Grundsteuerreform: Die Voodoo-Ökonomie der Länderfinanzminister (Teil 2)

Dirk Löhr

Im Blogbeitrag vom 24.11. haben wir von der Antwort eines Ministerpräsidenten auf einen Brief aus dem Initiatorenkreis von “Grundsteuer: Zeitgemäß!” berichtet, der dem Verfasser vorliegt. Der betreffende Ministerpräsident (sein Name soll auch hier unerwähnt bleiben, da es nicht um Personen, sondern um die Argumente geht) möchte Argumentationshilfe für die Verteidiger einer verbundenen Grundsteuer leisten, die also den Boden und das aufstehende Gebäude zugleich belastet. Die Initiative “Grundsteuer: Zeitgemäß!” setzt sich hingegen für eine reine Bodensteuer ein. Der Ministerpräsident beruft sich in seinem Brief u.a. auf Prof. Wolfram Richter, der wiederum die Position innerhalb des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zum Thema Grundsteuer prägte und ebenfalls ein vehementer Befürworter einer verbundenen Grundsteuer ist.

Im ifo-Schnelldienst 22/2016 kritisierte Richter den Verfasser dieses Beitrags u.a. mit einer Argumentation, die auf die Grenzballungskosten abstellte. Unter den Grenzballungskosten versteht man die zusätzlichen Kosten, die eine wachsende Bevölkerung in einer Kommune  hervorruft. Formal lassen sie sich als die partielle Ableitung der Kosten der öffentlichen Vorleistungen nach der Anzahl der Einwohner ausdrücken. Eine unverbundene, nur auf den Bodenwert abstellende Grundsteuer wäre nach Richter nicht in der Lage, die Grenzballungskosten zu internalisieren, was aber allokativ wünschenswert wäre (Richter 2002).

Richter meint dies damit begründen zu können, dass sich Bevölkerungsveränderungen eben nicht zwangsläufig in Bodenwertänderungen niederschlagen. Richter (2016) erläutert seine Position anhand der Differentialwirkungen, die sich seiner Meinung nach ergeben, wenn sich

a) die Bevölkerungszahl verdoppelt;

b) die Bevölkerungszahl konstant bleibt, jeder Haushalt aber die doppelte Wohnfläche in Anspruch nimmt.

Nach Richter sind die Auswirkungen auf die Nachfrage
nach Wohnraum und die resultierenden Aufkommenswirkungen
bei der Bodensteuer in beiden Fällen die gleichen.
Allerdings bleiben die Ballungskosten der Kommune im Fall
b) nach Annahme konstant, während sie im Fall a) steigen
und sich tendenziell sogar verdoppeln. Somit wäre es nach Richter falsch anzunehmen, dass die Bodenwertsteuer Grenzballungskosten zu internalisieren erlaubt.

Den Aussagen von Richter sei nachfolgend die gängige Sicht der Dinge (u.a. vertreten von Geltner et al. 2007, S. 65 ff.) gegenübergestellt. Die Bodenrente ergibt sich dann aus dem Produkt von Transportkosten, Bevölkerungsdichte (beide ergeben zusammen den Bodenrentengradienten) sowie dem Radius der Agglomeration.

  • Fall a) bei Richter bedeutet, dass die Dichte (Bevölkerung pro Fläche) einer Siedlung sich bei konstanten Transportkosten und konstantem Radius verdoppelt (die letztgenannten Variablen werden konstant gehalten, da es sich bei den Grenzballungskosten um eine Marginalbetrachtung ausschließlich hinsichtlich der Bevölkerungsbewegung handelt). Damit steigen sowohl die Bodenrenten als auch der Bodenrentengradient an. Die steigenden Grenzballungskosten werden hier in den steigenden Bodenrenten abgebildet. Es bedarf hierfür keiner Gebäudekomponente.
  • Fall b) bei Richter ist eigentlich nur vorstellbar, wenn bei gleicher Bevölkerung die Siedlungsfläche der Kommune ausgedehnt wird. In diesem Fall würde in der Tendenz einerseits die Dichte halbiert und der Radius verdoppelt. Die Bodenrenten blieben dann aber unverändert (der Bodenrentengradient würde absinken). Auch hier würde der gleichbleibende Bodenwert die unveränderten Grenzballungskosten (keine Zuzüge) abbilden – entgegen der Behauptung von Richter und ganz ohne Gebäudebesteuerung. Im Gegenteil würde eine gebäudeorientierte Besteuerung im Fall b) sogar Grenzballungskosten abbilden, die gar nicht entstanden sind!

Die Schlussfolgerungen von Prof. Richter sind also schlichtweg falsch: Bodenwerte stellen sehr wohl ein geeignetes Mittel dar, um durch einen Bevölkerungszuzug gestiegene Grenzballungskosten zu internalisieren – im Gegensatz zu der Gebäudekomponente in der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage.

