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Ökonomische Rente und ressourcenbasiertes Grundeinkommen

Dirk Löhr

Bei ökonomischen Renten handelt sich um Einkommen, denen keine Aufwendungen gegenüberstehen. Die Eigentümer von Grund und Boden beziehen eine Bodenrente aufgrund von Standortvorteilen, die Eigentümer anderer natürlicher Ressourcen und Rohstoffe aufgrund von Kostenvorteilen bei der Förderung und die Eigentümer eines Funk- oder Schienennetzes oder von Patenten aufgrund ihrer Monopolposition. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden. Gemeinsam ist all diesen Gegenständen, dass der marktwirtschaftliche Wettbewerb nicht greift. Wenn sich z.B. mehr Nachfrage auf den Boden richtet, kann dieser nicht beliebig vermehr oder ersetzt werden. Es steigen nur die Renten und Werte – die privaten Eigentümer freuen sich.

Wenn den Eigentümern dieser Assets auch keine Aufwendungen entstehen – so gibt es doch nichts umsonst. Ohne die öffentlich finanzierte Infrastruktur etc. ist Grund und Boden nichts wert, ohne das öffentlich finanzierte (Hoch-) Schulwesen gäbe es keine Patente etc. Die Inwertsetzung wird also meist öffentlich getragen.

Und schließlich: Der Eigentümer von Grund und Boden muss dieses nicht bebauen, der Eigentümer eines Netzes muss seinen Konkurrenten keinen Zugang gewähren (zumindest nicht, wenn keine entsprechende Regulierung existiert), der Inhaber eines Patentes muss dieses nicht verwerten. All diese Assets können zum Gegenstand wirtschaftlicher Blockaden gemacht werden. Die Inhaber der betreffenden Assets haben hierfür zumeist gute wirtschaftliche Gründe (i.d.R. Wertsteigerungen) – und die Einkommensausfälle tragen nicht sie, sondern andere.

Ein wunderbares System: Der Nutzen aus all den genannten Monopolen wird von starken, gut organisierten Spielern eingesackt, die ein inniges Verhältnis zu den politischen Entscheidungsträgern pflegen. Die Kosten werden auf schlecht organisierte Gruppen abgewälzt. Die am schlechtesten organisierte Gruppe ist dabei die Allgemeinheit. Dies ist das Grundgesetz der Rentenökonomie.

Genau genommen zahlt die Allgemeinheit zunächst einmal doppelt:

– In Höhe der ökonomischen Renten, die mit mehr als 200 Mrd. Euro pro Jahr (2010) ungefähr der Zinsbelastung in der Wirtschaft entsprechen.

– In Gestalt der Kosten für die Inwertsetzung der kritischen Assets, die v.a. über Lohn- und Mehrwertsteuer sowie eine Reihe von Bagatellsteuern die Öffentlichkeit diffus belastet. Während Renten und Zinsen mit zusammen rund 420 Mrd. Euro pro Jahr (2010) mehr als 23 % des Volkseinkommens ausmachen, tragen die Bezieher dieser leistungslosen Einkünfte nur rd. 5 % zur Finanzierung des Gemeinwesens bei.

Hinzu kommen noch mittelbare Kosten:

– Die Steuerbelastung führt zu Entmutigungseffekten (ökonomischen Zusatzlasten). Diese werden unterschiedlich hoch eingeschätzt, können jedoch bis zu 50 Mrd. Euro jährlich betragen.

– Über die Verzichtskosten, die wegen des mangelnden Zugangs zu Standorten, geistigen Eigentumsrechten, Ressourcen etc. entstehen, kann nur spekuliert werden.

Nutzen und Kosten sind bei den genannten Monopolen entkoppelt. Funktionieren kann diese Entkoppung aber nur über eine gemeinhin gepriesene Institution: Den Steuerstaat. Steuern sind – zumindest im deutschen Rechtsverständnis – nämlich als Abgaben definiert, denen kein Anspruch auf Gegenleistung gegenübersteht (§ 3 Abs. 1 Abgabenordnung). Der Steuerstaat ist also durch eine Entkopplung von Einnahmen und Ausgaben definiert. Werden Nutzen und Kosten entkoppelt, sind aber Marktversagen (externe Kosten) und auch Staatsversagen (leichtfertiger Umgang mit Steuergeldern etc.) die Folge; die Manifestationen dieser Fehlentwicklungen sind vielfältig.

