Gabriels Energiewende: Wird die Republik verkohlt?

Dirk Löhr

Die Gewinne der großen Energieversorgungsunternehmen (RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW) aus Kohlekraftwerken: In unserem Beitrag „Gewinne und Renten: Beispiel Stromproduktion“ haben wir gezeigt, dass es sich hierbei im Kern um ökonomische Renten handelt – also um Erträge, denen keine einzelwirtschaftlichen Aufwendungen gegenüberstehen. Diese ökonomischen Renten sind – aufgrund der geringen Grenzkosten – bei den Grundlastkraftwerken am höchsten: Nach Abschaltung der Atomkraftwerke glänzen hier vor allem die Braunkohlemeiler. Gerade bei den alten, schon abgeschriebenen Kraftwerken gehen die sog. „Produzentenrenten“ nahezu voll in den Gewinn – es handelt sich um die „Cash Cows“ der Energiekonzerne.

Kohlekraftwerk (Quelle: ARD Tagesschau)
Kohlekraftwerk (Quelle: ARD Tagesschau)

Wenn auch den ökonomischen Renten keine einzelwirtschaftlichen Aufwendungen gegenüberstehen, so gilt dies nicht für die Volkswirtschaft als Ganzes: So nimmt beispielsweise die Braunkohleproduktion die wenigen infragekommenden Standorte samt Kohlevorkommen sowie die Atmosphäre als CO2-Deponie zu einem lächerlich niedrigen Tarif in Anspruch, der die Allgemeinheit auch nicht annähernd für den verursachten Verlust an Ressourcen und Umwelt entschädigt. Die diesbezüglichen Kosten werden also auf die Allgemeinheit abgewälzt.

Speziell zu den zuletzt genannten Kosten gehören auch die Folgen des Klimawandels, die allerdings bisher größtenteils in anderen Ländern anfallen. Im Beitrag „… und die Kohle fällt nach oben: Deutschland verfehlt das Klimaziel“ hatten wir dargestellt, dass Deutschland im allerbesten Falle statt der bis 2020 angepeilten 40-prozentigen CO2-Reduktion allenfalls 33 Prozent realisieren kann. Dieser für die Ökologie beste Fall tritt allerdings nur ein, wenn Wachstumsschwäche und Wirtschaftskrise nachhelfen (vgl. Knuf 2014). Das 40-Prozent-Ziel geht übrigens auf Gabriel zurück; es wurde 2007 von der großen Koalition vereinbart, in der Gabriel das Amt des Umweltministers innehatte.

Allerdings verstehen sich in Deutschland Ministerien offenbar als verlängerter Arm der einschlägigen Interessengruppen – anstatt als Sachwalter des Gemeinwohls. So hält Gabriel in seiner derzeitigen Rolle Wirtschaftsminister nunmehr in einem jüngst veröffentlichten Positionspapier zur Energiepolitik ausdrücklich an der Kohle fest (s. hierzu den Beitrag in der Tagesschau (ARD) vom 11.11. „Positionspapier zur Energiepolitik: Gabriel will mittelfristig an Kohle festhalten“  – bitte klicken). Zustimmung erfährt er dabei nicht nur von den großen vier Energieversorgern, sondern auch von der Gewerkschaft IG BCE. Diese hatte zuvor vor Jobverlusten in Kohlemeilern gewarnt. Ihr Chef Michael Vassiliadis lobte prompt Gabriels Positionierung.

Die Frage, welche Kraftwerke am Netz bleiben und welche stillgelegt werden, “sollten die Unternehmen entscheiden und nicht der Staat”, betonte Gabriel im besagten Positionspapier. Wer neben dem schrittweisen Atomausstieg bis 2022 auch noch aus der Kohleverstromung aussteigen wolle, sorge für explodierende Stromkosten, die Abwanderung großer Teile der Industrie und Versorgungsunsicherheit in Deutschland (o.V. / ZeitOnline 2014).  Kohle- und Gasverstromung werde auf längere Sicht noch als „Rückendeckung der Energiewende“ für Zeiten benötigt, in denen es nicht genug Wind- oder Solarstrom gebe (o.V. / FAZnet 2014).

