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Neue EU-Gebäuderichtlinie – überflüssig wie ein Kropf

Dirk Löhr

Seit 2021 arbeitet die EU an der Neufassung der Gebäudeeffizienzrichtlinie (im EU-Jargon “EPBD”). Die jüngste Entwicklung: Am 12. März 2024 hat das Europäische Parlament die Neufassung beschlossen.

Der Ausstieg aus mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizkesseln bis 2040 ist nunmehr lediglich ein „indikatives Ziel“. Die Mitgliedsstaaten haben damit zur Erreichung des Gesamtziels eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050 entsprechende Spielräume.

Anders als in früheren Fassungen sind nun auch keine individuellen Sanierungspflichten für Wohngebäude mehr vorgesehen. Vielmehr werden allgemeine Vorgaben zur Reduktion des Energieverbrauchs über den gesamten Wohngebäudebestand gemacht. Wie diese konkret umgesetzt werden, wird darüber entscheiden, ob und inwieweit die Befürchtungen von Haus und Grund, nach der viele Eigentümer überlastet würden, gerechtfertigt sind. Offensichtlicher belastet sind die Eigentümer der energetisch schlechtesten Nichtwohngebäude, für die es auch in der nunmehr verabschiedeten Fassung der Richtlinie Sanierungspflichten geben soll.

Das ursprünglich drohende Szenario, das tatsächlich auf eine kalte Enteignung der Hauseigentümer hinausgelaufen wäre, wurde in diesem Blog im Herbst 2023 beschrieben. Die Weiterentwicklung der Richtlinie ist insofern positiv, dass die betreffenden Vorgaben gegenüber früheren Fassungen abgeschwächt wurden. Dennoch stellt sich nach wie vor die Frage nach der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit der Richtlinie: Reicht die Einbeziehung der Gebäude in den EU-Emissionshandel nicht für die Erreichung der Ziele aus, wenn man ihn entsprechend konsequent durchführt? Die Gebäudeeigentümer könnten dann selbstständig darüber entscheiden, welche Investitionen noch sinnvoll und vertretbar sind.

Wichtig wäre allerdings, die Ausweitung des Emissionshandels mit einem Klimageld zu verkoppeln, über das die Einnahmen aus der Vergabe der CO2-Zertifikate wieder an die Bürger zurück verteilt werden: Bei Wohngebäuden werden die Mieten ansteigen, sofern die Eigentümer die Modernisierungskosten wirtschaftlich umlegen können. Hierbei kommt es weniger auf die rechtlichen Vorschriften, sondern v.a. auf die Marktlage an: Soweit nicht die Nebenkosten (Heizkosten) in gleichem Umfang sinken, reduziert jeder Euro, der den Mietern für die Deckung von Modernisierungskosten abverlangt wird, die verbleibenden Reinerträge und damit auch den Wert der Immobilien. Die Mieter haben ja infolge der Verschärfung des CO2-Handels nicht mehr Geld in der Tasche und müssen daher in die Lage versetzt werden, die Beteiligung an den Modernisierungskosten auch aufzubringen. Die Gefahr des Wertverfalls betrifft im Übrigen auch selbst genutzte Immobilien (das wird deutlich, wenn man sich eine fiktive Vermietung an sich selbst vorstellt).

Angesichts der geplanten Ausweitung des Emissionshandelsregimes ist unverständlich, warum für Nichtwohngebäude nach wie vor eine Sanierungspflicht gelten soll. Was ist beispielsweise mit Lager- und Betriebshallen, die auch im Winter kaum oder gar nicht geheizt werden? Wenn man den vielfältigen möglichen Konstellationen gerecht werden wollte, entstünde ein bürokratisches Monster. Das CO2-Handelssystem regelt solche Konstellationen unbürokratisch von alleine: Heizt eine Firma bestimmte Hallen nicht, wird es auch keine energetische Sanierung vornehmen. Wird teilweise geheizt, beurteilt der Eigentümer vor dem Hintergrund der konkreten Situation, ob eine (teilweise) energetische Sanierung oder die Zahlung der (durch die CO2-Abgaben) erhöhten Energiekosten sinnvoller ist. Auch unnötige Sanierungen sind eine unökologische Verschwendung von Ressourcen. Zudem werden die Belastungen durch verpflichtende Sanierungen v.a. die Eigentümer von Nichtwohngebäuden in wirtschaftlich schwachen, peripheren Regionen besonders hart treffen.

