Category Archives: Deutsch

Gewinne und Renten: Alles Aldi oder was?

Dirk Löhr

Die kritische Diskussion über unsere Wirtschaftsordnung konzentriert sich in Deutschland hauptsächlich auf die Themen Geld und Banken. Um nicht missverstanden zu werden: diese Themen sind wichtig. Die reichsten Deutschen sind jedoch nicht etwa Bankiers, sondern die Gebrüder Albrecht (Aldi). Mit ihren Discount-Ketten bringt jeder der Albrecht-Brüder rund 17 Mrd. Euro auf die Waage, s. o.V. / Fokus Money Online 2008). Gefolgt werden sie von Dieter Schwarz (u.a. Lidl) mit rund 11 Mrd. Euro Vermögen.

Wie kam es zu diesem Siegeszug der Supermärkte? Typisch für Discounter wie Aldi oder Lidl sind z.B. die hohe Konzentration auf ein relativ begrenztes Warensortiment, wenige, jedoch umsatzstarke und umschlagsintensive Produkte, eine einfache Warenpräsentation und ein hoher Anteil sog. Handelsmarken (Letzteres hängt wiederum mit der „Rückwärtsintegration“ infolge ihrer Marktmacht zusammen). Dieses Konzept ermöglicht den Anbietern einen großen Flächenumsatz bei relativ niedrigen Laden- und Personalkosten. Niedrige Handelsmargen, kombiniert mit niedrigen Einkaufspreisen (aufgrund der großen Mengen in Verbindung mit Logistikvorteilen) erlauben den Discountern, ihre Produkte zu niedrigen Verkaufspreisen an den Mann oder die Frau zu bringen (Milchindustrie-Verband 2013).

Doch entgegen einer landläufigen Meinung ist nicht nur die Effizienz von Aldi & Co. der Grund für ihren Erfolg. Ein unterschätzter Faktor ist die Okkupation von Standorten – womit wir wieder beim vergessenen Faktor Boden und dessen Erträgen (Bodenrenten) angelangt wären. Ohne die großen und weit verzweigten Verkaufsflächen wären Aldi & Co. nicht das, was sie heute tatsächlich sind. Ohne diese Flächen geht es nicht – wie das Scheitern von Wal Mart in Deutschland eindrucksvoll belegt (Knorr / Arndt 2003). Man könnte sagen „good luck!“ und sich interessanteren Dingen zuwenden.

Aber: Aldi & Co. sind nicht so preiswert, wie sie scheinen. Und die versteckten Preise zahlt die Öffentlichkeit:
Die vergrößerten Betriebsflächen entstehen oft an neuen Standorten an der Peripherie der Siedlungen. Sie entstehen auf der grünen Wiese, an neuen, weder städtebaulich noch verkehrsbezogen gut integrierten Standorten – meist ohne Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr. Die Wettbewerber suchen dabei die räumliche Nähe zueinander (Fühlungsvorteile); so entstehen größere Einzelstandorte mit überörtlicher Funktion. Ein Vollsortimenter (Umsatzleistung rund 5.000 Euro pro m²) mit etwa 1.500 m² Verkaufsflächen benötigt für einen wirtschaftlichen Betrieb einen Umsatz von rund 7,5 Mio. Euro. Eine Umsatzleistung in dieser Größenordnung entspricht in etwa der Lebensmittelkaufkraft von rund 5.000 Einwohnern. Ungefähr das gleiche gilt für einen Discounter mit 800 m² Verkaufsfläche (1,5 bis 2-fache Flächenproduktivität bei geringerer sortimentsspezifischer Kaufkraft). Die deutschen Verkaufsflächen sind (in qm/Einwohner gerechnet) wesentlich größer als diejenigen in Frankreich oder Großbritannien (Knorr / Arndt 2003). Durch die zunehmende Verbreitung der Discounter mit immer größeren und neuen Verkaufsflächen werden v.a. inhabergeführte Lebensmittel- und Facheinzelhändler, die ihre Produkte auf kleinen Verkaufsflächen anbieten, zunehmend verdrängt. So ist z.B. die Anzahl von Geschäften mit einer Verkaufsfläche von unter 400 Quadratmetern von 56.000 1993 auf rund 33.000 2006 gesunken (Milchindustrie-Verband 2013). Verstärkt wird dieser Trend durch andere Faktoren wie z.B. die Deregulierung des Ladenschlussrechts, wodurch der mittelständisch geprägte und oft an städtebaulich integrierten Standorten etablierte Facheinzelhandel unter Druck gerät.

Durch die Verdrängung inhabergeführter, etablierter Unternehmen in integrierten Lagen wird jedoch die Versorgungsfunktion der Innenstädte ausgehöhlt. Gemischt genutzte Ortszentren verlieren ihre bewährte Funktion. Früher getätigte öffentliche Investitionen in zentrale Infrastrukturen werden entwertet. Bemerkbar macht sich dies u.a. in der Verödung und Auszehrung der Ortskerne, in denen nach dem Auszug des Lebensmittelhandels der Auszug des Fachhandels droht. Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch andere Dienstleistungen (Banken, Post, …) schließen und die Ortskerne damit endgültig verkommen.

Es ist pervers: Einerseits wurden in den letzten Jahrzehnten mit Milliarden privater und öffentlicher Gelder Innenstädte saniert und neu gestaltet. So hat allein das Land Baden-Württemberg zwischen 1974 und 2004 rund 4,7 Mrd. Euro Städtebaufördermittel zur Sanierung und Aufwertung der Ortskerne aufgewendet, die durch viele zusätzliche kommunale und private Mittel ergänzt wurden. Die Verlagerung des Einzelhandels auf autoaffine Standorte auf der grünen Wiese entwertet aber diese öffentlichen und privaten Investitionen (NABU 2013).

Die vier größten Handelsunternehmen vereinen inzwischen rund 85% des Absatzmarktes in Deutschland auf sich (Bundeskartellamt 2011). Diese führt heute schon zu einem enormen Druck auf die Produzenten – es ist eine Frage der Zeit, wann die Marktmacht sich auch gegenüber den Kunden bemerkbar macht.

Dass es hierzu überhaupt kommen konnte, hat viel mit der verfehlten Flächenausweisungspolitik der Kommunen zu tun. Es ist zu vermuten, dass Einzelhandelsvorhaben bereits ab einer Größe von rund 700 m² Verkaufsflächen bzw. 1.200 m² Geschossfläche überörtliche Wirkungen entfalten. Doch fast alle derzeit diskutierten Einzelhandelsformen überschreiten die Schwelle dieser Regelvermutung (§ 11 Abs. 3 der BauNVO; NABU 2013). Dennoch überbieten sich die Kommunen mit großzügigen Ausweisungen. Dies folgt einer destruktiven Logik: Ist die eine Kommune mit ihren Anforderungen an Aldi & Co. zu rigide, wandert der großflächige Einzelhandel eben in die konkurrierende Nachbarkommune und zahlt dort die Gewerbesteuern. Zwar gibt es in der Mehrzahl der Bundesländer Regelungen in den Landesraumordnungsprogrammen sowie Einzelhandelserlasse zu der Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetrieben. Am Ende wird jedoch zumeist „einzelfallbezogen“ entschieden – zugunsten der betreffenden Märkte.

Mit dieser Brille wird das Erfolgsprinzip der Discounter deutlich: Am Ende fußt es ganz maßgeblich auf großzügigen Geschenken der Kommunen in Gestalt großer und billiger Flächen. Damit unterscheidet sich das Grundkonzept des großflächigen Einzelhandels im Prinzip nicht grundlegend von anderen “Erfolgsbranchen”. Nehmen wir die großen Energieversorgungsunternehmen: Diese bekommen im Rahmen ihrer fossilen Stromerzeugung „zu billig“ und sehr üppig Zugang zur Atmosphäre, wo sie ihr CO2 einlagern können (s. den Blogbeitrag „Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion” vom 11.10.2013). Wenn beispielsweise die Bepreisung der Inanspruchnahme der Atmosphäre (mit Blick auf das 2 Grad-Ziel) angemessen erfolgen würde, wäre kein Braunkohlekraftwerk mehr in Betrieb. Während zum Zeitpunkt der Niederschrift die Emission einer Tonne CO2 im europäischen  Emissionshandel um die 5 Euro kostet, wäre vermutlich das 15-20 fache angemessen. Diese einzelwirtschaftliche Ersparnis, von der (ähnlich wie bei den Discountern) auch die Stromverbraucher teilweise profitieren, geht jedoch auch zu Lasten einer diffusen Allgemeinheit (v.a. in vielen Entwicklungsländern, die von klimatischen Extremereignissen betroffen sind). Es gibt eben nichts umsonst: „There is no such thing as a free lunch“; ein großer Teil des Aufwandes wird immer auf andere, schwach organisierte Akteure abgewälzt.

Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Wenn die Fluggesellschaften für die Nutzung der Start- und Landerechte, des Luftraumes und den verursachten Lärm zahlen müssten, wäre der Luftverkehr realistischer bepreist und würde eingedämmt (s. den Blogbeitrag “Gewinne und Renten: Beispiel Luftfahrt” vom 10.10.2013). Heute jedoch trägt die nicht fliegende Allgemeinheit einen großen Teil der Kosten, und zwar in Form von Gesundheitsschäden, sinkenden Immobilienwerten, den Folgen der Treibhausgasemissionen und nicht zuletzt auch in Gestalt der fehlenden Staatseinnahmen, die durch den Steuerzahler ausgeglichen werden muss.

Die Branchenbeispiele könnten fortgesetzt werden.

Das Geheimnis des wirtschaftlichen Erfolges von Aldi & Co. sind also Geschenke des Staates an die betreffenden Unternehmen. Auf diese Weise gelangen „Energieversorger“, Fluggesellschaften und Supermärkte „zu billig“ an die zugrunde liegende Ressourcenbasis können diese im Übermaß in Anspruch nehmen. Bei den Vertriebsstandorten, bei der Atmosphäre als Kohlenstoffspeicher, bei den Time-Slots für Starts und Landungen handelt es sich aber allesamt um „Land“ im Sinne der klassischen Ökonomen, das Seitens des Staates den betreffenden Unternehmen für „‘nen Appel und ein Ei“ zur Verfügung gestellt wird – auf Kosten der Allgemeinheit. Auf diese werden die negativen Effekte abgewälzt. Die steuerzahlende Allgemeinheit hat auch die finanziellen Löcher aufzufüllen, die mit den Geschenken an die betreffenden Unternehmen in die Staatskasse gerissen werden.

Das Gegenmittel bei der Produktion von Strom aus fossilen Energieträgern liegt auf der Hand: Eine Verknappung von Emissionsrechte, und deren Versteigerung. Die Erträge sollten der Allgemeinheit zukommen. Dasselbe Prinzip lässt sich für die Luftfahrt anwenden. Warum werden den Fluglinien Start- und Landerechte geschenkt, die im Einzelfall den Wert der gesamten Flugzeugflotte übersteigen können? Nicht anders verhält es sich aber auch mit den Supermärkten: Bei entsprechendem politischen Willen könnten die Standorte strikt begrenzt und ebenfalls versteigert werden. Die Planung der verbleibenden Standorte müsste freilich mindestens auf regionaler Ebene geschehen, damit die unproduktive Konkurrenz der Kommunen ausgeschaltet wird. Voraussetzung wäre hierbei eine Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltungsautonomie (Art. 28 II GG) – bislang eine heilige Kuh für die Kommunen, selbst wenn diese nicht selten ihre Herren auf die Hörner nimmt. Noch mehr: Die betreffenden Flächen sollten sich auch in öffentlicher Hand befinden. Die über die Versteigerung abgeschöpften Kontingentierungsrenten würden dann in öffentliche Kassen fließen. Sie würden nicht mehr an die Supermärkte verschenkt und würden – anders als heute – auch nicht mehr den harten Kern ihrer Gewinne darstellen.  Stattdessen könnten die Bodenrenten wieder an die Kommunen der Region zurückverteilt werden. Dies würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass auch der inhabergeführte, mittelständische Einzelhandel mit seinem regionalen Bezug wieder eine realistische Chancen hätte. Zudem würde der teils ruinösen Flächenausweisungspraxis der Kommunen der Boden entzogen.

Mehr in:

NABU (2013): http://www.nabu.de/themen/siedlungsentwicklung/praxis/planung/04787.html.

Milchindustrie-Verband (2013), Welches europäische Land besitzt die größte Ladenfläche pro Einwohner?, online: http://www.meine-milch.de/kuh-iz/welches-europaeische-land-besitzt-die-groesste-ladenflaeche-pro-einwohner?fakuh=1

A. Knorr / A. Arndt (2003):  Wal-Mart in Deutschland – eine verfehlte Internationalisierungsstrategie, Materialien des Wissenschaftsschwerpunktes „Globalisierung der Weltwirtschaft“, Band 25, Universität Bremen.

