Tag Archives: Frontal 21

Grundsteuerreform in Frontal 21 – Stimmungsmache statt Journalismus

Dirk Löhr

Suggestivjournalismus vom Feinsten im ZDF-Politikmagazin Frontal 21 vom 22.08.2023. In einem Beitrag von Andreas Halbach „Chaos um die Grundsteuer – Ungerecht und teuer?“ wird durch eine Aneinanderkettung von Halbwahrheiten und Auslassungen Stimmung gegen die neue Grundsteuer gemacht.

Die Neuregelungen wurden erforderlich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die von 1964 (Westen) und 1935 (Osten) stammenden Einheitswerte zur Bemessung der Grundsteuer in seinem wegweisenden Urteil vom 10.04.2018 als verfassungswidrig erkannt hatte: Diese hat weder in ihrer Höhe noch in ihrer Struktur noch irgendetwas mit den Verkehrswerten zu tun.

Vorausgeschickt werden muss, dass einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Hamburg) von einer grundgesetzlichen Öffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, die es erlaubt, vom Bundesgrundsteuergesetz auch in umfassender Weise abzuweichen.

Gemeinsam ist den Gesetzen in allen Bundesländern, dass sich an der bisherigen Struktur der Grundsteuer nichts ändert: Auf die Bemessungsgrundlage (die je nach Steuergesetz anders ausfallen kann) werden Steuermesszahlen angelegt, die gesetzlich vorgegeben sind. Das Ergebnis ist der Grundsteuermessbetrag. Auf diesen legen die Kommunen nun den Hebesatz an.

Die Kommunen sind gehalten, die Umstellung auf die neue Grundsteuer möglichst aufkommensneutral vorzunehmen. Wenn also die Bemessungsgrundlage um das 10-fache steigt, wäre der Hebesatz entsprechend zu verringern. Die Kritik, dass der damalige Kanzler Scholz ein entsprechendes Versprechen niemals hätte geben dürfen, ist berechtigt – denn zuständig für die Festsetzung der Hebesätze sind die Gemeinden. Lediglich das Land Niedersachsen hat die Aufkommensneutralität bei der Umstellung auf das neue Recht gesetzlich verankert (§ 7 NGrStG).

Richtig ist ebenfalls, dass viele Kommunen sich wahrscheinlich nicht an das Postulat der Aufkommensneutralität halten werden. Absehbar werden viele Kommunen die Systemumstellung für eine Steigerung der Einnahmen nutzen, da einerseits gewisse Unsicherheiten bezüglich der Einnahmen im neuen System bestehen und zweitens ein erheblicher Teil der Kommunen auch finanziell überlastet ist. Letzteres ist aber unabhängig von der Grundsteuerreform zu sehen: Das eigentliche Problem, das von Halbach auch beschrieben wird, ist die Verletzung des sog. Konnexitätsprinzips. Bund und Länder weisen den Kommunen immer mehr Aufgaben zu, ohne aber die Finanzierung sicherzustellen. Halbach verweist beispielhaft anhand der Stadt Übach-Palenberg in NRW auf den Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in Grundschulen ab 2026 oder die einzurichtenden Flüchtlingsunterkünfte. Die Kommunen sind unabhängig vom Grundsteuersystem darauf angewiesen, die Hebesätze zu erhöhen, wenn sie die Finanzierung dieser zugewiesenen Aufgaben sicherstellen wollen. Dies wird bei (fast) jedem Grundsteuermodell passieren und wäre im Übrigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei einer Fortgeltung des alten Grundsteuersystems erfolgt.

Insoweit ist nichts an dem Beitrag auszusetzen.