Wie aber könnte man die ökonomischen Renten sinnvoll nutzen? Die Remedur ist im Grunde genommen einfach: Die ökonomische Rente, die durch Gemeinschaftsleistungen überhaupt erst entsteht, muss abgeschöpft und der Gemeinschaft zugeführt werden. So einfach dies auch klingen mag – so schwierig ist es umzusetzen: Erforderlich ist nämlich ein tiefer Eingriff in die Eigentumsrechte, eine Abschaffung von Privilegien. Und, wie Fred Harrison einmal bemerkte:“Our culture is dedicated to preserving the privatisation of rent“.Dennoch: Die Eigentumsrechte an allem, was der Mensch nicht geschaffen hat oder gemeinschaftlich in Wert gesetzt wurde (Boden, Ressourcen, Wasser, Wissen, Geld etc.) gehören in öffentliche Hand.Dies betrifft Wiege und Bahre des Wirtschaftens. Hingegen soll der Staat seine Finger von dem lassen, was der Mensch durch seine Anstrengungen geschaffen hat. Vor allem soll er sich aus den wirtschaftlichen Abläufen heraushalten.Durch die Abschöpfung der ökonomischen Renten können aber nicht nur Nutzen und Kosten wieder gekoppelt werden.Darüber hinaus besagt das in der Finanzwissenschaft weithin anerkannte „Henry George-Theorem“, dass die eingesammelten ökonomischen Renten zur Staatsfinanzierung ausreichen sollten. Dementsprechend wollte der amerikanische Bodenreformer Henry George die Finanzierung des Gemeinwesens auf die ökonomische Rente begründen und alle anderen Steuern abschaffen („Single Tax“).

Aber: Ergibt es wirklich Sinn, dass der Staat die gesamten ökonomischen Renten einbehält? Die ökonomischen Renten können auch als ein sozialer Überschuss (nicht im wohlfahrtsökonomischen Sinne) interpretiert werden. Der Bodeneigentümer bekommt ein Residuum, also alles, was übrig bleibt, nachdem Kapital und Arbeit bezahlt wurden. Mit anderen Monopolen verhält es sich ähnlich.

Meines Erachtens liegt es nahe, diesen sozialen Überschuss zu großen Teilen auszuschütten. Der Staat sollte nur die Beträge einbehalten, die für die Kernaufgaben: Bereitstellung von Planung, Infrastruktur (fixe Kosten von Krankenhäusern, Feuerwehr, Schulen, Universitäten, Schwimmhallen etc.) und Sicherheit notwendig sind. Die Ausschüttung des verbleibenden sozialen Netto-Überschusses läuft auf ein durch die ökonomische Rente finanziertes Grundeinkommen hinaus („ressourcenbasiertes Grundeinkommen“).

Aus dem ressourcenbasierten Grundeinkommen können die Bürger v.a. den Zugang zu staatlichen Leistungen finanzieren. Diese sollten nicht vollkommen frei zur Verfügung stehen, um Verschwendung zu vermeiden. Vielmehr fragt der Bürger die Leistungen bei Bedarf nach und zahlt einen marktgerechten Preis für die durch ihn verursachten Kosten (Gebühr als Grenzkosten-Preis; die fixen Kosten der Leistungsbereitstellung wären über die Renten abgedeckt). Umgekehrt würden die betreffenden staatlichen Leistungen dem Bürger nicht mehr hoheitlich und bedarfsunabhängig als Verwaltungsakt aufgedrückt.

Es besteht also – anders als im Steuerstaat – insoweit keine Subordination des Bürgers, sondern ein Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis („Abgaben-Mutialismus“). Die bedeutsamsten Gebühreneinnahmen  würde der Staat aber nicht durch Serviceleistungen erzielen, sondern durch die Vergabe von temporären Nutzungsrechten an Boden und anderen Monopolen. Privateigentum an Boden und anderen Ressourcen etc. würde nicht mehr in der heutigen Art existieren.

Dies ist ein wesentlicher Beitrag zur Ressourcengerechtigkeit: Nimmt ein Bürger beispielsweise in überdurchschnittlichem Ausmaß Leistungen und Ressourcen in Anspruch, zahlt er mehr an Nutzungsgebühren, als er durch das rentenfinanzierte Grundeinkommen wieder zurückerhält. Ist er ein Durchschnittsnutzer, halten sich Zahlung und Grundeinkommen ungefähr die Waage. Nimmt er die öffentlichen Leistungen in unterdurchschnittlichem Ausmaß in Anspruch, bekommt er über das Grundeinkommen mehr ausgezahlt, als er an Nutzungsgebühren eingezahlt hat.