Bundeskartellamt (2011):  Bundeskartellamt startet Marktermittlungen im Rahmen der Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, Pressemeldung vom 16.9., online:

http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Presse/2011/2011-09-16_PM_SU_LEH.pdf

Die neue Landnahme: Patente als virtueller Grundbesitz

Dirk Löhr

„Land“ im weiten Verständnis der klassischen Ökonomen umfasst über Grund und Boden hinaus auch Wasserrechte, Ölförderrechte etc., ja sogar die standörtliche Basis für Infrastrukturanlagen („essential facilities“) mit dem Charakter eines natürlichen Monopols. All dies „Land“ ist in der heutigen Rentenökonomie Gegenstand von „Einfriedungen“ – diese sind das Vehikel für das „rent grabbing.“ Mittlerweile geht es allerdings nicht mehr nur um physische Gegenstände, sondern auch um „virtuelles Land“, also solches, das nur durch Menschen – aufgrund gesetzten Rechts – kreiert wurde. Zu nennen sind hier Rechte am atmosphärischen Aufnahmespeicher (z.B. CO2-Zertifikate) oder v.a. auch „Geistige Eigentumsrechte“ („intellectual property rights“, kurz: „IPR“).

Ein Meilenstein für die „Einfriedung der Wissensallmende“ war das 1995 geschlossene TRIPs-Abkommen („Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights“). Was da schon fast wie eine Geschlechtskrankheit klingt, trägt tatsächlich maßgeblich zur Ausbreitung der Seuche der Rentenökonomie über den Globus bei. Das TRIPs-Abkommen wurde durch eine Koalition der 13 wichtigsten – international agierenden – US-Konzerne mit homogener Interessenlage 1986 vorbereitet, bevor es als GATT- bzw. WTO-Abkommen von den Regierungen willfährig umgesetzt wurde. Die EU-Kommission und das US-Patentamt bereiteten einen Fahrplan vor, um die „globale Patentharmonisierung“ voranzutreiben. Als Blaupause für das TRIPs-Abkommen diente das US-amerikanische Patentrecht. In den USA hatte man das Patentrecht und das Copyright (Urheberrecht) u.a. auf neue Schutzgegenstände wie Software, Geschäftsmethoden, Lebensformen und Gen-Sequenzen ausgedehnt. Nach TRIPs können die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO keinen Technologiebereich mehr aus dem IPR-Regime ausschließen (Art. 27 Abs. 1 des TRIPs-Abkommens). Ausdrücklich wird die Patentierbarkeit von genetischem Material und Mikroorganismen zugelassen (Art. 27 Abs. 3b des TRIPs-Abkommens). Seit TRIPs stehen dementsprechend v.a. Software- und Biopatente im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Das ist kein Zufall. Beide Formen stellen neu geschaffenes, „virtuelles Land“ dar und skizzieren neue Trends bei der „Einfriedung der Allmende“:

–   Mit dem Siegeszug der Informationstechnologie wurden nicht nur Informations- und Transaktionskosten, sondern auch die Transportkosten in der Wirtschaft erheblich gesenkt. Heutzutage können z.B. in einem internationalen Konzern Meetings virtuell als Videokonferenzen abgehalten werden. Skizzen und Pläne werden zugemailt, danach wird darüber telefoniert. Man spart den Aufwand (Flugkosten, Zeit), der mit einer Reise verbunden ist. Damit verlieren jedoch tendenziell auch räumliche Standortvorteile (über Agglomerationen) an Bedeutung, die Bodenrente wird gedämpft, obwohl die Produktivität ansteigt. Die „virtuellen“ Einfriedungen, die mit den geistigen Eigentumsrechten (allen voran dem Patentrecht) vorgenommen werden, fangen allerdings die „diffundierende“ Bodenrente wieder ein – sie wird auf die geistigen Eigentumsrechte übertragen. Letztere gewannen daher relativ zu Boden im engen, physischen Sinne im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung.

–   Eigentlich sollten nur Erfindungen, nicht jedoch Entdeckungen patentierbar sein. Gerade in der Biotechnologie verläuft die Grenze zwischen Erfindungen und Entdeckungen aber zunehmend fließend. Längst gilt nicht mehr der Satz: „… was die Natur schafft, kann nicht erfunden werden“ (Kohler 1900, S. 84). DNA enthält – anders als X-beliebige chemische Stoffe – Informationen über die Bildung von Proteinen, die allenfalls teilweise bekannt sind. Ein Patentanmelder kann schwerlich voraussehen, welche biologischen Funktionen eine DNA-Sequenz außer der von ihm erforschten sonst noch hat. Wenn das Patentrecht (wie in den USA) vom Anmelder keineswegs einfordert, alle Funktionen eines DNA-Abschnitts, sondern nur eine der möglichen Funktionen zu kennen, entsteht „ein wissenschaftlich wie wirtschaftlich völlig unsinniges Monopolrecht, das Forschung und Entwicklung sehr viel eher hemmt, als es sie fördern könnte.“ (Greenpeace 2004). Das Patent deckt nämlich alle, auch die noch unerforschten Anwendungen (!) mit ab. Soweit Entdeckungen patentiert werden, geht es ganz offensichtlich nicht mehr um die Stimulierung des Erfindungsprozesses, sondern um das Abstecken von möglichst weiten „Claims“. In Europa ist dieser Aspekt jedoch heftig in der Diskussion – hoffentlich können die diesbezüglichen Fehlentwicklungen nachhaltig verhindert werden.

Nun mögen die Bedenken gegen Eigentumsrechte auf Entdeckungen ja berechtigt sein, doch was ist mit Erfindungen? Die Rechtfertigung der Eigentumsrechtstheoretiker läuft ja über das Effizienzargument: Eigentumsrechte sollen demjenigen, der der Gesellschaft einen Nutzen über seine geistigen Leistungen verschafft, einen Teil davon zukommen lassen. Nutzen und Kosten sollen daher aneinander gekoppelt werden. Was zunächst wie ein durchaus vernünftiger Gedanke aussieht, ist bei näherem Hinsehen aber mit Pferdefüßen behaftet. Patente tragen nämlich durchaus nicht so sehr zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Effizienz bei, wie von ihren Befürwortern vorgegeben. Sie leiden vielmehr an denselben Mängeln, die wir schon mehrfach in diesem Blog bei Privateigentum an Grund und Boden identifiziert haben: Im Mittelpunkt steht die private Vereinnahmung von Nutzen aus ökonomischen Renten und Blockaden durch starke, gut organisierte Gruppen – sowie die Abwälzung der damit verbundenen Kosten auf schwach organisierte Gruppen. Wie wichtig das Renten- und Blockademotiv ist, macht eine Umfrage des IW-Zukunftspanels (2006) deutlich (Eckl 2008, S. 778): Die Motivation für die Patentierung der in Patentindustrien tätigen Unternehmen wurde von der Erzielung von Monopolrenten („exklusive kommerzielle Nutzung“, 87,1 %) und der strategischen Blockade von Konkurrenten (81,9 %) angeführt.

Blicken wir zunächst auf die ökonomischen Renten. Das Patentrecht räumt mit den exklusiven Verwertungsrechten eine Monopolposition ein. Handelt es sich um Produktpatente, können die begünstigten Unternehmen einen erhöhten, weit über den Produktionskosten liegenden Preis verlangen. Dies geht i.d.R. mit einer willkürlichen Angebotsbeschränkung einher. Die Konsequenz ist ein Wohlfahrtsverlust, verglichen mit einem Zustand vollkommener Konkurrenz. Nun haben Produktpatente die wesentlichen Eigenschaften „absoluter Monopole“ – anders als Verfahrenspatente, deren Ähnlichkeit zum „Archetypus“ Land dafür umso stärker ist. V.a. Verfahrenspatente können daher als „virtuelles Land“ begriffen werden. Die meisten Verfahrensinnovationen senken nur die Kosten eines bereits bekannten und eingeführten Produkts. Wenn die Konkurrenten aber von den leistungsfähigen Technologien ausgeschlossen werden, müssen sie auf zweit- oder drittbeste Lösungen zurückgreifen. Sie werden damit also auf zweit- und drittbestes „virtuelles Land“ abgedrängt – mit der Folge einer geringeren Produktivität und höherer (Grenz-) Kosten. Dabei wird der „virtuelle Grenzboden“ durch die bisherige Produktionsweise bestimmt. Dessen Grenzkosten bestimmen auch den Preis, so dass die Segnungen der neuen Technologie nicht beim Verbraucher ankommen. Nur der Inhaber des Verfahrenspatentes profitiert von den Produktivitätsfortschritten. Wird z.B. ein neues Verfahren zur billigeren Herstellung von Lithiumbatterien patentiert, hätte das betreffende Unternehmen einen entscheidenden Kostenvorsprung gegenüber der Konkurrenz, die mit den alten Verfahren produzieren muss. So ergeben sich für die Okkupanten des besten virtuellen Landes Renten.

Was die Kosten der Inwertsetzung betrifft, stellt die Basis für die Forschung einerseits eine größtenteils immer noch öffentlich finanzierte Schul- und Hochschullandschaft dar. Nicht zu vergessen ist die lang zurückreichende Kultur- und Geistesgeschichte: Bei Erfindungen handelt es sich um eine Momentaufnahme aus einem kontinuierlich laufenden, kumulativen und potenziell nicht zu einem Ende kommenden sozialen Prozess, wobei auch die kreativsten Innovatoren ihr Material aus einem bislang allgemein zugänglichen Fundus („Wissensallmende“) beziehen (Stiglitz 2006). Isaac Newton:

„If I have seen further, it is by standing on the shoulders of giants.“

In den meisten Fällen kombiniert ein Neuerer lediglich bestimmte Elemente und Bestandteile neu. Dabei ist oft sehr unklar, welche originäre Leistung ihm wirklich zuzusprechen ist. Dementsprechend wurde schon von Polanyi die Auffassung kritisiert, man könne den wissenschaftlichen Fortschritt beliebig „zerhacken“ und sodann in Form von Eigentumsrechten aussondern und verteilen (Polyani 1944).

Wenn man von den ökonomischen Renten absieht, entsteht individueller Nutzen aus Patenten v.a. aus den Blockademöglichkeiten. Im Bereich des Patentrechts sind „offensive“ oder „defensive“ Blockadestrategien zu nennen. Solche Strategien werden eben gerade mit solchen Patenten durchgeführt, bei denen es von vornherein nicht um die Verwertung geht. Von sog. „defensiven Blockaden“ spricht man, wenn Firmen patentieren, um zu verhindern, dass ihr eigener technologischer Spielraum durch Patente anderer verringert wird. Anders bei „offensiven Blockaden“: Hier patentieren Firmen, um andere Unternehmen davon abzuhalten, in gleichen oder angrenzenden Anwendungsfeldern eigene technische Erfindungen zu nutzen. D.h. es werden Patentmauern um die eigene Erfindung errichtet und umfangreicher patentiert, als es für den Schutz der technischen Erfindung notwendig wäre. Zweit- und drittbeste technische Lösungen werden aber nicht nur von den Inhabern der Patente, sondern auch von Konkurrenten patentiert – mit dem Ziel, einen „virtuellen Großgrundbesitz“ zu schaffen, auf dessen Gebiet die Konkurrenz ausgeschaltet ist. Solche Patentierungsstrategien schließen auch das häufig diskutierte Motiv ein, Patentrechtsverletzungsklagen zu begegnen. Möglicherweise kann – bei einem entsprechend ausgestatteten Patentportfolio – bei einem Angriff sogar sofort mit einer Gegenklage „gekontert“ und der größte Schaden durch einen Vergleich oder einen Patenttausch abgewendet werden. Die Möglichkeit strategischer Blockaden prägt dementsprechend auch den Charakter des Wettbewerbs: Nicht Leistungswettbewerb ist angesagt, sondern Behinderungswettbewerb. Um in einer Metapher zu sprechen, richten die Wettstreiter ihre Energien nicht primär darauf, als Schnellste in das Ziel zu gelangen, sondern den Mitbewerbern Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Dieser Behinderungswettbewerb begünstigt gleichzeitig eine Tendenz zur Monopolisierung.

Ein lehrreiches Beispiel für die Schaffung „virtueller Haziendas“ ist die patentintensive Pharma- und Chemieindustrie: So gingen Unternehmen wie Pfizer, AstraZeneca, Sanofi-Aventis etc. allesamt aus Konzentrations- und Fusionswellen hervor. Die privaten Patentpools, die mittels solcher Fusionen geschaffen werden, stellen den besten Beweis dafür dar, wie ineffizient das Patentsystem ist. Weil eben über die „Mauern des Wissens“ der Zugang zu den besten Standorten versperrt war, werden diese von den Konzernlenkern über den Aufkauf von Unternehmen niedergerissen. So entstand u.a. auch der „integrierte Technologiekonzern“ des Edzard Reuter (Daimler), der sich unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch nicht als das „Gelbe vom Ei“ präsentierte (keine Konzentration auf Kernkompetenzen). Die IPRs stimulierten auch hier also keinesfalls die optimale Allokation der Ressourcen. Am Ende scheiterte die Konzeption. Hierbei trugen wenigstens noch die Aktionäre als Nutznießer einen Teil der Kosten. Das ist aber keineswegs die Regel.

