Postwachstumsökonomie und die ökonomische Gretchenfrage

Dirk Löhr

Allein zwischen 1960 und 2000 hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt (auf 6,12 Mrd. Menschen) und das globale Bruttoinlandsprodukt versechsfacht. Jeder Euro, jeder Dollar BIP zieht dabei eine energetische Schleifspur nach sich, erzeugt Abfall und benötigt Land und weitere Ressourcen.

Insbesondere seitdem Indien und China den nicht nachhaltigen westlichen Ökonomien in ihrer Entwicklung folgen, zeichnen sich die Grenzen des Wachstums deutlicher ab denn je. Sprachen Meadows et al. („Die Grenzen des Wachstums“) noch von „Peak Oil“, so ist heute auch die Rede von „Peak Soil“. Unabhängig davon, welchen Aspekt man nun betont: Der limitierende Faktor des Wachstums ist „Land“ – in dem weiten Verständnis der ökonomischen Klassiker. Zu „Land“ in diesem weiten Sinne zählt all das, was der liebe Herrgott und nicht der Mensch geschaffen hat. Hierzu zählen neben Grund und Boden in seinen unterschiedlichen Nutzungsvarianten auch mineralische Ressourcen, Öl, Wasser, die Atmosphäre, das elektromagnetische Spektrum, der biogenetische Reichtum etc.

Land in diesem weiten Sinne bildet die Wiege, den Beginn der Wertkette eines Produktes. Und es stellt auch das Ende der Wertkette dar: Nach Ende der Nutzung müssen die Überreste der Produkte deponiert werden (sei es in einer Land-Deponie oder durch Verbrennung in der Atmosphäre).

Die oft beschworene Postwachstumsökonomie ist vor dem Hintergrund der Endlichkeit von Land mehr als nur ein bedenkenswertes Ziel. Um diesen Zustand zu erreichen, bedarf es allerdings einer Kontrolle des wirtschaftlichen „Stoffwechsels“. M.E. müssen hierfür jedoch mindestens drei Bedingungen erfüllt sein:

a) Die Öffentlichkeit muss wie beschrieben den Anfang und das Ende der Wertkette – also Land – unter Kontrolle haben. Dies schließt insbesondere Privateigentum an Land i.w.S. aus, da hiermit gerade diese Kontrolle in die Hand der privaten Eigentümer gelegt wird. Private Nutzungsrechte an „Land“ i.w.S. reichen vollkommen aus. Volleigentum (mit dem Recht auf die Erträge, die Wertzuwächse und dem Recht, das Wirtschaftsgut in seinem Wesen zu verändern) ist hingegen nicht nur nicht nötig, sondern kontraproduktiv.

b) Diese privaten Nutzungsrechte an Land i.w.S. müssen allerdings „entkapitalisiert“ sein. Wenn stark organisierte Gruppen aus dem Land ökonomische Renten ziehen und gleichzeitig die Inwertsetzungs- und Verzichtskosten auf schwach organisierte Gruppen abwälzen können, entstehen finanzielle Fehlanreize. Der unnachhaltige Umgang mit Land i.w.S. wird dadurch ermutigt. Dies ist heute in mannigfacher Art und Weise der Fall. Ein Beispiel ist die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf Kosten v.a. landwirtschaftlicher Flächen, das mit dem Wirtschaftswachstum (weniger mit dem Bevölkerungswachstum!) Hand in Hand geht. Developer und Bodeneigentümer stoßen sich durch Landkonversionen finanziell gesund, während die Inwertsetzung der Flächen zu einem erheblichen Teil durch die Steuerzahler erfolgt. Der Staat unterstützt diese unnachhaltige Entwicklung – zumal er aufgrund der Privatisierung der Renten chronisch unterfinanziert ist (dieses Grundproblem wurde in diesem Blog schon wiederholt angesprochen). Ein anderes Beispiel sind die Gewinne, die durch den Eintrag von CO2 in die Atmosphäre gemacht werden. Anstatt die Rechte zur Nutzung der Atmosphäre (Land i.w.S.) rigoros zu begrenzen und zum Wohl der öffentlichen Haushalte zu versteigern, werden sie heutzutage großzügig bemessen und größtenteils an die Verschmutzer verschenkt. Die Löcher in der Staatskasse muss der Steuerzahler auffüllen. Hinzu kommen die Kosten, die auf andere Menschen in Form von Klima- und Gesundheitsschäden abgewälzt werden.

Ein weiterer Fehlanreiz wird durch das Geldwesen und den Zins hervorgerufen. Durch das Allais-Phelps-Theorem wurde der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Zinssatz beschrieben, was hier nicht näher ausgeführt werden soll (s. die Literaturhinweise). Postwachstumsökonomie ist daher auch nur über eine Reform des Geldwesens durchsetzbar.