Der hier propagierte Vorschlag des ressourcenbasierten Grundeinkommens steht u.a. demjenigen von Götz Werner diametral entgegen:  Das ressourcenbasierte Grundeinkommen schafft bewusst gerade kein neues leistungsloses Einkommen (also keine neue, diesmal steuerfinanzierte ökonomische Rente). Der einzelne Bürger trägt zur (Boden-) Rente bei – und bekommt als gleichberechtigter Teilhaber seinen Teil am sozialen Überschuss. Dieser fällt umso höher aus, je weniger er von den Gemeinschaftsgütern in Anspruch nimmt. Sein Anteil am sozialen Überschuss hängt also vom Nettobeitrag an die Gemeinschaft ab.

Man kommt so zu Größenordnung, die bei Weitem nicht existenzsichernd sind (und auch nicht sein sollen) – sie entsprechen eher den Dimensionen, die z.B. durch den Alaska Permanent Funds an die Bürger Alaskas ausgeschüttet werden. So wäre für Deutschland ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen in Höhe von rd. 1.500 Euro pro Jahr darstellbar. Dies entspricht ca. 123 Mrd. Euro – ein Betrag, der ungefähr mit dem heutigen jährlichen Mehrwertsteueraufkommen korrespondiert. Dennoch könnte die Mehrwertsteuer komplett und der größte Teil der Einkommensteuer sowie der Bagatellsteuern abgeschafft werden.

Saldiert man Abgaben und Grundeinkommen, würden gerade die produktiv Tätigen und Familien mit Kindern eine immense Entlastung erfahren. Der Vorschlag von Götz Werner läuft hingegen auf eine massive Erhöhung der – regressiv wirkenden – Mehrwertsteuer hinaus. Die Steuermehrbelastung würde einen erheblichen Teil der Einkommens- und Verteilungswirkungen wieder kompensieren. Der Steuerstaat würde gestärkt.

Im Gegensatz zum Vorschlag von Götz Werner zielt das ressourcenbasierte Grundeinkommen nicht auf eine weitere Entkopplung von Einkommen und Aufwand ab, sondern auf eine stärkere Verbindung. Der die ökonomische Rente stützende Steuerstaat soll nicht gestärkt werden, sondern dorthin gebracht werden, wo er hingehört: Auf den Friedhof der Wirtschaftsgeschichte.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Landraub und Rent Seeking – Agenda der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit

Dirk Löhr

“Gut gemeint ist das Gegenteil von gut”. Mit dem Strategiepapier „Investments in Land and the Phenomenon of Land Grabbing Challenges for Development Policy” vom Februar 2012 positioniert sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in der Diskussion um das Thema „Land Grabbing“. Dies ist dringend notwendig, denn nach Angaben von der Nichtregierungsorganisation Oxfam belaufen sich die betreffenden Deals – vornehmlich landwirtschaftliche Flächen betreffend – auf ca. 227 Mio. Hektar, also in der Größenordnung Westeuropas (zum Vergleich: die Agrarfläche Deutschlands beträgt rund 17 Mio. Hektar). Mit den Landdeals werden u.a. Vertreibungen, die Ausweitung des strukturellen Hungers und Umweltzerstörungen (Abholzungen subtropischer Wälder) in Zusammenhang gebracht.

Mit dem Strategiepapier des BMZ werden insoweit auch die Richtlinien für die offizielle Zusammenarbeit vorgegeben, die v.a. die Arbeit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) betreffen. Das Programm hört sich zunächst gut an: Es soll eine Informationsbasis geschaffen werden, um überhaupt mehr Transparenz in das Phänomen des Land Grabbing zu bringen. U.a. sollen „international guidelines“ diesbezügliche Auswüchse verhindern. Bedürftigen Ländern will man technische Hilfe auf dem Gebiet der „land use policy“ und des „land use management“ geben. Die Ausbildung der im Landsektor Tätigen in Entwicklungsländern soll verbessert werden („capacity development“), Kooperation mit dem privaten Sektor ist angesagt. Schließlich soll die Kooperation mit dem privaten Sektor eine herausragende Rolle spielen.