Ärgerlich ist etwas anderes: So bemüht sich Halbach gleich zu Beginn, die Volksseele mit dem Beispiel des Freiburger Grundstückseigentümers Norbert Stalter zum Kochen zu bringen. Hierbei schürt er in unverantwortlicher Weise bestehende Ängste in der Bevölkerung im Wesentlichen. Dabei hat er insbesondere wertbasierte Grundsteuermodelle im Visier, wie sie mit der Bundesgrundsteuer sowie dem Bodenwertmodell in Baden-Württemberg verfolgt werden. Freiburg liegt bekanntlich in Baden-Württemberg, wo künftig nur der Bodenwert – ohne das aufstehende Gebäude – besteuert wird. Dem Eigentümer Stalter aus Freiburg gehört nun ein 2.500 qm großes Grundstück im Süden der Stadt mit einem Bodenrichtwert von 1.050 Euro pro qm. Der Bodenwert des gesamten Grundstücks dürfte hiernach ca. 2,6 Mio. Euro betragen. Stalter hatte des Grundstück lt. dem Bericht Ende der 80er Jahre gekauft. Zum damaligen Zeitpunkt dürfte der Bodenwert nur einen Bruchteil des heutigen Wertes betragen haben. Hätten sich die Bodenwerte wie im Rest der Republik entwickelt, wären Stalter über 2 Mio. Euro „einfach so“, ohne weiteres Zutun zugewachsen. Wahrscheinlich dürften es aber mehr gewesen sein, da sich die Bodenwerte in den aufstrebenden Städten im Süden der Republik mit einer überdurchschnittlichen Dynamik entwickelten. „Gemacht“ hat den Bodenwertzuwachs allerdings nicht Herr Stalter, sondern die Allgemeinheit, nämlich v.a. über technische, soziale und institutionelle Infrastruktur, die über Steuermittel finanziert wurden. Herr Stalter findet es aber ungerecht, dass er fortan einen möglicherweise mehr von den ihm durch anderer Leute Arbeit zugefallenen Werten an die Allgemeinheit zurückgeben muss. Genau dies ist aber der Sinn der Bodenwertsteuer, da eben nicht der Eigentümer des Bodens dessen Wert „gemacht“ hat – im Unterschied zu den Bauten, die sich auf dem Grundstück befinden und die nicht der Besteuerung unterliegen. Der Eigentümer klagt dabei, dass die Grundsteuer sich von 433 Euro jährlich nun auf über 14.000 Euro erhöhen würde. Dies würde allerdings nur dann stimmen, wenn der zukünftige, ab 2025 geltende Hebesatz vollkommen unverändert belassen würde – diesen kann aber weder Herr Halbach noch der Eigentümer derzeit kennen. Tatsächlich dürften die Hebesätze vor allem in hochpreisigen Gebieten jedoch erheblich abgesenkt werden. Die Milchmädchenrechnung des Eigentümers wird durch Halbach aber durch keinen Einwand relativiert. Lediglich gegen Ende des Beitrages wird auf einmal außerhalb des o.a. Kontextes bemerkt „Kommt es in Extremfällen so wie in Freiburg zu einer Senkung der Hebesätze …“. Die Absenkung der Hebesätze wird jedoch nicht in Extremfällen, sondern regelmäßig stattfinden. Lediglich in ländlich strukturierten Kommunen mit geringen Bodenwerten und folglich geringen Änderungen des Steuermessbetrages wird dies in geringerem Umfang der Fall sein.

Der Eigentümer lamentiert weiter, dass ein Teil seines Grundstücks aufgrund von Wegerechten etc. nur eingeschränkt nutzbar sei und er daher zu hoch besteuert würde. Wenn dies so ist, würde dies die o.a. Aussage bezüglich der 2,6 Mio. Euro relativieren. Doch wieder wird von Halbach mit keinem Wort erwähnt, dass er gem. § 38 Abs. 4 des Landesgrundsteuergesetzes Baden-Württemberg ein Gutachten beibringen könnte, in dem er die Wertbeeinträchtigung darlegt.

