Dirk Löhr
Die großen Privatvermögen werden heutzutage weniger in der Finanzwirtschaft, sondern im realwirtschaftlichen Bereich gemacht. Amancio Ortega heißt der reichste Mann Europas und der viertreichste Mann der Welt. Er ist der Eigentümer der Modekette Zara – und Immobilienmagnat (Müller 2014). Und nimmt man das Vermögen der beiden verstorbenen Brüder Karl und Theo Albrecht zusammen, dürften diese selbst Warren Buffet und Bill Gates in den Schatten stellen. Dies zeigt die
Die Aldi-Story (bitte klicken),
die am 9.12.2014 um 20.15 im ZDF ausgestrahlt wurde. Also: Eines der größten Vermögen der Welt entstand auf einem heiß umkämpften Wettbewerbsmarkt! Wie ist das möglich?

Im realwirt-schaftlichen Raum kommen – so banal dies klingt – die Vermögen durch hohe Erträge zustande, denen keine einzel-wirtschaftlichen Aufwendungen entgegenstehen:
Dies sind nichts anderes als ökonomische Renten.
Ein erfolgreicher Unternehmer braucht zweierlei: Eine zündende Idee und den Raum, in dem er diese Idee verwirklichen kann.
Bei den aus einfachen Verhältnissen stammenden Brüdern Albrecht aus Essen war die zündende Idee die Kampfpreise, gepaart mit einer Reduktion der Vielfalt des Sortiments. Mit dieser Prägung auf Effizienz kamen sie den Bedürfnissen der vielen Menschen mit schmalem Geldbeutel in der jungen Bundesrepublik entgegen.
Den eigentlichen Schub bekam das Aldi-Konzept jedoch durch die konsequente Filialisierung – dies war der notwendige Raum. Heutzutage ist fast innerhalb einer Entfernung von 10 Minuten mit dem Auto ein Discounter zu erreichen; Deutschland ist in der Fläche mit Discountern abgedeckt. Schon in ihrer Kindheit bekamen die Gebrüder Albrecht zu spüren, wie die Filialisten den Krämerladen ihrer Eltern unter Druck setzten – bis zur existentiellen Bedrohung. Später setzten die Gebrüder Albrecht dieses Konzept selber konsequent um. Denn mit jeder zusätzlichen Filiale steigt die Einkaufsmacht und sinkt damit der Einkaufspreis. Die Mieten und Pachten bilden diese wachsenden Skalenerträge jedoch nicht ab – sie orientieren sich am Durchschnittspächter. Und in vielen Fällen werden die Standorte sogar noch subventioniert – durch die Kommunen, die sich untereinander in einem unproduktivem Wettbewerb um steuerzahlende Gewerbebetriebe befinden. Somit schöpfen die Grundstückseigentümer, egal ob privat oder öffentlich, nicht den Wert ab, den die Flächen für die Filialisten haben (also die Bodenrente). Dieser fließt größtenteils den Filialisten zu.

Der Reichtum der Albrechts kam wie gesagt durch ökonomische Renten zustande – die letztlich den Charakter von Bodenrenten haben. Ökonomische Renten sind der Überschuss der Erträge über die Kosten – dies gilt aber nur einzelwirtschaftlich. Denn: “There is no such thing as a free lunch”. Irgendjemand zahlt immer die Zeche. Es gibt noch weitere Kosten, die sich jedoch nicht im Rechenwerk des Aldi-Konzerns wiederfinden, sondern auf die Gesellschaft abgewälzt (externalisiert) wurden und werden (Löhr 2013).
So ließen die Kommunen mit ihrer unkoordinierten, in unproduktivem Wettbewerb erfolgenden Flächenausweisungspolitik in den letzten Jahrzehnten viele neue Einzelhandelsflächen in autoaffinen, nicht integrierten Lagen entstehen – und leiteten damit den Tod ihrer eigenen Innenstädte ein. Mit ihrer Einkaufsmacht sind die Aldis ebenfalls in der Lage, die Vorlieferanten erheblich unter Druck zu setzen (Löhr 2014). Konsequenzen der Discountermacht sind so u.a. die Massentierhaltung, eine schlechte Produktqualität und miserable Arbeitsbedingungen bei den Vorlieferanten.
Die Verfügbarkeit von so viel Land verleiht also Macht. Macht bedeutet die Einschränkung von Handlungs- und Deutungsmöglichkeiten, und damit von Freiheit (Löhr 2013). Sowohl für den Kunden, der diese Einschränkung jedoch des Preises wegen freiwillig in Kauf nimmt, als auch – diesmal unfreiwillig – für den Vorlieferanten (egal, ob dieser in Deutschland oder in Kambodscha sitzt und Hemden wie Turnschuhe näht). Und für Markteintritte besteht keine Chance mehr, wie der Fall Wal Mart zeigt; der amerikanische Konzern konnte niemals an die notwendigen Lagen kommen und die notwendige Größe erreichen, um mit den etablierten Discountern zu konkurrieren, die mittlerweile mehr als 85 % des Marktes beherrschen (Bundeskartellamt 2011).
Eine Wettbewerbspolitik, die diesen Namen verdient, müsste die Verfügbarkeit über Land – und damit das Ausmaß der Filialisierung – beschränken. Sie müsste zudem die Renten, die sich die Gebrüder Albrecht – zu Lasten der Allgemeinheit – eingesteckt haben, der Gesellschaft zuführen.
Ein Weg wäre, dass die Länder sich selber Flächen für Gewerbe- und Einzelhandelsgebiete vorbehalten; Letzteres in integrierten Lagen. So würde die unproduktive Konkurrenz zwischen den Kommunen entschärft. Die beschränkten Flächen im Eigentum des Landes könnten per Erbbaurecht verpachtet werden, und zwar auf dem Versteigerungswege. Lidl müsste gegen Aldi antreten. Für beide wäre nicht überall Platz. Dies würde allerdings vermutlich nur dann funktionieren, wenn Art. 28 des Grundgesetzes, auf den sich die Kommunen zu ihrem eigenen Schaden berufen, umformuliert würde.
Diese Aspekte finden freilich in die ZDF-Doku keinen Eingang; statt dessen stehen die maßgeblichen Personen – also die Gebrüder Albrecht – im Mittelpunkt. Im Übrigen: Was für Aldi gilt, trifft in ähnlicher Weise auch für Lidl, Metro und Edeka zu.
Mehr Information:
Bundeskartellamt (2011): Bundeskartellamt startet Marktermittlungen im Rahmen der Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, Pressemeldung vom 16.9., online: http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Presse/2011/2011-09-16_PM_SU_LEH.pdf
Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie – Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do
Löhr, D. (2014): Gewinne und Renten: Alles Aldi oder was? (Artikel in diesem Blog)
Müller, U. (2014): So schuf der reichste Mann Europas sein Imperium, in: Die Welt vom 20.05. Online: http://www.welt.de/wirtschaft/article128194941/So-schuf-der-reichste-Mann-Europas-sein-Imperium.html