Die oben beschriebenen Blockaden betrafen Anwendungen. Schon hier kam zum Ausdruck, dass dem Nutzen des Einen Kosten der Anderen gegenüberstehen. Die Blockade beginnt aber noch viel früher, nämlich bei der Forschung. Nicht unähnlich wie im Roman „Cimarron“ von Edna Ferber, der u.a. die Landnahme im Wilden Westen Amerikas beschreibt, findet auch ein regelrechter „Run“ auf das „virtuelle Land“ statt. Damals stürmten die Kutschen und Pferde los, um als erste vor dem Land Office ihre Claims zu markieren. Nicht immer ging es dabei fair, schon gar nicht kooperativ zu. „First-come, first-served“, war das Motto. Im Wettlauf um das „virtuelle Land“ verhalten sich die verschiedenen Einrichtungen, Labore etc. ähnlich. Sie forschen ohne Austausch am selben Gegenstand vor sich hin, anstatt ihre Kräfte arbeitsteilig zu bündeln und sich gegenseitig zu befruchten. Die Wissenschaftler haben Angst, der „Konkurrenz“ eventuell den entscheidenden Vorsprung beim Rennen zum Patentamt in die Hand zu geben. Ohne Interaktion und Netzwerkbildung ist aber das „soziale Gehirn“ weniger leistungsfähig. Nützliche Erfindungen können nicht das Licht der Welt erblicken; unterlassener Austausch bedeutet stattdessen gesellschaftliche Kosten. Viele Anwendungen sind so sehr mit Patenten belegt, dass – v.a. im mager ausgestatteten öffentlichen Bereich – die Forschung mehr und mehr verunmöglicht wird. Die diversen „Synapsen des gesellschaftlichen Gehirns“ werden also blockiert. Genauso, wie blockierte Synapsen die Leistungsfähigkeit des individuellen Gehirns beeinträchtigen, gilt dies für die Gesamtgesellschaft. Und wieder einmal werden Kosten – diesmal Blockadekosten – auf Dritte abgewälzt: Beispielsweise erregte 1999 die Resistenz des Bakteriums Staphylococcus aureus (der u.a. Lungenentzündungen und Wundinfektionen hervorruft) gegen alle Antibiotika Aufmerksamkeit. Die unkontrollierte Ausbreitung des Bakteriums wurde befürchtet, ohne dass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden konnten. Dafür wurden auch die Genom-Firmen mit ihrer Geheimhaltungspolitik verantwortlich gemacht. Es geht aber noch weiter, denn die Blockademöglichkeiten führen teilweise zu richtigen Auswüchsen. So gibt es Unternehmen, deren Geschäftsmodell vornehmlich darin besteht, Patente zu halten (nicht etwa zu nutzen!) und andere Unternehmen zu verklagen, wenn diese die betreffenden Technologien anwenden. In den vergangenen 20 Jahren wurde der Börsenwert von US-Unternehmen durch derartige Aktivitäten um insgesamt rd. 500 Milliarden Dollar gedrückt. In den USA verbieten Unternehmen ihren Ingenieuren die Lektüre von Patentschriften – aus Furcht, dass diese sich in ihrer täglichen Arbeit daran erinnern könnten. Wissentliche Patentrechtsverletzungen werden nämlich erheblich härter geahndet als unwissentliche. Wie sehr ein solches Vorgehen der Diffusion von Wissen dient, muss nicht erläutert werden.

Es sollte zu denken geben, wenn selbst Landes und Posner als wichtige Protagonisten des eingangs genannten Property Rights-Paradigmas zu dem Schluss kommen, dass die Anreizwirkungen von geistigen Eigentumsrechten auf Basis des gegenwärtigen Wissens nicht überzeugend zu verteidigen sind (Landes / Posner 2003). Soweit das „gesellschaftliche Gehirn“ durch die Blockaden hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, entstehen Kosten und Wohlfahrtsverluste, die zu einem großen Teil von der Gesellschaft getragen werden (z.B. Forschung an Substitutionserfindungen, weil die besten Lösungen blockiert sind).

Am Beispiel des Patentwesens lässt sich ebenfalls gut darstellen, dass nicht nur die Allokation, sondern auch die Verteilung von „Land“ i.w.S. ein gravierendes Problem darstellen kann. Dies betrifft v.a. die Zugangsdiskriminierung zu lebensnotwendigen Produkten. So verunmöglichen monopolistisch überhöhte Preise bei Produktpatenten die angemessene medizinische Behandlung vieler Menschen in Ländern der Dritten Welt, die nicht die erforderliche „Zahlungsbereitschaft“ artikulieren können. Bei der Behandlung von HIV / Aids ist das Problem weniger die mangelnde Forschung als vielmehr der schwierige Zugang zu den Medikamenten. Von ca. zehn Millionen HIV-Infizierten in Entwicklungsländern, die eine antiretrovirale Therapie bräuchten, erhalten sie ungefähr drei Millionen. Dass überhaupt so viele Menschen derzeit Behandlung erhalten, ist auf die Produktion von Generika zurückzuführen. So können z.B. aus Indien noch solche Medikamente billig erworben werden, die noch vor Gründung der WTO erfunden wurden. In bestimmten Situationen sind auch nach TRIPs Zwangslizenzen möglich. Diesen Weg beschritt Thailand im Jahr 2006 in Bezug auf zwei HIV / Aids-Medikamente und ein Herz-Kreislauf-Medikament. Umgehend wurde allerdings massiver politischer Druck auf Thailand ausgeübt, nicht zuletzt von Seiten der EU.

Zusammenfassend unterscheiden sich die Charakteristika des Patentwesens gar nicht so sehr von Grund und Boden: Auch bei Patenten sind Nutzen und Kosten entkoppelt. Wieder kommen die Nutzen v.a. gut organisierten, mächtigen Wirtschaftsinteressen zugute, während die Kosten zu einem hohen Teil externalisiert werden: Individueller Nutzen kann sowohl aus Patentblockaden wie auch aus Monopolrenten entstehen. Die Kosten der Zugangsbeschränkungen tragen Dritte, und auch die Inwertsetzung wird zu einem erheblichen Teil durch die Gemeinschaft getragen (Kultur- und Wissensschatz, öffentliche Bildungseinrichtungen etc.).

Wie sieht es mit Alternativen aus? Vollkommen klar ist, dass das Patentrecht nicht ersatzlos gestrichen werden kann. Der Dreh- und Angelpunkt ist wiederum das Zusammenführen von Nutzen und Kosten. Wer externen Nutzen erzeugt und dabei Kosten trägt, soll auch entschädigt werden. Gerade dies wird aber durch das Patentwesen nicht erreicht – genauso wenig wie beim Privateigentum an Grund und Boden.

Ohne Vollständigkeit anzustreben, einige Beispiele für alternative Gestaltungsmöglichkeiten: Es könnten (internationale) Patentpools errichtet werden. Die Teilnehmer (-staaten) zahlen in diese ein. Aus den Pools werden die Erfinder kompensiert (zur Begutachtung der Erfindungen und des Kostenersatzes können Institutionen wie z.B. die Max-Planck- oder Fraunhofer-Gesellschaft eingeschaltet werden). Das betreffende Wissen steht allen Teilnehmern des Patentpools zur Verfügung. Ähnlich funktionieren Forschungsgutscheine. In besonders dringlichen Fällen könnte man an Ausschreibungen denken: Beispielsweise bekommt im Falle einer Grippeepidemie dasjenige Unternehmen eine Summe von sagen wir einmal 50 Mio. Euro, welches als erstes – möglichst bis zum Zeitpunkt Y – ein effektives Medikament bereitstellt. Dieses wird aber – anders als heute – ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc – mit weiteren Literaturverweisen

Weitere Literatur:

J. Eckl (2008): Geistige Eigentumsrechte – Motor oder Bremse der Wirtschaftsentwicklung?, Wirtschaftsdienst 12, S. 767-783.

Greenpeace (2004), Die wahren Kosten der Gen-Patente, Hamburg.

J. Kohler (1900), Handbuch des Deutschen Patentrechts in rechtsvergleichender Darstellung, Mannheim.

W. M. Landes / R. A. Posner (2003), The Economic Structure of Intellectual Property Law. Cambridge / Mass, (The Belknap Press of Harvard University Press).

M. Polanyi (1944): Patent Reform, Review of Economic Studies, Bd. XI, S. 70 / 71.

J. Stiglitz (2006), Making Globalization Work – the Next Steps to Global Justice, London (Penguin group).

Welche Interessen stecken hinter der derzeitigen „dysfunktionalen“ Geldpolitik?

Johann Walter

Die Geldpolitik stellt in jüngster Zeit – fast schon panikartig – sehr viel neues Geld bereit bzw. steigert die Geldbasis. Auch die Geldmengen M1 bis M3 und die Bilanzsummen der Banken wuchsen zuletzt im Vergleich zum BIP überproportional. Denn das neue Geld fließt zu großen Teilen auf Assetmärkte oder bleibt als Spar- oder Termineinlagen bei Banken geparkt (vgl. Blogbeitrag vom 5.11.).

Dies ist in mehrfacher Hinsicht dysfunktional: wird neues Geld über den Bankensektor in die Wirtschaft geleitet, und schöpfen Banken neues Geld dadurch, dass sie Kredit geben oder Vermögenswerte kaufen, so wandert das neue Geld wahrscheinlich von vornherein in die „Liquiditätsfalle“ bzw. in den Assetbereich und steigert dort die Preise. Dann sind Assetpreisinflation (Blasen) und in Finanzkrisen möglich. Bei Kreditgeldschöpfung ist Überschussliquidität zudem Überschussverschuldung. Dann wachsen die Schulden schneller als der Produktionswert; „Polarisierung“, „Instabilität“ und „Wachstumsdruck“ nehmen zu.

Um diese Probleme zu mildern, kann die Art der Geldschöpfung geändert bzw. korrigierend in unrunde Geldumläufe eingegriffen werden. Dazu gibt es eine breite wissenschaftliche Diskussion und bereits konkrete praktikable Vorschläge (vgl. Walter 2013 und 2014).

Warum wird derzeit dennoch weiter auf herkömmliche expansive Geldschöpfung gesetzt – trotz der angesprochenen Probleme? Zur politischen Ökonomie der expansiven Geldpolitik wörtlich Sauga (2013), der die aktuelle sehr expansive japanische Geldpolitik kommentiert:

„Wirtschaftlich ist Japans neues Währungsregiment … zweifelhaft, politisch aber hat es eine hohe Verführungskraft. Geld so billig zu machen wie irgend möglich, erleichtert … das Regierungsgeschäft. … Die Politiker freuen sich, weil sie leichter neue Schulden machen können. Wer seinen Wählern Ausgaben auf Kredit verspricht, schneidet beim Stimmenfang in der Regel besser ab als der Kollege, der Steuern erhöhen oder Renten kürzen will. Die zweite Gewinnergruppe sind die Vermögenden. Seit Jahren fließt das Geld der Zentralbank weniger in die Güterwirtschaft als in die weltweiten Aktien-, Rohstoff- oder Immobilienmärkte – und damit in die Taschen jenes oberen Zehntels der Bevölkerung, dem der Großteil der entsprechenden Anlagen gehört. So sind die US-Börsenkurse in den vergangenen zwei Jahren um 15%, die Goldpreise um 24% und deutsche Immobilienwerte in Großstädten um 20% geklettert. Die größten Renditen freilich schöpfen diejenigen ab, die von jeher an lockerem Geldmanagement und steigenden Vermögenspreisen ein besonderes Interesse haben: die Mächtigen der Finanzindustrie. Sie sind die Ölscheichs des Gewerbes, die mit dem Rohstoff der Zentralbanken ihre Spekulationsprofite sichern“.

Die Verlierer dieser Politik sind zu schwach, sich dagegen zu wehren. Dazu noch mal Sauga: „Als Verlierer der aktuellen Geldpolitik darf sich … jene große Mehrheit der Bürger fühlen, deren Ersparnisse nicht in Sachwerten, sondern in Sparbüchern und Lebensversicherungen angelegt sind. Bei ihnen konzentrieren sich die Verluste, wenn die Zinsen fallen und die Lebenshaltungskosten stärker steigen. Finanzielle Repression nennen Ökonomen den Prozess, der bereits heute in vielen Ländern zu beobachten ist und von einer Währungspolitik im Tokio-Stil weiter befördert würde. Das Resultat wären der Schwund privaten Geldvermögens, mehr staatliche Schulden und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.“

Insgesamt gesehen sind Verlierer all diejenigen, die die Folgekosten einer aktiven „Geld-Asset-Pumpe“ (z.B.: höherer Schuldendienst, höhere Mieten, ökologische Schäden einer forcierten Wachstumsstrategie) zu tragen haben.

