Koalitionsverhandlungen: Der Streit um den zukünftigen Kurs in der Steuerpolitik

Dirk Löhr

Angela Merkel hat die Bundestagswahl gewonnen. Freilich, ein Triumph sieht anders aus. Alles steuert auf eine große Koalition zu, und hier ist Frau Merkel auf einen potentiellen Partner angewiesen, der sich Steuererhöhungen in sein Wahlprogramm geschrieben hat.

Der Staat, so SPD und Grüne, sei unterfinanziert. Hier haben sie ohne Zweifel Recht. Aber, so merkwürdig es klingt – das Problem ließe sich auch ohne Steuererhöhungen lösen, ja wahrscheinlich zum allergrößten Teil vollkommen ohne die Steuern, wie wir sie heutzutage kennen. Rund die Hälfte der Steuereinnahmen resultiert aus der Lohn- und der Mehrwertsteuer – und diese treffen durchaus nicht die Reichen. Dabei wird die Wirtschaftstätigkeit auch noch entmutigt: Wer bei Aufnahme eines Nebenjobs z.B. 30 oder 40 % Steuern auf die zusätzlichen Einkünfte zahlen muss, überlegt sich das dreimal.

Dabei ginge es auch anders. Die staatlichen Leistungen könnten auch über die ökonomischen Renten finanziert werden. Dabei handelt es sich grob gesagt um Extragewinne, die von den Anbietern eigentlich gar nicht benötigt werden, um die Leistung hervorzubringen. Der Prototyp der ökonomischen Rente ist die Bodenrente. Seit Ricardo (1817) wird sie vor allem als „Differentialrente“ verstanden, d.h. als Kosten- oder Ertragsvorteil einer Scholle gegenüber dem Boden, der gerade noch kostendeckend bewirtschaftet werden kann („Grenzboden“). Mit den ökonomischen Klassikern kann man dabei „Land“ in einem sehr weiten Sinne verstehen – als alles, was der Mensch nicht geschaffen hat. Dies sind z.B. Wasser, die Atmosphäre, Rohstoffquellen – doch auch „virtuelles Land“ kann man hierzu zählen (v.a. Patente), als Rechte, die dem Prototyp Boden in vielerlei Hinsicht nachgebildet sind (Claims, Renten, Blockademöglichkeiten etc.; s. unten mehr).

Heutzutage werden die ökonomischen Renten weitgehend privatisiert. Die Bodenrenten landen in den Taschen der privaten Bodeneigentümer, die Wasserrenten u.a. bei Nestlé & Co., die Ölrenten bei den großen Mineralölkonzernen etc.

Man mag den Reichen ihren Reichtum ja gönnen. Allerdings stehen den ökonomischen Renten auch Kosten gegenüber, nämlich Kosten des Verzichts und der Inwertsetzung, die von der Öffentlichkeit getragen werden. Die Problematik kann über das sog. „Henry George-Theorem“ („Golden Rule of Local Public Finance“) illustriert werden, das nachfolgend in vereinfachter und verallgemeinerter Form dargestellt ist. Formalisiert wurde es u.a. durch Joseph Stiglitz – zuerst für die kommunale Ebene, mittlerweile wird es verallgemeinert.

Volkseinkommen als Funktion der Bevölkerung (eigene Darstellung)

Zusammensetzung   Verteilung
Private Güter und Dienstleistungen  <=> Löhne (Produktionsfaktor Arbeit)
Zinsen (Produktionsfaktor Kapital)
Öffentliche Güter und Dienstleistungen  <=> Renten (Produktionsfaktor Land i.w.S.)

Abbildung: Das Henry George-Theorem (vereinfacht)

Nach dem Henry George-Theorem können die öffentlichen Güter (Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheitseinrichtungen) unter bestimmten Bedingungen vollständig aus den Bodenrenten finanziert werden. Das Theorem kann aber auch umgekehrt gelesen werden: Danach werden die Bodenrenten erst durch die öffentlichen Leistungen erzeugt. Der Staat kann insoweit als „rent creating institution“ verstanden werden.

Werden nun aber die (Boden-) Renten privatisiert und damit der durch das Henry George-Theorem beschriebene sachgesetzliche Zusammenhang durchbrochen (der eine Vergemeinschaftung der Renten impliziert), entstehen Verzichtskosten: Die Inwertsetzung der öffentlichen Güter muss dann durch Steuern aus Kapital und Arbeit finanziert werden.

Betroffen ist v.a. der Faktor Arbeit, über die Lohnsteuer, da dieser – anders als das Kapital – kaum flüchten kann. In vielen Staaten wird der Zahltag über die Aufnahme von Schulden in die Zukunft verschoben und damit auf künftige Generationen abgewälzt. Will man dies vermeiden, heißt es „sparen“: Die öffentlichen Güter werden dann nur unzureichend zur Verfügung gestellt, was z.B. weniger Schulen und Polizei oder Schlaglöcher in den Straßen bedeutet. Eine nachhaltige Finanzierung der öffentlichen Güter ist dann nicht mehr gewährleistet. Das Angebot des „vierten Produktionsfaktors“, nämlich der Infrastruktur, ist dem entsprechend dürftig.