Halbach interviewt stattdessen – um seine Aussagen zu bekräftigen – noch einen Vermieter. Und wieder dieselbe unseriöse Suggestion: Wenn die Hebesätze unverändert blieben, käme es zu einer Verzehnfachung der Grundsteuerlast, welche die Vermietung fortan unmöglich machen würde. Die Grundsteuerlast von 225 Euro pro Mieter und Monat (!) wäre nämlich untragbar. Und für das Privatgrundstück des Vermieters (800 qm) würde die Grundsteuer um das 80-fache auf 6.800 Euro pro Jahr steigen. Noch einmal: Die Hebesätze werden aber nicht unverändert bleiben. Es wird ebenfalls nicht erwähnt, dass die Bodenwertsteuer auf lange Sicht schlechter als andere Grundsteuermodelle wirtschaftlich auf die Mieter umlegbar sind. Genauso wenig, dass es gewichtige Stimmen gibt, welche eine Umlage der Bodenwertsteuer auf die Mieter für rechtswidrig halten (dies wird allerdings noch gerichtlich auszufechten sein). Weiß Herr Halbach das alles nicht oder will er es nicht wissen?

Halbach interviewt noch einen Wirtschaftsprüfer, der angibt, dass es bei der Bodenwertsteuer insbesondere für Ein- und Zweifamilienhäuser teurer wird. Dies ist – ungeachtet der verquasten Argumentation des Wirtschaftsprüfers – zwar grundsätzlich richtig, aber es geht nicht, wie hier suggeriert, um tausende von Prozenten. Hierzu gibt es tiefgehende Belastungsverschiebungsrechnungen aus verschiedenen Quellen (s. die vertiefende Literatur im Anhang dieses Artikels), die freilich von Halbach mit keinem Wort erwähnt werden. Der Autor dieser Zeilen hat selber Belastungsverschiebungsrechnungen vorgenommen, und diese u.a. in verschiedenen Landesfinanzministerien vorgestellt bzw. diesen Einblick gewährt. Ergebnis: Bei Aufkommensneutralität wird es für die Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern moderat teurer werden – es geht hier bei höheren Bodenrichtwertniveaus um Beträge von vielleicht 50 bis 100 Euro pro Jahr. Allerdings ist dies auch so gewünscht, da diese Bauweisen besonders viel Fläche in Anspruch nehmen, die dann für die Schaffung von Wohnraum insbesondere in Ballungsräumen fehlt. Es soll ja ein sanfter Druck auf mehr Flächeneffizienz vorgenommen werden. In niedrigpreisigen, peripheren Gegenden sind hingegen die Mehrbelastungen sehr überschaubar. Auch zu diesen Aspekten kein Wort von Halbach.

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Grundsteuer einen weiten Spielraum zugestanden. Geht der Gesetzgeber folgerichtig vor, so ist eine Verschiebung der Steuerlast zwischen den Steuerpflichtigen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern gerade ein Gebot für eine neue Grundsteuer. Ansonsten hätte sich das Bundesverfassungsgericht sein Urteil sparen und alles beim Alten lassen können.

Halbach interviewt in seiner offenbar bestehenden Absicht, die Grundsteuerreform zu skandalisieren, auch nur die Verlierer der Reform. Die vielen Gewinner, die diesen bei Aufkommensneutralität gegenüberstehen müssen, werden hingegen nicht benannt. Die Verlierer sind bei wertbezogenen Bemessungsgrundlagen (Bundesgrundsteuermodell und Bodenwertsteuer Baden-Württemberg) aber v.a. vermögensstarke Haushalte, die Gewinner sind eher vermögensschwache Eigentümer und Mieter, die in eher kompakten Behausungen leben.

