Ordnungspolitik statt Gemeinwohlökonomie: Befreit die Wirtschaft von der Ethik!

Dirk Löhr

Dieser Text ist zugleich eine Antwort auf die Erwiderung von Anton Wundrak & Gerd Hofielen. Zunächst ein kleines “Chapeau”: Obwohl ich mit dem Blogbeitrag „Gemeinwohlökonomie: Robespierre lässt grüßen“ tatsächlich provozieren wollte, sind statt eines Shitstorm durchweg sehr sachliche Beiträge eingetroffen. Überzeugt haben diese mich allerdings dennoch nicht.

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Nach wie vor sehe ich als eines der größten Probleme der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) ihre ordnungspolitischen Defizite, wenngleich sie eine marktwirtschaftliche Orientierung vorgibt (s. die Homepage (https://www.ecogood.org/). Beispielsweise finden die Grundgedanken Euckens (1990) in der GWÖ keinen Niederschlag. Zwar werden die Institutionen, die das unternehmerische Handeln in eine falsche Richtung lenken, von der GWÖ nicht gut geheißen – ihre Modifikation ist jedoch nicht das vorrangige Anliegen. So stehen z.B. Sperrpatente auf der Negativliste, das Patentwesen an sich erregt jedoch allenfalls ein dumpfes Unbehagen – nicht mehr. Dabei ist das Patentwesen dem Privateigentum an Land und Natur nachgeäfft: Man kann damit ökonomische Renten erzielen, andere Akteure blockieren und Kosten auf unbeteiligte Dritte abschieben. Immerhin erkennt Felber (2012) – eher intuitiv als analytisch – die Problematik des Privateigentums an Land und Natur. Doch fehlt die Problematisierung der Renten aus Land und Natur sowie die Verknüpfung mit den Absurditäten und Ungerechtigkeiten des heutigen Abgaben- und Steuerwesens – was eines der Hauptanliegen von Henry George (1885) war. Ähnliche Defizite bestehen bezüglich des heutigen Geldwesens. Die Kritik von Silvio Gesell (1949; „Freigeld“) und Irving Fisher (1935) „100 %-Money“ bzw. die sich daran anschließende Vollgelddiskussion) wird ebenfalls nicht gezielt aufgegriffen.

Die GWÖ setzt also nicht am ordnungspolitischen Rahmen an; vielmehr geht es ihr um die ethische Bewertung des unternehmerischen Handelns. Diejenigen, die sich nach den ethischen Maßstäben der Gemeinwohlmatrix vorbildlich verhalten, sollen Privilegien genießen, etwa bei der Kreditvergabe. Dem Ordnungspolitiker müssen hier aber die Haare zu Berge stehen. Privilegien haben wir wirklich schon genug – genau das ist unser Problem. Wir leben nicht in einer Marktwirtschaft, wie uns mancher Einfalts-Liberaler einreden mag, sondern in einer Privilegienwirtschaft. Deren radikale Abschaffung sollte das Ziel sein, nicht ihre Ausweitung auf die bisher zu Kurz gekommenen “Gutmenschen”.

Klar, Wundrak und Hofielen könnten mit Erich Kästner antworten „es gibt nichts Gutes außer man tut es“. So verweisen sie auf die positiven Effekte der Orientierung an einer Gemeinwohlmatrix. Die Sparda Bank München eG zahlt nach ihren Angaben keine Provisionen mehr für den Verkauf von Finanzprodukten, um eine rein durch den persönlichen Profit gesteuerte Kundenberatung auszuschließen. Sicherlich – das ist positiv zu bewerten. Dasselbe könnte man allerdings – und nicht nur für die Sparda Bank München eG – erreichen, wenn das Prinzip der persönlichen Haftung konsequent durchgesetzt würde. Die heutigen Haftungsprivilegien für juristische Personen und ihre Organe gehören abgeschafft (vgl. Eucken 1990).

Walter Eucken
Walter Eucken

Wenn in einer Bank strukturelle Anreize für Falschberatung (auf Kosten der Kunden) existieren und Bankvorstände hierfür nicht mit ihrem persönlichen Vermögen geradezustehen haben, öffnet man solchen Fehlentwicklungen Tür und Tor. Wenn im Rahmen der Gemeinwohlmatrix ein paar von diesen unzähligen Fehlentwicklungen benannt und beseitigt werden, mag man sich freuen und dies öffentlichkeitswirksam feiern. Indessen geht dies noch lange nicht an den Kern des Problems, sondern ist ein Tropfen auf den heißen Stein. An tausenden anderen Baustellen gehen die Fehlentwicklungen – meist unbemerkt – fleißig weiter.

