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Flucht vor der Dummheit

Dirk Löhr

Alle tun es. Die Ikone Ulrich Hoeneß. Der honorige CDU-Schatzmeister Helmut Linssen. Die „moralische Instanz“ Alice Schwarzer. Der feinsinnige Kultur-Staatssekretär André Schmitz aus Berlin. Besonders pikant: Letzterer ist Mitglied derjenigen Partei, die sich in als Vorreiter gegen kriminelle Steuerhinterzieher sieht. Sein Parteifreund Peer Steinbrück drohte seinerzeit damit, die Kavallerie gegen die kleine Schweiz ausrücken zu lassen.

Dabei nimmt sich jeder das, was er kann. Steuerhinterziehung ist ein Volkssport. Allerdings gibt es verschiedene Ligen. Der eine trägt eben internationale Spiele auf den Bahamas aus, der andere bleibt in seinem Dorf stecken – Kreisklasse, mit nicht ausgestellten Handwerkerrechnungen.

Um das deutsche Steuersystem ranken sich viele Mythen. 70-80% der weltweiten Steuerliteratur sollen sich angeblich des Problemfalles Deutschland annehmen. Das ist sicherlich maßlos übertrieben. Doch selbst, wenn es nur 15 % sind (Späth, o.J.), ist dies angesichts eines Anteils von 1,2 % an der Weltbevölkerung doch schon eine recht stolze Zahl. Für Vater Staat ist es dabei häufig das Kleinvieh, das Mist macht. Konsequenz: Gerade Massenfälle wie Dienstwagen, geldwerte Leistungen, Dienstreisen etc. werden so kompliziert und kleinlich geregelt, dass kaum jemand mehr durchblickt. Hinzu kommt ein Gerechtigkeitsfimmel der deutschen Gerichte (der sich dann irgendwann auch in den Verwaltungsanweisungen niederschlägt). Die Kosten des ganzen Theaters werden zu einem großen Teil auf die Steuerpflichtigen verlagert (auch in Gestalt von Rechtsunsicherheiten).

Auch der Gerechtigkeitsfimmel der Gerichte kann hieran nichts ändern – tobt er sich doch leider an der vollkommen falschen Stelle aus. Das zentrale Problem der Rentenökonomie wird nämlich nicht angegangen. Am besten erschließt sich dieses über das sog. „Henry George-Theorem“ („Golden Rule of Local Public Finance“), das u.a. vom Nobelpreisträger und früheren Weltbank-Chefökonomen Joseph Stiglitz formalisiert wurde.

Volkseinkommen als Funktion der Bevölkerung (eigene Darstellung)

Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen <=> Löhne (Produktionsfaktor Arbeit)
Zinsen (Produktionsfaktor Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen <=> Renten (Produktionsfaktor Land i.w.S.)

Abbildung: Das Henry George-Theorem (vereinfacht)

Das Henry George-Theorem kann von links nach rechts und umgekehrt interpretiert werden: Die öffentlichen Güter (Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheitseinrichtungen) können unter bestimmten Bedingungen vollständig aus den Bodenrenten finanziert werden, wobei „Boden“ in einem sehr weiten Sinne verstanden wird (als alles, was der Mensch nicht geschaffen hat, und sogar – wie bei geistigen Eigentumsrechten – noch darüber hinaus). Also: Man bräuchte gar keine Steuern, wenn man den Staat aus den ökonomischen Renten finanzieren würde.

Umgekehrt werden die Bodenrenten in Agglomerationen erst durch die öffentlichen Leistungen erzeugt; der Staat ist also eine „rent creating institution“. Werden nun aber die (Boden-) Renten privatisiert und damit der durch das Henry George-Theorem beschriebene sachgesetzliche Zusammenhang durchbrochen, muss die Inwertsetzung der öffentlichen Güter durch Steuern auf Kapital und Arbeit finanziert werden. Dabei ist Kapital im Gegensatz zu Arbeit hoch mobil – der schwarze Peter bleibt somit meist beim Faktor Arbeit hängen. Dementsprechend ist es der Steuerstaat, der einerseits die Privatisierung der ökonomischen Rente und andererseits die Auflösung des Finanzierungszusammenhangs zwischen öffentlichem Gut und ökonomischer Rente absichert. Die Rechnung zahlt dabei v.a. der Mittelstand, der langsam, aber sicher durch hohe Steuern auf das Einkommen und den Konsum ausblutet – diese Steuern bilden nämlich das Rückgrat des Steuerstaates. Über die Entkopplung von Nutzen und Lasten ist der Steuerstaat ein wesentliches Element der heutigen Umverteilung von unten nach oben. Die Bürger zahlen heutzutage doppelt: Einmal direkt in Form von ökonomischen Renten (in Mieten, Unternehmensgewinnen, Fernsehrechten etc. versteckt) an die Eigentümer von Land und ähnlichen Vermögenswerten (in 2012: ca. 200 Mrd. Euro, genaue Zahlen gibt es nicht). Und schließlich indirekt, über die Steuer für die Inwertsetzung der betreffenden Vermögenswerte – zugunsten deren Eigentümer (in 2012 bis hin zu 600 Mrd. Euro Steuern, wovon ein Teil jedoch auch interpersonell nach unten umverteilt wird und damit außer Betracht bleiben muss). Ein erheblicher Teil des Volkseinkommens (2012: schätzungsweise ca. ein Viertel bis hin zu einem Drittel des Volkseinkommens i.H.v. 2.054 Mrd. Euro) werden somit durch den Steuerstaat funktionell zu den Beziehern ökonomischer Renten hin umverteilt – also zu denjenigen, die es ohnehin schon üppig haben.

Würde man den durch das Henry George-Theorem bezeichneten Finanzierungszusammenhang wieder herstellen, könnte die Steuerbelastung im Idealfall bis gegen Null reduziert werden. Das gesamte Land wäre wesentlich wettbewerbsstärker als heute. Handwerker könnten gegenüber ihren schwarz arbeitenden Kollegen auf legalem Wege bequem konkurrieren, wenn sie ihre Leistungen (ohne Umsatz- und Lohnsteuer) um 40-50 % billiger anbieten dürften. Dies würde auch bei den Nachfragern die Lust erhöhen, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Egal, ob man sie nun mag oder nicht, egal, wie man sie als Menschen beurteilt. Hebt man gegenüber Hoeneß & Co. den moralischen Zeigefinger, so vergesse man besser nicht, dass das Steuersystem als solches heutzutage schon unmoralisch ist. Wenn man sich aus diesem Schwachsinn verabschieden will, ist das nachvollziehbar. Solidargemeinschaften sind nett, aber nicht zugunsten von wenigen Vermögenden. Dementsprechend ist es allenfalls schräg, dass sich Hoeneß & Co – also ausgerechnet Gewinner dieser Umverteilungsorgie – um ihren bescheidenen Beitrag drücken, der ihnen ja ohnehin letztendlich wieder zufallen würde.

Beschließen einige Staaten, es ein klein wenig besser zu machen und nur einen kleinen Schritt in eine andere Richtung zu marschieren, macht sich ihr Wettbewerbsvorteil natürlich bemerkbar. Der Steinbrück’sche Ruf nach dem Aussenden der Kavallerie ist aber vergleichbar mit einem Rennfahrer Alonso, der seinen Konkurrenten Vettel verkloppen will, weil Alonso ein Autorennen mit angezogener Handbremse gefahren und deswegen gegenüber Vettel den Kürzeren gezogen hat. Das ist dann nicht die Schuld von Vettel. Dieser nutzt lediglich die Unfähigkeit seines Konkurrenten zu seinem eigenen Vorteil. Letzterem steht es frei, die Handbremse zu lösen. Der Ruf aller politischen Parteien geht allerdings unisono in eine andere Richtung: Gleicher Wettbewerbsbedingungen zuliebe solle auch Vettel bitteschön seine Handbremse anziehen. Also: Keine Befreiung von der Dummheit, sondern ihre Vergemeinschaftung (statt der Vergemeinschaftung der Renten). Nichts wie weg von hier? Ich kann es verstehen.

Mehr Information:

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird. Marburg. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Späth, T. (o.J.): Mythen über das deutsche Steuerrecht, Kanzleiblog Späth, online: http://www.kanzlei-spaeth.de/informationen/kanzleiblog/steuern/mythen_ueber_das_deutsche_steuerrecht/index_ger.html

A kind of magic: Die 70-30-Regel der Rentenökonomie

Dirk Löhr

Wer Augen hat zu sehen, der sehe. Wenn er sie aufmacht, sieht nämlich immer wieder dieselben Zahlen:

Die Bank gibt gute Kreditkonditionen für den Häuslebau, wenn die Eigenkapitalquote mindestens 20-30 % des gesamten Investments beträgt. Erstaunlicherweise entspricht dies auch dem Anteil des Grund und Bodens am gesamten Investment. Mieten Sie das besagte Haus, zahlen Sie also im Regelfall 20-30 % Ihrer Kaltmiete als Ertrag auf den Boden (Bodenrente); in Städten wie München oder Hamburg können die Anteile allerdings auch mal bei 50-60% liegen.

Auch Unternehmen gelten als gut finanziert, wenn sie einen Eigenkapitalanteil von 20-30% aufweisen. Wiederum entspricht dies dem Wertanteil an der Bilanzsumme von „Land“ im Sinne der ökonomischen Klassiker. Zu „Land“ zählten die klassischen Ökonomen dabei neben Grund und Boden auch Wasser und andere natürliche Ressourcen. Heute würde man die Atmosphäre (CO2-Zertifikate!), das elektromagnetische Spektrum (Frequenzen der Privatsender!) usw. ergänzen (s. die Branchenbeispiele in diesem Blog). Geistige Eigentumsrechte sollten ebenfalls hinzugefügt werden, da sie dem Privateigentum an Grund und Boden in vielerlei Hinsicht nachgebildet sind. Ähnliches gilt auch für Beteiligungen, da sie in der geschilderten Sichtweise als indirekte Investitionen in „Land“ in diesem erweiterten Sinne interpretiert werden können (s. Abbildung 1). Nicht zu vergessen ist schließlich auch die Kriegskasse – es war J.M. Keynes, der in seiner Allgemeinen Theorie (1936/1982) die Ähnlichkeiten zwischen Geld und Land unterstrich. Die nachfolgende Darstellung illustriert, dass im Unternehmensdurchschnitt der Zugang zu „Land“ i.w.S. wie Liquidität über Eigenkapital erfolgt.


