Aderlass durch Dr. Steinmeier: Der griechische Patient in der Hand von Kurpfuschern

Dirk Löhr

Er kam, um aufzumuntern. Und wie schon Mutti vor ihm zog Steinmeier quasi-biografische Vergleiche für die persönliche Einschätzung der Lage in Griechenland . Noch mehr: Wie sein Vorgänger wollte er die Griechen anspornen, die Konsolidierungspolitik fortzuführen („fordern und fördern“). Was da im Klartext heißt: Weitere Privatisierungen (von Monopolen und ihren ökonomischen Renten), weitere Steuererhöhungen, und keine Diskussion über den Verbleib in der Eurozone, in der Griechenland nie etwas zu suchen hatte. Als Damoklesschwert droht immer wieder die Einstellung der Rettungspakete – als ob die Griechen, und nicht die deutschen Banken gerettet werden sollten. Die Weisheit sozialdemokratischer Außen-Wirtschaftspolitik reicht also offenbar nicht weiter als diejenige der lobby-liberalen.

Griechenland ist aber ein Staat am Rande Europas, in der raumwirtschaftlichen Peripherie. In der Denkweise des klassischen Ökonomen David Ricardo handelt es sich um „Grenzland“, in dem – prinzipiell nicht anders als in den 60er Jahren im Zonenrandgebiet Deutschlands oder in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung – gerade noch kostendeckend gewirtschaftet werden kann. Anders als in den europäischen Kernländern ist kaum ein Überschuss über die Reproduktionskosten von Arbeit und Kapital (das sind ökonomische Renten) vorhanden – und damit auch nicht das Steuersubstrat, aus dem die von der Troika aus EZB, IWF und Europäischer Kommission geforderten Abgabenerhöhungen schadlos finanziert werden könnten. Und mit diesem nicht vorhandenen Überschuss soll Griechenland weiter zur Ader gelassen werden.

Wird aber den Staaten der Peripherie (ähnliches gilt auch für Spanien, Portugal, und sogar für Teile von Frankreich) von der Troika die Erhöhung klassischer Steuern (Einkommen-, Körperschaft-, Mehrwertsteuer) oder weitere Sparanstrengungen zugemutet, blutet das europäische „Grenzland“ regelrecht aus. Zu Recht hatte man dies in Deutschland seinerzeit weder dem Zonenrandgebiet noch den neuen Bundesländern zugemutet. Daher zeugte schon Muttis Vergleich mit den Erfahrungen aus dem Aufbau der neuen Bundesländer von tiefem wirtschaftspolitischen Unverständnis. Und Kurpfuscher Dr. Steinmeier folgt ihr in großkoalitionärer Eintracht treu.

Was er hingegen nicht zur Sprache bringt: Mit der Ausweitung des „Grenzlandes“ durch den Beitritt von neuen, wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten stiegen die ohnehin schon relativ hohen Bodenrenten (die als Differentialrenten zugleich soziale Überschüsse darstellen) in der jüngeren Vergangenheit gerade in den Kernländern noch weiter an – und damit deren Abgabensubstrat. Der große Gewinner heißt hier Deutschland. Allerdings profitieren hier wie in anderen Kernstaaten neben (grund-)vermögenden Privatpersonen vor allem die Unternehmen (s. die Branchenstudien in diesem Blog).

Was wäre zu tun?

Erstens: Griechenland sollte schleunigst aus dem Euro verschwinden, damit die Produktivitätsunterschiede zu den Kernländern wieder durch einen Wechselkurs abgefedert werden können. Außerhalb des Euro sollte es unter dem Schirm eines Marshall-Plans wieder auf die Beine kommen – mit einem späteren Wiedereintritt als Option. Solange Griechenland aber mit seiner schwachen Wettbewerbsfähigkeit unter dem Dach einer Währung mit Staaten wie Deutschland konkurrieren muss, wird Hellas bis zum Hals im Schlamassel steckenbleiben.

Zweitens: Bedingt durch periphere Staaten wie Griechenland, Rumänien etc. sprudelt in den Kernstaaten die Bodenrente (als Differentialrente) wie selten zuvor. Nach dem Henry-George-Theorem ist aber genau diese die Abgabenquelle der Wahl. Deren wenigstens teilweise Abschöpfung mittels einer auf EU-Ebene verankerten Bodenwertabgabe und ihre solidarische Rückverteilung an die Mitgliedstaaten nach Zahl der Einwohner (unabhängig, ob im Euro oder außerhalb) könnte die Staaten der Peripherie entlasten, ohne die ökonomische Effizienz der übrigen EU-Staaten zu beeinträchtigen. Zugleich könnten europaweit die traditionellen Steuern, die v.a. Arbeit und Verbrauch belasten, zurückgefahren werden (“tax shift”).

Eine europäische Bodenwertabgabe wäre zudem ein Einstieg in eine europäische Finanzverfassung, der wesentlich kompatibler mit den vier Grundfreiheiten wäre als andere finanzpolitische Optionen.

So etwas erfordert allerdings Visionen. Diejenigen der Sozialdemokraten sind spätestens seit Schröder voll im neoliberalen Gedankengut aufgegangen. Der große sozialdemokratische Nebelwerfer, Helmut Schmidt, tönte seinerzeit: Wer Visionen hat, möge doch zum Arzt gehen. Mag ja bei den damaligen sozialdemokratischen Visionen so sein. Seine Partei zeigt aber, dass man ganz ohne Visionen einen langsamen und qualvollen Tod erleidet – in den Armen von Dr. Steinmeier und seinen Kollegen von der politischen Kurpfuscherei.

Mehr in:

Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika — für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, Wirtschaftsdienst, October 2013, S. 702-709. Online: http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10273-013-1586-1#page-1

Löhr, D. (2012): Gresham und die Drachme, in: Humane Wirtschaft 02, S. 26-27. Online: http://www.humane-wirtschaft.de/2012_02/HW_2012_02_S26-27.pdf

Sueddeutsche.de (2014): Steinmeier in Athen: Smalltalk und gewagte Vergleiche, 10.1. Online: http://www.sueddeutsche.de/politik/steinmeier-in-athen-small-talk-und-gewagte-vergleiche-1.1860491

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s