Damit kein Missverständnis entsteht: Gegen die Verwendung einer Gemeinwohlmatrix im Rahmen der betrieblichen Entscheidungsfindung ist nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil ist es ein Zeichen weitsichtiger Unternehmensführung, wenn man sich nicht nur am (kurzfristigen) Gewinn, sondern auch an anderen Leitwerten (Bossel 1998) orientiert. Welche Hilfen ein Unternehmer hierfür verwendet, sollte ihm jedoch überlassen bleiben. Wählt er die Gemeinwohlmatrix, ist das gut so. Hält er – auch aufgrund seines subjektiven Wertesystems – andere Entscheidungshilfen für Ziel führender, sollte ihm auch diese Möglichkeit offen stehen.  Dies gilt auch für das Beispiel der von Wundrak / Hofielen diskutierten Reduktion der Gehaltsspreizung. So verstanden wäre die betriebliche Orientierung an einer Gemeinwohlmatrix zunächst nur dem Überleben des eigenen Unternehmens (als gesellschaftlichem Subsystem) förderlich, aber noch nicht dem Gesamtsystem (der Gesellschaft).

Von Gemeinwohlökonomie könnte man tatsächlich erst dann reden, wenn man das Wertesystem hinter der Gemeinwohlmatrix allgemeinverbindlich macht. Und hiermit dürften viele Menschen (der Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen) ein Problem haben – wenn die zugrundeliegenden Werte nicht geteilt werden. Sie sind nämlich nicht so universell wie  von Wundrak / Hofielen behauptet. Andererseits sind viele der heutigen Institutionen und die dahinter stehenden Werte (wie z.B. unser heutiges Steuersystem) für einige Zeitgenossen (incl. dem Verfasser dieser Zeilen) höchst problematisch, offenbar aber nicht für Herrn Felber und seine Anhänger. Dies wäre allerdings eine eigene Diskussion wert.

Im Übrigen kann auch im Rahmen eines Zertifizierungssystems auch nicht ansatzweise überprüft werden, inwieweit das unternehmerische Handeln dem Gemeinwohl dienlich war. Nicht nur, dass man erst einmal zu einer allgemein akzeptierten Definition dessen kommen müsste. Was ist unter „Gemeinwohl“ überhaupt zu verstehen? Hieran haben sich nicht nur die Wohlfahrtsökonomik und die Glücksforschung bislang die Zähne ausgebissen. Die diesbezüglichen Vorstellungen des Herrn Felber müssen eben nicht die meinen sein. So sind alle Versuche, unternehmerisches Verhalten in Bezug auf ihre Beiträge zum Gemeinwohl konkret zu bewerten, eine ziemlich subjektive Angelegenheit.

Von einem ordnungspolitischen Standpunkt aus kann man die Fehlleistungen der heutigen Institutionen auf folgenden Nenner bringen: Sie tragen zumeist zu einer Entkopplung zwischen Nutzen und Kosten bei. Dementsprechend lautet die Panazee hiergegen: Wer den Nutzen hat (z.B. die Provisionseinnahme für eine Beratung), muss auch die Kosten und Risiken tragen. Während wir noch nicht einmal befriedigend definieren können, was Gemeinwohl eigentlich sein soll, können wir nämlich sehr wohl erkennen, wo Nutzen und Kosten auseinander laufen, d.h. wo Externalisierung stattfindet. Denn wir können uns nämlich demokratisch auf gesellschaftliche Verhaltensstandards (hinsichtlich Lärm, Arbeitsschutz etc. etc.) einigen und eine Abweichung von diesen Standards (zu Lasten der Mitmenschen) sanktionieren. Da solche Standards das Verhältnis zwischen den Akteuren regeln, sind sie aber eben Sache des gesellschaftlichen Ordnungsrahmens, nicht des einzelnen Unternehmers.

Zudem hat ein Unternehmer jeden Tag tausende Entscheidungen zu treffen. Welche selektiert man bei der Bewertung nach der Gemeinwohlmatrix und warum? Und welche bleiben außen vor? Um an das oben genannte Haftungsbeispiel aufzugreifen: Hat die Sparda Bank München eG etwa keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, über die faktisch eine Haftungsverschiebung zu Lasten der Kunden stattfindet? Und ist die Eigenkapitalausstattung der gesamten Genossenschaftsgruppe angemessen, damit nicht der Steuerzahler am Ende haftet? Hält sie sich mit der Fristentransformation in einem vertretbaren Rahmen (was ist das?), so dass sie bei einer Änderung von Zinsniveau und Zinsstruktur nicht in eine Schieflage kommt und wieder dem Steuerzahler in die Arme fällt? Gibt die Gemeinwohlmatrix Anhaltspunkte für die Lösung all dieser Fragen? Für manche mag sie vielleicht eine Richtung weisen, viele bleiben aber unbeantwortet. Wir können die Entscheidung hierüber auch ruhig dem Bankvorstand überlassen. Unabhängig davon, an welchem Ethikrahmen sich der Bankvorstand orientiert: Wichtig ist, dass eine Fehlentscheidung – anders als heute – persönliche Konsequenzen für ihn haben kann. Die konsequente Verwirklichung dieses Prinzips in einem Ordnungsrahmen ist Ordnungspolitik.