Im Übrigen dürfte für den Laien auch nicht klar hervorgehen, worauf sich die Aussagen einiger Interviewpartner überhaupt beziehen. Florian Köbler von der deutschen Steuergewerkschaft spricht von 5 Millionen Einsprüchen gegen die Festsetzung des Steuermessbetrages. Unklar bleibt, welche Modelle von dieser Aussage umfasst sind und in welchem Maße. Hans-Joachim Beck, ehemaliger Vorsitzender des Finanzgerichts Berlin und nunmehr für den Immobilienlobbyverband IVD tätig, beklagt die Mängel des – ja welchen? – Gesetzes. Offenbar ist das Bundesmodell gemeint.  Dies alles wird jedoch ohne Abgrenzung und quasi “in einem Atemzug” mit den oben dargestellten (unhaltbaren) Vorwürfen gegen das Bodenwertmodell vorgebracht.

Die Auflistung der Mängel, Fehler und Auslassungen im Beitrag von Halbach könnte fortgesetzt werden. Frontal 21 hat in der Vergangenheit auch über das Thema Grundsteuerreform durchaus kritisch und zugleich kompetent berichtet. Der Beitrag von Halbach ist diesbezüglich leider ein journalistischer Tiefpunkt; er diskreditiert auch Halbachs eigene, bislang sehr verdienstvolle Arbeit. Der Applaus vieler Interessensgruppen, die von Haus & Grund und andere Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft, den Steuerzahlerbund bis hin zur AfD reichen, dürfte ihm sicher sein. Mit Stolz sollte ihn das nicht erfüllen. Hoffentlich war der Beitrag nur ein Ausreißer. Fehler macht schließlich jeder, und einen Schuss sollte jeder frei haben. Vielleicht hat Halbach ja die Größe, sich selbst zu korrigieren.

Zur Vertiefung (Beispiele):
R. Henger, T. Schäfer (2015): Mehr Boden für die Grundsteuer. IW-Policy Paper Nr. 32, 14.10. Online: https://www.iwkoeln.de/studien/ralph-henger-thilo-schaefer-mehr-boden-fuer-die-grundsteuer.html;

D. Löhr (2023): Impacts of Property Taxes on Planning and Settlement Development – Germany as a Living Lab. Modern Economy 14 (3). Online: https://scirp.org/(S(czeh2tfqyw2orz553k1w0r45))/journal/paperinformation.aspx?paperid=123605

Griechenland zum Schleuderpreis

Dirk Löhr

Griechenland soll seinen Staatsbesitz verkaufen. So will es Brüssel. 50 Milliarden Euro sollen die Verkäufe bringen, das Land könnte so einen Teil seiner Schulden tilgen, lautet das Versprechen.

griechenland-krise

Mit Marktwirtschaft hat die Privatisierung von Essential Facilities und natürlichen Monopolen allerdings nichts zu tun. Vielmehr spielen sich die Rent-Grabber in die Hände. Aufgrund seiner Erfahrungen mit derartigen Privatisierungsorgien müsste eigentlich gerade Deutschland die Notbremse ziehen. Weit gefehlt. Eine schöne Beschreibung der Zustände liefert die ZDF-Reportage

“Griechenland zum Schnäppchenpreis” (bitte klicken),

die in Frontal 21 vom 15.09. gesendet wurde.

Der Grexit und die Lizenz zum Lügen

Dirk Löhr

Eine Missgeburt, die der Bevölkerung die ganze Zeit als schönstes politisches Baby verkauft wurde. Eine Niederkunft ganz ohne Risiken. Über Jahre hinweg machten Unternehmen und Banken tolle Gewinne mit dem Griechenlandgeschäft, das nach dem Wegfall des Wechselkursmechanismus endgültig seine Leistungsfähigkeit verlor und immer weitere Schulden auftürmte. Doch Griechenland im Euro wurde der Bevölkerung über die Grenzen der politischen Parteien und Staaten hinweg als “alternativlos” verkauft. Schließlich kam, was kommen musste: Die sog. “Griechenlandrettung”, die in Wirklichkeit nichts anderes als eine Rettung vor allem der deutschen und französischen Banken war – auf Kosten der griechischen Bevölkerung und auf Risiko der Steuerzahler in den “Kernländern”.

griechenland-krise

Schuldenschnitt, Marshall-Plan und v.a. ein geordneter [sic!!] Austritt aus dem Euro: Allein diese Maßnahmen sind wirklich alternativlos, wenn man Griechenland jemals wieder auf die Beine bekommen will. Angebotsseitige (eine Abgabenreform weg von herkömmlichen Steuern und hin zu einer Abschöpfung der auch in Griechenland mehr als auskömmlichen ökonomischen Renten) und nachfrageseitige (Geldumlaufsicherung) Strukturreformen wären ebenfalls nicht verkehrt – man darf ja träumen.