Aggregierte Strukturbilanz (HGB) aus 48.000 deutschen Unternehmen
(eigene Darstellung, Daten aus Löhr 2013, S. 113, basierend auf Zahlen der Deutschen Bundesbank)

Mittelverwendung   Mittelherkunft
Vermehrbare und ersetzbare
Kapitalgüter: 71,0 %

<=>

Fremdkapital (Schulden): 70,7 % <=> Zinsen
„Land“ i.w.S. und Liquidität: 29,0 %

<=>

Eigenmittel: 29,3 % <=> Bodenrenten

Abbildung 1: „Land“ i.w.S. und Eigenkapital

Im Kern stellen Unternehmensgewinne – an denen z.B. Denker wie Marx sich ziemlich erfolglos abgearbeitet haben – denn auch ökonomische Renten aus „Land“ i.w.S. dar (Löhr 2013; hier ist nicht der „Gewinn“ von Malermeister Hampel gemeint, der tatsächlich größtenteils Arbeitseinkommen ist). Und das Management des Wertes von „Land“ i.w.S. bedeutet für die Unternehmen zugleich das Management des Wertes des Eigenkapitals des Unternehmens (s. das Beispiel von McDonald`s in diesem Blog).

Doch wodurch entsteht eigentlich der Wert von „Land“ i.w.S.? Letztlich sind es Leistungen der Gemeinschaft. Der Blick auf die Alpen in München ist von ähnlicher Qualität wie der Blick auf den Hindukusch. Im Unterschied zum Hindukusch gibt es in München aber eine Zusammenballung von Konsumenten und Fachkräften, sowie eine Vielzahl von öffentlichen Gütern (Gesundheit, Universitäten, Schulen, Schwimmbäder etc.), darunter v.a. Sicherheit. Auf dieser Basis können im Übrigen auch erst Arbeitsplätze in einer arbeitsteiligen Wirtschaft in größerem Ausmaß entstehen. Wegen all dieser Gemeinschaftsleistungen ist man bereit, irrsinnige Preise für ein Grundstück in München zu bezahlen. Würden die Taliban in München herrschen, wäre das Bodenpreisniveau ein anderes. Die heutigen Preise spiegeln die hohen Bodenerträge (Bodenrenten) wieder, die man in München erzielen kann. Der zugrunde liegende Zusammenhang erschließt sich über das – in Deutschland leider so gut wie unbekannte – „Henry George-Theorem“ (s. beispielsweise Arnott / Stiglitz 1979): Einerseits könnten hiernach unter bestimmten Bedingungen über das Aufkommen an Bodenrente die gesamten Fixkosten der öffentlichen Güter bzw. der öffentlichen Infrastruktur finanziert werden:

Volkseinkommen (eigene Darstellung)

Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen:
ca. 70 % des Volkseinkommens

<=>

Löhne (Produktionsfaktor Arbeit) Ca. 70 % des Volkseinkommens
Zinsen (Produktionsfaktor Kapital)
Kosten öffentlicher Güter und Dienstleistungen:
ca. 30 % des Volkseinkommens (ohne Sozialversicherungsleistungen)
<=> Renten (Produktionsfaktor Land i.w.S.):
ca. 30 % des Volkseinkommens (falls ungedämpft)

Abbildung 2: Das Henry George-Theorem (vereinfacht)

Man kann das Henry George-Theorem aber auch „umgekehrt“ lesen, denn andererseits werden Bodenrenten und Bodenwerte in Agglomerationen erst durch die öffentlichen Leistungen erzeugt (also öffentliche Güter, welche Agglomerationen wie München überhaupt erst ermöglichen bzw. funktionsfähig machen). Der Staat ist so betrachtet eine „rent creating institution“. Werden nun aber die (Boden-) Renten privatisiert und damit der durch das Henry George-Theorem beschriebene sachgesetzliche Zusammenhang durchbrochen, muss die Inwertsetzung der öffentlichen Güter durch Steuern auf Kapital und Arbeit finanziert werden (wobei das Kapital der Besteuerung teilweise ausweichen kann). Dementsprechend ist es der Steuerstaat, der einerseits die Privatisierung der ökonomischen Rente und andererseits die Auflösung des Finanzierungszusammenhangs zwischen öffentlichem Gut und ökonomischer Rente absichert. Die Diskussion über die ökonomische Rente (aus „Land“ i.w.S. und über Steuern) sollte daher untrennbar mit der Diskussion über Steuern verbunden sein („tax and tenure“). Der Anteil der Steuern am Volkseinkommen (ohne Sozialversicherung), der die Finanzierung der Kosten öffentlicher Güter durch die (privatisierte) Bodenrente ersetzt, beträgt nicht zufällig 29,2 % (2012) – und liegt damit ebenfalls in der oben genannten Spanne (Bundesministerium der Finanzen 2013; Statistisches Bundesamt / Destatis 2014; eigene Berechnungen).

Fahren wir zur Illustration fort mit der Zahlenmagie: Schienennetze, Stromnetze und Gasnetze sind sog. „natürliche Monopole“, die nach Auffassung der ökonomischen Klassiker in staatliche Hand gehören sollten (in Deutschland aber teilweise privatisiert sind). Sie bilden damit ein Teil des Fixkostenapparates, der als Konsequenz des Henry George-Theorems eigentlich durch die Bodenrente finanziert werden sollte:

– So könnte auch die Schieneninfrastruktur theoretisch zur Gänze durch die Bodenrenten finanziert werden (s. den Blogbeitrag „Fahrpreiserhöhungen der Deutschen Bahn AG: Alle Jahre wieder“), wie dies in Hong Kong tatsächlich geschieht (Padukone 2013). Tickets könnten dann zu Grenzkostenpreisen (des laufenden Betriebs) angeboten werden. Die Anteile von Land und Infrastruktur an der Gesamtleistung der Deutschen Bahn AG erhält man im groben Überschlag über die Anteile von Netz (2012: 6,5 Mrd. Euro Erträge), Personenbahnhöfen (2012: 1,3 Mrd. Euro Erträge, von denen aber nur rd. 30% in diese überschlägige Rechnung einfließen dürfen) und Beteiligungen (2012: 6,2 Mrd. Euro) an der Gesamtleistung der Deutschen Bahn AG (2012: 56,7 Mrd. Euro). Hierbei landet man mit ca. 23 % wieder innerhalb der besagten Spanne von 20-30 % (DB AG 2013). Doch tatsächlich findet die Finanzierung eben nicht über die Renten statt. Vielmehr bezahlen Sie mit jeder Bahnfahrt (neben Zuschüssen an die Bahn aus Ihren Steuern) auch die Kosten der Infrastruktur, während dieselbe Netzinfrastruktur die – privatisierten – Bodenrenten steigen lässt. Die Profiteure sind die Eigentümer der Grundstücke in den an das Schienennetz angeschlossenen Orten.

– Oder: Werfen Sie bitte einen Blick auf Ihre Strom- oder Gasrechnung und ermitteln Sie den Anteil der Grundkosten an den Gesamtkosten. Sie werden wieder auf dieselbe Marke von 20-30% stoßen. Diese entsprechen im Wesentlichen den Kosten der Netzinfrastruktur, die für die Versorgung notwendig ist. Durch die Ausstattung mit dieser Netzinfrastruktur gewinnt der Boden an Wert, von dem die privaten Eigentümer profitieren.

Die Liste könnte fortgesetzt werden. Die 70-30-Regel ist also alles andere als obskures Zahlen-Abrakadabra. Sie entspricht dem Anteil an ökonomischem Rentenpotenzial, das heutzutage zu Lasten der Gemeinschaft privatisiert und durch Steuerzahlungen ersetzt wird. Während im deutschen Sprachraum (vollkommen zu Recht!!) von kritischen Geistern über Geld und Zinsen intensiv diskutiert wird, bleibt das Thema „Land“ und Bodenrenten leider weitgehend unbeachtet. Dies, obwohl eigentlich schon die Bibel (die übrigens ein phantastisches ökonomisches Lehrbuch ist) darauf hinweist, dass Geld UND Boden DIE kritischen Vermögenswerte sind; und obwohl die ökonomischen Renten in ihrer umverteilenden Wirkung in doppelter Stärke wirken – nämlich zusammen mit dem Steuersystem als Hebel:

– Zahlen Sie Steuern, tragen Sie mittelbar zur Inwertsetzung von „Land“ i.w.S. bei. Es freuen sich der Vermieter (als Grundeigentümer), der Unternehmer (als Eigentümer von „Land“ i.w.S.), der private Übertragungsnetzbetreiber der Energieversorger (als Eigentümer der Netzinfrastruktur) und viele andere mehr. Die Hauptsäulen der Besteuerung sind heutzutage die Lohn- und die Umsatzsteuer, die gerade Normalverdiener treffen (und damit den Mittelstand erodieren).

– Die Begünstigten haben aber doppelten Grund zur Freude: Neben den Steuern zahlen Sie ja in den Güterpreisen, Mieten, im Bahnticket, in den Strom- und Gaspreisen etc. die Bodenrenten ein zweites Mal – diesmal unmittelbar zugunsten der Eigentümer von „Land“ i.w.S.

Schätzt man die Umverteilungswirkung dieses Systems ab, darf man also nicht nur auf die ökonomischen Renten selbst blicken (dies ist faktisch schwer, da sie in vielfacher „Verkleidung“ auftreten, so als Zinsen, Unternehmensgewinn, aber auch als Arbeitslohn). Vielmehr muss auch die redistributive Wirkung der Steuern (und anderer Abgaben) gesehen werden, die erst die Auflösung des in Abbildung 2 dargestellten Finanzierungszusammenhangs ermöglichen.