Immerhin hat mit den Argumenten von Prof. Richter die Diskussion um die Grundsteuerreform deutlich an Qualität gewonnen. Dennoch: Die Argumente sind unrichtig. Sie befeuern die Voodoo-Ökonomie der Befürworter einer verbundenen Grundsteuer, die sich v.a. in den Länderfinanzministerien befinden.

 

Literatur

D. Geltner et al. (2007): Commercial Real Estate, Mason OH, USA.

W. Richter (2002): Kommunaler Standortwettbewerb und effizienzorientierte Besteuerung, in: E. Theurl et al. (Hrsg.): Kompendium der österreichischen Finanzpolitik, Wien, 704 – 733.

W. Richter (2016): Reform der Grundsteuer: Ein Plädoyer für eine wertorientierte und gleichmäßige Besteuerung von Boden und Gebäuden, in: ifo Schnelldienst 22/2016 – 69. Jahrgang – 24. November.

One thought on “Grundsteuerreform: Die Voodoo-Ökonomie der Länderfinanzminister (Teil 2)”

  1. Vorneweg: Löhr schreibt: „Die Bodenrente ergibt sich … aus dem Produkt von Transportkosten, Bevölkerungsdichte (beide ergeben zusammen den Bodenrentengradienten) sowie dem Radius der Agglomeration.
    Formelmäßig ausgedrückt heißt das für die Bodenrente R:
    R [€/km²] = Dichte D [P/km²] * Transportkosten C [€ / (km*P)] * Radius [km];
    dabei ist D die Bevölkerungsdichte und P die dimensionslose Anzahl der Einwohner pro Flächeneinheit.
    Außerdem zum Zusammenhang von Bodenrente und Bodenwert, denn der macht ja das Steueraufkommen einer reinen Bodensteuer: Bodenrente und Bodenwert sind proportional:
    Bodenpreis * Geldzinssatz = Bodenrente;
    vgl. dazu z.B. http://www.marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_b/bodenpreis.html Auch Marx wusste das!

    Zur Auseinandersetzung mit Richter:
    Bei Fall a) leuchtet die hier geführte Argumentation sofort ein. Grenzballungskosten und Bodenrente verlaufen in der gleichen Richtung und im gleichen Maß. Die Bodenwerte steigen (c.p.) proportional zur Bodenrente (s.o.) und daher steigt im gleichen Maß auch das Aufkommen einer reinen Bodenwertsteuer. Gebäudebesteuerung also nicht nötig! Die Kommunen werden durch dieses Aufkommen kompensiert für ihren vermehrten Aufwand. Die Kosten des Aufwands sind internalisiert: Sie werden von denjenigen getragen, die von der Bodenwertsteigerung durch den wachsenden Aufwand der Kommune wegen der wachsenden Bevölkerungszahl profitieren.
    Im Fall b) finde ich es schwieriger:
    Es ist sofort einleuchtend, dass die Annahme von Richter: „Bevölkerungszahl bleibt gleich, jeder Haushalt beansprucht die doppelte Wohnfläche“ (ist zwar weltfremd, aber zur Untersuchung des Prinzips geeignet!) zu einem Sinken der Bevölkerungsdichte führt. Jetzt wird die (Faust-)Formel für die Bodenrente R wichtig (s.o.):
    R = Dichte D * Transportkosten C * Radius. Nach der Annahme von Richter bleibt die Personenzahl gleich, die Fläche muss aber verdoppelt werden: doppelte Wohnfläche pro Haushalt heißt: es wird bestimmt nicht nur die Wohnfläche verdoppelt, sondern es wächst auch die umgebende Fläche: wenn im Hochhaus jeder Haushalt jetzt zwei Wohnungen belegt, braucht es ein weiteres Hochhaus mit allen zugehörigen Flächen. Wenn jedes Einfamilienhaus jetzt doppelt so groß wird, wird auch die umgebende Fläche mitwachsen, wenn auch vielleicht nicht so stark. Also einleuchtend: Bei konstant bleibender Bevölkerungszahl und wachsender Siedlungsfläche sinkt die Bevölkerungsdichte. Es ist auch einleuchtend daraus: der Radius der Agglomeration wächst. Aber ob er sich verdoppelt? Formal würde der Radius um ca. 0,7 ( = 1/2 * Wurzel 2) wachsen, wenn sich die Fläche verdoppelt. Bei Halbierung der Bevölkerungsdichte = Verdoppelung der Fläche und Wachsen der Entfernung zum Zentrum auf das 0,7-fache, würde also nach der obigen Formel die Bodenrente (c.p.) auf das 0,7-fache sinken, denn der Radius wird nicht mit 2 multipliziert, sondern nur mit 1,414.Die Bodenrente würde nicht konstant bleiben, sondern leicht sinken und mit ihr das Aufkommen der Bodenwertsteuer. Wären nun die Kosten des Aufwands der Kommune nicht mehr internalisiert, denn die Kommune hätte nach wie vor die gleichen Kosten, aber gesunkene Einnahmen aus der Bodenwertsteuer?

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