Die Weigerung von Schäuble & Co, einen Schuldenschnitt durchzuführen, ist  nichts anderes als eine gigantische Konkursverschleppung. Dabei gibt es eine positive “Fortführungsprognose” für Griechenland, aber eben nur außerhalb des Euro. Jeder Manager müsste bei nur einem winzigen Bruchteil der zur Debatte stehenden Summe (allein für Deutschland rund 80 Mrd. Euro) bei einer privatwirtschaftlichen Konkursverschleppung seine Zahnbürste einpacken und dürfte ein paar Jahre hinter schwedische Gardinen einfahren.

Griechenland wird niemals seine Schulden zurückzahlen können, immer mehr wird sich auftürmen, wenn nicht endlich die Reißleine gezogen wird. Doch Schäuble & Co sind ja Politiker, denen man Verständnis entgegenbringt, da sie ja “wiedergewählt werden wollen”. Denn der nun zur Debatte stehende Schuldenschnitt wird sich – anders als der erste – unmittelbar im Bundeshaushalt bemerkbar machen. Die Sache kommt nun raus. Offenbar meinen Schäuble & Co, dass dies ihnen die “Lizenz zum Lügen” gibt.

Auf jeden deutschen Erwerbstätigen (und dies sind v.a. die Aldi-Verkäuferin, der Familienvater etc.) entfallen im Rahmen der Abschreibung der griechischen Schulden derzeit ca. 2.000 Euro. Das ist schmerzhaft, aber noch verkraftbar. Viel schlimmer ist: Bleibt Griechenland im Euro, wird der Konkurs weiter verschleppt, kann Europa scheitern, im schlimmsten Falle auseinanderbrechen. Die Töne zwischen Athen und Berlin sind schon heute nicht gerade freundschaftlich.

Viele Ökonomen haben es seit Beginn der 90er Jahre vorausgesagt, doch kaum ein Politiker hörte darauf: Dieser Euro ist ein Spaltpilz für Europa und wird einer bleiben. Die Polit-Kaste geht nicht nur unverantwortlich mit den Steuermitteln um, sondern auch mit der Zukunft Europas. Es ist Zeit, Tacheles zu reden. Zum Thema Grexit zwei sehenswerte ZDF-Reportagen aus dieser Woche:

WiSo vom 16.02.: Griechenland, der Euro und die Folgen (bitte klicken)

Frontal 21 vom 17.02.: Wahrheit und Lüge beim Schuldenschnitt (bitte klicken)

PS: Man musste kein Prophet sein …

Grexit-III

 

 

 

TTIP: Gentechnik durch die Hintertür (Frontal 21, ZDF)

Dirk Löhr

Das derzeit verhandelte transatlantische Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) treibt die Globalisierung weiter voran.

ttip

Globalisierung: Das ist auch eine Globalisierung von Institututionen – nicht zuletzt auch solchen des Rent Seeking. Es geht dabei auch um die “Einfriedung” ehemaliger von Allmenden – wie die biogenetischen Ressourcen. Genveränderte Organismen (GVOs) drohen über das TTIP-Abkommen in geheimen Verhandlungen auch auf die deutschen Teller zu schwappen. Dies, obwohl mehr als 70 % der Deutschen dies ablehnen. Hierüber berichtete der Beitrag in Frontal 21 (ZDF) vom 27.01.2015

TTIP: Gentechnik durch die Hintertür (bitte klicken)

Bei GVOs geht es v.a. um die Patente – mit ihren Monopolrenten. Eigentlich sollte der Verbrauch der Sinn des Wirtschaftens sein, und die Akkumulationssphäre nur ein Mittel dazu. Regiert jedoch das Rentabilitätsprinzip, verkehren sich Mittel und Zweck. Shareholder Value wird zum Selbstzweck.