Die Anteile von Zinsen und Renten am Volkseinkommen betragen übrigens wiederum ca. 20-30%. Innerhalb dieser machen die ökonomischen Renten wiederum ca. 1/3 aus (Löhr 2013). Dieser Anteil stellt die Lage allerdings sehr verzerrt dar, zumal die ökonomischen Renten – die auch als sozialer Überschuss betrachtet werden können – wegen der vielen Ineffizienzen des Steuerstaates weit unterhalb ihres Potenzials bleiben (also gedämpft sind). Addiert man die 600 Mrd. Euro (2012) an Steuern (die wiederum 29,2 % des Volkseinkommens betragen) zu den direkt gezahlten (aber gedämpften) ökonomischen Renten hinzu (unter Einbeziehung von Subventionen u. dgl. schätzungsweise an die 200 Mrd. Euro, also ca. 10 % des Volkseinkommens; s. Löhr 2013), bekommt man eine Vorstellung von dem Umverteilungsstrudel der ökonomischen Renten. Allerdings wäre zu berücksichtigen, dass auch kleinere Teile der ökonomischen Renten durch das Steuersystem zu Lasten der Eigentümer von „Land“ i.w.S. umverteilt werden – am Ende dürfte man hinsichtlich der Umverteilungswirkung wieder in der bekannten Größenordnung von ca. 20-30 % des Volkseinkommens liegen. Es handelt sich dabei um eine funktionale Umverteilung, die lediglich deswegen nicht so auffällt, weil von ihr – in personeller Hinsicht – z.T. dieselben Gruppen profitieren, die auch zur Ader gelassen werden (z.B. mittelständische Eigenheimbesitzer). Die Umverteilungswirkung der Renten dürfte in funktionaler Sicht wegen des Steuerhebels jedoch weit kräftiger als diejenige der Zinsen sein – sie ist dafür aber umso schwerer zu durchschauen. Dabei haben wir von den entmutigenden Wirkungen von Steuern („Zusatzlasten“) und Vollkostenpreisen für die Infrastruktur (beispielsweise bevorzugen wegen der hohen Preise für Bahntickets viele Menschen das Auto, was die Bahn aber noch teurer werden lässt), die allesamt den zu verteilenden Kuchen kleiner machen, in diesem Blogartikel gar nicht geredet.

Alles in allem ist die Rentenökonomie also ein wundervolles System, wenn man auf der richtigen Seite steht. Noch wundervoller ist es, wie – zumindest im deutschen Sprachraum – der von marxistischer und neoklassischer Ideologie in Eintracht geworfene ideologische Nebel die Lage größtenteils in tiefes Dunkel hüllt.

Literatur

Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 93, Nr. 4, S. 471-500.

Bundesministerium der Finanzen (2013): Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden im Haushaltsjahr 2012, Berlin. Online: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2013/07/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-2-steuereinnahmen-von-bund-laendern-gemeinden-haushaltsjahr-2012.html

Deutsche Bahn AG (2013): Segmentinformation nach Geschäftssegmenten für 2012, Berlin. Online: http://www1.deutschebahn.com/file/3268066/data/segmente_gb.pdf

Keynes, J. M. (1936 / 1983): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 6. Aufl. (unveränderter Nachdruck der ersten Auflage), Berlin.

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird. Marburg (Metropolis).

Padukone, N. (2013): The Unique Genius of Hong Kong’s Public Transportation System, in: The Atlantic vom 10. September. Online: http://www.theatlantic.com/china/archive/2013/09/the-unique-genius-of-hong-kongs-public-transportation-system/279528/

Statistisches Bundesamt / Destatis (2014): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden. Online: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/lrvgr04.html

Gentrifizierung und Spekulation: Kreuzigt die Hipsters?

Dirk Löhr

Die ruhigen Zeiten auf Deutschlands Immobilienmärkten sind schon seit geraumer Zeit passé. Zu spüren bekommen dies v.a. die Mieter in – für aus „Investoren“sicht – den beiden attraktivsten Städten Deutschlands, nämlich München und Berlin.

Diese leiden unter dem, was man im soziologischen Fachjargon „Gentrifizierung“ nennt: Die weniger zahlungskräftigen Schichten werden zunehmend aus ihren angestammten Gebieten in die Randbereiche abgedrängt. Das Muster ist schön in den Berliner Bezirken Prenzlauer Berg und Neukölln zu sehen: Die „Investoren“ folgen den Hipsters, also Künstlern, Akademikern etc., die sich in der jüngeren Vergangenheit zunehmend unter das Arbeitervolk mischten – so wurden die betreffenden Bezirke „hip“ und unwillkürlich aufgewertet. Dann kauften „Investoren“, modernisierten und vollzogen weitere, diesmal bauliche „Aufwertungen“. Angestammte Mieter werden systematisch herausgeekelt. Entmietete Wohnungen sind in schicken Lagen Berlins um 100 bis 300 Euro teurer zu verkaufen als vermietete Wohnungen. Von den ca. 133.000 leerstehenden Wohnungen Berlins sind ca. 100.000 Langzeit-Leerstände, die nichts mit einem normalen Mieterwechsel zu tun haben – sie sind vielmehr spekulativ bedingt. Verstärkt wird das Problem noch durch leerstehende Ferienwohnungen betuchter Mitbürger.

So effizient ist das Privateigentum an Grund und Boden: Wenn er knapp wird, ist die Reaktion der Eigentümer eine noch weitergehende Zurückhaltung – was das Angebot dann noch weiter verknappt. Denn der Preisanstieg für die Immobilien in Berlin ist nicht auf teurer werdenden Mörtel, Stahlträger oder Ziegelsteine zurückzuführen, sondern auf die zunehmende Verknappung der verfügbaren und von den Eigentümern bereitgestellten Fläche. Von 2011 bis 2013 stiegen die Immobilienpreise so auch drastisch – bei kleinen Wohnungen (bis 30 qm) um die 37 % (je größer die Wohnungsgröße, umso geringer die erzielbare Preissteigerung).

Die Reaktionen der Betroffenen sind einigermaßen hilflos. Sie reichen von öffentlichkeitswirksamen Anti-Modernisierungsaktionen und Demonstrationen bis hin zu Anti-Hipster-Kampagnen – was die eigentlichen Ursachen aber selten trifft: Es ist das Gebräu von steigenden Bodenrenten (bedingt durch Bevölkerungszuzug, Kaufkraftanstieg und Zuzüge) und sinkenden Realzinsen, welches den spekulativen Drive verursacht. Die baulichen Modernisierungen der “Investoren” schaffen im übrigen nur die Voraussetzung, um die gestiegene Bodenrente voll aus- und zu privaten Zwecken abzuschöpfen.

Die Politik wiederum diskutiert über Mietpreisbremsen, Subventionen, Neubauprogramme und planerischen Maßnahmen und will so den Anschein erwecken, etwas gegen die untragbare Situation zu unternehmen. Aber: Mietpreisbremsen würden, wenn sie wirklich wirksam (und nicht nur – was weitgehend der Fall ist – öffentlichkeitswirksam) eingerichtet würden, das Knappheitsproblem nur verschärfen. Von Subventionen würden am Ende nur die Bodeneigentümer profitieren, zu denen diese am Ende durchsickern. Neubauprogramme verstärken den Flächenverbrauch und sind – angesichts der vielen verfügbaren, aber spekulativ zurückgehaltenen Wohnungen – die reinste Verschwendung. Sinnvoll sind allenfalls planerische Maßnahmen, mit denen Schutzräume für die weniger zahlungskräftige Bevölkerung geschaffen werden. Diese ergeben aber im Kontext der Mobilisierung vorhandener Bestände nur Sinn. Eine solche Mobilisierung wiederum kann am besten über Maßnahmen geschehen, welche die Bodenrenten zugunsten der Gemeinschaft abschöpfen und zugleich einen Angebots- und Nutzungsdruck für die vorhandenen Immobilien schaffen. Die Eigentümer der Flächen haben weder die Bodenrenten noch den Bodenwert geschaffen. Dies war die Gemeinschaft, in ihrem Zusammenwirken, auf Basis der öffentlichen finanzierten Infrastruktur. Die privaten Bodeneigentümer eignen sich nur die Früchte der Gemeinschaft privat an. Ein probates Mittel, um die Mißstände zu behaben, wären kommunale Erbbaurechte – für die aber das Land Berlin kein Geld hat (ferner ist das geltende Erbbaurechtsgesetz “out of date”). Bleibt also die Einführung einer Bodenwertsteuer. Mit schon relativ geringen Sätzen (ideal wären freilich hohe Sätze – so hoch wie möglich!) könnte ein erheblicher Angebotsdruck erzeugt, die Bodenpreise gesenkt und die Gier aus dem Markt genommen werden. Auf den Blogbeitrag „Grundsteuerreform und Aufruf „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ wird hier noch einmal hingewiesen. Freilich, der kräftigen Grundeigentümer-Lobby würde dies nicht gefallen.

 

Ressourcenbasiertes Grundeinkommen oder Single Tax?

Dirk Löhr

Zumindest die Anhänger von Henry George (und mit weniger Nachdruck auch diejenigen von Silvio Gesell) sind sich darüber einig, dass die ökonomischen Renten aus „Land“ in einem weiten Sinne zugunsten der Gemeinschaft abgeschöpft werden sollten. Im Sinne vieler klassischer Ökonomen und von Henry George gehört dabei zu „Land“ alles, was ökonomisch genutzt werden kann, aber nicht vom Menschen hergestellt wurde –  wie z.B. Grund und Boden, Wasser, die Atmosphäre, die biogenetischen Ressourcen, das elektromagnetische Spektrum, Ölquellen etc.(viele Kritiker fügen noch geistige Eigentumsrechte hinzu – die dem Privateigentum an Land „nachgeäfft“ sind und per Gesetz monopolartige Positionen im Wirtschaftsleben ermöglichen).

Dieses breite Verständnis von „Land“ hat allerdings auch einen Nachteil: Während man sich einig darüber ist, dass die ökonomischen Renten der Gemeinschaft zustehen und abgeschöpft werden müssen („share the rents!“), besteht doch eine gewisse Uneinigkeit dahingehend, wie die (Boden-) Renten verwendet werden sollen. Holzschnittartig gegenübergestellt, stehen folgende Positionen gegeneinander:

– Auf der einen Seite gibt es (in der Tradition der Physiokraten und von Henry George) die „Single Taxer“, welche die gesamten Einnahmen aus Renten in den Staatshaushalt fließen lassen und dafür alle anderen Steuern abschaffen wollen. Nach dem Henry George-Theorem ist dies unter bestimmten Umständen möglich (s. unten mehr). Öffentliche Güter und Dienstleistungen sollen dementsprechend nur noch zu Gebühren erbracht werden, welche die unmittelbar entstehenden Kosten der Leistungserstellung (Grenzkosten). Dies würde beispielsweise BahnCard 50-Preise für alle bedeuten. Im Zentrum dieser im georgistischen Spektrum dominierenden Ansicht steht der „Leitwert“ (Bossel 1998) der Effizienz.