Gabriel hat sicherlich insoweit Recht, dass die Stilllegung deutscher Kohlekraftwerke in Europa nicht zu einer einzigen Tonne an Einsparungen bei den CO2-Emissionen führen würde. Dadurch freiwerdende Verschmutzungsrechte würden nämlich im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems zu anderen Kraftwerken abwandern, die entsprechend mehr Treibhausgase ausstießen (o.V. / Handelsblatt 2014). Statt einer Abschaltung der alten Meiler plädiert Gabriel für eine weitere Verknappung der Emissionsrechte; viele Kohlekraftwerke würden von ihren Betreibern freiwillig vom Netz genommen, wenn man die Emissionsrechte so verknappen würde, wie es für die Erfüllung des 2-Grad-Zieles erforderlich ist. Dieser Weg ist allerdings nicht der eines klimapolitischen Vorreiters. Zudem kann Gabriel mit dieser Position natürlich hervorragend Verantwortung auf die EU abschieben, das für die Kontingentierung im Rahmen des Europäischen Emissionshandels verantwortlich ist. Und er kann sichergehen, dass andere – allen voran Polen – die Drecksarbeit in Sachen Lobbyismus zugunsten der Kohle übernehmen werden – soweit er dies nicht schon selber tut.

Gabriel geht mit seiner Politik auch auf Konfrontationskurs mit Parteifreundin und Umweltministerin Barbara Hendricks. Diese will – ebenso wie die Grünen und die führenden Umweltschutzverbände – in einem ersten Schritt die alten Kohlemeiler einmotten, um das deutsche Ziel doch noch zu schaffen (o.V. / Sueddeutsche.de 2014). Vor allem die alten Braunkohlekraftwerke sind nämlich die schlimmsten Dreckschleudern. Ein Ausstieg aus der Kohle sollte hier – und zwar bei den alten Kohlekraftwerken – beginnen.  Angesichts der Überkapazitäten des deutschen Kraftwerkspark sehen die Protagonisten der sukzessiven Abschaltung der alten Kohlemeiler die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht gefährdet. Allerdings bringen – wie oben erwähnt – gerade die alten Meiler die höchsten Gewinne für die großen Betreiber. Die Lobby wird also alles in Bewegung setzen, um deren Abschaltung zu verhindern.

Nach Meinung vieler Experten kann aber außer durch neue Anreize für energetische Gebäudesanierungen das Klimaziel nur mit weniger Emissionen im Energiesektor noch geschafft werden. Am 3. Dezember sollte das Kabinett ein von Hendricks erarbeitetes Klima-Aktionsprogramm beschließen, um die bestehende Lücke noch zu schließen. Gelingt ihr dies, würde Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen. Man kann gespannt sein, ob Hendricks sich gegen Gabriel durchsetzen wird – oder nicht viel mehr ein Ergebnis herauskommt, das den großen Energiewirtschaftskonzernen nicht weh tut.

 

Mehr Informationen:

o.V./FAZnet (2014): Gabriel hält Kohlestrom für unverzichtbar, in: FAZnet vom 14.11. Online: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/energiewende-gabriel-haelt-kohlestrom-fuer-unverzichtbar-13259527.html

o.V./Handelsblatt (2014): Kohle ist „Rückendeckung der Energiewende“, in: Handelsblatt (online) vom 11.11. Online: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/sigmar-gabriel-kohle-ist-rueckendeckung-der-energiewende/10962976.html

Knuf, T. (2014): Deutschland droht Kimaziele zu verfehlen, FR online vom 22.7. Online: http://www.fr-online.de/energie/co2-ausstoss-deutschland-droht-klimaziele-zu-verfehlen,1473634,27915136.html

o.V./Sueddeutsche.de (2014): Gabriel hält an Kohlekraftwerken fest, in: Sueddeutsche.de vom 11.11. Online: http://www.sueddeutsche.de/news/politik/bundesregierung-gabriel-haelt-an-kohlekraftwerken-fest-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-141111-99-04510

o.V./ZeitOnline (2014): Gabriel will keine Kohlekraftwerke schließen, in: ZeitOnline vom 11.11. Online: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-11/gabriel-kohle-hendricks

 

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