 

Korrupte Weltgesundheitsorganisation

Dirk Löhr

Manchmal ist die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) schnell. Sehr schnell. Zu schnell. Da wird in Windeseile eine eigentlich gut beherrschbare Schweinegrippe zur globalen Pandemie der höchsten Warnstufe ausgerufen. Wie gut, wenn dann ein Pharmakonzern GlaxoSmithKline den passenden Impfstoff gerade im Schrank hat, der dann von den Regierungen dieser Welt in Massen gekauft wird. Gekauft wurden offenbar auch die zuständigen “Wissenschaftler” der WHO – aber von der Pharmaindustrie (vgl. Briseno 2009).

900px-Flag_of_WHO.svg

Die Pflichtbeiträge der Staaten reichen für eine angemessene Finanzierung der WHO hinten und vorne nicht aus. Daher wurde der Pharmaindustrie eine Public Private Health-Partnerschaft angeboten, die diese mit Freuden annahm. Das Ergebnis: Seit 2001 hängt die WHO zunehmend mit ihren Finanzen am Tropf der Pharmaindustrie – derzeit werden ca. 75 % ihres Budgets von ca. 4 Mrd. US-Dollar durch “freiwillige Beiträge” aufgebracht. Und dies nicht aus purem Altruismus. Die edlen Spender möchten natürlich bei der Verwendung der Mittel mitreden.

Der Beitrag von Frontal 21 (ZDF) vom 21.10.2014

Zu spät und zu wenig – WHO versagt bei Ebola (bitte klicken)

illustriert diese Zusammenhänge eindrucksvoll.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum die WHO angesichts des jüngsten Ausbruchs von Ebola erstaunlich langsam und zögerlich war. Deutlicher: Die WHO hat versagt.

Warum der Tiefschlaf der Organisation? Die Pharmariesen haben hier kein Interesse – sie haben nichts zu verkaufen. Arme-Leute-Krankheiten interessieren sie nicht. Einen erheblichen Anteil hieran hat das internationale Patentrecht: Es verschafft Monopolpositionen und Monopolrenten in lukrativen Märkten. Dementsprechend werden die Ressourcen der Pharmaindustrie in Lifestyle-Medikamente und Medikamente zur Bekämpfung von Wohlstandskrankheiten gesteckt – Killer wie Ebola, TBC oder Schistosomiasis kommen weitgehend ungeschoren davon (s. unseren Beitrag “Ebola: Die eigentliche Seuche“).

Um das Vertrauen in die WHO wieder herzustellen, sollte zunächst ihre Neutralität wieder hergestellt werden. Dies geht nur über eine wesentliche Erhöhung der Pflichtbeiträge der Staaten und die Abkopplung von den Finanzmitteln der Industrie. Die WHO sollte finanziell in die Lage versetzt werden, auch ärmeren Staaten bei akuten Seuchenausbrüchen unter die Arme zu greifen. Dies ist durchaus auch im Interesse der wohlhabenden Staaten, wie die Angst vor dem Überschwappen der Seuche zeigt.

Die zweite Baustelle ist die der geistigen Eigentumsrechte. Das gegenwärtige Anreizsystem der Patente ist weder effizient noch effektiv (Löhr 2013). Sinnvoll wäre die Erstellung eines internationalen Patentpools (wenigstens für Medikamente), der von der WHO verwaltet werden könnte. Nur so kann der dringend notwendige Schub bei der Entwicklung von “Arme-Leute-Medikamente” angereizt werden.