Dazu kommen spezielle internationale Probleme: Wird z.B. in Japan überschüssig Geld geschöpft, entsteht dort Kaufkraft, die auch in der Eurozone verwendbar ist – zum Kauf von Importgütern, aber auch von Assets (z.B. Land, Aktien). Zwar profitieren auch bei uns die Verkäufer von Gütern bzw. Assets. Per Saldo gelangen dabei aber Assets aus Europa in die Hände von Akteuren aus Japan. Dies ist also nicht nur eine „beggar my neighbour-policy“ (bei Abwertung des Yen), sondern auch eine „buy my neighbour-policy“! Wenn die OECD der EZB empfiehlt, beim Geldmengenwachstum nicht hinter anderen Währungsräumen zurückzubleiben (vgl. Mildenberger 2013), akzeptiert sie insofern die Anreize zu – allseits! – „aggressiver“ Geldpolitik und die geschilderten Nachteile von Überschussliquidität.

Fazit: an expansiver bis „aggressiver“ Überschuss-Geldpolitik sind vor allem Regierungen, Finanzindustrie und Vermögende interessiert. Diese werden ihre Interessen wahren wollen. Eine geldpolitische Umkehr erfordert demzufolge einen starken politischen Willen – und wohl auch internationale Absprachen.

Literatur:

M. Mildenberger (2013), OECD-Chef ruft EZB zu laxerer Geldpolitik auf Handelsblatt vom 27.5., online: http://handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik

M. Sauga (2013), Prinzip Harakiri, in: Der Spiegel, 5, S. 75.

J. Walter (2013), Geldordnung: Schuldenkrise oder Free Lunch?, in: WiSt 4, S. 197-201.

J. Walter (erscheint 2014), Überschussliquidität: Ursachen, Folgen und mögliche Antworten der Geldpolitik, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 51. Jahrgang, 180./181. Folge.

Gewinne und Renten: McDonald`s ist einfach gut …

mcdoofDirk Löhr

Gefragt „was ist eigentlich das Geschäft von McDonalds?“ werden 99 % der Befragten antworten: „Natürlich Fast Food Restaurants und Hamburger“. Doch die Antwort ist falsch. Man mag es glauben oder nicht: McDonalds ist vor allem ein Grundstücksunternehmen (Siddiqui 2011).

Das Eigentum an den Restaurantgrundstücken ist ein Kern der Unternehmenspolitik von McDonalds – gleichgültig, ob das Unternehmen das betreffende Restaurant selbst oder durch einen Franchisenehmer betreibt. Die Bodenrenten variieren je nach Lage des Grundstücks. Es wird allerdings geschätzt, dass das Unternehmen mehr Geld aus Bodenrenten als aus Franchisegebühren zieht. Die Bodenrente aus den selbst und durch Franchise-Nehmer betriebenen Restaurants ist somit der Kern des Gewinns von McDonalds (s. mehr zu dieser These Löhr 2013).

Vereinfacht dargestellt, zieht McDonalds die Bodenrente über zwei Wege. Erstens kauft und verkauft die Gesellschaft Grundstücke. Dies sind zwar oft, aber nicht immer Restaurantgrundstücke. Vielversprechende Lagen werden durchaus auch auf Vorrat gekauft, weniger gute Lagen auch wieder abgestoßen. Zweitens werden zusätzlich zu den Franchise-Gebühren (normalerweise 8 %) für die Nutzung von Marke und Namen auch Nutzungsentgelte für die gesellschaftseigenen Immobilien von den Franchise-Nehmern erhoben (Dadlani 2008).

Was seinen Burger-Verkauf betrifft, unterscheidet sich der Food-Retailer McDonalds nicht besonders von anderen Einzelhändlern oder Restaurantketten. Im Übrigen sind auch für andere Retailer Vertriebsstandorte von hoher strategischer Bedeutung. Dennoch handelt es sich bei McDonalds um eine Aktie mit exzellenter Performance – einer weitaus besseren und dauerhafteren Performance als die seiner Mitbewerber. Für die Experten von “boerse.de-Aktienbrief” ist die McDonald’s-Aktie denn auch ein ausgezeichnetes „defensives Basisinvestment“, da die Verlust-Ratio gerade einmal 1,19 beträgt. Dem stehen eine hohe Gewinn-Konstanz von 94% sowie rund 14% Kursplus p.a. gegenüber. Zudem zählt der Burger-Brutzler zu den besonders verlässlichen Dividendenzahlern. Seit der ersten Ausschüttung 1976 sind diese jedes Jahr angehoben worden, und aktuell beträgt die Rendite 3,3% (o.V. 2013).

M.E. ist diese überdurchschnittlich hohe Performance maßgeblich darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen – anders als seine Mitbewerber – ein aktives Management des Wertes von „Land“ i.w.S. betreibt. McDonalds ist nicht nur einzigartig darin, dass der Gesellschaft ein großer Teil der Standorte gehört. Die Gesellschaft legt auch großen Wert auf deren Auswahl. In den meisten Fällen handelt es sich um gut sichtbare Standorte mit hoher Verkehrsfrequenz (vorzugsweise stark befahrene Kreuzungen) mit guten Parkmöglichkeiten oder um gut frequentierte Innenstadtlagen. McDonalds verdient auch Geld, indem es nicht mehr benötigte Standorte wieder auf dem Markt anbietet. So stellt sich McDonalds als eines der besten Grundstücksportfolios weltweit dar.

„Land“ i.w.S. (zu dem auch andere Naturressourcen und „nachgebildete“ Rechte wie geistige Eigentumsrechte gehören) sowie die „Kriegskasse“ wird im Durchschnitt aller Unternehmen durch Eigenkapital – hier also Aktien – finanziert (Löhr 2013). Wenngleich es bei vielen Unternehmen erhebliche Abweichungen von dieser Regel gibt, ist dies bei McDonalds nicht der Fall: Im Konzernabschluss 2012 machte das „Land“ i.w.S. (Immaterielle Vermögenswerte mit Exklusivitätscharakter sowie Grund und Boden) und Cash ca. 12,3 Mrd. US-Dollar oder 35 % der Bilanzsumme aus, die dagegenstehenden Eigenmittel rd. 15,3 Mrd. US-Dollar (43 % der Bilanzsumme). Das aktive Management des Wertes von „Land“ i.w.S. bedeutet damit auch automatisch ein aktives Management des Wertes seiner Aktien.

Man mag die Unternehmensstrategie von McDonalds bewundern. Aber: Die Unternehmensgewinne von McDonalds sind also zu einem großen Teil auf Standortvorteile zurückzuführen, derer sich die Gesellschaft systematisch bedient – ohne die Gemeinschaft, die diese Standortvorteile durch Agglomeration, Infrastruktur etc. in Wert gesetzt hat, angemessen zu entschädigen. Der Gemeinschaft entstehen hierdurch Verzichtskosten. Die Gewinne sind auch deswegen so hoch und beständig, weil neben diesen Verzichtskosten auch noch andere Kosten auf unbeteiligte Dritte abgewälzt werden. Dies geschieht u.a. über die Macht in der Wertkette (Rückwärtsintegration), die Kontrolle der Ressourcenbasis und die Fragwürdigkeit der Produkte an sich. Würden sämtliche angerichteten gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Schäden eingepreist, müsste ein Burger schätzungsweise 200 Dollar kosten.

Übrigens: Wo ein McDonalds ist, steckt oft auch ein Burger King ganz in der Nähe …

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc
mit weiteren Literaturverweisen

Weitere Literatur:

A. Dadlani (2008), McDonalds Is a Real Estate Company, online: http://seekingalpha.com/article/73533-mcdonalds-is-a-real-estate-company

McDonalds (2012), Annual Report, online: http://www.aboutmcdonalds.com/content/dam/AboutMcDonalds/Investors/Investor%202013/2012%20Annual%20Report%20Final.pdf

o.V. (2013), McDonald’s-Aktie: Kampf um 100-Dollar-Marke!, online: http://www.aktiencheck.de/exklusiv/Artikel-McDonald_s_Aktie_Kampf_um_100_Dollar_Marke-5366537

H. Siddiqui (2011), What is McDonald‘s Line of Business?, online: file:///C:/Users/d.l%C3%B6hr/Documents/Transfer_PC/Boden%20und%20Unternehmen/McDonald’s%20Line%20of%20Business%20%20%20Real%20Estate%20%20%20McDonald’s%20Restaurants.htm

Eigentum ist Diebstahl – auch an Kunst

Dirk Löhr

Mehr wurde – zumindest offiziell und legal – noch nie für ein Bild bezahlt: Ein New Yorker Auktionshaus hat im November 2013 ein Triptychon von Francis Bacon für 142,4 Mio. Dollar (106 Mio. Euro) verkauft. Damit liegt der Preis ca. 22 Mio. Dollar über dem von Edvard Munchs “Schrei” – selbst Experten sind überrascht. Die drei Bilder Bacons zeigen den in Berlin geborenen britischen Maler Lucian Freud, ein Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud und ein enger Freund sowie Malerkollege von Bacon. Der Käufer des Bildes ist unbekannt.

Viele Kenner (also nicht nur Kunstbanausen wie der Verfasser dieses Beitrags) haben sich die Frage nach dem „warum“ dieses Preises gestellt. Neben seinem künstlerischen Gehalt dürfte ein wichtiger Grund sein, dass sein Schöpfer seit 1992 tot ist. Damit sind seine Werke nicht mehr reproduzierbar und auch nicht durch andere Schöpfungen des Künstler ersetzbar. Sie sind also absolut knapp. Dies ist eine Eigenschaft, die Werke v.a. toter Künstler mit „Land“ im weiten Sinne der ökonomischen Klassiker gemeinsam haben (hierzu zählen auch andere unvermehrbare Güter wie Wasser, die Atmosphäre, die biogenetischen Ressourcen, das elektromagnetische Spektrum etc.). Vordergründig betrachtet generiert Kunst – anders als Land – zwar keine ökonomischen Renten. Allerdings erzeugt Kunst  – ganz ähnlich wie Land –doch einen permanenten (Netto-) Nutzenstrom für den Kunstkonsumenten. Und somit macht sein Wertsteigerungspotenzial es zu einer interessanten Assetklasse.

Ein weiterer Grund für den Rekordpreis, dass die Notenbanken in den letzten Jahren die Schleusen für neue Liquidität weit geöffnet haben, die verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten sucht. Es ist kein Zufall, dass Aktien (die als indirekte Investments in „Land“ i.w.S. betrachtet werden können), Grund und Boden wie auch Kunst (v.a. toter Künstler) in letzter Zeit Höchstpreise erzielen. Bei Licht besehen ist dies eigentlich wenig Grund zur Freude, sondern vielmehr ein erkennbares Symptom einer volkswirtschaftlichen Blasenkrankheit (s. auch den diesbezüglichen Beitrag von Johann Walter in diesem Blog). Das Geld in der Finanzstratosphäre steht aber für reale Transaktionen nicht zur Verfügung – die Wirkung für die Realwirtschaft ist nicht viel anders, als ob es unter der Matratze läge. Zudem ist volkswirtschaftlich gesehen „Sparen“ in Kunst (von toten Künstlern) wie auch in Land (und übrigens auch in Aktien, hierzu mehr in einem späteren Beitrag) eigentlich gar nicht möglich. „Sparen“ bedeutet nämlich den Aufbau von Werten in Periode 1 und den Verbrauch dieser Werte in Periode 2 – also einen Transfer von realen Werten von der Gegenwart in die Zukunft zum Zwecke des späteren Verbrauchs. Letzteres ist bei den genannten Vermögenswerten aber nicht möglich. Ihr Preis kann aufgeblasen werden – sticht aber die Notenbank mit der Zinsnadel in diese Blase, platzt sie auch wieder – zumeist mit beträchtlichen realwirtschaftlichen Folgewirkungen.

Damit stellt sich – ähnlich wie bei Land – auch bei Kunst die Frage, ob Privateigentum hieran wirklich der Weisheit Letzter Schluss ist. Freilich, bei Kunst liegt der Fall ein wenig problematischer. Zunächst geht es darum „Kunst“ (hierin steckt das Wort „Können“) von bloßer „Wunst“ („Wollen“) zu unterscheiden. Hierfür ist die Zahlungsbereitschaft von Kunstfreunden freilich kein schlechter Indikator. Andererseits: Rechtfertigt dies das Privateigentum? Für den Künstler selbst hat Privateigentum an seinen Werken ähnlich sinnige allokative Konsequenzen wie Privateigentum an Land: Es sichert sein Überleben theoretisch erst dann, wenn er tot ist.

Und: Zur Wertschätzung der Kunst bedarf es nicht nur des künstlerischen Talents; vielmehr muss es auch in die Kultur der Gemeinschaft der Kunstkonsumenten eingepasst sein. Erst der Geschmack der Letzteren macht den Wert der Kunst aus. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Frage erlaubt sein, wie sinnvoll es ist, durch Privateigentum an Kunstwerken gerade diese Gemeinschaft der “Wertschätzenden” auszuschließen. Nichts machte dieses Problem so deutlich wie die verzweifelte Aktion der Basler Bürger im Jahre 1967, als diese einem Kredit von 6 Mio. Schweizer Franken zustimmten, um zwei Picasso-Werke wieder ins Basler Kunstmuseum zurückzuholen. Diese waren damals Leihgaben von privater Hand und sollten aus finanzieller Not veräußert werden. Die 6 Mio. Franken waren 1967 übrigens eine gewaltige finanzielle Last – auch für Basel.