– Auf der anderen Seite gibt es die Befürworter eines ressourcenbasierten Grundeinkommens. Ihr Argument: Das „Land“ i.w.S. und deren Erträge stehen allen Menschen zu gleichen Teilen zu, da niemand das Land und seine Bodenschätze gemacht hat (Mill). Es geht also v.a. um Verteilungsgerechtigkeit im Sinne gleicher Zugangschancen zu „Land“ i.w.S. Diese soll hergestellt werden, indem die ökonomischen Renten nicht in den Staatshaushalt fließen, sondern zu gleichen Teilen auf die Bürger zurückverteilt werden. Jemand, der eine Ressource in überdurchschnittlichem Ausmaß in Anspruch nimmt, zahlt damit mehr Renten an die Gemeinschaft, als er von dieser zurück bekommt – also eine Art „Miete“ an die Gemeinschaft. International bekannt geworden ist v.a. der Vorschlag von Barnes / Pomerance (2000), CO2-Zertifikate meistbietend zu versteigern und die Erlöse hieraus nach der Zahl der Köpfe (an die Staaten) zurück zu verteilen. Im deutschen Sprachraum hat sich u.a. Fritz Andres (o.J.) und Alwine Schreiber-Martens (2007) für ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen stark gemacht. Auch Gedanken wie der Öko-Bonus gehen in dieselbe Richtung. Die Erlöse müssen dabei nicht unbedingt aus der Versteigerung von Verschmutzungszertifikaten resultieren, sondern können auch aus „Öko-Steuern“ kommen, mit denen externe Kosten auf den Verursacher zurückgeführt werden sollen.

In der Wissenschaft wird die Umverteilungslösung gemischt beurteilt. Als Maßstab dienen dabei v.a. Verwendungsalternativen wie die Investition in Umweltgüter oder die Senkung von Lohnnebenkosten. Insbesondere die letztgenannte Variante ist hinsichtlich der Effizienz der Umverteilungslösung überlegen, wirkt aber verteilungspolitisch regressiver (Baur / Himmel 2012). Dieser Rahmen der Möglichkeiten klammert allerdings eine wichtige Option vollkommen aus. Diese ist imstande, Effizienz und Verteilung zu versöhnen, wird jedoch offenbar von der herrschenden Ökonomie als „no go“ betrachtet. Hierbei handelt es sich um die Vergemeinschaftung der ökonomischen Renten. Über diesen Weg könnte – entsprechend dem Henry George-Theorem – auf die üblichen Steuern verzichtet werden. Die Lohnnebenkosten ließen sich so absenken.

Hinsichtlich der Frage „Ausschüttung der Renten als ressourcenbasiertes Grundeinkommen oder Einbehaltung zur Abdeckung der staatlichen Aufgaben“ sollte m.E. zwischen hoheitlichen und sonstigen Aufgaben des Staates unterschieden werden. Dies ist eng verbunden mit der Frage der eingeforderten Gebühren für die öffentlichen Güter:

–  Für hoheitliche Aufgaben des Staates wie Justiz, Polizei etc. ergeben Gebühren auf der Basis von Grenzkosten keinen Sinn, wohl aber ein staatliches Monopol. Dementsprechend sollten ausreichende Teile der Renten einbehalten werden, um diese Kosten abdecken zu können.

–  Andere Aufgaben hingegen (insbesondere solche, die auch von Privaten entweder selbstständig oder als Agenten des Staates erbracht werden können) sollten zu Grenzkostenpreisen an die Bürger abgegeben werden. Dies betrifft Schulen, Kindergärten, Gesundheitsleistungen etc. Hierbei können durchaus private Akteure in Ergänzung staatlicher Akteure oder im Auftrag des Staates tätig werden. Grenzkostenpreise sind (bei entsprechendem Kostenverlauf) durchaus in der Lage, sowohl fixe wie auch variable Kosten der Anbieter abzudecken.

–  Nur am Rande (ohne dies hier theoretisch vertiefen zu wollen) sei erwähnt, dass komplett kostendeckende Grenzkostenpreise – anders als es die neoklassische Theorie suggeriert –selbst für natürliche Monopole möglich sind (v.a. die Netzinfrastruktur). Dennoch sollten natürliche Monopole in der Hand des Staates bleiben. Bei unzureichenden Möglichkeiten der Preisgestaltung könnten eventuelle Defizite auch hier über Bodenrenten abgedeckt werden.

Ein ressourcenbasiertes Grundeinkommen würde jedem Bürger gleiche Zugangschancen zu den natürlichen Ressourcen und den öffentlichen Gütern ermöglichen, wenn diese zu Grenzkosten bepreist werden. Hinsichtlich der Frage: „Grundeinkommen oder Einbehaltung der Bodenrenten zum Zwecke der Staatsfinanzierung?“ ist also nicht ein entweder-oder sachgerecht, sondern ein sowohl als auch. Über die Einbehaltung von Teilen der ökonomischen Renten zum Zwecke der Finanzierung des Kernstaates könnten die Steuern im Idealfall bis gegen Null reduziert werden – mit entsprechenden Folgen für Lohnnebenkosten und die Effizienz der Volkswirtschaft. Dennoch bliebe noch ausreichend Finanzmasse übrig, um dieses als Grundeinkommen auszuschütten.

Würden die öffentlichen Güter im Wettbewerb angeboten, entschieden dann die Bürger, und nicht die Politiker darüber, in welcher Form und Quantität diese in Anspruch genommen würden. Was den Zugang zu Ressourcen angeht, finden sich Ansätze eines solchen ressourcenbasierten Grundeinkommens schon heute beispielsweise im Alaska Permanent Fund. Die Möglichkeiten der Umverteilung gehen jedoch weit über dieses praktizierte Beispiel hinaus. (Ob und wie weit sich ein ressourcenbezogenes Grundeinkommen von Land zu Land unterscheidet, hängt davon ab, ob man die betreffenden Ressourcen als nationales oder übernationales Gemeinschaftseigentum betrachtet).

Im Gegensatz zu bedingungslosen Grundeinkommenskonzepten (wie v.a. von Götz Werner, 2008, propagiert) wäre ein solches ressourcenbasiertes Grundeinkommen aber bewusst nicht existenzsichernd ausgestaltet. Zudem würde es bewusst den Zusammenhang von Nutzen (aus dem Grundeinkommen) und Kosten (Finanzierung des Grundeinkommens aus den Früchten der Erwerbsarbeit Dritter) nicht aufheben, sondern im Gegenteil stärken. Neue Renten und neues Rent-Seeking soll nicht geschaffen werden. Die Entkopplung von Nutzen und Kosten (privater Bereich) bzw. Einnahmen und Ausgaben (im Rahmen der Steuerfinanzierung des Gemeinwesens) ist nämlich gerade das Prinzip der heutigen Rentenökonomie, das überwunden werden muss. Kopplung von Nutzen und Kosten bedeutet: Wenn die Gemeinschaft mit ihrer Agglomeration und ihren Infrastrukturleistungen die Bodenrente erzeugt, so steht diese auch der Gemeinschaft zu. Und wenn die natürlichen Ressourcen allen Menschen zu gleichen Teilen gehören, so stehen ihnen auch deren Erträge zu.

Erst der Steuerstaat ermöglicht heutzutage über die Entkopplung von Erträgen und Kosten auch die Privatisierung der ökonomischen Renten. Egal, wie die Steuern im Einzelfall heißen: Am Ende belasten sie entweder Arbeit, Boden oder Kapital. In der heutigen Rentenökonomie wird aber Land mit seinen Erträgen aus der Besteuerung weitgehend ausgeklammert. Kapital kann fliehen und wird daher privilegiert besteuert (daher die duale Einkommensteuer). Die volle Last der Besteuerung trifft hingegen die Arbeit. Diese finanziert somit die Infrastruktur, die die v.a. die städtischen Bodenrenten am Ende ermöglicht. Die hohen Arbeitskosten drücken zudem die Nachfrage nach Arbeit. Die schwerwiegendsten Folgen der Arbeitslosigkeit sollen wiederum durch ein soziales Netz aufgefangen werden, das abermals durch den Faktor Arbeit finanziert ist und diesen belastet. So entsteht ein Teufelskreis, der durch das Konzept von Götz Werner nicht durchbrochen, sondern noch weiter verschärft würde. Im Buch „Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird“ (2013) und in diesem Blog wurden noch weitere Beispiele für die Entkopplung von Nutzen und Kosten in der Rentenökonomie gegeben. Ein bedingungsloses, existenzsicherndes und steuerfinanziertes Grundeinkommen festigt diese ungute Entwicklung und geht somit in eine falsche Richtung.

Um einen Einwand auszuräumen: Die Forderung nach Kopplung von Nutzen und Kosten, Einnahmen und Ausgaben spricht nicht gegen sozialpolitische Sicherheitsnetze in besonderen Lebenslagen, und sie spricht auch nicht gegen die sachgerechte Entkopplung in anderen Bereichen, wie z.B. der Kultur.

Ansonsten bewegt man sich – wie es heutzutage der Fall ist – auf eine Entkopplung im Wirtschaftsbereich zu (Rentenökonomie);  gleichzeitig wird eine zunehmende Kopplung von Nutzen und Kosten in anderen Lebensbereichen hergestellt. Letzteres bedeutet aber nichts anderes als eine sachfremde Durchökonomisierung des sozialen Bereichs und der Kultur.

Literatur:

Andres, F. (o.J.): Wem gehört die Erde, wem die Atmosphäre? INWO-Standpunkte, online: http://www.inwo.de/uploads/media/Boden_und_Klima.pdf

Barnes, P. / Pomerance, R. (2000): Pie in the sky? Online: http://community-wealth.org/content/pie-sky-battle-atmospheric-scarcity-rent

Baur, M. / Himmel, M. (2012): Ökologische Steuerreform: Pläne des Bundesrates für eine zweite Phase der Energiestrategie 2050, in: Die Volkswirtschaft, online: http://www.efv.admin.ch/d/downloads/finanzpolitik_grundlagen/els/06_Baur_d.pdf

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München: Droemer Knaur.

Homepage von Fred Harrison: http://www.sharetherents.org/

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg (Metropolis), online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Schreiber-Martens, A. (2007): Ein Grundeinkommen für alle aus Abgaben für die Nutzung der Naturressourcen, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, S. 27-32, online: http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO-154_Schreiber-M.pdf

Werner, G. (2008): Einkommen für alle, Köln.

