Finanzgericht Rheinland-Pfalz zweifelt an der Tauglichkeit der Bodenrichtwerte für die grundsteuerliche Bewertung

Dirk Löhr

Der 4. Senat des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz (FG) hat am 23. November 2023 in zwei Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) zu den Bewertungsregeln des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden, dass die Vollziehung der dort angegriffenen Grundsteuerwertbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen ist.

U.a. werden dabei die Bodenrichtwerte als Grundlage für die Besteuerung in Zweifel gezogen. Hiermit schließt sich das Finanzgericht dem unvermeidlichen Prof. Gregor Kirchhof (Universität Augsburg) an, der u.a. in einem Gutachten für Haus und Grund sowie dem Steuerzahlerbund zuvor schon in dasselbe Horn geblasen hatte.

Die Auseinandersetzung mit der Begründung des Finanzgerichts lohnt sich, zumal bislang die Bodenrichtwerte von den (Finanz-) Gerichten grundsätzlich akzeptiert wurden.

Wichtige Kritikpunkte:

a) Es bestehen Zweifel daran, dass die Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Der Senat äußerte in diesem Zusammenhang Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse, weil nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussnahmemöglichkeiten nicht ausgeschlossen seien.

Mein Kommentar:

Ich bin seit 2006 Mitglied eines regionalen Gutachterausschusses und seit 2014 Mitglied des Oberen Gutachterausschusses Rheinland-Pfalz. Es kam des Öfteren vor, dass Bürgermeister bei Bewertungen und Bodenrichtwertermittlungen ihre Vorstellungen geäußert haben. Bei allen Sitzungen, in denen ich anwesend war, habe ich aber noch nie erlebt, dass sich die Gutachterausschüsse hiervon haben beeindrucken lassen. In einzelnen Fällen, in denen substantiierte Kritik durch die Bewertungsadressaten geäußert wurde, kam es zu Überprüfungen. Hierbei kam es manchmal zu – i.d.R. kleineren – Änderungen, häufig aber auch nicht. Anlass der Überprüfung war jedoch nicht nur die Kritik von öffentlichen Stellen, sondern auch diejenige von privaten Adressaten. Auch die von der Finanzverwaltung entsandten Mitglieder der Gutachterausschüsse verhielten sich definitiv nicht systematisch profiskalisch.

b) Der Senat äußert Bedenken bezüglich der Datengrundlage für die Bodenwertermittlung; in den Kaufpreissammlungen bestünden in erheblichem Umfang Datenlücken.

Mein Kommentar:

Nach § 196 Abs. 1. S. 1 BauGB sind Bodenrichtwerte flächendeckend zu ermitteln. Tatsächlich gab es bei der Bodenrichtwertermittlung bis vor Kurzem in Rheinland-Pfalz jedoch noch einige “weiße Flecken”, z.B. bei Aussiedlerhöfen oder Gemeinbedarfsflächen. Auch kommen in einigen Gegenden kaum Umsätze zustande. Die Gutachterausschüsse – zumindest in Rheinland-Pfalz – bemühten sich aber im Vorfeld der neuen Grundsteuer intensiv darum, diese Lücken zu schließen. U.a. wurden dabei sechs Marktsegmente gebildet. Dies erlaubt bei fehlenden Transaktionen, sich an den Verhältnissen ähnlicher Märkte in anderen Regionen zu orientieren. Läge das Finanzgericht mit seiner Kritik richtig, dürfte man im Übrigen die Bodenrichtwerte auch nicht mehr zum Zwecke zur Verkehrswertermittlung heranziehen. Der mögliche Einwand, dass bei der Verkehrswertermittlung die Bodenrichtwerte durch Umrechnungskoeffizienten modifiziert und so an die individuellen Verkehrswerte herangeführt werden, ist mit Blick auf die Grundsteuer kein Argument für die mangelnde Eignung der Bodenrichtwerte: Bodenrichtwerte können als typisierte Verkehrswerte verstanden werden. Typisierungen sind aber in einem Massenfallrecht nicht nur zulässig, sondern ausdrücklich geboten.

c) Das Finanzgericht rügt ein gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte, weil diese Werte häufig aus der Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt würden, ohne dass den Gutachterausschüssen effektive Instrumente zur Sachverhaltsermittlung sowie zur Verifikation der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung stünden.

