Dirk Löhr
Am 30. März 2014 jährt der 150. Geburtstag des Nationalökonomen und Soziologen Franz Oppenheimer.
Gemeinhin wird Oppenheimer als „liberaler Sozialist“ etikettiert. Anders als der sozialistische Mainstream oder die Sozialdemokratie bezog sich Oppenheimer jedoch auf das Werk Adam Smiths – ihm graute vor einer Ausschaltung des Wettbewerbs durch wirtschaftlich mächtige Unternehmen oder einen sich diesen andienenden Staat.
Dabei erkannte Oppenheimer, dass nicht nur die Gesellschaft vor diesen Bestrebungen geschützt werden müssten, sondern auch die betreffenden Unternehmen selber. Andernfalls laufen sie Gefahr, von einem wirtschaftenden zu einem politischen Unternehmen zu mutieren. Oder, anders ausgedrückt: Indem sie politische Renten zu generieren versuchen, produzieren sie an den Bedürfnissen der Kunden vorbei. Gerade in den patentbasierten Industrien (Monsanto, Microsoft etc.) lassen sich hervorragende Beispiele hierfür finden. Oppenheimer betont, dass man grundsätzlich auf zwei Wege sein Geld verdienen kann: Einmal über Produktion und Austausch („das wirtschaftliche Mittel“), und zum anderen über die unentgoltene Aneignung fremder Arbeit („das politische Mittel“). Damit nahm er bereits früh vorweg, was man später in der Ökonomie unter dem Begriff des „Rent Seeking“ diskutierte. In diesem Kontext diskutierte Oppenheimer auch bereits die fragwürdige und ausbeuterische Wirkung der Besteuerung.
Dies verweist auch auf ein weiteres zentrales Thema von Oppenheimer: Die Auswirkungen wirtschaftlicher Macht, und ihr Einfluss auf die Politik – ein Aspekt, das auch Werk und Wirken der ordoliberalen Schule durchzog. Die Nähe der ursprünglichen ordoliberalen Anschauungen zur Theorie Franz Oppenheimers ist in der Tat frappierend. Eine seiner tiefsten Spuren dürfte über das Wirken seiner Schüler Walter Eucken und Ludwig Erhard (Wirtschaftsminister und Bundeskanzler) hinterlassen worden sein, welche das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ in Theorie und Praxis prägten. Erhard merkte angeblich einmal mit einem gewissen Schmunzeln an, er habe (bezüglich der Etikettierung Oppenheimers als liberaler Sozialist) nur „Adjektiv und Substantiv umgelagert“, wie sein Freund Wilhelm Röpke, der vom „Sozialen Liberalismus“ sprach. So konnten die Ansichten jedoch einem breiten Bürgertum vermittelt werden.
Oppenheimer war – anders als der sozialistische Mainstream – staatskritisch. Er sah den Staat als Unterdrückungsinstrument der herrschenden Klasse. Als Konsequenz propagierte er jedoch nicht die Anarchie (wenngleich sein Werk einige Anarchisten inspiriert haben dürfte), sondern die Rückeroberung des Staates. Sein Ziel war (ebenso wie Gesell) die Akratie – eine Gesellschaft also, in der – über staatliche und rechtliche Institutionen vermittelt – keine Klasse über eine andere herrscht.
Oppenheimer wurde zudem wegen seinen Aussagen zur „Bodensperre“ bekannt – Großgrundbesitz verhindert den Zugang der ländlichen Bevölkerung zum Land und schafft ein in die Städte wanderndes Proletariat. Diese Passagen seines Werkes sind in den Zeiten des sich immer weiter verstärkenden Land Grabbing höchst aktuell. Oppenheimer wurde jedoch andererseits zu Recht dahingehend kritisiert, dass seine Bodentheorie zu eng auf die Landwirtschaft bezogen sei – allerdings kann man viele seiner Beobachtungen auch auf urbanes Land übertragen. Die dauerhafte Strukturkrise des Ruhrgebietes ist durchaus auch mit das Ergebnis einer Bodensperre, mit denen sich die Montankonzerne – als Großgrundbesitzer – in den Boomzeiten des Wirtschaftswunders lästige Konkurrenz mittelständischer Unternehmen vom Hals hielten, die ansonsten die Löhne im Ruhrgebiet weiter hochgetrieben und die Konkurrenz der Unternehmen um Fachkräfte verschärft hätten. Das Ergebnis: Anders als andere Agglomerationen leidet das Ruhrgebiet bis heute an mangelnder Ausstattung und Vielfalt – auch und vor allem, was mittelständische Unternehmen angeht.