Und dennoch ist das Papier eine Enttäuschung: An der ökonomischen Basis der Fehlentwicklungen im Landsektor wird nämlich nicht gerüttelt. Egal, ob es sich um Privateigentum oder um staatliche Konzessionen handelt, egal, ob man nach Südostasien, Lateinamerika oder Afrika blickt: Die Diagnose lautet immer und immer wieder „private Aneignung der Bodenrente“. Das Wort Bodenrente („land rent“) sucht man im Strategiepapier des BMZ allerdings vergeblich. Die Bodenrente ist der auf Lage- oder sonstige Bewirtschaftungsvorteile zurückgehende ökonomische Nutzungswert des Landes. Es gibt keinen Marktmechanismus, der die Bodenrente absenken könnte – weswegen auch die Rede vom „Bodenmonopol“ ist. Einheimische Eliten oder ausländische Direktinvestoren in Entwicklungsländern kommen oftmals über die Zuweisung von Landkonzessionen in den Genuss solcher ökonomischer Sondervorteile. Die Vergabe läuft zumeist über enge Beziehungen zwischen ökonomischer und politischer Elite. Die Konzessionen werden meist langfristig vergeben; 70 bis 90 Jahre sind keine Seltenheit. Pro Hektar und Jahr können die Konzessionäre mehrere hunderte oder gar tausende von Dollar Bodenrente ziehen. Gleichwohl sind die abzuführenden Konzessionsgebühren regelmäßig lächerlich gering – wenn überhaupt welche erhoben werden. Doch auch mit Land in Privateigentum können Bodenrenten verdient werden. Oftmals wird das Land gar nicht bewirtschaftet, sondern aus spekulativen Gründen zurückgehalten. Je höher die Bodenrente, umso höher der Bodenwert, der bei einer Veräußerung erzielt werden kann. In Kambodscha beispielsweise werden nach Angaben der Weltbank nur ca. 10 % der landwirtschaftlichen Konzessionen überhaupt wirtschaftlich genutzt. Soweit sich Land in Privateigentum befindet, sind die maßgeblichen Eigentümer meist Nicht-Agrarier: Geschäftsleute, Politiker, Militärs.

Während sich gut organisierte Interessengruppen in Politik und Wirtschaft die Bodenrenten und Bodenwertzuwächse untereinander aufteilen, wälzen sie die Kosten der Inwertsetzung zu einem großen Teil auf schwach organisierte Gruppen (die Steuerzahler der „Geberländer“ eingeschlossen) ab. Ökonomen bezeichnen solches Verhalten als „rent-seeking“, also das Streben nach ökonomischen Sondervorteilen. Hervorzuheben sind hier die Verzichtskosten. Angesessene Bauern ohne formell zugewiesene Landrechte haben Platz für die Mächtigen zu machen, oft werden sie vertrieben. Traditionelles Gemeinschaftseigentum („commons“) wird niedergewalzt. Die Zuweisung von Landtiteln, bei der die deutsche offizielle Entwicklungsarbeit tätig ist, wird unter diesen Umständen von den inländischen Eliten und ausländischen Konzernen missbraucht, um sich das Land unter den Nagel zu reißen.

Von Seiten der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit werden jedoch keinerlei Anstalten unternommen, Nutzen und Kosten besser zu koppeln, indem die Nutznießer entweder über marktgerechte Konzessionsgebühren oder mittels einer intelligenten Bodenbesteuerung zur Kasse gebeten werden. Umso eifriger beteiligt man sich Hand in Hand mit Weltbank und IWF daran, weiterhin Freifahrtsscheine für „rent-seeking“ über die Vergabe von kapitalisierten Landtiteln auszustellen. Vom „rent-seeking“ zur „Gefangennahme“ des Staates für die Interessen der Eliten („state capture“) ist es aber nur noch ein kleiner Schritt. Der Staat degeneriert zum Instrument für das Abschöpfen der Sondervorteile durch die einheimischen Eliten und die internationalen Konzerne. Während nun die offizielle Entwicklungszusammenarbeit mit kapitalisierten Landnutzungstiteln einerseits Freibriefe für rent-seeking ausstellt, lamentiert sie im selben Atemzug über die schlechte Regierungsführung in den Zielländern.

