Dirk Löhr
Die Reputation der deutschen Wirtschaft geht so langsam zum Teufel. Zuerst der Skandal um die Deutsche Bank – langsam hatte man sich ja daran gewöhnt. Der Mangel an staatlicher Aufsicht und Regularien machte es krimineller Energie innerhalb der Deutschen Bank leicht, sich entsprechende Bahnen zu verschaffen. Und nicht nur dort. Nun steht VW am Pranger, der Vorzeigeschüler der Autobranche. Und dies trotz aller staatlichen Fürsorge. Nein, besser deswegen.
Offenbar sah der Staat die ganze Zeit weg und lud auch hier quasi zu den Manipulationen ein. VW wurde blöderweise dabei ertappt – und es ist kein Zufall, dass dies nicht durch deutsche Behörden geschah. VW ist derzeit der böse Bube. Wahrscheinlich handelt es sich aber nur um die Spitze des Eisbergs.
Der Staat kümmert sich rührend um die deutsche Großindustrie, er hätschelt und pflegt sie. Für die vorzeitige Stilllegung von altersschwachen Braunkohlekraftwerken zahlt die Bundesregierung nun 1,61 Milliarden Euro an RWE, Vattenfall und Mibrag. Dadurch steigen die Netzentgelte, die auf die Verbraucher umgelegt werden, um rund 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Gabriel betonte den Wert der Einigung für den Klimaschutz. Die Abschaltung der Kraftwerke mit zusammen 2,7 Gigawatt Leistung soll den Ausstoß von CO2 um bis zu 12,5 Millionen Tonnen verringern. Die Kraftwerksleistung entspricht 13 Prozent der gesamten Braunkohleleistung, also nur einem sehr geringen Anteil. Dabei werden die Kraftwerke obendrein nicht endgültig geschlossen, sondern als Reservepark bewahrt. Dies ist u.a. deshalb relativ sinnlos, weil derartige Grundlastkraftwerke nicht beliebig rauf und runter gefahren werden können. Gegen die zunächst von Gabriel vorgeschlagene Strafabgabe für alte Kohlekraftwerke leistete die unheilige Allianz von Kohlelobby, Gewerkschaften und Länder erfolgreich Widerstand.
Schließlich Sanofi: Ein bewährtes Medikament gegen Blutkrebs wird vom Markt genommen. Ein Milligramm des Wirkstoffs kostete bisher 21 Euro. Nun taucht es wieder auf, als Medikament gegen Multiple Sklerose. Der Preis desselben Medikaments ist auf 888 Euro gestiegen. Die hiesigen Regularien zur Preisgestaltung lassen dies zu, die aber auch gar nichts mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb zu tun haben. Und erst recht nichts mit dem Wohl der Patienten.
Die Liste der jüngst hochgekommenen Vorfälle ließe sich noch verlängern. Doch schon diese abgekürzte Liste zeigt, dass sich der deutsche Staat offenbar als eine Serviceeinrichtung zur Sicherung der Rendite von Großunternehmen versteht – zu Lasten schlecht organisierter Gruppen wie Verbraucher, Patienten und Konsumenten. Ein verlängerter Hebel von Partikularinteressen kann aber eben keine Einrichtung sein, die sich um das Gemeinwohl kümmert. Wenn sich die Repräsentanten des Staates offenbar v.a. andere als die Interessen des Souveräns im Blick haben, darf nicht nur die Frage nach der demokratischen Legitimation gestellt werden – man muss sie stellen. Ein von Sonderinteressen durchsetzter Staat, der sich den Interessen des Souveräns gegenüber gleichgültig verhält, ist weder ein starker noch ein demokratischer Staat. Dass in den Medien in diesem Zusammenhang immer wieder von fehlender Ethik innerhalb der Unternehmen gesprochen wird, gibt indessen nicht zu hoffen. Vielmehr sollten die Spielregeln so geschaffen sein, dass die Wirtschaft nicht auf Manager angewiesen ist, die im Verdacht der baldigen Heiligsprechung stehen.
Was halten Sie eigentlich von regelmäßigen psychologischen Eignungstests für Personen mit hoher Verantwortung (Ministerien, Börse etc.)?
Ich stimme zwar mit Ihnen überein, dass die wirtschaftlichen Spielregeln möglichst ohne Gandhis und Martin Luther Kings auskommen sollten, aber muss man dafür nicht auch an den Individuen ansetzen?
Jeder Berufsfahrer muss ab und an Tests absolvieren, um sicher zu stellen, dass keine Gefährdung vorliegt. Bei hohen Ämtern ist das jedoch nicht der Fall, obwohl erwiesen ist, dass sich dort überdurchschnittlich viele Psychopathen und dergleichen tummeln.
Ich finde es richtig, Rahmenordnungen möglichst auf Gemein- und Eigenwohl auszurichten, aber die einzelnen Personen von jeglicher Ethik freizusprechen, halte ich für einen Fehler. Wenn wir Fünfjährigen die Kontrolle über ein Flugzeug überlassen, sollten wir dann nur darauf achten, dass das Flugzeug absturzsicher ist?
Das ist vielleicht kein typischer Ansatz für Ökonomen, aber selbst die ausgetüftelsten Systeme werden von Menschen bedient, von denen man eine Ethik verlangen muss. Man kann niicht immer nur die Rahmenordnung für alles verantwortlich machen.
Wenn die bestehenden Gesetze befolgt werden, muss dies genügen. Es ist im Übrigen zumindest unklar, ob sich ein Manager, der Gemeinwohlinteressen verfolgt, nicht gegenüber seinen Aktionären vergeht – auch im juristischen Sinne. Um auf das von Ihnen gewählte Beispiel zurückzukommen: Ein Fünfjähriger sollte kein Flugzeug steuern dürfen. Und die Anteilseigner sollten im Rahmen der bestehenden Gesetze ihre Manager aussuchen dürfen – aber auch mit persönlicher Haftung für die Folgen gerade stehen. Wenn sie einen Psychopathen als CEO wählen, sollen sie für alle Folgen aufkommen.
… aber diese Konzerne schaffen doch Arbeitsplätze…. und tragen trotz diversen Vergünstigungen einen erheblichen Teil am Steueraufkommen…
Muss in einer globalen Rentenökonomie nicht auch der Staat zum Rentenprotektor werden?
Macht dies nicht sogar den Unterschied zwischen “erfolgreichen” und verarmten Staaten aus?
“Vorbild” Schweiz: 1) Heimat zahlreicher globaler Rentenjäger (Nestlé, Novartis, Rohstoffe etc.), 2) Ansiedlung zusätzlicher Rentenjäger dank attraktiver Holdinggesetzgebung, 3) Verwaltung des Vermögens ausländischer Rentenjäger in den Schweizer Banken. 4) Plus noch etwas Extra-Bodenrente aus dem Tourismus.
Resultat: Eines der höchsten BIP/Kopf, ganz ohne eigene Rohstoffe!