Oppenheimer war sich als Soziologe der Bedeutung der Mittelschicht in einer Gesellschaft sehr bewusst. Je breiter diese ist, umso stabiler die Gesellschaft. Sein „Sozialgradient“ eignet sich immer noch, um diesbezügliche Schieflagen zu messen. Die Unterschiede in den Talenten und Fähigkeiten mögen vielleicht zu Unterschieden in den Einkommen um den Faktor 10 führen. Wird der durch die Altvorderen geschaffene Wohlstand vererbt, so vererbt sich oftmals nicht das unternehmerische Talent – die Enkelgeneration verprasst, was ihre Großeltern erworben haben. Dies ist auch gut so, zumal man sich von dieser Seite nicht um eine Vermögensakkumulation und -konzentration besorgen muss. Diese hat andere Gründe, die in Privilegien und Monopolpositionen begründet liegen. Oppenheimer erkannte die Funktion der Eigentumsordnung und des Staates zur Absicherung dieser Privilegien (s. die Anmerkungen zur Staatstheorie Oppenheimers oben).
Oppenheimer war auch in der zionistischen Bewegung aktiv; er stellte als Theoretiker maßgeblich die Weichen für einen Besiedelungsplan Palästinas via Kibuz/ Siedlungsgenossenschaft (6. Zionistenkongreß in Basel, 1903).
Die ganze Fülle des geistigen Schatzes zu ermessen ist schwer möglich, zumal Oppenheimer aufgrund seiner jüdischen Herkunft während der Nazi-Herrschaft aus Deutschland fliehen musste und – trotz der Gesamtausgabe in der Literaturempfehlung – möglicherweise Teile seiner Arbeit dem nationalsozialistischen Vernichtungswerk zum Opfer gefallen sind. Vielleicht wurde aber dennoch Eines in diesem kleinen Beitrag deutlich: Obwohl Oppenheimer die größte Bekanntheit wohl aufgrund seiner Beiträge zur Genossenschaftstheorie erlangte, hat er wesentlich mehr zu bieten.
Eine Ehrung erfährt Oppenheimer in einer Ausstellung, die ab dem 14. April in Frankfurt stattfindet.
Sie trägt hoffentlich dazu bei, diesen zu Unrecht vergessenen großen Geist wieder in Erinnerung zu bringen.
Literaturempfehlungen:
Caspari, V. / Lichtblau, K. (2014): Franz Oppenheimer – Streitbarer Ökonom und Soziologe der ersten Stunde, Frankfurt/M.
Kruck, W. (1997): Werner Kruck: Franz Oppenheimer – Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und Selbsthilfegesellschaft, Arno Spitz Verlag, Berlin. Online: http://wk0.de/Oppenheimer_Diss_Kruck.pdf
Oppenheimer, F. (1996): Gesammelte Schriften – Band I: Theoretische Grundlegungen, Berlin: Akademie Verlag, Bd. 1, 736 Seiten.
Oppenheimer, F. (1996): Gesammelte Schriften – Band II: Politische Schriften, Berlin: Akademie Verlag, Bd. 2, 565 Seiten.
Oppenheimer, F. (1996): Gesammelte Schriften – Band III: Schriften zur Marktwirtschaft, Berlin: Akademie Verlag, Bd. 3, 817 Seiten.