Was ist ein Monopol? Widersprüche in der Wettbewerbspolitik

Dirk Löhr

Was ist ein Monopol? Nach der neoklassischen Theorie kann es sich der Monopolist leisten, bei der Preissetzung keine Rücksicht auf seine Konkurrenten zu nehmen: Er bietet somit eine geringere Menge zu einem höheren Preis an als in einer Konkurrenzsituation. Auch die Theorie vollkommener Konkurrenz wurde v.a. durch Chamberlin zu einer Theorie „monopolistischer Konkurrenz“ ergänzt, in der die Anbieter einen gewissen Preissetzungsspielraum haben. Die monopolistische Konkurrenz wird heutzutage eher als Regelfall angesehen. Die neoklassische Vorstellung vom „Monopol“ ist allerdings nicht identisch mit demjenigen der ökonomischen Klassiker, die u.a. beim Boden von einem „Monopol“ sprachen. Die neoklassische Theorie ist nämlich im Wesen eigentlich eine antiklassische Theorie.

U.a. auch Israel M. Kirzner (als in der Tradition der österreichischen Schule stehend eher unverdächtig) stellte bereits im Jahre 1973 in seinem Buch „Competition and Entrepreneurship“ (Chicago) die Frage, wie es überhaupt zu diesem (von der Neoklassik postulierten) monopolistischen Preissetzungsspielraum kommen kann. Die orthodoxe Theorie erklärt nämlich nicht, warum nicht einfach Konkurrenten in den Markt eintreten und den Platzhirschen den Preissetzungsspielraum wieder nehmen.

Es muss also irgendwie geartete Markteintrittsbarrieren geben. In früheren Zeiten waren dies Privilegien und Regulierungen. In diametralem Gegensatz zur neoklassischen Auffassung, dass „Land“ als Produktionsfaktor heute nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, gewinnt tatsächlich die Kontrolle über „Land“ i.w.S. heutzutage mehr und mehr an Gewicht. Insbesondere bei den unvermehrbaren Ressourcen handelt es sich um nichts anderes als um „Land“ i.S. der klassischen Ökonomen. In den Branchenstudien wurden in diesem Blog bereits einige Beispiele für diese Geschenke gegeben:

– Die Luftfahrtindustrie erhält die wichtigen Start- und Landerechte („Land“ i.w.S.!) geschenkt. Je größer und mächtiger ein Unternehmen, umso üppiger fällt das Geschenk aus.

– Die Energieriesen erhielten in der Vergangenheit die raren Standorte („Land“ i.w.S.!) für ihre Grundlastkraftwerke zu einem Schnäppchenpreis. Bekämen sie nicht ebenfalls die CO2-Zertifikate („Land“ i.w.S.!) zu einem Schnäppchenpreis, würden sich die Kohlekraftwerke kaum mehr rechnen. Speziell Braunkohlekraftwerke ergeben nur für diejenigen Unternehmen einen Sinn, die auch die Ressourcen (im Braunkohletagebau, wieder „Land“ i.w.S.!)) kontrollieren.

McDonald`s ist im Kern keine Burgerbraterei, sondern ein Immobilienunternehmen. Standorte und Standortpolitik („Land“ i.w.S.!) spielen eine zentrale Rolle im Unternehmenskonzept.

– In der Vergangenheit unterboten sich die Kommunen in der Ausweisung von Gewerbeflächen für den großflächigen Einzelhandel. So kam dieser kostengünstig und flächendeckend zu nicht integrierten Standorten („Land“ i.w.S.!) – auf Kosten des inhabergeführten Einzelhandels, ausblutender Städte und ausgepresster Lieferanten. Heute teilen sich die fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Metro rund 90 Prozent des Marktes. Angesichts von zweifelhaften Konkurrenten wie Walmart mag man es nicht so richtig bedauern, wenn diese auf dem deutschen Markt keinen Fuß fassen können. Zwar schaute das Bundeskartellamt sich die Sache im Jahr 2011 näher an, alarmiert durch unfaire Einkaufspraktiken. Diese umfassen z.B. die rückwirkende Änderungen von Konditionen, d.h. der Lieferant muss rückwirkend Geldbeträge in fünf- oder sechsstelliger Höhe bezahlen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten; Listungsgebühren, d.h. die Lieferanten müssen Gebühren bezahlen, damit sie überhaupt ihre Produkte liefern dürfen; Regalmieten, d.h. Lieferanten müssen für gute Regalplätze Geld auf den Tisch legen; Androhung von Auslistung, wenn Lieferanten nicht auf die Bedingungen der Supermarktketten eingehen. Geändert hat sich allerdings nichts – hierzu fehlt den Wettbewerbshütern auch das Instrumentarium (s. unten).

Das Beispiel der Supermärkte ist in vielerlei Hinsicht sehr interessant – zeigt es doch, dass Marktmacht und eine monopolistische Position i.S. Kirzners mit intensivem Wettbewerb (zwischen den Supermärkten) vereinbar ist, und wie viel Geld man selbst im harten Wettbewerb verdienen kann, wenn man die entsprechenden Ressourcen kontrolliert. Es zeigt weiter, dass die Kontrolle über Ressourcen (also „Land“ i.w.S.) auch jenseits von Privateigentum erfolgen kann, wenn die öffentliche Planung der Ressourcennutzung unzulänglich ist. 

Bislang haben die Wettbewerbshüter allerdings kein vernünftiges Konzept zur Hand, um die genannten und viele weitere Auswüchse unter Kontrolle zu bekommen. Dabei ginge es anders, wenn man aus der Analyse von Kirzner die sich aufdrängenden Schlüsse zieht. Konkret: Standorte für Supermärkte (mit ihren mannigfaltigen externen Kosten) sind durch eine zentrale, überörtliche Planung zu beschränken und an die Supermarktketten zu versteigern. Standorte für Grundlastkraftwerke (mit ihren mannigfaltigen externen Kosten) sind zu limitieren und, soweit diese tatsächlich noch gebraucht werden, an die sog. „Energieversorger“ zu versteigern. Start- und Landerechte (mit ihren mannigfaltigen externen Kosten) sind (auf koordinierten Flughäfen) zu versteigern, und nicht zu verschenken. Über die Versteigerungserlöse werden die ökonomischen Renten zugunsten der Gemeinschaft abgeschöpft, die ansonsten in den Gewinn der betreffenden Unternehmen fließen (und dessen Kern bilden). Andererseits sollte bei solchen Versteigerungen der Preis nicht die alleinige Rolle spielen – es können soziale und ökologische Nebenbedingungen gesetzt werden. Die Voraussetzung ist aber immer, dass sich die Eigentumsrechte an „Land“ i.w.S. in öffentlicher Hand befinden. Wettbewerb und die private Kontrolle über die Schlüsselressource „Land“ i.w.S. schließen sich aus.

Die derzeitige Wettbewerbspolitik möchte unternehmerische Macht beschränken, ohne an den Fundamenten dieser Macht -nämlich der Kontrolle über „Land“ i.w.S. – zu rütteln. Hier liegt auch der fundamentale Widerspruch der ordoliberalen Schule, die ansonsten sehr zutreffend die Gefahr der wirtschaftlichen Macht für eine freiheitliche Ordnung erkannte. So merkwürdig es in orthodoxen Ohren klingen mag: Ohne eine Verschränkung der Wettbewerbspolitik mit der Land- und Ressourcenplanung und ohne eine andere Eigentumsordnung bei “Land” i.w.S. wird der Wettbewerb langsam, aber sicher ausgehebelt – und damit die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zerstört.

Ja, eine freiheitliche Gesellschaft braucht Privateigentum – aber nur Privateigentum am Produktionsfaktor „Kapital“. Privateigentum am Produktionsfaktor „Land“ hingegen untergräbt Freiheit und Wettbewerb.

Mehr in:

Kirzner, I. M. (1973): Competition and Entrepreneurship, Chicago.

Zur Macht der Supermärkte: http://www.supermarktmacht.de/

Aderlass durch Dr. Steinmeier: Der griechische Patient in der Hand von Kurpfuschern

Dirk Löhr

Er kam, um aufzumuntern. Und wie schon Mutti vor ihm zog Steinmeier quasi-biografische Vergleiche für die persönliche Einschätzung der Lage in Griechenland . Noch mehr: Wie sein Vorgänger wollte er die Griechen anspornen, die Konsolidierungspolitik fortzuführen („fordern und fördern“). Was da im Klartext heißt: Weitere Privatisierungen (von Monopolen und ihren ökonomischen Renten), weitere Steuererhöhungen, und keine Diskussion über den Verbleib in der Eurozone, in der Griechenland nie etwas zu suchen hatte. Als Damoklesschwert droht immer wieder die Einstellung der Rettungspakete – als ob die Griechen, und nicht die deutschen Banken gerettet werden sollten. Die Weisheit sozialdemokratischer Außen-Wirtschaftspolitik reicht also offenbar nicht weiter als diejenige der lobby-liberalen.

Griechenland ist aber ein Staat am Rande Europas, in der raumwirtschaftlichen Peripherie. In der Denkweise des klassischen Ökonomen David Ricardo handelt es sich um „Grenzland“, in dem – prinzipiell nicht anders als in den 60er Jahren im Zonenrandgebiet Deutschlands oder in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung – gerade noch kostendeckend gewirtschaftet werden kann. Anders als in den europäischen Kernländern ist kaum ein Überschuss über die Reproduktionskosten von Arbeit und Kapital (das sind ökonomische Renten) vorhanden – und damit auch nicht das Steuersubstrat, aus dem die von der Troika aus EZB, IWF und Europäischer Kommission geforderten Abgabenerhöhungen schadlos finanziert werden könnten. Und mit diesem nicht vorhandenen Überschuss soll Griechenland weiter zur Ader gelassen werden.

Wird aber den Staaten der Peripherie (ähnliches gilt auch für Spanien, Portugal, und sogar für Teile von Frankreich) von der Troika die Erhöhung klassischer Steuern (Einkommen-, Körperschaft-, Mehrwertsteuer) oder weitere Sparanstrengungen zugemutet, blutet das europäische „Grenzland“ regelrecht aus. Zu Recht hatte man dies in Deutschland seinerzeit weder dem Zonenrandgebiet noch den neuen Bundesländern zugemutet. Daher zeugte schon Muttis Vergleich mit den Erfahrungen aus dem Aufbau der neuen Bundesländer von tiefem wirtschaftspolitischen Unverständnis. Und Kurpfuscher Dr. Steinmeier folgt ihr in großkoalitionärer Eintracht treu.