Im Übrigen trägt die Gemeinwohlmatrix auch nicht dazu bei, Akteure von ethischen Dilemmata zu entlasten. Gerade trübt sich wieder einmal die Konjunktur ein. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive könnte es demnächst vielleicht wieder wünschenswert sein, dass die Sparda Bank München eG beispielsweise verstärkt Kredite zur Überbrückung von Liquiditätslücken im Mittelstand vergibt, die durch leere Auftragsbücher bedingt sind. Ist dies aber auch im Sinne der Einleger und der Steuerzahler, wenn die Bank durch eine solche Politik in eine Schieflage gerät? Was sagt die Gemeinwohlmatrix dazu? Nein, wir brauchen einen Ordnungsrahmen, der die einzelnen Akteure erst gar nicht in einen solchen Konflikt bringt. Ordnungspolitik hat nämlich auch die Funktion, Menschen von ethischen Dilemmata zu entlasten. Marktwirtschaft muss in Regeln münden, welche das eigennützige Verhalten der Akteure mit dem Gemeinwohl zusammenfallen lässt.

Dann braucht man weder ethische Apelle an die Unternehmensführung noch die Allgemeinverbindlicherklärung eines bestimmten Werterahmens für die Unternehmensführung. Ein Lump als Unternehmer muss aus Eigeninteresse genauso zu einem wie auch immer definierten Gemeinwohl beitragen wie ein Heiliger.

Andererseits ist auch für Felbers Welt anzunehmen, dass die Erträge aus der Externalisierung von Kosten oftmals diejenigen der Privilegien übersteigen werden, die über die GWÖ vergeben werden sollen. Positive Lenkungswirkungen stellen sich dann nicht ein. Doch Wirtschaft darf keine Exklusivveranstaltung für Heilige sein. Geeignete Institutionen müssen daher dazu dienen, Egoismen und Gemeinwohl zusammenfallen zu lassen (vgl. Smith 1776). Zugleich müssen sie aber auch Ethik aus den wirtschaftlichen Entscheidungen herausnehmen, und nicht im verstärkten Maße in diese hineinzutragen.

All dies kann am einfachsten erreicht werden, indem die Preise die wirklichen sozialen und ökologischen Kosten wiedergeben (Löhr 2013). Dann braucht man allerdings auch keine Zertifizierungsindustrie zur Abnahme der Gemeinwohlbilanz. Ein erheblicher Teil der Zertifizierungsindustrie gedeiht heutzutage auf dem giftigen Beet der Preislügen. Und eine Ausbreitung der Gemeinwohlökonomie würde nicht primär gegen das Problem der falschen Preise angehen, sondern die Zertifizierungsindustrie noch weiter aufblühen lassen.

Die Gemeinwohlökonomie nimmt zwar für sich in Anspruch, diese Aspekte nicht zu vergessen. Wenn dann aber gerade die potentiellen Protagonisten des gesellschaftlichen Wandels im Rahmen einer Erweiterung der Zertifizierungsindustrie von den falschen Preisen profitieren, zieht ein Interessenkonflikt ein. Die Korrumpierung der Hoffnungsträger droht, und der Widerstand gegen die Preislügen schwächt sich ab. Dann mutiert das „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ zur „guten Kraft, die Schlechtes schafft“.

 

Literatur und mehr Informationen:

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München.

Eucken, W. (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., Tübingen.

Felber, C.  (2012): Die Gemeinwohl-Ökonomie: Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Deuticke.

Fisher, I. (1935): 100% Money. Adelphi, New York.

George, H. (ca. 1885): Fortschritt und Armut, Halle a.d. Saale.

Gesell, S. (1949): Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg.

Homepage Gemeinwohlökonomie: https://www.ecogood.org/was-ist-die-gemeinwohl-oekonomie

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg.

Smith, A.  (1776/2005): An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, W. Strahan and T. Cadell, London. Digitale Ausgabe von 2005. Online: http://www2.hn.psu.edu/faculty/jmanis/adam-smith/Wealth-Nations.pdf (eingesehen: Februar 2013).

 

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