 

Mehr Informationen:

Briseno, C. (2010): Schweinegrippe-Pandemie: Wie die WHO das Vertrauen der Verbraucher verseucht, in: Spiegel Online vom 09.06. Online: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/schweinegrippe-pandemie-wie-die-who-das-vertrauen-der-verbraucher-verseucht-a-699427.html

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Rausgeschmissen: Vermietertricks beim Eigenbedarf (Frontal 21, ZDF)

Dirk Löhr

Die Sendung “Rausgeschmissen: Vermietertricks beim Eigenbedarf” (Frontal 21, ZDF vom 16.09.) zeigte deutlich, wie wenig auch die schönsten gesetzlichen Regelungen ausrichten können, wenn die Marktverhältnisse dagegen stehen.

Mietpreise

Neuvermietungen bringen eben wesentlich mehr Geld ein als die Bestandsmieten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bleibe zuvor modernisiert wurde. So muss der alte – u.U. nicht mehr “zahlungsbereite” – Mieter weichen. Dann kann das Bodenrentenpotenzial, das derzeit v.a. in den Ballungsräumen kräftig steigt, richtig gut ausgenutzt werden. Wunschlisten, auch wenn sie in Gesetzesform gegossen sind, können hiergegen nicht anschwimmen.

Wir haben in diesem Blog wiederholt Vorschläge gebracht, wie man das Wohnungsproblem wirksam – und von der Wurzel her – anpacken kann (s. den Blogbeitrag “GCN-Initiative: Wohnraumsituation in den Großstädten“).

 

Telekom: Das Monopol auf der letzten Meile

Dirk Löhr Es stammt noch aus der Zeit , als die Telekom ein Staatsmonopolist war: Das Monopol auf die “letzte Meile”, also den letzten Abschnitt der Leitung, der zum Hausanschluss führt. 120px-Telefon_t-sinus-700 Wir haben in diesem Blog immer wieder herausgestellt, dass derartige Monopole nicht effektiv reguliert werden können. Sie gehören in staatliche Hand. Dass die Bundesnetzagentur mit der Regulierung des privaten Monopols tatsächlich scheitert, belegt u.a. anschaulich der Beitrag von Frontal 21 (ZDF) “Telefonanbieter lassen Kunden hängen” vom 5.8.2014: http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2212046/Telefonanbieter-lassen-Kunden-h%C3%A4ngen

Müllgebühren: Bürger über’s Ohr gehauen

Das Geschäft mit Müll kann einträglich sein. Ein finanziell ruinierter Staat agiert unter diesen Umständen – Hand in Hand mit der Privatwirtschaft – auch gegen die Interessen seiner eigenen Bürger. Und soll dabei seine eigenen Geschäfte kontrollieren … Ein weiteres Beispiel dafür, dass Vater Staat finanziell vernünftig ausgestattet werden muss und bei eigener wirtschaftlicher Betätigung zurückhaltend sein soll, liefert die Reportage von Hans Koberstein und Joe Sperling in Frontal 21 vom 15. Juli. Eine befriedigende finanzielle Ausstattung des Staates kann – was in diesem Blog immer wieder geschildert wird – ohne wirtschaftlich schädliche Folgen (und ohne Steuererhöhungen!!) durch eine konsequentere Abschöpfung der ökonomischen Renten zugunsten der Gemeinschaft erfolgen. Ein finanziell geschwächter Staat kann sich ansonsten nicht über Sonderinteressen stellen – er ist nicht mehr neutral, sondern wird korrupt. Die Farbe der Parteibücher der politisch Verantwortlichen spielt vor diesem Hintergrund kaum eine Rolle.