Also: Genau wie Land wird Kunst erst durch die Gemeinschaft in Wert gesetzt, genau wie Land wirft beides einen dauerhaften (Netto-) Nutzenstrom (also eine Art “Rente”) ab. Genau wie in Wert gesetztes Land ist Kultur ein Gemeinschaftswerk. Privateigentum an Land und seinen Renten ist daher genauso widersinnig wie Privateigentum an Kunst und seinen Nutzen, da es gerade die Inwertsetzenden von der Nutzung ausschließt. Der Sinn des Privateigentums, durch die individuelle Zurechnung dieses Nutzens eine Reproduktion anzureizen, geht bei Land wie bei Kunst (toter Künstler) ins Leere.

Als alternatives Regime wäre beispielsweise denkbar, dass Privateigentum an Land und “gelisteter” Kunst als „no go“ erklärt wird – „privare“ stammt bekanntlich aus dem Lateinischen und bedeutet „rauben“. Hierzu müsste von fachkundiger Stelle ein Verzeichnis über die Künstler erstellt werden, deren Werke als Vermögensanlage infrage kommen. Statt Privateigentum könnten Nutzungsrechte an deren Werken erworben werden: Solange ein Künstler noch lebt, mag man diesem für die Nutzung eines Werkes ein Entgelt zahlen, das dieser behalten kann. Dies würde wahrscheinlich gerade jungen lebenden Künstlern zugutekommen. Allerdings wird damit nur ein Nießbrauch erworben: Stirbt der Künstler, fällt der Kunstgegenstand automatisch und ohne Entschädigung an Vater Staat zurück. Wer die Kunstgegenstände zurückbehält, begeht Diebstahl an der Allgemeinheit. Der Verkauf dieser Gegenstände wäre Hehlerei, Eigentum könnte nicht erworben werden. Der Staat seinerseits vergibt allenfalls Nutzungsrechte an Werken toter Künstler nur auf Zeit – im Wege einer Auktion (falls sich jemand unbedingt den Picasso ins Wohnzimmer hängen und damit die Gemeinschaft von der Nutzung des gemeinschaftlichen Kulturgutes ausschließen will). Ansonsten sollten Kunstwerke dort stehen, wo sie hingehören: Im Museum.

Privateigentum an Kunst und die damit verbundenen Ausschlussrechte sind symptomatisch für eine (Un-) Kultur, die auf Diebstahl an der Allgemeinheit begründet ist. „Eigentum ist Diebstahl“ – dieses Wort Proudhons gilt nicht nur für Land, sondern auch für Kunst.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc

Mietpreisbremse: Der Weisheit letzer Schluss? – Ein Plädoyer für ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen

Dirk Löhr

Noch sind sie nicht verheiratet, und schon kommt als uneheliches Kind eine Missgeburt zur Welt. Sein Name ist „Paket für bezahlbares Bauen und Wohnen“. Als Reaktion auf das Desaster am Wohnungsmarkt – v.a. in Universitätsstädten – will die Politik Handlungskompetenz vorschützen. Endgültig entschieden ist allerdings noch nichts, die Parteivorstände müssen den vorläufigen Beschlüssen noch zustimmen.

Dabei hätte man kein Prophet sein müssen um zu erkennen, dass ein Doppeljahrgang an Studieneinschreibern Engpässe verursachen wird. Rechtzeitig agiert hatte die Politik freilich nicht. Im Gegensatz zu den Lenkern dieses Landes können aufmerksame Leser dieses Blogs allerdings kaum verwundert darüber sein, dass eine höhere Nachfrage, verbunden mit einem tiefen Realzins sowohl einen Anstieg der Bodenrenten als auch höhere Bodenpreise hervorbringen muss – und dies äußert sich eben u.a. in steigenden Mieten.

Die erste Gegenmaßnahme der Großkoalitionäre im Rahmen des genannten Paketes ist die „Mietpreisbremse“. So soll in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten die neue Miete bei einem Wechsel des Mieters begrenzt werden. Sie darf maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen, Bestandsmieten sollen in angespannten Wohnungsmärkten künftig in vier Jahren höchstens um 15 Prozent steigen dürfen – bisher gilt dies für eine Frist von drei Jahren. Dabei soll es den Bundesländern überlassen bleiben, ob sie die Regelungen umsetzen wollen.

Soll die Mietpreisbremse wirksam werden, stellt sie im ökonomischen Sinne nichts anderes als eine administrierte Preisobergrenze dar. Erfahrungen mit derartigen Markteingriffen hat man in der Vergangenheit in verschiedenen Märkten schon reichlich sammeln können. Sie waren nicht positiv. U.a. bekommen die Wohnungseigentümer so einen Anreiz, bei der Instandhaltung und anderen Kosten zu sparen. Ökonomen sind daher im Allgemeinen wenig über eine solche Regelungen erquickt – wird doch das Angebot ausgebremst und gleichzeitig die Nachfrage künstlich erhöht. Die Lücke muss im Extremfall durch willkürliche und gleichheitswidrige Zuteilung geschlossen werden. Allerdings wird die Mietpreisbremse voraussichtlich weniger heiß gegessen als gekocht. Ihre faktische Wirkung dürfte nämlich beschränkt sein. In einigen Bundesländern existiert bereits eine ähnliche Regelung. De facto hilft sie  aber nur wenigen Mietern. Die Wohnungsknappheit und der Markt schreiben eben eigene Gesetze. Die Stiftung Warentest schätzt, dass nur höchstens fünf Prozent der Mieterhöhungen die Kappungsgrenze eine Rolle spielen dürfte – insofern dürfte die Mietpreisbremse viel politisches Getöse sein, das mit wenig (positiver wie negativer) Wirkung verpuffen wird. Ohnehin kann das grundsätzliche Problem, nämlich die den hohen Mieten zugrunde liegende Knappheit, durch eine Preisobergrenze alleine nicht beseitigt werden.

Zumal die Mietpreisbremse nicht nur die Mieten, sondern auch das Wohnungsangebot tendenziell beschränkt, wollen die Großkoalitionäre als weitere Maßnahme den Wohnungsneubau in Gebieten mit Wohnungsnot stimulieren. Das Paket möchte „bezahlbares Bauen“ erreichen. Nun kostet allerdings z.B. ein freistehendes Eigenheim (120 qm, mit Garage, mittlere bis gute Wohnlage) in Gelsenkirchen und Salzgitter ca. 130.000 Euro, in den „Spannungsgebieten“ Freiburg i.Br. 520.000 Euro und in München 710.000 Euro. Die Zahlen stammen aus 2011, die Abstände dürften zwischenzeitig noch einmal gewachsen sein. Aber warum diese Abstände? Sind Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter in Freiburg oder München so viel teurer als in Gelsenkirchen? Dann würde sich ein Bauherr aus Freiburg oder München eben Mörtel, Stahl, Ziegelsteine und Bauarbeiter eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter kommen lassen. Nein, die Preisunterschiede bestehen beim Boden – und resultieren aus Unterschieden in der Bodenrente. Standorte für Wohnungsbau sind in Freiburg und München wesentlich stärker nachgefragt als in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Diese knappen Standorte sind auch der limitierende Faktor für den Wohnungsneubau. Wenn die Großkoalitionäre nun daran denken, die vor einigen Jahren abgeschaffte degressive Abschreibung (“degressive Afa”) für Anlagen im Mietwohnungsneubau wieder einzuführen, handeln sie wie ein mittelalterlicher Arzt, der gegen Pestgeschwüre nur mit Schönheitspflästerchen aufzuwarten hat. Solche Leute nennt man gemeinhin „Scharlatan“. Schließlich führen Steuernachlässe – genauso wie Subventionen – zu höheren Bodenrenten, die durch die steuerzahlende Gemeinschaft finanziert werden. Ein schönes Umverteilungsprogramm von unten (Steuerzahler) nach oben (Grundstückseigentümer). Die höheren Bodenpreise, die aus den steuerlich subventionierten Bodenrenten hervorgehen werden, erzeugen einen Preisauftrieb bei Grundstücken und dürften so die Eigentumsbildung für untere und mittlere Einkommensschichten noch einmal weiter erschweren. Last but not least wird der ökologisch bedenkliche Flächenverbrauch durch derartige Maßnahmen weiter vorangetrieben. Freude kommt allerdings nicht nur bei den Grundstücksbesitzern auf, sondern auch bei Developern, die über den Wertzuwachs der zu Bauland konvertierten Grundstücke auf Kosten der Allgemeinheit noch mehr Bodenrenten und Bodenwertzuwächse in ihre privaten Taschen umleiten können.

Ein dritter Vorschlag setzt an den Maklergebühren an. Bislang müssen häufig die Mieter für die Maklergebühren aufkommen. Nach Planung der Großkoalitionäre sollen Vermieter, die einen Makler einschalten, diesen fortan selbst bezahlen. Klingt gut und entspricht auch grundsätzlich dem Verursacherprinzip. Allerdings sollte man sich hiervon nicht zu viel erhoffen. Wirtschaftlich gesehen ist derjenige, der die Gebühren zahlt, nämlich nicht unbedingt derjenige, der sie auch wirtschaftlich trägt. Maklergebühren können überwälzt werden; die Vermieter werden die Gebühr gerade in Märkten mit hoher Wohnungsknappheit in die Miete einpreisen und sich zuungunsten der Mieter schadlos halten. Ähnliches gilt übrigens auch bezüglich anderer Belastungen, wie z.B. der in einigen Bundesländern erhöhten Grunderwerbsteuer oder gesetzlich erzwungener erhöhte Aufwendungen für energetische Sanierung.

Also: Pfusch auf der Baustelle, nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit den skizzierten halbgaren Beschlüssen sind die Großkoalitionäre mit ihrem Latein offensichtlich am Ende. Zugegeben, die Thematik ist nicht einfach, und mit dem Wissen der ökonomischen Ratgeber können unserer Politiker das Problem auch nicht lösen.

Man kann – wie die Großkoalitionäre – an Symptomen kurieren, man kann aber auch an die Wurzeln gehen. Dazu bräuchte man allerdings Visionen, die über das übliche politische Durchgewurschtel hinausgehen. Man landet dann unweigerlich bei Ideen, die bis auf die Vorgänger von Adam Smith zurückgehen. Am weitesten verbreitet wurden sie wohl vom amerikanischen Bodenreformer Henry George. Dieser schlug eine Abschöpfung der Bodenrente durch entsprechende Abgaben vor.

Die derzeit hohen Bodenrenten werden nämlich nur beschränkt durch eine Erhöhung des Neubaus an Wohnungen zurückgeführt werden können. Diese Rückführung könnte man jedoch – auch ohne unnötigen Flächenverbrauch – erreichen, wenn mehr ungenutzte oder untergenutzte Bestände vor allem in den Innenbereichen mobilisiert werden könnten. Eigentümern ungenutzter oder untergenutzter Bestände könnten zu einem höheren Angebot bewegt werden, indem sie – unabhängig davon, wie intensiv ihre Bestände genutzt werden – in Höhe ihres Nutzungsvorteils zur Kasse gebeten werden. Dieser Nutzungsvorteil entspricht aber eben der Bodenrente. Genauso würden spekulativ vorgehaltene oder ineffizient genutzte Immobilien zur Miete oder zum Kauf angeboten, würde man sie in Höhe der an ihnen heftenden Bodenrente belasten. Will man primär die Potenziale in den Innenbereichen noch stärker ausschöpfen, dürfte die Entwicklung neuer Baugebiete allerdings nicht mehr wie heute üblich geschehen: Indem nämlich v.a. private Landentwickler an den Bodenrenten und am Bodenwertzuwachs profitieren (value capture). Vielmehr müssten diese auf Grundlage öffentlich nachvollziehbarer Verträge für ihre Auslagen entschädigt werden, wobei natürlich auch ein entsprechender Gewinn eingepreist sein darf (cost covering). Dies würde zudem – Seitens der Developer – den Druck nehmen, die Planungsinstanzen auf der Suche nach neuen Renten aus der Landentwicklung zu vereinnahmen (state capture).

Statt sich dieser (und anderer) Aspekte anzunehmen, sichert die Politik der Großkoalitionäre faktisch die private Vereinnahmung der Bodenrente ab. Diese wird jedoch keinesfalls von den privaten Grundstückseigentümern und Developern geschaffen. Vielmehr handelt es sich um eine Leistung der Allgemeinheit. Nutzen (Bodenrenten) und Kosten (Inwertsetzung, Verzichtskosten) sind in unserer Rentenökonomie voneinander entkoppelt; die Folge ist u.a. ein Versagen der Grundstücksmärkte. In Deutschland kämpft v.a. die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ (http://www.grundsteuererform.net) diesbezüglich um einen ersten Schritt in eine andere Richtung.