c) Privateigentum an Land bedeutet wie gesagt den Verzicht auf die Kontrolle von Anfang und Ende der Wertketten. Nichts anderes geschieht heute; dieser Kontrollverzicht ist der Normalfall. Der Preis indes ist hoch: Will man die gröbsten umweltpolitischen Auswüchse dennoch wenigstens halbwegs unter Kontrolle bringen, muss man in den Wertketten selber herum dirigieren und Stoffströme umlenken („Stoffstrommanagement“). Dann sagt der Staat u.a. an, mit welchen Verfahren die Unternehmer zu produzieren haben, verbietet Glühbirnen und bestimmte Staubsauger – dies allerdings mit nicht gerade durchschlagendem Erfolg. Die grundlegende Idee der Marktwirtschaft, nämlich dezentrale und eigenverantwortliche Entscheidungen der Unternehmer, geht zudem hierdurch verloren. Stattdessen wächst ein interventionistischer Staatsapparat heran, der den Unternehmen vorschreibt, was sie zu tun haben und fallbezogene (diskretionäre) sowie gleichheitswidrige (weil bestimmte Gruppen begünstigende) Maßnahmenpolitik auf Kosten der Allgemeinheit betreibt. Hiermit schließt sich der Kreis, denn einzelfallbezogene politische Interventionen stellen ein Einfallstor für Lobbyismus und Rent Seeking dar. Ein schönes Beispiel war die Umweltprämie in 2009 („Abwrackprämie“), mit der unter dem Deckmäntelchen der Umweltpolitik in Wirklichkeit die Automobillobby bedient wurde. Die Anreizwirkung war mehr als fragwürdig: Dies gilt selbst industriepolitisch, zumal in erheblichem Maße mit deutschen Steuergeldern de facto der Import ausländischer Kleinwagen gefördert wurde. Im ersten Halbjahr 2010 gingen die Neuzulassungen deutscher Marken gegenüber dem Vorjahr um 28 % zurück (darunter Ford 40 %, Opel und VW je 37 %). Dies wurde bereits im Vorfeld von den meisten Ökonomen vorhergesagt – ohne von der Politik gehört zu werden. Umweltpolitisch war die Umweltprämie ein Desaster; durch das Abwracken tauglicher Fahrzeuge dürften enorme unnötige Stoffströme und ein unnötiger Ressourcenverbrauch initiiert worden sein.

Das Gegenstück zum Interventionsstaat wäre ein starker, sich selbst beschränkender Staat (Wilhelm von Humboldt). Hält dieser nur den Anfang und das Ende der Wertkette in der Hand, könnte er sich auf das Setzen eines Ordnungsrahmens (Spielregeln) beschränken und sich ansonsten weitgehend aus dem Wirtschaftsleben heraushalten.

Erstaunlicherweise wurde der letzte Schritt, nämlich die Unvereinbarkeit von Privateigentum an Land i.w.S. und einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch von den Ordoliberalen nicht konsequent zu Ende gedacht. Dies, obwohl sogar wichtige Gründungsväter der neoklassischen Ökonomie (wie J.M. Walras, J.H. Gossen, J.S. Mill u.a.) mit ihrer Kritik am Privateigentum an Grund und Boden eigentlich schon die intellektuelle Steilvorlage zu dieser Schlussfolgerung gelegt hatten. Bei allen Verdiensten: Eucken & Co. wollten leider eben die ökonomische Gretchenfrage nicht stellen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Befürworter der Postwachstumsökonomie nicht ebenfalls hierum herumdrücken.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.doc

Dirk Loehr, The Euthanasia of the Rentier, in: Ecological Economics Vol. 84, 12/2012, S. 232-239. Online: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0921800911004873

Dirk Löhr, Nullwachstum und Nullzins – Renaissance einer alten Idee, in: Zeitschrift für Sozialökonomie November 2010, S. 3-20. Online: http://www.zfsoe-online.de/ZfSO-166-167_Lohr.pdf

One thought on “Postwachstumsökonomie und die ökonomische Gretchenfrage”

  1. Zwei Sachen:
    1.
    Die Postwachstumsökonomie, wie sie u.a. von Niko Paech vertreten wird, macht den Fehler schlechthin und stellt Anforderungen an die Menschen. In diesem Fall ist es der Verzicht. Auch wenn das Ziel vielleicht richtig ist, werden hier m.E. falsche Mittel gewählt. Paech betont auch ab und zu, es gäbe keine nachhaltigen Technologien, sondern nur nachhaltige Lebensstile. Vor dem Hintergrund seines eigenen Lebensstils kann ich nur davon ausgehen, dass alle Menschen so sein müssten wie er, damit dieses Konzept aufgeht. Weil aber nicht alle Menschen so sind, kann es nicht funktionieren.
    2.
    „Bei allen Verdiensten: Eucken & Co. wollten leider eben die ökonomische Gretchenfrage nicht stellen.“
    Hier geht es wohl weniger um irgendeine Gretchenfrage, als vielmehr um einen fehlenden gedanklichen Zugang. Innerhalb der ordoliberalen Logik spielt es keine Rolle wer das (Privat-)Eigentum hat, sondern wie der Wettbewerb damit gestaltet ist. Eucken & Co. haben allerdings nicht (was man ihnen nicht verübeln kann) darauf geachtet, wie die Leistungs-Ertrags-Struktur bei versch. Eigentumsformen an versch. Güterklassen ist. Sie haben also nicht geschaut, wer konkret eine Leistung erbringt und wer den Ertrag daraus zieht (Reziprozität). Insofern würde ich behaupten, dass die Ordoliberalen nicht die Gretchenfrage nicht stellen wollten, sondern vielmehr gar nicht stellen konnten.

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