Mein Kommentar:

Sind die in den Kaufverträgen vereinbarten Bodenwerte unplausibel (das kommt häufig vor, z.B. bei Transaktionen zwischen einander nahestehenden Personen), werden sie bei der Feststellung der Bodenrichtwerte in den Bodenrichtwertsitzungen als Ausreißer außen vor gelassen. Dies ist gängige Praxis.

d) Das Finanzgericht kritisierte, dass der Steuerpflichtige nicht – wie bei der Erbschaft- oder Grunderwerbsteuer (welche im Übrigen ebenfalls die Bodenrichtwerte für die Wertermittlung heranziehen) einen Nachweis über einen geringeren Wert bringen kann.

Mein Kommentar:

In der Anhörung zur Grundsteuerreform im Finanzausschuss des Deutschen Bundestag im September 2019 hatte ich diesen Punkt ebenfalls kritisiert. Der Kritik des Finanzgerichts ist hier zuzustimmen.

e) Das FG kritisiert die Pauschalisierungen im Bundesmodell: Es äußert ernstliche Zweifel daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen. So führe insbesondere die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke zu der Einschätzung des FG, dass es zu Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung kommen könne. Die gewählte Regelungstechnik bewirke eine gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung mit systematischen Unterbewertungen hochwertiger Immobilien und systematischen Überbewertungen für solche Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen bzw. in schlechterem baulichen Zustand befinden oder deren Ausstattungsmerkmale weniger hochwertig sind. Die Regelungen führten zudem in erheblichem Umfang zu Wertverschiebungen, sodass insgesamt nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden könne.

Mein Kommentar:

Auch hier ist dem Finanzgericht bezüglich des Bundesmodells teilweise zuzustimmen. Ich hatte ebenfalls in der schriftlichen Stellungnahme im Finanzausschuss des Bundestages auf das Problem pauschaler, nicht nach Lagen differenzierender Mietansätze bei Wohngrundstücken hingewiesen und eine Differenzierungsmöglichkeit aufgezeigt.

Hätte sich der Gesetzgeber diesen Hinweis (der im Übrigen auch von Prof. Hey in fast identischer Form kam) zu Eigen gemacht, könnte die objektive Leistungsfähigkeit sehr wohl als folgerichtig umgesetzter Belastungsgrund für die Grundsteuer dienen.

Im Übrigen dürfte der gerügte Verstoß bei den flächenbezogenen Modellen v.a. in Bayern, aber auch in Hamburg, Niedersachsen und Hessen noch viel deutlicher sein. Bei diesen besteht weder ein klarer Bezug zur (objektbezogenen) Leistungsfähigkeit noch zu den öffentlichen Leistungen – die Infrastrukturausstattung ist eben zu einem hohen Maße für den Grundstückswert verantwortlich. Die als Belastungsgrund genannte Äquivalenz ist hier gerade nicht gegeben.

Fazit:

Die Einlassungen des Finanzgerichts sind teilweise berechtigt, aber nur teilweise. Insbesondere bezüglich der Bodenrichtwerte ist die Kritik nicht nachvollziehbar. Einige Beispiele, die Prof. Kirchhof für angebliche Inkonsistenzen anführt, dürften dem Umstand geschuldet sein, dass nicht nur die Lage, sondern auch die Bebauungsdichte wertbestimmend ist. Die Bodenrichtwerte werden aus dem Markt abgeleitet und dürften daher sogar eine der verlässlichsten Größen bei der grundsteuerlichen Bewertung darstellen.

Eine persönliche Anmerkung zum Abschluss: Es ist erstaunlich, wie Juristen (wie Gregor Kirchhof) sich zu Experten in Sachen Grundstücksbewertung aufspielen. Zwar müssen Juristen immer wieder Sachverhalte rechtlich einordnen, die nicht in ihr originäres Fachgebiet fallen. Gerade deshalb wäre bei dem Thema Grundstücksbewertung ein wenig mehr Demut und Respekt vor der Expertise derjenigen angebracht, die Grundstücksbewertung hauptberuflich betreiben und auch die Marktübersicht haben. Umgekehrt löst es ja bei Juristen – oft berechtigte – “allergische” Reaktionen aus, wenn Lieschen Müller anfängt, juristische Beurteilungen abzusondern.

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