Würde man das Potenzial an Bodenrente (von genutzten wie un- und untergenutzten Grundstücken) hingegen konsequent abschöpfen , könnte der Staat genug von dem Aufkommen einbehalten, um seine Kernaufgaben (v.a. Infrastruktur, Sicherheit) zu bestreiten. Andere Steuern könnten dabei zeitgleich stark reduziert, eventuell abgeschafft werden („tax shift“). Einige Ökonomen, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz haben gezeigt, dass so im Idealfall das gesamte Staatswesen finanziert werden könnte (“Henry George-Theorem“). Dies v.a. vor dem Hintergrund, dass dasselbe Prinzip auch auf andere „bodenähnliche“ Vermögenswerte angewendet werden kann, wie Wasser, die Atmosphäre, die Biodiversität, das elektromagnetische Spektrum etc. etc. – all dies (und noch viel mehr) ist nämlich „Land“ im Sinne der klassischen Ökonomen (und von Henry George).

Ökonomen wissen auch, dass eine solche Abgabe auf die Bodenrente – eine stringente Landnutzungsplanung vorausgesetzt – nicht auf die Mieter / Nutzer überwälzbar ist – sie ist vom Grundstückseigentümer zu tragen. Mit der Abschöpfung der Bodenrente werden die Grundstückseigentümer als Nutznießer für die Kosten der Inwertsetzung ihrer Grundstücke zur Kasse gebeten. Wer die Nutzen hat, trägt auch die Kosten – eigentlich ein zutiefst marktwirtschaftliches Prinzip.

Nachdem die Kernaufgaben des Staates (Sicherheit, Infrastruktur, Planung etc.) finanziert sind, könnte man den verbleibenden Rest an Bodenrente als ressourcenbasiertes Grundeinkommen an die Bürger ausschütten. Wenn die Knappheit an Land und damit die Bodenrente steigt, würde es für die Bürger zwar teurer. Allerdings würden dann auch die Ausschüttungen höher. So könnte man sich auch eine höhere Miete wieder leisten – dies gilt angesichts der relativ geringeren Wohnansprüche und der relativ (zum Einkommen) höheren Ausschüttungen v.a. für kleine und mittlere Einkommen. Die Rückverteilung der Bodenrenten wirkt insoweit besser als jede heutige (Miet-) Subvention. Über ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen erhält jeder Bürger die Möglichkeit des durchschnittlich gleichen Zugangs zum Boden.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

 

Überschussliquidität und Assetpreise

Johann Walter

Die Themen „Geldmenge“ und „Assetpreise“ haben mehr miteinander zu tun als man meint! Das Wachstum der Geldmenge (M) übersteigt nämlich in vielen Ländern das Wachstum des BIP. Neues Geld wird also nicht nur zum Bezahlen neu produzierter Güter gebraucht, sondern auch gehortet oder aber angelegt bzw. auf Assetmärkten verwendet, wo mit Vermögenswerten gehandelt wird, z.B. mit Wertpapieren, Immobilien, Land, Gold oder Kunst. Insofern entsteht Überschussliquidität – z.B. in der Eurozone (vgl. Tab. 1).

         Aggregat (in Mrd. €)Zeitpunkt

Bar-geld

M1

M2-M1

M2

M3

Nom. BIP
(Jahreswert)

Dez. 1998

323,7

1771,7

2115,3

3887,0

4447,8

5863,9

Dez. 2012

863,3

5105,4

3885,8

8991,2

9773,3

9487,4

Veränderung in %

167%

188%

84%

131%

120%

62%

Tabelle 1: Geldmengen und nominales BIP in der Eurozone
Quelle: EZB-Monatsberichte 4/1999 und 4/2013 (Tab.2.3 und 5.2)

„Überschüssige“ Gelder, die in den Assetbereich der Wirtschaft fließen, steigern dort die Assetpreise und sichern (monopolartige) Renten, die aus diesen Assets erzielt werden können. Daher sollten sich alle, die sich für Probleme von Assetpreisen und ökonomischen Renten interessieren, sich auch mit Ursachen und (eventuell problematischen) Folgen der Überschussliquidität beschäftigen und damit, wie diese gedrosselt werden kann.

Ursachen für Überschussliquidität

Eine Ursache für Überschussliquidität ist umlaufbezogen: Geld kann innerhalb und zwischen Güter- und Assetbereich der Wirtschaft umlaufen oder gehortet werden. Es fließt aus der Güterwirtschaft heraus, wenn Konsumenten (steigendes) Einkommen horten bzw. zum Kauf von Assets nutzen, bei denen sie Wertzuwachs erhoffen. Es fließt in die Güterwirtschaft zurück etwa bei Emission von Aktien zur Finanzierung von Investitionen oder wenn Pensionsfonds angelegte Finanzmittel zur Zahlung von kleinen Renten ausschütten. In „reifen“, d.h. zunehmend gesättigten Volkswirtschaften fließt umlaufendes Geld per Saldo in die Assetwirtschaft hinein bzw. in die Hortung. Es ist wahrscheinlicher, dass mit Ersparnissen „ein Picasso“ gekauft wird, als dass dieser verkauft wird, um dafür Brot zu kaufen. Bereits umlaufbezogene Überschussliquidität (Typ I) kann von „Assetpreisinflation“ begleitet sein.

Die zweite Ursache für Überschussliquidität (Typ II) hat mit Geldschöpfung zu tun. Die Geldpolitik stellt derzeit, oft per Kredit, sehr viel neues Geld bereit, d.h. steigert die Geldbasis stark. Nach sekundärer Bankengeldschöpfung wachsen z.B. in den USA, in Japan und Europa auch die Geldmengen M1 bis M3 und die Bilanzsummen der Banken viel stärker als das BIP. Diese Geldpolitik handelt, als wolle sie einen Fahrradreifen (Gütersektor) aufpumpen, der aber ein Loch hat, an dem ein Ballon hängt. Der Reifen wird nicht praller (Nullwachstum), aber der Ballon (Hortung bzw. Assetvermögen, vgl. Abb. 1) wird größer. Zudem: Wird neues Geld über den Bankensektor in die Wirtschaft geleitet, so will man bildlich den Reifen „vom Ballon her“ aufpumpen. In reifen Volkswirtschaften will das Geld aber eher anders herum fließen. Insofern ist dies Geldschöpfung gegen das „monetäre Druckgefälle“ – und vergrößert tendenziell den Ballon. Kein Wunder, dass gerade das neue Geld – abhängig von Zins- bzw. Renditeerwartungen – oft auf Asset- bzw. Vermögensmärkte fließt oder als Spar- oder Termineinlagen bei Banken geparkt bleibt!

Abbildung 1 (bitte klicken) 

Nun wird der Zusammenhang zwischen Geld und Assetpreisen richtig klar: wenn im Regelfall Banken neues Geld schöpfen, indem sie Kredit geben oder Vermögenswerte kaufen, dann ist es geradezu unwahrscheinlich, dass neues Geld (schnell) in der Güterwirtschaft ankommt! Eher wandert es von vornherein in die Liquiditätsfalle, d.h. verbleibt sofort im Asset- und Vermögensbereich und steigert dort Preise und stabilisiert dort die erzielbaren Renten.

Folgen und Probleme von Überschussliquidität

Geldschöpfungsbedingte Überschussliquidität führt nicht unbedingt zu Güterpreisinflation. Vielmehr versucht die Geldpolitik in Japan und auch in der Eurozone derzeit geradezu verzweifelt, Deflation zu verhindern. Schon soll die „EZB-Bazooka“ wieder „nachgeladen“ werden, d.h. in hohem Maß überschüssig Geld geschöpft werden. Dies wandert aber – geradezu konstruktionsbedingt – kaum in die Güterwirtschaft, sondern primär in Finanzierung von Assetkäufen. Somit sind erneut Assetpreisinflation (Blasen) und in Folge Finanzkrisen möglich. Überschussliquidität kann dabei – wie Drogen im Blutkreislauf – Probleme machen, wenn sie Länder überschwemmt, aber auch, wenn sie plötzlich wieder abgezogen wird.

Bei Kreditgeldschöpfung ist Überschussliquidität (Typ II) zudem Überschussverschuldung. Dann wachsen die Schulden schneller als der Produktionswert – und auch die nachfolgenden Probleme „Polarisierung“, „Instabilität“ und – ökologisch bedenklich – „Wachstumsdruck“ (vgl. z.B. Walter, 2013). Entsprechend nennt der Bericht „Global Risks 2013“ als größte globale Risiken für die künftige Entwicklung (vgl. World Economic Forum, 2013):

  • die wachsende Kluft bei der Entwicklung der Einkommen,
  • Trinkwasserknappheit als Folge der Klimaproblematik,
  • ein völliger Ausfall des Finanzsystems bzw. chronische Ungleichgewichte und Schuldenprobleme der öffentlichen Haushalte vieler Staaten.

Diese Probleme werden in der Kreditgeldwirtschaft durch „Überschuss-Geldpolitik“ verstärkt.

Reformoptionen zur Milderung der Überschussliquiditätsproblematik

Um die Probleme von Überschussliquidität zu mildern, kann die Art der Geldschöpfung geändert und/oder korrigierend in unrunde Geldumläufe eingegriffen werden.

Ordnungspolitisch wird z.B. vorgeschlagen, die Geldschöpfung ganz oder teilweise dem Staat zuzuordnen. Dieser soll mit neu, schuldenfrei und dauerhaft geschöpftem Geld reale Güter, z.B. Infrastrukturgüter, kaufen können (vgl. Huber 2013, Walter 2013). Damit würde bildlich Luft direkt in den Reifen geblasen. Der Reifen würde praller bzw. das reale Wachstum höher. Zugleich könnten überschüssige (Zentral-)Bankengeldschöpfung und Verschuldung geringer ausfallen. So weit, so gut. Der nun „richtig“ aufgepumpte Reifen hätte aber immer noch ein Loch. Auch in diesem Szenario könnte per Saldo Luft vom Reifen in den Ballon entweichen. Auch ohne geldschöpfungsbedingte Überschussliquidität könnte die bereits umlaufende Liquidität aber in Assets oder in Hortung wandern und somit in der Güterwirtschaft fehlen. Das umlaufbezogene Problem der Überschussliquidität bliebe bestehen.

Insofern reicht eine Reform der Geldschöpfung nicht aus (vgl. auch Löhr, 2011). Es braucht vielmehr auch eine aktive Steuerung des Geldumlaufs – z.B. im Sinne eines „Geldrecyclings“.

In Bezug auf den Geldumlauf könnte die Politik – statt fortlaufend überschüssig Geld zu schöpfen, das an ungewollter Stelle (z.B. im Assetbereich) akkumuliert und zu Polarisierung beiträgt – aktiv versuchen, Geld zu „recyclen“, d.h. zurück in die Güterwirtschaft zu schleusen, bzw. bildlich Luft vom Ballon zurück in den Reifen zu pumpen.

Vor diesem Hintergrund wird seit langem über Wege diskutiert, gezielt „ruhendes“ Geld aufzuscheuchen und in den Umlauf zu treiben, z.B. die von Gesell (vgl. Gesell, 1949) für Bargeld geforderte Umlaufsicherungsgebühr. Bargeld soll demnach mit einer Gebühr belegt werden, wenn es gehortet wird und insofern nicht umläuft. Geldhalter können der Gebühr entgehen, wenn sie damit etwas bezahlen, das Geld also – ohne Zinsforderung – zurück in den (Güter-)Umlauf geben. Bildlich würde Geld vom Ballon direkt zurück in den Reifen gedrückt. Das ist der gewünschte Effekt. Zudem könnte der Staat erhobene Gebühren konsumtiv oder investiv verwenden und somit ebenfalls recyclieren (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2 (bitte klicken)

Ein zentrales Problem sind Ausweichreaktionen. Tab. 2 zeigt Verwendungsmöglichkeiten für Geld. Werden einzelne Verwendungen mit einer Gebühr belastet, neigt das betroffene Geld zur Wanderung an „unbelastete“ Orte. Dies begrenzt die erwünschte Wirkung der Gebühr.

1. Halten von Zentralbank- bzw. Bargeld

2. Halten von Giralgeld

3. Halten von Spar- & Termineinlagen

4. Kauf von Assets

5. Kauf von Gütern

6. Abwanderung ins Ausland

Assetblasen? Wachstum? Wechselkurseffekt?

Tabelle 2: Möglichkeiten und Effekte der Verwendung von Geld

In reifen Volkswirtschaften brauchen (gesättigte) Geldhalter nur begrenzt neue Güter. Auf der Flucht vor einer Bargeldgebühr werden sie Bargeld daher teils in auch Giralgeld, Spar- oder Termineinlagen umwandeln, teils aber auch Assets kaufen und/oder ins Ausland fliehen (vgl. Mensching, 2005). Ein Rückfluss von gehortetem Geld zurück in die Güterwirtschaft ist also unklar. So ist z.B. denkbar, dass Liquidität in andere Währungsräume flieht. Insofern erfordert wirksame Geldumlaufsteuerung sogar auch internationale Absprachen.