Also: Interessant ist weniger, was im Strategiepapier steht, als vielmehr das, was nicht hierin enthalten ist. Nicht zuletzt betrifft dies das Besteuerungspotential in den Zielländern. So soll über die „Kooperation mit dem privaten Sektor“ weiterhin privaten Akteuren monopolistische Positionen an der Infrastruktur eingeräumt werden. Wieder wird die Bodenrente privat abgegriffen. Würde man hingegen das vorhandene Steuersubstrat ausschöpfen, könnten viele Infrastrukturmaßnahmen auch öffentlich finanziert werden. Und Steuersubstrat ist reichlich vorhanden, v.a. in Gestalt des ökonomischen Wertes des Bodens und der Ressourcen. Der steuerliche Zugriff wäre verwaltungstechnisch einfach; regelmäßig könnte der größte Teil des Staatshaushaltes in den Zielländern so bestritten werden. Allein: Es fehlt der politische Wille – und damit auch das Konzept – sowohl auf Seiten der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit als auch bei den politischen Eliten der Zielländer. Die offizielle Entwicklungsarbeit beteiligt sich im Landsektor lieber an der Zementierung eines Systems von Vorrechten, das in Wirklichkeit die Entwicklung der Zielländer verhindert.

 

Grundübel unseres Staats(un-)wesens: Rent Seeking und State Capture

Grundübel unseres Staats(un-)wesens: Rent Seeking und State Capture 

Rent Seeking, also das Streben nach ökonomischen Sondervorteilen auf Kosten der Allgemeinheit, und State Capture, also die Veinnahmung des Staates durch mächtige und gut organisierte Interessengruppen sind allfällige Erscheinungen nicht nur in unserem Staats(un-)wesen. Egal, ob Energiewirtschaft, Banken, Landwirtschaft – immer gleichen sich die Muster: Die (Monopol-) Gewinne und sonstigen Vorteile fallen relativ konzentriert bei gut organisierten und einflussreichen  Gruppen an, wogegen die Kosten sehr diffus der Allgemeinheit oder schwach organisierten Gruppen aufgebürdet werden. Mit der Organisationsfähigkeit wirtschaftlich starker Gruppen geht also nicht nur ökonomische, sondern auch politische Macht einher. Die Beschränkung von Macht war aber nicht nur ein zentrales Anliegen von Gesell (dieser sprach von „Akratie“, also einer machtfreien Gesellschaft), sondern auch der Ordoliberalen. Macht ist sozusagen die „Schwester der Gewalt”. Obwohl der kulturelle und zivilisatorische Fortschritt dahin geführt hat, Gewalt aus Wirtschaft und Gesellschaft zu verbannen und das Gewaltmonopol an den Staat zu geben, wird Macht von weiten Teilen der Gesellschaft als legitim angesehen. Gerade das macht sie aber gefährlich. Nach Eucken sollte einerseits Wirtschaft und Gesellschaft von Macht und andererseits der Staat von privaten Interessen frei gehalten werden. Nur dann ist das Recht in der Lage, eine freiheitliche Ordnung zu garantieren.

Macht (bitte anklicken!)

 Abbildung: Macht und Rechtsstaatlichkeit

Die Gefangennahme des Staates durch private Interessen (z.B. in Gestalt von durch die Industrie bezahlten „Leihbeamten“, die an Gesetzen mitwirken, „weißer Korruption“ trägt dazu bei, den Staat zu schwächen. Der heutige Staat ist durch Partikularinteressen systematisch infiltriert (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften etc.). Schon der Begriff „Parteien“ weist darauf hin, dass in der Gesetzgebung Partikularinteressen ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl wirken. Die Gesetzgebung ist das Ergebnis eines Aufeinanderprallens dieser Partikularinteressen, wobei der „Clinch“ der Kontrahenten oftmals nur im Wege „fauler“, sachfremder Kompromisse aufgelöst werden kann. Es bedarf daher politisch-institutioneller Arrangements, die nicht nur eine Unabhängigkeit der Gerichte, sondern auch der Gesetzgebung und der Regierung von Partikularinteressen gewährleistet – eine virtuelle „Bannmeile“ um Gesetzgebung und Regierung sollte errichtet werden. Entsprechende Überlegungen wurden – in Weiterführung von Überlegungen zu einem Zweikammersystem von Montesquieu – v.a. von v. Hayek entwickelt. Diese laufen u.a. auf längere Amtszeiten, Nicht-Wiederwählbarkeit etc. hinaus. Nur über eine größere Unabhängigkeit der drei Gewalten kann auch der Charakter des Staates geändert werden: Es geht um die Wandlung des heutigen Staates, der Renten (Grundrente, Monopolrenten, u.a. aus Patenten) sichert hin zu einem Staat, der die rechtlichen Grundlagen für einen Leistungswettbewerb legt und sich als Hüter des Gemeinwohls versteht.