Was er hingegen nicht zur Sprache bringt: Mit der Ausweitung des „Grenzlandes“ durch den Beitritt von neuen, wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten stiegen die ohnehin schon relativ hohen Bodenrenten (die als Differentialrenten zugleich soziale Überschüsse darstellen) in der jüngeren Vergangenheit gerade in den Kernländern noch weiter an – und damit deren Abgabensubstrat. Der große Gewinner heißt hier Deutschland. Allerdings profitieren hier wie in anderen Kernstaaten neben (grund-)vermögenden Privatpersonen vor allem die Unternehmen (s. die Branchenstudien in diesem Blog).

Was wäre zu tun?

Erstens: Griechenland sollte schleunigst aus dem Euro verschwinden, damit die Produktivitätsunterschiede zu den Kernländern wieder durch einen Wechselkurs abgefedert werden können. Außerhalb des Euro sollte es unter dem Schirm eines Marshall-Plans wieder auf die Beine kommen – mit einem späteren Wiedereintritt als Option. Solange Griechenland aber mit seiner schwachen Wettbewerbsfähigkeit unter dem Dach einer Währung mit Staaten wie Deutschland konkurrieren muss, wird Hellas bis zum Hals im Schlamassel steckenbleiben.

Zweitens: Bedingt durch periphere Staaten wie Griechenland, Rumänien etc. sprudelt in den Kernstaaten die Bodenrente (als Differentialrente) wie selten zuvor. Nach dem Henry-George-Theorem ist aber genau diese die Abgabenquelle der Wahl. Deren wenigstens teilweise Abschöpfung mittels einer auf EU-Ebene verankerten Bodenwertabgabe und ihre solidarische Rückverteilung an die Mitgliedstaaten nach Zahl der Einwohner (unabhängig, ob im Euro oder außerhalb) könnte die Staaten der Peripherie entlasten, ohne die ökonomische Effizienz der übrigen EU-Staaten zu beeinträchtigen. Zugleich könnten europaweit die traditionellen Steuern, die v.a. Arbeit und Verbrauch belasten, zurückgefahren werden (“tax shift”).

Eine europäische Bodenwertabgabe wäre zudem ein Einstieg in eine europäische Finanzverfassung, der wesentlich kompatibler mit den vier Grundfreiheiten wäre als andere finanzpolitische Optionen.

So etwas erfordert allerdings Visionen. Diejenigen der Sozialdemokraten sind spätestens seit Schröder voll im neoliberalen Gedankengut aufgegangen. Der große sozialdemokratische Nebelwerfer, Helmut Schmidt, tönte seinerzeit: Wer Visionen hat, möge doch zum Arzt gehen. Mag ja bei den damaligen sozialdemokratischen Visionen so sein. Seine Partei zeigt aber, dass man ganz ohne Visionen einen langsamen und qualvollen Tod erleidet – in den Armen von Dr. Steinmeier und seinen Kollegen von der politischen Kurpfuscherei.

Mehr in:

Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika — für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, Wirtschaftsdienst, October 2013, S. 702-709. Online: http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10273-013-1586-1#page-1

Löhr, D. (2012): Gresham und die Drachme, in: Humane Wirtschaft 02, S. 26-27. Online: http://www.humane-wirtschaft.de/2012_02/HW_2012_02_S26-27.pdf

Sueddeutsche.de (2014): Steinmeier in Athen: Smalltalk und gewagte Vergleiche, 10.1. Online: http://www.sueddeutsche.de/politik/steinmeier-in-athen-small-talk-und-gewagte-vergleiche-1.1860491

Gewinne und Renten: Die Deutsche Bahn AG auf dem Abstellgleis

Dirk Löhr

Noch ist die Deutsche Bahn AG zu 100 % in der Hand des Bundes. Allerdings hätte sie nie und nimmer eine Chance, den „Duck-Test“ zu bestehen: „If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.” Auch, wenn nach wie vor die Anteile an der DB AG in der Hand des Bundes sind, und obwohl mehrere Privatisierungsanläufe bislang scheiterten (zuletzt wegen der Finanzkrise 2008), agiert die Gesellschaft wie ein privates erwerbswirtschaftliches Unternehmen. Von Politik und Verwaltung wird dies geduldet, erhofft man sich doch, dass Unternehmensgewinne die chronisch klammen öffentlichen Kassen aufbessern.

Der Systemtheoretiker weiß, dass jedes lebende System gleichzeitig mehreren Leitwerten gehorchen muss (Bossel 1998). Neben „Effizienz“ gehören z.B. auch Versorgung, Wandlungsfähigkeit, Gerechtigkeit etc. dazu. Einseitige Übertreibungen bestimmter Leitwerte können ein System schwächen oder im schlimmsten Falle sogar zerstören. In der alten “Behördenbahn” hatte der Leitwert der Versorgung (mit Mobilität) eine hervorgehobene Bedeutung. Ein gut ausgebautes Schienennetz sorgte für Anbindung selbst in entlegeneren ländlichen Gegenden. Eigentlich sollte man annehmen, dass angesichts der künftig zu erwartenden Änderungen der Mobilitätsmuster (weg vom Individualverkehr, hin zum öffentlichen Nahverkehr) der Ausbau des Netzes als vordringliche Aufgabe eingestuft worden wäre. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Hintergrund waren die Klagen über die mangelnde Effizienz der alten „Behördenbahn“. Um diese zu steigern, wurde im Rahmen des Privatisierungsprozesses seit 1990 das Schienennetz um ca. 8.000 km auf nunmehr 33.500 km reduziert (Engartner 2012). Während die Schweiz eine Bahnhofsdichte von 50 Stationen pro 1.000 km2 aufweist, sind es in Deutschland nur noch ca. 16 Stationen pro km2 (Neumann 2012). So missachtete die DB AG auch grundlegend die “Goldene Regel” des öffentlichen Nahverkehrs, wonach das Angebot seine eigene Nachfrage schafft.

Stattdessen konzentrierte man sich auf den Fernverkehr und Hochgeschwindigkeitszüge – auf Kosten der Wartung und Verbesserung des verbliebenen Netzes. 90% aller Bahnfahrten finden im Nahverkehr statt; allerdings wurden nur 10 % aller Mittel in den Nahverkehr gelenkt. Allerdings ergibt diese Strategie aus Unternehmenssicht durchaus Sinn: Nennenswerter Wettbewerb findet eben nur im Nahverkehr statt, während die DB AG im Fernverkehr ein de facto-Monopol hat. Die betreffende Politik zielt auch auf eine andere Klientel ab: Geschäftsreisende und Erste-Klasse-Kunden mit hoher Zahlungsbereitschaft. Die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit wurden darüber vernachlässigt (Engartner 2012).

Ein weiterer Indikator für die Übertreibung des Leitwertes „Effizienz“ und die damit einhergehende Vernachlässigung des Leitwertes „Versorgung“ ist die Strategie, zum weltweit führenden Mobilitäts- und Logistikunternehmen zu werden. Beteiligungskäufe an Unternehmen wie Schenker, Hangartner und Joyau, der britischen Eisenbahnfrachtgesellschaft EWS, des US Luft- und Seefrachtspezialisten Bax Global, der dänischen Busgesellschaft Pan Bus und der britischen Verkehrsgesellschaft Arriva kosteten viele Milliarden Euro. Mittlerweile ist die DB AG in mehr als 150 Ländern als Anbieter von Transport- und Logistikdienstleistungen präsent (Engartner 2012). 105.000 der insgesamt rund 300.000 Konzernmitarbeiter arbeiten im Ausland (DB Networks Mobility Logistics 2013). Diese Strategie soll das Unternehmen für den Börsengang fit machen, der immer noch nicht ganz aufgegeben wurde.

Die wichtigsten Gewinnquellen stellen jedoch das Netz und der Regionalverkehr dar. Beide Sektoren tragen 2/3 zum Unternehmensgewinn bei, obwohl sie nur ¼ der Einnahmen generieren. Allerdings erhalten beide Sektoren auch hohe Subventionen (ca. 7 Mrd. Euro für den Nahverkehr und um die 4 Mrd. Euro für das Netz). Die Investition dieser Gelder in globale Unternehmensaktivitäten sowie in den Fernverkehr und in Hochgeschwindigkeitszüge wird von vielen Kritikern als missbräuchliche Quersubventionierung gesehen (Kirnich 2013).

So liegt der Hase bei der Deutschen Bahn AG v.a. beim Netz im Pfeffer. Die DB AG stellt einen “integrierten Schienenkonzern” dar, einen Konzern also, bei dem sich Netz und Betrieb unter dem Dach derselben Gesellschaft befinden. Dies kommt zwar den Wünschen des Managements entgegen, nicht aber den Bedürfnissen der Allgemeinheit:

– Das erste Problem ist das der Blockade von Konkurrenten. Obwohl das Gesetz gleichen Zugang für die private Konkurrenz fordert, geschahen in der Vergangenheit immer wieder versteckte Blockaden (in früheren Zeiten beispielsweise über intransparente Preisgestaltung).

– Das zweite Problem ist regulatorischer Art, zumal es sich beim Schienennetz um ein sog. „natürliches Monopol” handelt. Die DB AG ist sich über die strategische Bedeutung dieses Monopols durchaus im Klaren. Die Trassenpreise sollen in Zukunft noch weiter steigen. Der DB AG selbst schadet dies nicht: So lange sie Netz wie Betrieb unter einem Dach vereint, wandert das Geld infolge solcher Preiserhöhungen von der linken in die rechte Tasche (Böll et al. 2013). Anders als ihre Konkurrenten verliert die DB AG also nichts. Die Möglichkeiten der Regulierungsbehörden, den Missbrauch des natürlichen Monopols Netz zu verhindern, sind de facto beschränkt. Obwohl viele Verkehrsexperten seit langer Zeit eine unabhängige Netzgesellschaft in öffentlicher Hand einfordern, wird der „integrierte Schienenkonzern“ von einer unheiligen Allianz aus DB AG-Managern, den großen politischen Parteien und Gewerkschaften verteidigt. Allerdings handelt es sich beim staatlichen Eigentum an einem natürlichen Monopol keineswegs um eine bolschewistische, sondern um eine klassisch-liberale Idee.