Dieses Bedenken gelten im Prinzip auch für andere diskutierte Gebührenvarianten, z.B. eine Gebühr auch auf Einlagen der Banken bei der Zentralbank bzw. auf die gesamte Geldbasis oder Gebühren auch auf Giralgeld bzw. auf Spar- und Termineinlagen. Stets gilt: auf der Flucht vor der Gebühr wandert Geld tendenziell in „gebührenfreie“ Bereiche – und zwar nicht nur in die Güterwirtschaft. Daher scheint eher eine „breite“ Gebührenbasis günstig. Bei einer (eventuell gestaffelten) Gebühr auf Bargeld, Sicht-, Spar- und Termineinlagen z.B. hätten vor der Gebühr fliehende Gelder weniger Ausweichmöglichkeiten, Aufkommen und potenzielle Effekte auf die Güterwirtschaft wären mithin höher.

Im Sinne von Tab. 2 kann daher auch Verwendung 4 (Kauf bzw. Halten von Assets) belastet werden. Der Staat kann etwa (die Erbschaft von) Vermögen belasten – generell oder z.B. beschränkt auf Grundvermögen – und mit diesen Einnahmen und entsprechender Vermeidung neuer Staatsschulden reale Aktivität (z.B. dringend erforderliche Investitionen in öffentliche Infrastruktur) finanzieren. Auch damit fließt letztlich Geld zurück in die Güterwirtschaft. Wird auf diese Weise über Steuern belastet, ergeben sich zwar folgende Nachteile:

  • Erhebungsaufwand; dies spricht z.B. gegen Steuern auf Sachvermögen.
  • Negative Struktureffekte; Erbschaftsteuern können z.B. den Mittelstand belasten.
  • Ausweicheffekte; z.B. Verlagerung von Wirtschaftsaktivitäten zur Steuervermeidung.

Erhebungsaufwand und Ausweichreaktionen sind aber auch bei Umlaufsicherungsgebühren relevant. Der Unterschied ist insofern eher graduell. Hier wie dort gilt: der Saldo zwischen erwünschten Lenkungswirkungen und unerwünschten Ausweichreaktionen ist günstiger, je „breiter“ die Belastung angelegt wird: desto weniger Ausweichmöglichkeiten bleiben dem überschüssigen Geld, desto eher muss es in die Güterwirtschaft zurück, und desto geringer ist auch der Bedarf an (überschüssiger und eventuell schuldensteigernder) Geldschöpfung.

Und, zur Erinnerung: Umlaufsteuerung kann, wenn das im Umlauf gesteuerte Geld schon als Schuld entstanden ist (Überschussliquidität vom Typ II) Schuldenprobleme nicht lösen, sondern nur deren Wachstum drosseln. Hier bräuchte es somit als Ergänzung den (erwähnten) partiellen Übergang zu schuldenfreier Geldschöpfung. Insofern reicht zur Lösung von Überschussliquiditäts- und Assetpreisproblemen somit weder eine Reform der Geldschöpfung noch aktive Steuerung des Geldumlaufs alleine aus. Nötig erscheint vielmehr beides!

Literatur:

Gesell, S., Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg 1949.

Hesse, M., Der Domino-Effekt, in: Der Spiegel 36/2013, S. 64-66

Huber, J., Monetäre Modernisierung, 3. Aufl., Marburg 2013

Löhr, D., Vollgeld, Freigeld und Assetpreisinflationen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 168/169, 2011, S. 40-54.

Löhr, D., Zur Umlaufsicherung von Buchgeld, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 147, 2005, S. 30-32.

Mensching, C., Umlaufsicherung und Geldsystem – Zur Notwendigkeit einer doppelten Geldreform, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 147, 2005, S. 33-39.

Walter, J., Geldordnung: Schuldenkrise oder Free Lunch?, in: WiSt 4/2013, S. 197-201.

World Economic Forum (Hrsg.), Bericht: “Global Risks 2013 – Eighth Edition”, online unter http://www.weforum.org/reports/global-risks-2013-eighth-edition.

Postwachstumsökonomie und die ökonomische Gretchenfrage

Dirk Löhr

Allein zwischen 1960 und 2000 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt (auf 6,12 Mrd. Menschen) und das globale Bruttoinlandsprodukt versechsfacht. Jeder Euro, jeder Dollar BIP zieht dabei eine energetische Schleifspur nach sich, erzeugt Abfall und benötigt Land und weitere Ressourcen.

Insbesondere seitdem Indien und China den nicht nachhaltigen westlichen Ökonomien in ihrer Entwicklung folgen, zeichnen sich die Grenzen des Wachstums deutlicher ab denn je. Sprachen Meadows et al. („Die Grenzen des Wachstums“) noch von „Peak Oil“, so ist heute auch die Rede von „Peak Soil“. Unabhängig davon, welchen Aspekt man nun betont: Der limitierende Faktor des Wachstums ist „Land“ – in dem weiten Verständnis der ökonomischen Klassiker. Zu „Land“ in diesem weiten Sinne zählt all das, was der liebe Herrgott und nicht der Mensch geschaffen hat. Hierzu zählen neben Grund und Boden in seinen unterschiedlichen Nutzungsvarianten auch mineralische Ressourcen, Öl, Wasser, die Atmosphäre, das elektromagnetische Spektrum, der biogenetische Reichtum etc.

Land in diesem weiten Sinne bildet die Wiege, den Beginn der Wertkette eines Produktes. Und es stellt auch das Ende der Wertkette dar: Nach Ende der Nutzung müssen die Überreste der Produkte deponiert werden (sei es in einer Land-Deponie oder durch Verbrennung in der Atmosphäre).

Die oft beschworene Postwachstumsökonomie ist vor dem Hintergrund der Endlichkeit von Land mehr als nur ein bedenkenswertes Ziel. Um diesen Zustand zu erreichen, bedarf es allerdings einer Kontrolle des wirtschaftlichen „Stoffwechsels“. M.E. müssen hierfür jedoch mindestens drei Bedingungen erfüllt sein:

a) Die Öffentlichkeit muss wie beschrieben den Anfang und das Ende der Wertkette – also Land – unter Kontrolle haben. Dies schließt insbesondere Privateigentum an Land i.w.S. aus, da hiermit gerade diese Kontrolle in die Hand der privaten Eigentümer gelegt wird. Private Nutzungsrechte an „Land“ i.w.S. reichen vollkommen aus. Volleigentum (mit dem Recht auf die Erträge, die Wertzuwächse und dem Recht, das Wirtschaftsgut in seinem Wesen zu verändern) ist hingegen nicht nur nicht nötig, sondern kontraproduktiv.

b) Diese privaten Nutzungsrechte an Land i.w.S. müssen allerdings „entkapitalisiert“ sein. Wenn stark organisierte Gruppen aus dem Land ökonomische Renten ziehen und gleichzeitig die Inwertsetzungs- und Verzichtskosten auf schwach organisierte Gruppen abwälzen können, entstehen finanzielle Fehlanreize. Der unnachhaltige Umgang mit Land i.w.S. wird dadurch ermutigt. Dies ist heute in mannigfacher Art und Weise der Fall. Ein Beispiel ist die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf Kosten v.a. landwirtschaftlicher Flächen, das mit dem Wirtschaftswachstum (weniger mit dem Bevölkerungswachstum!) Hand in Hand geht. Developer und Bodeneigentümer stoßen sich durch Landkonversionen finanziell gesund, während die Inwertsetzung der Flächen zu einem erheblichen Teil durch die Steuerzahler erfolgt. Der Staat unterstützt diese unnachhaltige Entwicklung – zumal er aufgrund der Privatisierung der Renten chronisch unterfinanziert ist (dieses Grundproblem wurde in diesem Blog schon wiederholt angesprochen). Ein anderes Beispiel sind die Gewinne, die durch den Eintrag von CO2 in die Atmosphäre gemacht werden. Anstatt die Rechte zur Nutzung der Atmosphäre (Land i.w.S.) rigoros zu begrenzen und zum Wohl der öffentlichen Haushalte zu versteigern, werden sie heutzutage großzügig bemessen und größtenteils an die Verschmutzer verschenkt. Die Löcher in der Staatskasse muss der Steuerzahler auffüllen. Hinzu kommen die Kosten, die auf andere Menschen in Form von Klima- und Gesundheitsschäden abgewälzt werden.

Ein weiterer Fehlanreiz wird durch das Geldwesen und den Zins hervorgerufen. Durch das Allais-Phelps-Theorem wurde der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Zinssatz beschrieben, was hier nicht näher ausgeführt werden soll (s. die Literaturhinweise). Postwachstumsökonomie ist daher auch nur über eine Reform des Geldwesens durchsetzbar.

c) Privateigentum an Land bedeutet wie gesagt den Verzicht auf die Kontrolle von Anfang und Ende der Wertketten. Nichts anderes geschieht heute; dieser Kontrollverzicht ist der Normalfall. Der Preis indes ist hoch: Will man die gröbsten umweltpolitischen Auswüchse dennoch wenigstens halbwegs unter Kontrolle bringen, muss man in den Wertketten selber herum dirigieren und Stoffströme umlenken („Stoffstrommanagement“). Dann sagt der Staat u.a. an, mit welchen Verfahren die Unternehmer zu produzieren haben, verbietet Glühbirnen und bestimmte Staubsauger – dies allerdings mit nicht gerade durchschlagendem Erfolg. Die grundlegende Idee der Marktwirtschaft, nämlich dezentrale und eigenverantwortliche Entscheidungen der Unternehmer, geht zudem hierdurch verloren. Stattdessen wächst ein interventionistischer Staatsapparat heran, der den Unternehmen vorschreibt, was sie zu tun haben und fallbezogene (diskretionäre) sowie gleichheitswidrige (weil bestimmte Gruppen begünstigende) Maßnahmenpolitik auf Kosten der Allgemeinheit betreibt. Hiermit schließt sich der Kreis, denn einzelfallbezogene politische Interventionen stellen ein Einfallstor für Lobbyismus und Rent Seeking dar. Ein schönes Beispiel war die Umweltprämie in 2009 („Abwrackprämie“), mit der unter dem Deckmäntelchen der Umweltpolitik in Wirklichkeit die Automobillobby bedient wurde. Die Anreizwirkung war mehr als fragwürdig: Dies gilt selbst industriepolitisch, zumal in erheblichem Maße mit deutschen Steuergeldern de facto der Import ausländischer Kleinwagen gefördert wurde. Im ersten Halbjahr 2010 gingen die Neuzulassungen deutscher Marken gegenüber dem Vorjahr um 28 % zurück (darunter Ford 40 %, Opel und VW je 37 %). Dies wurde bereits im Vorfeld von den meisten Ökonomen vorhergesagt – ohne von der Politik gehört zu werden. Umweltpolitisch war die Umweltprämie ein Desaster; durch das Abwracken tauglicher Fahrzeuge dürften enorme unnötige Stoffströme und ein unnötiger Ressourcenverbrauch initiiert worden sein.

Das Gegenstück zum Interventionsstaat wäre ein starker, sich selbst beschränkender Staat (Wilhelm von Humboldt). Hält dieser nur den Anfang und das Ende der Wertkette in der Hand, könnte er sich auf das Setzen eines Ordnungsrahmens (Spielregeln) beschränken und sich ansonsten weitgehend aus dem Wirtschaftsleben heraushalten.

Erstaunlicherweise wurde der letzte Schritt, nämlich die Unvereinbarkeit von Privateigentum an Land i.w.S. und einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch von den Ordoliberalen nicht konsequent zu Ende gedacht. Dies, obwohl sogar wichtige Gründungsväter der neoklassischen Ökonomie (wie J.M. Walras, J.H. Gossen, J.S. Mill u.a.) mit ihrer Kritik am Privateigentum an Grund und Boden eigentlich schon die intellektuelle Steilvorlage zu dieser Schlussfolgerung gelegt hatten. Bei allen Verdiensten: Eucken & Co. wollten leider eben die ökonomische Gretchenfrage nicht stellen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Befürworter der Postwachstumsökonomie nicht ebenfalls hierum herumdrücken.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc

Dirk Loehr, The Euthanasia of the Rentier, in: Ecological Economics Vol. 84, 12/2012, S. 232-239. Online: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0921800911004873

Dirk Löhr, Nullwachstum und Nullzins – Renaissance einer alten Idee, in: Zeitschrift für Sozialökonomie November 2010, S. 3-20. Online: http://www.zfsoe-online.de/ZfSO-166-167_Lohr.pdf

PKW-Maut: Lichtblick am Horizont

Dirk Löhr

Überraschung am Monatsende. Kaum jemand hat damit gerechnet – am wenigsten wohl der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer. Dieser wollte von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas wissen, ob die sogenannte Ausländermaut der CSU mit dem europäischen Recht vereinbar sei. Die Antwort von Kallas verblüffte die Laien, und die Experten wunderten sich. Demnach ist die Einführung einer generellen Pkw-Maut für In- und Ausländer mit EU-Recht vereinbar. Deutsche Autofahrer könnten gleichzeitig durch eine Absenkung der Kfz-Steuer entlastet werden. Dies stelle keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar.