Wie immer: Wegen privatwirtschaftlicher Privilegien, die als “geistige Eigentumsrechte” firmieren, bitte den Beitrag rasch anschauen – er ist nur zeitlich beschränkt in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Link: http://www.zdf.de/frontal-21/millionenprofite-mit-muellgebuehren-34054992.html

Flughafen Berlin: Kettenreaktion

Dirk Löhr

Die ZDF-Sendung „Frontal 21“ berichtete in der Sendung vom 8. April 2014 von der drohenden Pleite der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft, der Air Berlin. Dummerweise ist auch das wirtschaftliche Schicksal des Berliner Pannenflughafen auf’s Engste mit der Zukunft der Air Berlin verknüpft. Fällt die Air Berlin aus, kann man das Projekt BER wohl endgültig wirtschaftlich abschreiben. Der Flughafen wird dann wohl definitiv zum Milliardengrab. Es droht eine wirtschaftliche Kettenreaktion.

Die einzige Rettung droht ausgerechnet von der gefürchteten arabischen Konkurrenz: Der Golf-Airline Etihad. Die Araber haben schon Airlines aus der Schweiz, Irland und Serbien an sich gebunden. Demnächst möchte die Fluggesellschaft in die Alitalia einsteigen. Die ansonsten so auf Wettbewerb bedachten Europäer können sich nur notdürftig durch marktwirtschaftliche „Blutgrätschen“ helfen: Die Araber werden bislang mehr oder weniger erfolgreich durch europäische und deutsche Regelungen in ihren Start- und Landerechten sowie ihren Beteiligungsmöglichkeiten beschränkt – und damit konkret auch in ihren Möglichkeiten, etwas zur Rettung der angeschlagenen Air Berlin beizusteuern. Es ist pervers: Die Regelungen, die die europäischen Airlines „schützen“ sollen, drohen Air Berlin und dem Projekt BER den wirtschaftlichen Garaus zu machen.

In unserem Blogbeitrag „Luftkampf: Der Abschuss des Kranichs“ hatten wir schon die merkwürdige Situation beschrieben: Ausgerechnet Araber (!), denen dazu das Öl ausgegangen ist (!), rollen mit Staatsairlines (!) den westlichen Luftraum auf – und zahlen ihrem Personal gleichzeitig noch mehr als üppige Gehälter (!). So steht das nicht in den Lehrbüchern! Eine wesentliche Erfolgsquelle ihrer Airlines liegt jedoch nicht etwa in unlauteren Subventionen, wie ihre europäischen Konkurrenten argwöhnen. Vielmehr haben die Araber eine neue Ressource entdeckt: Ihre geographische Lage, die sie als internationales Drehkreuz für den Luftverkehr prädestiniert. Und – obwohl es sich um feudale Herrschaftsstrukturen handelt, für die der Staat Privatsache ist – machen die Machthaber dennoch Eines richtig: Die Bodenrenten werden in die bestehenden Infrastrukturen gesteckt, anstatt sie an Aktionäre auszuschütten.

Die westlichen Flughäfen müssen nämlich Rendite erwirtschaften – die nichts anderes als Bodenrente ist und an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Die Bodenrente wird also nicht in die Infrastruktur investiert. Hingegen stammt die satte Eigenkapitalausstattung des Hub in Dubai aus reinvestierten Bodenrenten. Der Airport wird zudem als staatliche Angelegenheit betrachtet. Auch muss – anders als in westlichen Staaten – nicht der Steuerzahler für die Finanzierung der umgebenden staatlichen Infrastruktur aufkommen, die gerade für Flughäfen von überragender Bedeutung ist. Dementsprechend sind die Abgaben niedrig – anders als bei der westlichen Konkurrenz. Die hohe Abgabenbelastung von Flughäfen, Airlines, Personal und Tickets lässt so die westlichen Airlines unweigerlich ins wirtschaftliche Hintertreffen geraten.

Allerdings handelt es sich bei der Privatisierung der Bodenrenten um eine heilige Kuh der westlichen Wirtschaftssysteme – der allerdings möglicherweise mit der Luftfahrtindustrie ein weiteres Standbein amputiert schmerzhaft werden muss.

Auch, wenn die volkswirtschaftlichen Seminare das westliche System als effizient feiern: Dümmer geht’s nimmer.