– Das dritte Problem sind die mangelhaften Wartungen und Reinvestitionen in das Netz. Über lange Zeit wurde zu wenig Geld in das Netz gesteckt, um reibungslose Betriebsabläufe zu garantieren. In Deutschland wird die Wartung des Netzes durch die DB AG (1/4 der netzbezogenen Ausgaben) finanziert, (Re-) Investitionen (Ersatzbeschaffungen und Netzerweiterungen) durch den Staat (3/4 der netzbezogenen Ausgaben; DB Mobility Networks Logistics 2011). Dies gibt der DB AG einen Anreiz, die Instandsetzung und Wartung zu minimieren und auf Verschleiß zu fahren – für den Ersatz des verschlissenen Netzes kommt ja der Steuerzahler auf.

Die Unterfinanzierung des Netzes kann jedoch ernsthafte Konsequenzen haben: Im Januar 2011 kollidierten zwei Züge bei Hordorf. Zehn Menschen starben, mehr als 23 wurden teilweise schwer verletzt (N.N. 2011). Der Unfall auf der einspurigen Strecke hätte leicht durch die Installation eines automatischen Bremssystems auf der Strecke vermieden werden können („punktförmige Zugbeeinflussung“, kurz PZB).

Weniger gefährlich, aber dennoch ärgerlich sind die laufenden Verspätungen. Heutzutage ist es sicherer, auf ein Pferd zu wetten, als auf einen pünktlichen Zug. Ein großer Teil der Verspätungen wird durch Langsamfahrstrecken verursacht, die wiederum ihre Ursache in dem heruntergekommenen Schienennetz haben. Die Misere manifestierte sich insbesondere an den Stellwerken. Zwischen 2002 und 2012 reduzierte die DB Netz AG ihre Mitarbeiter von 51.918 auf 35.249. Parallel hierzu kam allerdings die Digitalisierung der Stellwerke nicht richtig voran – auch wegen der damit einhergehenden hohen Kosten. Während der letzten acht Jahre investierte die Gesellschaft 1,8 Milliarden Euro in neue elektronische Stellwerke, die bislang jedoch lediglich 1/3 des Netzes abdecken. Die unvermeidliche Konsequenz sind Engpässe. Der Netzzustandsbericht 2012 stellte eine Zunahme an Verspätungen und Zugausfällen von 4,5 % fest, die durch Stellwerksprobleme verursacht wurden. Allerdings dürfte es sich hierbei um eine Untertreibung handeln, zumal die DB AG ihre eigene Definition von Pünktlichkeit entwickelt hat (Tagesschau.de 2011). Der vorläufige Höhepunkt ereignete sich im September 2013, als Mainz mehrere Wochen weitgehend vom Netz abgekoppelt wurde – aufgrund akuter Personalengpässe. Die Aufregung in den Medien war groß, und ein Vorstandsmitglied der DB Netz AG musste seinen Hut nehmen. Das eigentliche Problem war freilich weniger das schlechte Management, als vielmehr die sklavische Befolgung der von der Politik gesetzten Vorgaben.

Natürlich war die Eisenbahn auch vor der Privatisierung chronisch unterfinanziert. Ist aber die chronische Unterfinanzierung der Infrastruktur, die v.a. bei privatem Eigentum hervortritt, wirklich alternativlos? Das Beispiel Hong Kongs weist in eine andere Richtung. Dort wurde die MTR Aktiengesellschaft 1975 als Betreibergesellschaft der Bahn eingerichtet. Ursprünglich war die Regierung zu 77 % beteiligt (in 2000 wurde die Gesellschaft privatisiert, was hier nicht als vorbildlich dargestellt werden soll). Das Entscheidende aber war jedoch: Die MTR fungierte gleichzeitig als Immobiliengesellschaft. Neu angelegte Bahntrassen führen zu einer Steigerung der Bodenerträge und Bodenwerte. Da die Gesellschaft sich vorher in den Besitz der betroffenen Areale gebracht hatte, brachten die erhöhten Mieten und Pachten genügend Geld ein, um die Netzinfrastruktur zu finanzieren. Erstaunlich: Obwohl die Gesellschaft durchaus nach kommerziellen Prinzipien agierte, konnten die Ticketpreise ab 1997 für viele Jahre eingefroren werden – dennoch wurden Gewinne erzielt (Harrison 2006). Die MTR wandte an, was in der Finanzwissenschaft als George-Hotelling-Vickrey-Theorem bekannt ist (z.B. Arnott / Stiglitz 1979; s. auch den Blogbeitrag „Fahrpreiserhöhungen der Deutsche Bahn AG: Alle Jahre wieder“). Hiernach ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, die gesamten Fixkosten der öffentlichen Güter aus den Bodenerträgen zu finanzieren. Werden entsprechend – wie in Hong Kong – Bodenerträge verwendet, um die Kosten der Netzinfrastruktur zu decken, können sich die Ticketpreise auf die sog. „Grenzkosten“ des Betriebes der Bahnen beschränken. Mit BahnCard 50-Preisen für alle könnte Verkehr auf die Schiene gelenkt und diese gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig gemacht werden.

Erst die öffentliche Infrastruktur setzt den Boden in Wert. In Deutschland ist die Privatisierung dieser öffentlich, größtenteils durch den Steuerzahler geschaffenen Werte allerdings eine heilige Kuh. Für die Bahn sind u.a. höhere Fahrpreise die Folgen. Doch auch diese vermögen nicht die Kosten der Infrastruktur zu decken. Während der letzten zehn Jahre stiegen die Fahrpreise um mehr als 30 % – weswegen das Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu lenken, auch zu scheitern droht (Bahn für alle 2012).

Literatur

Arnott, R. J. / Stiglitz, J. E. (1979): Aggregate Land Rents, Expenditure on Public Goods, and Optimal City Size, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 93, Nr. 4, S. 471-500.

Bahn für alle (2012): Die wahre Bilanz der Deutschen Bahn – oder: Was Rüdiger Grube lieber verschweigt. Alternativer Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2011, Berlin.

Böll, S., Kaiser, S., Wassermann, A. (2013): Mainz bleibt Mainz, Spiegel Nr. 34, S. 75-76.

Bossel, H. (1998): Globale Wende – Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, Droemer, München.

DB Mobility Networks Logistics (2012): Die Finanzierung der Eisenbahn des Bundes, position paper, Berlin.

DB Networks Mobility Logistics (2013): „Mitarbeiter in Zahlen“, online: http://www.deutschebahn.com/de/konzern/konzernprofil/zahlen_fakten/mitarbeiter.html (eingesehen: September 2013).

Engartner, T. (2012): Börsenparkett statt Bürgernähe. Die Deutsche Bahn zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Universitas, Vol. 67., Nr. 792, S. 39-55.

Harrison, F. (2006): Wheels of Fortune, Self-funding Infrastructure and the Free Market Case for a Land Tax, The Institute of Economic Affairs, London 2006, S. 87-94.

Kirnich, P. (2013): „Schwarz subventioniert“, Frankfurter Rundschau, March 20, online: http://www.fr-online.de/wirtschaft/deutsche-bahn-schwarz-subventioniert,1472780,22157028.html (eingesehen: September 2013).

Neumann, L., Wolter, C., Balzer, I. (2012): Leistungsanalyse des Schienenverkehrs in Europa, SCI Verkehr GmbH, Berlin.

N.N. (2011): Tote und Verletzte bei schwerem Zugunglück, in: DIE ZEIT online, Januar 2011, online: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-01/zugunglueck-sachsen-anhalt (eingesehen: September 2013).

Tagesschau.de (2011): „Wie die Bahn Pünktlichkeit definiert“, online: http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bahnpuenktlichkeit100.html (eingesehen: September 2013).

Zöttl, I. (2001): „Weichenstellung ins Chaos“, Wirtschaftswoche Nr. 17, S. 31.

Kommentar: Totgeburt Südsudan

Dirk Löhr

Indische Blauhelmsoldaten werden getötet, Massengräber werden gefunden, ein Putschversuch scheitert, das junge Land Südsudan gleitet langsam aber sicher in einen grausamen Bürgerkrieg ab. In mehreren Regionen des vor zweieinhalb Jahren unabhängig gewordenen Staates von der Größe Frankreichs wird inzwischen gekämpft. Die ölreiche Unity-Provinz ist nach Angaben des Putschistenführers Riek Machar bereits in die Hände der ihm loyalen Truppenteile gefallen, dort soll es auch zu blutigen Zusammenstößen zwischen Angehörigen der beiden größten Bevölkerungsgruppen des Landes, Dinka und Nuer, gekommen sein. In Bor, der Hauptstadt der Jonglei-Provinz, bahnt sich unterdessen eine gewalttätige Konfrontation zwischen Machars Truppen und Regierungssoldaten an, die derzeit aus der 200 Kilometer weiter südlich gelegenen südsudanesischen Hauptstadt Juba verlegt werden. Der Konflikt breitet sich weiter aus.

Dabei bereitet zunehmend Sorge, dass sich die Konfliktlinien anhand der ethnischen Zugehörigkeit bewegen. Kiir, dem zunehmend diktatorischer Regierungsstil vorgeworfen wird, gehört dem größten südsudanesischen Volk der Dinka an, Machar dem zweitgrößten Volk der Nuer. Machar hatte sich bereits während des Bürgerkriegs gegen den Nordsudan vorübergehend von der nunmehr herrschenden Rebellenorganisation SPLA abgespalten: 1991 schloss er sich den Feinden aus dem Norden an. Schon damals kam es in Bor zu einem Massaker. Rund 2.000 Dinkas wurden von Nuer-Kämpfern umgebracht.

In den Medien hört man die Tage, trotz der unglaublichen Ölreserven drohe der Südsudan als Staat zu scheitern. Nein. Nicht trotz der Ölreserven, sondern WEGEN der Ölreserven. Der Südsudan ist ein typisches Opfer des Ressourcenfluchs. Die Rebellenarmee SPLM, welche die Abspaltung bewirkte, hatte von Anfang an kein politisches Programm. Der bewaffnete Kampf gegen den Norden war ihre einzige Daseinsberechtigung. Und bei diesem Kampf stand wieder einmal die Ressource Öl und ihre Erträge (die Ölrenten) im Mittelpunkt. Die rivalisierenden Führer wollten sich diese Schlüsselressourcen und ihre Renten unter den Nagel reißen. Die Unabhängigkeit war lediglich ein Mittel hierzu, sie war aber nicht der eigentliche Zweck.