Grundsätzlich ist der Vorschlag einer Maut als nutzungsabhängiger Gebühr sinnvoll. Auf diese Weise könnten Nutzungsvorteile abgeschöpft und im Gegenzug die Steuerlast gesenkt werden. Dies belastet – anders als das gegenwärtige System – verursachungsgerecht den Nutzer der Infrastruktur. Insoweit ein ausdrückliches Lob für Herrn Kallas. Wenn dann noch die Kosten, die auf andere Menschen durch Spritfresser in Form von Luftverschmutzung etc. abgewälzt werden, durch entsprechend hohe Abgaben auf den Kraftstoffverbrauch eingefangen würden, könnte das Finanzierungssystem für den Straßenverkehr schon einen entscheidenden Schritt vorwärts tun.

Kallas betonte aber auch, dass eine Maut “in einem angemessenen Verhältnis zur Nutzung der Infrastruktur stehen” solle. Durchdenkt man diese Forderung, so müsste jedoch nicht nur eine „Flatrate“ abgelehnt werden –  also eine einheitliche Gebühr für alle, egal ob Wenig- oder Vielfahrer. Vielmehr müsste sich die Nutzergebühr auch danach richten, welche Verkehrsverbindung zu welchem Zeitpunkt genutzt wird.

Zu Stoßzeiten (zeitliche Dimension) und bei stark frequentierten Routen (räumliche Dimension) dürfte nämlich die Zahlungsbereitschaft der Nutzer wesentlich höher liegen als mitten in der Nacht und „in the middle of nowhere“. Wenn die Maut jedoch nicht danach unterscheidet, fallen Nutzern mit hoher Zahlungsbereitschaft durch die Flatrate unverdiente Vorteile zu: Es entstehen ökonomische Renten. Es handelt sich hier um nichts anderes als eine spezielle Form der Bodenrente: Diese entstehen immer dort und dann, wo und wann die Ballungen an konkurrierenden Nutzungen am größten sind. Umgekehrt findet keine Abschreckung für Verkehrsteilnehmer statt, die nicht dringliche Fahrten zu Stoßzeiten vornehmen.

Der Teufel einer sachgerechten Umsetzung der Forderung von Kallas steckt also im Detail. Wünschenswert wäre demnach einerseits eine differenzierte Erfassung der Autobahn- bzw. Straßennutzung bei Inländern, was technisch grundsätzlich technisch und finanziell machbar sein dürfte (allerdings nicht mit dem bestehenden System von Toll Collect – zumindest nicht flächendeckend). Zumal man andererseits Ausländern für die gelegentliche Nutzung deutscher Straßen nicht den Kauf der entsprechenden Gerätschaft zumuten kann, bleibt hier wohl nicht mehr die mehr oder weniger pauschale Erfassung über eine Vignettenlösung. Es bliebe rechtlich zu prüfen, ob diese pragmatische Differenzierung schon wieder als eine Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit gewertet würde oder sich noch in den Grenzen zulässiger Typisierungen des Abgabensystems befindet.

Wenngleich noch wichtige Eckpunkte wie z.B. die Rückverteilung eines Teils der Abgaben (im Rahmen eines ressourcenbasierten Grundeinkommens) in der Diskussion noch fehlen, stellt sie dennoch einen Lichtblick dar: Sie weist in die Richtung einer Ablösung des bestehenden ineffizienten, ineffektiven und sozial desaströsen Steuersystems durch eine Abschöpfung ökonomischer Renten. Über eine konsequente Durchsetzung dieses Prinzips könnte man sogar ganz auf Steuern im herkömmlichen Sinne verzichten. Nichts anderes besagt das „Henry George-Theorem“, das u.a. vom Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz formalisiert und im Rahmen dieses Blogs schon wiederholt geschildert wurde.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc

Spiegel online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/eu-kommissar-pkw-maut-ist-mit-europaeischem-recht-vereinbar-a-930927.html

SZ: http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-kommission-zu-pkw-maut-fuer-auslaender-bruessel-stuetzt-seehofers-maut-plaene-1.1807897

Drehtüren – Revolving Doors

Dirk Löhr

Wieder rotiert die Drehtür zwischen Wirtschaft und Politik: im Oktober wurde bekannt, dass SPD-Politiker Kurt Beck zum Pharmakonzern Boehringer Ingelheim wechselt. Die Gewinne von Pharmakonzernen wie Boehringer stützen sich maßgeblich auf Renten, die erst durch die heutige Patentgesetzgebung ermöglicht werden. Den Preis zahlen im sprichwörtlichen Sinne Patienten und Versicherte. Auch Innovationen werden – entgegen der Begründung der Pharmaindustrie – eher blockiert als gefördert. Der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz soll nun die Konzernspitze von Boehringer beraten. Das fünfköpfige Gremium, dem Beck neuerdings angehört, soll die Arbeit der Unternehmensleitung begleiten.

Interessant hinsichtlich der Beratungskompetenz von Beck dürfte für die Konzernspitze dabei weniger sein unternehmerisches Know How sein. Dass er dieses gerade nicht besitzt, hat er u.a. mit dem Nürburgring-Desaster und dem Hotelskandal in Bad Bergzabern hinreichend bewiesen. Vielmehr dürfte es darum gehen, über seine politischen Kontakte Türen für das Unternehmen zu öffnen.

Beck ist indessen kein Ausnahmefall. Nehmen wir Günter Verheugen. Während seiner Zeit als EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie (2004-2009) zog er mehrfach heftige Kritik wegen seiner Industrienähe auf sich, vor allem von Umweltverbänden. Nach seinem Ausscheiden nahm Verheugen Beraterjobs bei der Royal Bank of Scotland, dem Bundesverband der deutschen Raiffeisenbanken und Volksbanken (BVR), der Lobbyagentur Fleishman Hillard International Communications und dem türkischen Rohstoffbörsenverband (TOBB) an – ohne die Kommission hierüber zu informieren, was eigentlich seine Pflicht gewesen wäre. Dennoch gab ihm die Europäische Kommission im Juli 2010 grünes Licht für seine Engagements, mit der Begründung, Verheugen sei nicht in Lobbytätigkeiten involviert. Verheugen verschwieg der Kommission ebenso pflichtwidrig die Gründung einer eigenen Lobbyagentur. Erst als die Wirtschaftswoche dies aufdeckte, stellte die Kommission Nachfragen. Schließlich erlaubte die EU-Kommission Verheugen die Tätigkeit für die European Experience Company.

Die Fälle Beck und Verheugen sind typisch für Interessenkonflikte, von denen es nicht mehr weit zum unappetitlichen Thema der „weißen Korruption“ ist. Unter „weißer Korruption“ versteht man das entgeltliche Einbinden von Politikern in Nebenjobs, wobei die Gegenleistung oftmals – auch angesichts des teilweise nicht vorhandenen Sachverstandes – fragwürdig ist. „Weiße Korruption“ wird in Deutschland nicht nur geduldet; manch eine Stimme spricht diesbezüglich hierzulande sogar von einem regelrechten „El Dorado“. Ein Interessenkonflikt bestand beispielsweise, als der ehemalige OB Schuster (Stuttgart), Mitglied im Konzernbeirat der EnBW und Aufsichtsrat der EnBW Regional AG, derselben EnBW u.a. die Wasserbetriebe (Wasserrente!) verkaufte, die von den Bürgern zuvor über Generationen hinweg aufgebaut und bezahlt und am Ende eben Herrn Schuster & Co. anvertraut wurden.

Die personifizierte Interessenverflechtung zwischen Industrie und Politik war Werner Müller (Wirtschaftsminister der rot-grünen Bundesregierung von 1998 bis 2002). Seit 1973 war er in Unternehmen wie RWE, Veba und Kraftwerke Ruhr AG tätig (Energierenten!). Nach seinem Ausscheiden aus der Politik wurde er Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG (RAG, die auch von Ex-Bundeskanzler Schröder „beraten“ wurde). Der Interessenkonflikt wurde deutlich, als er das Verbot des Bundeskartellamtes für die Übernahme der Ruhrgas AG durch die E.ON nicht hinnehmen wollte. Er wies seinen Staatssekretär Tacke (später Vorstandsvorsitzender des Stromkonzerns STEAG) an, den Weg für die Fusion durch eine Ministererlaubnis (§ 42 GWB) freizumachen. Und damit sind wir wieder bei den Revolving doors. Der Wechsel von der Ministerialbürokratie in Unternehmen (hierzulande seltener zurück), werden mehr und mehr zur Normalität.

Los geht es allerdings schon im Amt. Schon das Selbstverständnis mancher Ministerien ist problematisch. Entlarvend hierfür war z.B. ein unbedachter Satz des früheren Bundeswirtschaftsministers Glos. Dieser verkündete (im Zusammenhang mit dem Beschluss des Entsende- und des Mindestarbeitsbedingungengesetzes) unbedarft wie stolz, wie erfolgreich er als verlängerter Arm der Industrielobby agierte („wir haben eine wirtschaftsfreundliche Lösung durchgesetzt“). In einer politischen Welt mit halbwegs geraden politisch-moralischen Maßstäben hätte sich der politische Boden auftun und Glos verschlingen müssen. In einer bis ins Mark korrumpierten Gesellschaft denkt sich aber niemand mehr etwas dabei – weder der Minister, der mit solchen Parolen hausieren geht, noch die Medien, die seine Aussage kommentarlos widergeben, noch das Volk, das ein solches Gebaren mittlerweile für „normal“ hält und sich daran gewöhnt hat.

Ein durch Partikularinteressen durchsetzter Staat wird offenbar als Normalität angesehen. Adamek / Otto beschreiben z.B. in ihrem bemerkenswerten Buch „Der gekaufte Staat“ (2009), wie – v.a. durch das rot-grüne „Personalaustauschprogramm“ inspiriert – durch staatliche Organe private Sonderinteressen exekutiert werden. So wurde es Normalität, dass in den Bundesministerien, sogar im Kanzleramt externe Mitarbeiter aus Unternehmen und Verbänden mitwirken. Beschäftigte des Verbands öffentlicher Banken und der Deutsche Börse AG arbeiteten beispielsweise an der Fortentwicklung des Kreditwesengesetzes, des Finanzaufsichtsdienstleistungsgesetzes und der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie mit. Im Bundeswirtschaftsministerium mischten Vertreter von BASF, Bayer, dem Verband der Chemischen Industrie und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer bei Regelungen mit, von denen sie selber betroffen sind.

Was für ein Film läuft hier eigentlich? Im Kern geht es um den Missbrauch von Macht. Die Beschränkung von Macht war ein zentrales inhaltliches Anliegen der ordoliberalen Schule um Walter Eucken. Zu Recht betrachtet man das Gewaltmonopol des Staates als einen zivilisatorischen Fortschritt. Merkwürdig ist jedoch, dass Macht in privater Hand weitgehend toleriert wird. Macht ist jedoch die „Mutter der Gewalt“ (Andres) und in Wirklichkeit viel gefährlicher als diese, da sie sich wie der Wolf im Schafspelz unscheinbar in die Belange der Öffentlichkeit einschleicht. Sie macht sich bemerkbar in der sukzessiven Reduktion von Deutungsmustern und Handlungsmöglichkeiten. Die herrschende Philosophie lautet vor diesem Hintergrund: Wirtschaftliche Macht darf sich zwar entwickeln, sie muss aber kontrolliert und reguliert werden. Eucken & Co. setzten dagegen, dass Macht möglichst gar nicht erst entstehen darf. Nach Eucken sollten einerseits Wirtschaft und Gesellschaft von Macht und andererseits der Staat von privaten Interessen frei gehalten werden. Nur dann ist das Recht in der Lage, eine freiheitliche Ordnung zu garantieren.

Dementsprechend brauchen wir politisch-institutionelle Arrangements, um nicht nur eine Unabhängigkeit der Gerichte, sondern auch der Gesetzgebung und der Regierung von Partikularinteressen gewährleisten. Von größter Bedeutung ist hierbei die Einrichtung einer „virtuellen Bannmeile“ um Gesetzgebung und Regierung. Es wird eine größere Unabhängigkeit von Exekutive und Legislative sowie gleichzeitig mehr direkte demokratische Kontrolle benötigt. Anzustreben ist nichts weniger als ein Umbau des Staates: Weg vom heutigen Staat, der Privilegien und ökonomische Renten sichert hin zu einem Staat, der sich von Sonderinteressen emanzipiert und als Treuhänder des Gemeinwohls waltet. Parlamente sollten ihre Gesetze und Entscheidungen unter Kenntnis, aber nicht unter Beeinflussung durch private Sonderinteressen treffen. Lobbyismus und anderweitige Beeinflussung der Entscheidungsträger außerhalb der hierfür vorgesehenen Kanäle sind zu ächten, rent seeking- wie state capture-Aktivitäten sind zu kriminalisieren.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc