Innerhalb weniger Wochen ist der Ölpreis mehr als 20 Prozent gefallen. Die einen sehen hierin Vorboten eines drohenden Abschwungs, der die EU, China und die USA zeitgleich erfassen könnte.
Die anderen mutmaßen, dass dieser Abschwung politisch gar nicht ungelegen kommt – bringt er doch v.a. Russland und Venezuela (die politisch und wirtschaftlich eng zusammen arbeiten) sowie den Iran in die Bredouille.
Die Saudis, Oman und Kuwait hingegen kommen mit einem niedrigen Ölpreis gut klar – sie können möglicherweise sogar ihren Marktanteil ausweiten. So drosseln die Saudis trotz der sinkenden Marktpreise ihre Förderung nicht. Der Sprecher der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft, Michail Leontjew, spricht von einer politischen Manipulation der Preise. Dass die Saudis mit ihrer Schutzmacht USA eng kooperieren, ist kein Geheimnis. Unplausibel wäre eine Preismanipulation also nicht, sondern vielmehr die immerwährende Wiederkehr des Gleichen: Geostrategie und Ressourcen als Treiber politischer Konflikte.
Dagegen spricht einzig, dass auch die Fracking-Industrie in den USA durch die tiefen Ölpreise Schaden nimmt. Die kommenden Verhandlungsrunden innerhalb der OPEC werden möglicherweise mehr Licht ins Dunkel bringen.
Wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 30.09.2014 berichtet (S. 4: „Russland sucht die ‚Reset‘-Taste“), kam es in der Küstenstadt Astrachan zu einem Zusammentreffen der Staatschefs von Russland, des Iran, Kasachstans, Turkmenistans und Aserbaidschans zum Gipfel der Anrainer des Kaspischen Meeres.
Kaspisches Meer und Anrainerstaaten
Die Probleme der Anrainerstaaten sind denjenigen in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim ähnlich:
Russland fürchtet auch in der Region um das größte Binnenmeer der Welt um seinen Einfluss – und will nun rechtzeitig verhindern, dass der Westen auch hier in Mittelasien einen Fuß in die Tür bekommt. Für Putin war es daher ein wichtiges Anliegen, alle Gipfelteilnehmer vertraglich dazu zu verpflichten, dass die Nato in keinem der Anrainerstaaten Stützpunkte errichten darf. Zudem soll festgelegt werden, dass nur Kriegsschiffe dieser Länder am Kaspischen Meer das Gewässer befahren dürfen – was der russischen Marine eine Vormachtstellung sichert.
Indes zeichnet sich bislang in einer mindestens genauso wichtigen Frage bislang keine Einigung ab: Russland möchte den an Bodenschätzen reichen Grund des Kaspischen Meeres weitgehend allein ausbeuten. Eine Aufteilung unter den Anrainern wird von Russland bislang abgelehnt. Bisher können Anrainerstaaten nur eine 25-Seemeilen-Zone vor ihren Küsten für sich beanspruchen. Der Streit um die geologischen Ressourcen dauert mittlerweile schon seit 18 Jahren an, ohne dass ein Ergebnis in Sicht ist.
Genauso wenig gibt es bislang eine Einigung beim Projekt einer Gaspipeline von Turkmenistan über Aserbaidschan nach Westeuropa. Energie aus Mittelasien würde dann an Russland vorbeifließen; die Monopolstellung Russlands im Transport der Energie wäre geschwächt. Die russische Seite fordert daher an die anderen beteiligten Gipfelteilnehmer, von den Pipeline-Plänen abzulassen. Bis zum nächsten Gipfel in vier Jahren soll eine Lösung gefunden sein.
Insgesamt ist – wie Osteuropa – auch das Kaspische Meer eine postsowjetische Spannungsregion, in der Russland seine ehemals alles bestimmende Hegemonie verloren hat und nun um einen Ausgleich der Interessen ringen muss. Dabei geht es – wie auch in der Ukraine – vor allem um Geostrategie und Ressourcen.
In diesen Tagen wird viel über den Beginn des Ersten Weltkriegs geredet. Manche Redner – wie der deutsche Bundespräsident – schaffen es dabei sogar, das Bedauern über den Ausbruch des Krieges mit der Forderung nach einer schärferen Gangart gegenüber Russland zu verbinden. Übersehen werden dabei die Gemeinsamkeiten zwischen dem damaligen Kaiser-Deutschland und dem heutigen Russland: Niedergangs- und Einkreisungsängste. Wird die internationale Ordnung neu gestaltet, muss hierauf Rücksicht genommen werden. Das Unwort „Putin-Versteher“ wäre besser positiv zu besetzen.
Andererseits sollte endlich in der internationalen „Staatengemeinschaft“ ein Umdenken erfolgen. Der Kampf um der Nationen um Rohstoffe und Einflusssphären folgt derselben Logik der Zäune wie das Privateigentum. Bei natürlichen Ressourcen, die kein Mensch gemacht hat, bedeutet die exklusive Verfügung über die Bodenschätze und andere natürlichen Ressourcen den Ausschluss aller anderen Menschen. Das schafft Konflikte. Wann endlich steht ein Staatenlenker auf und proklamiert, dass das Erdöl, das Erdgas, die Atmosphäre, und auch Grund und Boden nicht das exklusive Eigentum einzelner Staaten und Menschen sein können, sondern der gesamten Menschheit zustehen? Solange dieser Schritt noch nicht einmal gedanklich getan wird, kann die Menschheit die Logik von Barbarei und Gewalt nicht verlassen.
Im konkreten Fall der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres wäre als ein erster kleiner Schritt eine “Ressourcenunion” der Anrainerstaaten anzudenken, die sich die Erträge aus der Rohstoffförderung untereinander aufteilt.
Ich weiß: Absolut unrealistisch. Aber das waren die Abschaffung der Sklaverei und das Frauenwahlrecht irgendwann auch einmal. Deshalb erlaube ich mir, laut weiter zu träumen.