Eigentlich wäre sogar ein friedlicher Pfad nach der Abspaltung vorgezeichnet gewesen. Der Südsudan ist nämlich als Staat nicht lebensfähig. Nordsudan und Südsudan brauchen einander. Im Süden liegen die größten Ölfelder Gesamt-Sudans. Die Raffinerien, der Ölverladehafen und die Pipelines dorthin aber befinden sich im Norden. Laut dem 2005 ausgehandelten Friedensvertrag hatte Sudan eine Hälfte der Öleinnahmen behalten dürfen, Südsudan die andere. Das funktionierte. Dann wurde der Südsudan unabhängig und nahm drei Viertel der sudanesischen Ölproduktion mit sich. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden gekappt. Dies geschah zwar auch zum Schaden der südsudanesischen Bevölkerung, was aber die SPLM nicht kümmerte.

Der Regierung des jungen Staates war jedoch reichlich unbekümmert – konnte sie doch auf den Westen setzen, der von Anfang an als Geburtshelfer an seiner Seite stand: Mit Entwicklungshilfe, aber auch militärischer Unterstützung. Jeweils 300 Millionen Euro zahlen die EU und Amerika dafür allein bis 2013, viele Dutzend privater Hilfsorganisationen im Schlepptau. Dies waren nichts anderes als Eintrittsgelder der westlichen Konzerne zu den südsudanesischen Ressourcen und ihren Renten. Umgekehrt hingen die Südsudanesen von Anfang an am Tropf westlicher Entwicklungshilfe. Die Helferarmada ließ ihnen keine andere Chance. Das zementierte wiederum die Macht der SPLM. Wahrlich keine soliden Fundamente für das neue Staatsgebäude.

Zwar ließ die Rebellenarmee pro Tag mehrere hunderttausend Barrel Öl fördern. Eigentlich hätte dies reichen sollen, um davon für ein Acht-Millionen-Volk Schulen, Straßen und Krankenhäuser zu bauen. Doch die Gelder fließen in die Taschen der Warlords, und die elementarsten staatlichen Funktionen werden durch Entwicklungsgelder aufrecht erhalten.

Dennoch: Für Medien und Politik waren gut und böse wieder einmal deutlich: Die guten Christen aus dem Süden im Aufstand gegen die Unterdrückung durch den arabischen Kriegsverbrecher aus dem Norden. Wenig kam hingegen über das Interesse des Westens an den Ölvorkommen zur Sprache.

Bleibt zu sagen: Frohe Weihnachten, Juba.

Kommentar: Chodorkowski is back … und die Katze ist grau …

Dirk Löhr

U.a. bewirkt durch die Aktivitäten von Hans-Dietrich Genscher hinter den Kulissen des Polittheaters, entließ Putin in vorweihnachtlicher Milde den wohl prominentesten russischen Häftling in die Freiheit (der sich am 20.12. umgehend auf den Weg zu seinem Retter nach Deutschland machte). Die Freude in den deutschen Medien ist ungeteilt und einstimmig. Glaubt man den deutschen Medien, hat sich Chodorkowski hauptsächlich dadurch schuldig gemacht, Oppositionspolitik zu betreiben und Putins Gegner zu unterstützen. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Kein Wort zu den Schattenseiten des „Märtyrers“, seinen skrupellosen Aktionen und der Herkunft seines unermesslichen Reichtums. Chodorkowski ist ein Emporkömmling des „Anarchokapitalismus“ der Ära Boris Jelzin. Er wurde eigentlich aber erst möglich gemacht durch die wirtschaftliche Schocktherapie, die dem nicht immer nüchternen Boris Jelzin von US-amerikanischen Beratern, internationalen Organisationen und Banken eingeflüstert wurde (ähnliches geschieht derzeit mit der Führung Pekings).

“Privatisierung” hieß schon damals das Zauberwort. Das Tafelsilber des Landes wurde an die späteren Oligarchen für den berühmten Appel und das Ei verhökert. Insbesondere die staatlichen Ölfirmen Yukos, Sibneft, Surgut Neftegas, Teile von Lukoil, der Nickelproduzent Norilsk Nikel und andere wurden nahezu unkontrolliert verramscht. Es handelte sich um einen Raubzug an den russischen Ressourcen und seinen Renten – auf Kosten des russischen Volkes. Für Russland hatte dies auch deshalb dramatische Folgen, weil der Staat mehr und mehr in den Einfluss des organisierten Verbrechens geriet.  Erpressung, Bestechung, Mord und Raub waren während der Jelzin-Ära an der Tagesordnung. Doch Chodorkowski war innerhalb kürzester Zeit der reichste Mann Russlands. Zum Dank für die Wohltaten wurde die Wiederwahl Boris Jelzins im Jahr 1996 wesentlich durch sieben Oligarchen ermöglicht, zu denen unter anderem Boris ­Beresowski, Wladimir ­Potatin sowie Michail Chodorkowski gehörten.

Es war erst der von der westlichen Presse viel geschmähte Wladimir Putin, der den Oligarchen konsequent Einhalt gebot. Er warnte vor weiteren Einmischungen und drohte mit rückwirkenden Untersuchungen über die Herkunft der Vermögen. Beresowski und Gussinski zogen die Konsequenz und verließen Russland. Chodorkowski blieb. Als er die Konzerne Yukos und Sibneft (Letzterer gehörte dem Oligarchen Romas Abramowitsch) fusionieren und dann an ExxonMobile (Rockefeller) verkaufen wollte, reichte es Putin. Chodorkowski handelte ganz offensichtlich als Türöffner für den Westen zu den russischen Ressourcen. Heute sind die Ressourcenrenten aus dem Gas- und Ölexport der mit Abstand größte Einnahmenposten der russischen Volkswirtschaft. Ohne diese Einnahmen wäre das Land womöglich kollabiert und zum Armenhaus Eurasiens geworden. Europa wäre politisch destabilisiert. Aus Sicht des russischen Volkes war Putins Vorgehen gegen Chodorkowski und Co. vollkommen richtig. Aus Sicht der westlichen Unternehmen und der Finanzmärkte war es falsch – und die westlichen Medien machen sich diese Sicht kritiklos zu Eigen.

Putin ließ vor gut 10 Jahren also die Akte Chodorkowski untersuchen und ihn festnehmen. Auch ein unabhängiges Gericht, das nach westlichen Regeln geurteilt hätte, hätte Chodorkowski kaum laufen lassen können. Natürlich waren der Prozess und das Urteil willkürlich. Hätte man auch an die anderen Oligarchen ähnliche Maßstäbe angelegt, hätte eine massive Zwangsemigration von den Villenvierteln in Sotchi in sibirische Strafläger stattgefunden. Unschuldig ist Chodorkowski deswegen allerdings nicht. Chordorkowskis Rechnung, dass sein Reichtum und seine Freunde und deren Lobby im Westen ihn schützen würden, ging nicht auf. Klar, Putin ist alles andere als ein Engel. Doch die Katzen in diesem Spiel sind nicht weiß oder schwarz. Sie sind grau.

Apropos Haarfarbe: Zur Räuberbande gehört auch die blonde Unschuld Julia Timoschenko, die in der Ukraine wegen Amtsmissbrauchs, Veruntreuung und Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Auch hier wurden Ressourcen und ihre Renten von der Allgemeinheit gestohlen, und auch hier bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Berechtigung des Urteils. Dennoch ist es für die westlichen Medien eine ausgemachte Sache, dass Timoschenko eine „politische Gefangene“ ist.

Boden behalten – Basel gestalten: Rückzug und Neulancierung

Dirk Löhr

Niemand weiß, was in 100 Jahren in städtebaulicher Hinsicht “richtig” sein wird. Und niemand weiß, was sich in 100 Jahren an der Stelle eines Hauses in einer Stadt richtigerweise befinden sollte. Vielleicht ein Park? Vielleicht ein Neubau? Und weil das so ist, muss eine Stadt ihre Fähigkeit wahren, zu handeln und zu gestalten. Am besten kann sie das, wenn die Abgabe von Boden im (Erb-) Baurecht zur Norm wird. Nur so bleibt eine Stadt flexibel und behält die Fähigkeit, die langfristigen Entwicklungen des Wohnraums demokratisch legitimiert zu steuern. Zudem zahlt sich eine Abgabe im Baurecht langfristig stabil und finanziell sicher aus in Form des Baurechtszinses.

Die Initiative “Boden behalten, Basel gestalten!” hat dies erkannt und fordert daher, dass Liegenschaften und Grundstücke des Kantons Basel grundsätzlich nicht verkauft, sondern Dritten allenfalls im (Erb-) Baurecht überlassen werden. Die Initiative verfolgt zudem eine langfristige Änderung der Bodenpolitik des Kantons. Er soll deutlich mehr gemeinnütziges, familien- und umweltschonendes Bauen ermöglichen, und sein Land behalten für die künftige Stadtentwicklung.

Bedauerlicherweise hat die Initiative gestern, am 18.12.20 im Grossen Rat mit 47 zu 46 Stimmen (bei einer Enthaltung) eine Abstimmungsniederlage gegen die bürgerliche Mehrheit des Parlaments erlitten. Das Initiativkomitee von „Boden behalten – Basel gestalten! (Bodeninitiative)“ ist enttäuscht über diesen Grossratsentscheid, welcher stark von Ideologie geprägt war und fernab der künftigen Herausforderungen für den Kanton Basel gefällt wurde. Mit dem neuen baselstädtischen Wohnraumfördergesetz wurden allerdings bereits wichtige Forderungen der Bodeninitiative umgesetzt. Das Initiativkomitee wird deshalb seine ursprüngliche Initiative zurückziehen und den verbleibenden zentralen Teil der Initiative – dass der Kanton seinen Boden grundsätzlich nicht mehr verkauft – Anfang 2014 neu lancieren. Dies soll in Form einer neuen Volksinitiative geschehen. Über den Einsatz des (Erb-) Baurechts soll eine sinnvolle Stadtentwicklung ermöglicht, privaten Bauherren Raum für Investitionen gelassen und auch weniger kapitalkräftigen Bauträgern erlaubt werden, Projekte zu realisieren. Mit dieser neuen Initiative soll das zentrale Anliegen der Bodeninitiative – Nein zum Ausverkauf des Tafelsilbers – verbindlich verankert werden.

Mehr Informationen:

http://www.bodeninitiative-basel.ch/bodeninitiative-basel/Initiative/Weshalb-diese-Initiative.html