Konkret, an einem Beispiel illustriert: Nehmen wir an, Hans sucht eine Mietwohnung in Hamburg oder München. Zuerst muss sich Hans in eine unglaublich lange Schlange von Wohnungssuchenden einreihen. Doch nehmen wir an, Hans im Glück bekommt den Zuschlag. Nun darf er eine Wuchermiete an den Eigentümer der Immobilie abdrücken. Diese beträgt vielleicht das fünf- bis siebenfache der Miete in Gelsenkirchen oder Salzgitter. Wofür aber zahlt Hans diese hohe Miete? Sind die Häuser in Hamburg oder München stabiler und besser gebaut oder haben sie eine bessere Ausstattung? Mitnichten. Sind die Ziegelsteine, der Mörtel, die Stahlträger oder die Bauarbeiter in München und Hamburg so viel teurer als in Gelsenkirchen oder Salzgitter? Wäre dies der Fall, würde man sich beim Bau des Hauses das entsprechende Material und die Arbeitskraft eben aus Gelsenkirchen oder Salzgitter besorgen. Hans zahlt einzig und allein für den Standort, dessen Eigentümer eine höhere Bodenrente als in Gelsenkirchen oder Salzgitter einfordern. Aber wer macht die Bodenrente? Die besagten Eigentümer der Grundstücke? Hamburg hat einen wunderbaren Blick auf ein Gewässer – noch schöner ist vielleicht der Blick auf das Meer an der Küste Somalias. München bietet einen wunderbaren Blick auf die Berge, noch besser ist aber der Blick auf den Hindukusch. Dennoch sind Bodenrenten und Bodenwerte in Hamburg und München offensichtlich wesentlich höher als an der Küste Somalias oder am Hindukusch. In Hamburg und München wird nämlich öffentliche Sicherheit großgeschrieben, es gibt ein funktionierendes Gesundheitssystem, es existiert eine erstklassige Infrastruktur, und zudem ballen sich Industrie, Gewerbe sowie hoch spezialisierten Dienstleistungen. Diese und andere Vorteile entstehen durch öffentliche und gemeinschaftliche Anstrengungen, nicht durch besondere Leistungen der Bodeneigentümer. Nur aufgrund dieser hat Hans die hohen Bodenrenten zu bezahlen – und zwar an den privaten Bodeneigentümer. Hans im Glück hat einen Job, so dass von seinem Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten wird. Er kauft ein, und bei fast jedem Einkauf ist Umsatzsteuer fällig. Aber wie werden die Steuereinnahmen verwendet? Zu einem hohen Teil für öffentliche Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheit – kurz, für alles, was am Ende das Grundstück seines Vermieters in Wert setzt. Hans darf damit doppelt zahlen: Die Bodenrente in der Miete direkt an seinen Vermieter, und die Kosten der Inwertsetzung für das Grundstück an den Staat. Nutznießer ist in beiden Fällen der Grundstückseigentümer, ohne dass dieser einen Finger gekrümmt hätte.

Das Beispiel illustriert, wie der Steuerstaat über die Privatisierung der ökonomischen Rente die Auflösung des Finanzierungszusammenhangs zwischen öffentlichem Gut und ökonomischer Rente absichert. Die Folge ist eine Entkopplung von Nutzen und Lasten der Staatsfinanzierung. Steuern sind per definitionem Zahlungen des Bürgers ohne Anspruch auf konkrete Gegenleistung; diese fließen also in einen großen Topf und können für alles Mögliche verwendet werden (Nonaffektationsprinzip). Die Administration gibt dann Geld aus, das keiner besonderen Zweckbindung unterliegt – und dabei handelt es sich auch noch um das Geld anderer Leute – nämlich der Steuerzahler. Dies alles führt a) zu Steuervermeidung Seitens der Bürger (die keine Gegenleistung sehen) und b) zu Verschwendung Seitens der Administration (die mit dem Geld der Bürger eigene Ziele verfolgt; man denke an das Drohnendebakel der Bundeswehr, an Stuttgart 21 oder die “Bankenrettungen”). Über die Entkopplung von Nutzen und Lasten ist der Steuerstaat also ein wesentliches Element der heutigen Umverteilung von unten nach oben. Der Steuerstaat konstituiert sich also über diese Entkopplung von Nutzen und Lasten.

Sind Sozialdemokraten und Grüne also wirklich auf Kurs, wenn sie diese Schieflage auch noch ausbauen wollen? Die Kopplung von Nutzen und Lasten wie Einnahmen und Ausgaben mittels Abschöpfung und Vergemeinschaftung der ökonomischen Renten könnte einen Weg darstellen, der Markt und Gerechtigkeit versöhnt.

Mehr in: D. Löhr (2013), Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

One thought on “Koalitionsverhandlungen: Der Streit um den zukünftigen Kurs in der Steuerpolitik”

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