Genmais und Demokratie

Dirk Löhr

Das Vorsorgeprinzip zielt darauf ab, trotz fehlender Gewissheit bezüglich Art, Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit von möglichen Schadensfällen vorbeugend zu handeln, um diese Schäden von vornherein zu vermeiden. Umwelt und Mitbürger sollen nicht als Versuchskaninchen verwendet werden; es soll nicht irreversibel in Systeme eingegriffen werden, die man noch nicht verstanden hat. Normalerweise wird das Vorsorgeprinzip in der europäischen Gesundheits- und Umweltpolitik hoch gehalten.

Normalerweise. Nicht normal, sondern außerordentlich wichtig sind die Interessen von Konzernen wie Monsanto, Pioneer, Dow AgroSciences, DuPont, Syngentha, BASF, Bayer etc. Diese wollen schon seit vielen Jahren Landwirte und Verbraucher mit genveränderten Organismen beglücken. Ohne, dass man wirklich genau weiß, welche Auswirkungen dies auf Nutzinsekten, bezüglich der genetischen Kontamination und schließlich auf die menschliche Gesundheit hat. Bezogen auf Mais könnte man versucht sein zu sagen: Was soll’s – schließlich ist die genetische Kontamination schon so weit fortgeschritten, dass schon heute so gut wie kein gentechnisch unbeeinflusster Mais mehr existiert. Auch durfte schon eine Sorte Genmais – MON 810 – für kommerzielle Zwecke angebaut werden. Zudem ist auch die Verfütterung von genetisch verändertem Mais schon erlaubt. Allerdings erreicht das, was nun ansteht, eine andere Dimension. Es werden Schleusen geöffnet. Der abermalige Anlauf von Monsanto, Pioneer & Co. scheint nun endlich Erfolg zu haben.

Zunächst hatte sich Deutschland bei einer Beratung zwischen den EU-Mitgliedstaaten über dieses Thema enthalten. So wurde die nötige Stimmenmehrheit gegen die Zulassung der Genmaissorte 1507 der Firma Pioneer blockiert. Eine deutliche Mehrheit der europäischen Staaten war nämlich gegen die Zulassung, allerdings ohne dass es – ohne die Beteiligung des Stimmenschwergewichtes Deutschlands – für ein “Nein” gereicht hätte. Nun liegt es nun bei der EU-Kommission. Gemeinhin wird erwartet, dass die Kommission der Einführung zustimmen wird; der Gesundheitskommissar Tonio Borg hat schon die Befürwortung der Zulassung signalisiert. Allein der Zeitpunkt ist ungewiss.

Die Haltung der Bundesregierung kann man freundlich als einen Schlingerkurs bezeichnen. 88 % der Deutschen sind gegen die weitere Einführung genveränderter Organismen. Dies wurde von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert. Eine der Saatgutindustrie offenbar sehr freundlich gesonnene Administration im CDU-geführten Forschungsministerium sowie dem Vernehmen nach auch das Kanzleramt selbst setzen sich einfach über den Willen des Souveräns hinweg – zugunsten einer kleinen, stark organisierten Gruppe. Die Frage darf erlaubt sein: Wer ist hier wirklich der Souverän? Der Gentechnik-Experte der Grünen im Bundestag, Harald Ebner, brachte es auf den Punkt. Er attackierte die Kanzlerin wegen der Enthaltung. „Offenbar waren ihr (…) Rücksicht auf die Gentech-Lobby und gute Stimmung für die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA wichtiger als die Interessen der Menschen in Europa.“ Das Freihandelsabkommen wirft also schon seine Schatten. Und in ihrem üblichen Spagat zwischen der Representation des Mittelstandes und der Protektion von Privilegien hat die CDU wieder deutlich Schlagseite bekommen. Die CSU und SPD, die gegen die Einführung sind, versuchen nun, nach dem faulen Kompromiss auf EU-Ebene zumindest einen Anbau in Deutschland zu beschränken. Landwirtschaftsminister Friedrichs setzt sich für Regionalklauseln ein, wonach jedes Bundesland selbst über den Anbau entscheiden kann. Das dürfte allerdings zu zahm sein. Besser wäre – wie es die Umweltorganisation Greenpeace fordert – ein nationales Anbauverbot. Bisher können EU-Staaten den Anbau von Genpflanzen allerdings nur verbieten, falls Gefahr für Gesundheit oder Umwelt droht. Die EU-Kommission will das Verfahren reformieren und den Staaten mehr Spielraum für nationale Verbote geben. Dies gilt es zu nutzen.

Letztlich geht es bei der Einführung von genverändertem Mais um Patente auf Leben. Das Patentrecht ist aber dem Privateigentum an Land nachgebildet (Löhr 2013). Es geht um eine neue Art der „Einfriedung“, nun von „virtuellem Land“. Im Mittelpunkt stehen die ökonomischen Renten, die sich mit den Monopolrechten über das Leben erzielen lassen (rent-seeking). Zudem kann man, wie bei Land, Mitbewerber blockieren und behindern (daher z.B. strategische Patentportfolios). Ein hoher Teil der Kosten und Risiken wird auf unbeteiligte Dritte – hier v.a. den Verbraucher und die Umwelt – abgewälzt. Landwirte und die Landwirtschaft drohen zudem in immer stärkere Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen zu geraten. Mit der Landwirtschaft wird auch der Verbraucher gefährdet. Eigentlich sollte die Regierung solchen Schaden vorsorgend abwenden. Sie macht das genaue Gegenteil.

Die Zulassung der  Genmaissorte 1507 ist ein wichtiger Etappensieg der Rent-Grabber. Ihr Raubzug geht über das Eigentumsrecht. Speziell das Eigentumsrecht an Land und das diesem nachgeäffte Patentrecht sind barbarisch – und Patente auf Leben sind ein besonders großer Rückschritt in längst überwunden geglaubte Zeiten. Es hat eine ähnliche Qualität wie die Leibeigenschaft und Sklaverei in früheren Zeiten. Damals beklagte man zwar Exzesse der Eigentümer, hielt derartige Institutionen aber grundsätzlich für unverzichtbar und normal. Heute hilft es wenig, die Einführung von Genmais (also das Symptom) zu beklagen, das Patentrecht (also die Ursache) als gottgegeben hinzunehmen. Mit der Aufklärung und dem Fortschritt ist es wohl lange noch nicht so weit, wie die meisten Menschen vielleicht glauben.

Literatur:

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Sueddeutsche.de vom 11.2.2013, online: http://www.sueddeutsche.de/news/politik/eu-genmais-1507-vor-der-zulassung-in-europa-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140210-99-02840

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