich hatte an das Bundesbauministerium den Vorschlag gerichtet, entweder den Maßstab VPI durch die Kerninflationsrate zu ersetzen, in dem die Preissteigerungen für Energie und Lebensmitteln herausgerechnet sind. Alternativ könnte man ebenfalls auf den Mietindex als Prüfungsmaßstab gehen.

Der Vorschlag wird voraussichtlich demnächst in der ErbbauZ (Zeitschrift für Erbbaurecht) veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber auf die Entwicklung reagiert.

DIE LINKE erhebt Popularklage gegen die bayerische Grundsteuer

Dirk Löhr

Wer in einer bayerischen Gemeinde in der schlechtesten Lage ein uraltes, heruntergekommenes Haus besitzt, zahlt dieselbe Grundsteuer wie jemand, der in der besten Lage eine schicke, energetisch modernisierte Villa sein Eigen nennt – wenn nur die Grundstücks- und Gebäudefläche übereinstimmt. Nun wird zwar der Allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) so interpretiert, dass wirtschaftliche Gleiches gleich und wirtschaftlich Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Das kümmert Söder, Aiwanger & Co. samt Entourage allerdings wenig. Ihr grundsteuerliches Flächenmodell hat zur Folge, dass die Grundsteuerlast vom Wert der Immobilie abgekoppelt wird. Oder, anders formuliert, dass die weniger Wohlhabenden verstärkt in den öffentlichen Haushalt zuschießen müssen. Wer seine Grundsteuererklärung in Bayern schon gemacht hat, weiß im Übrigen auch, dass diese keinesfalls so einfach ist, wie die bayerische Landesregierung behauptet hat. Gegen dieses muntere Treiben hat nun DIE LINKE in Bayern Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser gilt zwar als regierungsnah, aber einen Versuch ist es sicherlich wert. Der Schriftsatz und Hintergrundinformationen zur Popularklage sind hier zu finden. Good Luck!