Der Befund: Die Gebäudeeffizienzrichtlinie ist in weiten Teilen (v.a. mit Blick auf die verbleibenden Sanierungspflichten) überflüssig und bezüglich der Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehrs- und Gebäudesektor redundant – es reicht die konsequente Durchführung des Emissionshandels (bei Begleitung durch ein Klimageld) vollkommen aus. Die Richtlinie ist somit in weiten Teilen wieder einmal ein gutes Beispiel für eine sich verselbstständigende wie überflüssige Bürokratie, die in Sonntagsreden noch verdammt und am Dienstag darauf (der 12. März war ein solcher) dann doch vorangetrieben wird.

Bundesrechnungshof: Energiewende nicht auf Kurs

Dirk Löhr

Nach den Vorstellungen des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck sollen 2030 bereits 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Damit dieses Ziel erreicht wird, bedarf es eines erheblichen Ausbaus der Solarenergie und Windkraft. Zudem müssen die Stromnetze massiv erweitert werden, denn der Strom muss ja auch transportiert werden. Beim Strom aus erneuerbaren Energien handelt es sich aber zumeist um “Flatterstrom”: Die Sonne scheint nicht immer, und der Wind bläst auch nur zeitweise. Problematisch sind dabei weniger die stundenweise auftretenden “Dunkelflauten”, sondern solche, die längerfristig auftreten – wie im vergangenen Herbst. Aus diesem Grunde benötigt man eine redundante Infrastruktur aus konventionellen Kraftwerken, die einspringen kann, wenn die erneuerbaren Energien ausfallen. Habeck setzt hierbei v.a. auf Gaskraftwerke, die auf Wasserstoff nachgerüstet werden können.

Nunmehr hat der unabhängige Bundesrechnungshof in seinem Gutachten vom 7.3.2024 die Politik des Bundeswirtschaftsministers stark kritisiert. Dabei werden noch nicht einmal die Ziele infrage gestellt: Es nutzt relativ wenig, wenn ein Land bei der “Klimarettung” voranschreitet. Der Anteil Deutschlands an den CO2-Emissionen ist mit ca. 2 Prozent viel zu klein, um im Alleingang nennenswerte Effekte zu erreichen – zumal die deutsche Wirtschaft ja schon relativ sauber produziert. Weniger deutsche Nachfrage nach fossilen Energieträgern erzeugt andererseits tendenziell einen – wenngleich ebenfalls überschaubaren – Druck auf die Weltmarktpreise. Was Deutschland nicht verbraucht, nehmen dann eben dankend Schwellen- und Entwicklungsländer. Sinn ergäbe die Habeck-Strategie im Rahmen eines Klima-Clubs, dem neben der EU auch China, die USA und Rohstoffsupermächte wie z.B. Russland (ja!) angehören müssten. Solange unsere Außenministerin aber den chinesischen Präsidenten als “Diktator” beschimpft, dürfte sich die diese Richtung wenig bewegen.

Der Bundesrechnungshof stellt aber die Sinnhaftigkeit dieser Vorreiterstrategie Deutschlands gar nicht infrage. Er kritisiert vielmehr die Umsetzung der Klimastrategie. Kernpunkte:

  • Die Versorgungssicherheit ist gefährdet. Stromspeicher können längere Schwankungen der Erzeugung und Last (Dunkelflaute) nicht ausgleichen. So haben seit der Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke die Stromimporte massiv zugenommen, ironischerweise v.a. aus dem Kernkraftland Frankreich. Der Bundesrechnungshof bewertet dabei die Annahmen der Bundesnetzagentur zur Versorgungssicherheit als “wirklichkeitsfremd”. Dem Monitoring liegt ein einziges “best case-Szenario” zugrunde. Gefahren und Handlungsbedarfe werden so nicht sichtbar, das Monitoring verliert seine Eignung als Frühwarnsystem. Geleitet wird die Bundesnetzagentur von Klaus Müller, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen.
  • Der Ausbau der Erneuerbaren Energien schreitet auch nicht schnell genug voran, Backup-Kapazitäten sind nicht gesichert. Das Gutachten: “Es ist absehbar, dass insbesondere Windenergie an Land nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang ausgebaut wird. Es ist nicht sichergestellt, dass die erforderlichen Backup-Kapazitäten rechtzeitig verfügbar sind; der Netzausbau liegt erheblich hinter der Planung zurück. Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6.000 km”. Das Thema Backup-Kapazitäten wurde in einem anderen Blog-Beitrag vom 7.1.2024 bereits behandelt. Es ist bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung aus dem alten Energieversorgungs-Regime faktisch verabschiedete, ohne einen Ersatz parat zu haben.
  • Die wahren Kosten der Energiewende werden verschleiert. Mittlerweile hat es sich selbst bei den Grünen herumgesprochen, dass die Rechnung Jürgen Trittins aus dem Jahre 2004, die Energiewende würde den Durchschnittshaushalt nicht mehr als eine Kugel Eis im Monat kosten, nicht aufgeht. Dennoch: Mit dem gängigen grünen Narrativ stellt man immer noch auf die geringen Grenzkosten der meisten Erneuerbaren ab. Das ist insoweit richtig, als z.B. eine Kilowattstunde zusätzlich erzeugten Stroms durch Windkraft kaum etwas kostet. Wahr ist allerdings auch: Die Systemkosten der Erneuerbaren sind enorm. Bis zum Jahr 2045 wird allein der Ausbau der Stromnetze 460 Mrd. Euro verschlingen. Das auch wegen des Flatterstroms erforderliche Netzengpassmanagement wird ca. 6,5 Mrd. Euro pro Jahr verschlingen. Zusammen mit der Stromerzeugung fallen bis 2045 voraussichtlich 1,1 Billionen Euro an Kosten an. Das Narrativ von der billigen grünen Energie ist also ein Märchen für Erwachsene. Schon heute sind die Strompreise in Deutschland mit die höchsten weltweit. Die Bundesregierung versucht derzeit, die hohen Energiekosten oder die Umstellung der Unternehmen auf die schöne neue grüne Welt nach Kassenlage und punktuell herunter zu subventionieren. Beispielsweise überreichte Habeck im Januar 2024 einen Scheck über 2,6 Mrd. Euro zur Umstellung der Stahlindustrie im Saarland. Die Subventionitis untergräbt jedoch – so der Bundesrechnungshof – die Transparenz und Steuerungswirkung der Preise. Für energieintensivere Unternehmen (Deutschland war einer der energieintensivsten Wirtschaftsstandorte weltweit) sind die Energiekosten nicht mehr planbar. Viele Unternehmen, zuletzt der Traditionshersteller Miele, verlassen den Standort bzw. reinvestieren nicht mehr.

Die Energiewende aus dem Hause Habeck ist sicher gut gemeint. Leider ist “gut gemeint” das Gegenteil von “gut”.

Die Wut der Bauern

Dirk Löhr

Ein Gespenst geht um in Deutschland – nein, es fährt: Traktor. Letzte Woche machten die Bauern mit Blockaden von Straßen und Autobahnzufahrten bundesweit auf ihre Probleme aufmerksam.  

Vordergründig geht es um die Rückführung von sog. Steuerprivilegien für Landwirte (Besteuerung des Diesels und Erhöhung der Kfz-Steuer). Natürlich, die Bundesregierung muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November 2023 sparen und neue Finanzierungsquellen erschließen. Dabei sollen aber der Gruppe der Landwirte überproportionale Beiträge aufgebürdet werden. Politisch ist dies verständlich – Bauern können kaum mit Abwanderung drohen. Zudem gehören sie nicht zur Kernwählerschaft der Ampel-Parteien.

Für die Beibehaltung der Privilegien wurden Seitens der Interessensvertretung der Landwirte viele Argumente angeführt, gegen die sich jedoch allesamt Einwendungen finden lassen. Beispiele: Die Landwirte befahren mit ihren Traktoren kaum öffentliche Straßen, was die Kfz-Besteuerung in Frage stellt. Hiergegen lässt sich freilich formal einwenden, dass das Prinzip Leistung-Gegenleistung der Besteuerung fremd ist (§ 3 Abs. 1 Abgabenordnung). Mit Blick auf die Privilegierung des Agrardiesels wird auf das (europäische) Ausland verwiesen. . Faktisch ist der deutsche Agrardiesel im europäischen Vergleich schon jetzt – trotz Subvention – einer der teuersten. Bei Abschaffung des Dieselprivilegs läge der Wettbewerbsnachteil gegenüber dem EU-Ausland auf der Hand. Viele Betriebe könnten bei einer Rücknahme des Privilegs leicht mit mehreren tausend bis zehntausend Euro getroffen werden können – Grenzbetriebe können das oft nicht aushalten. Hiergegen wird wiederum eingewandt, dass die Abschaffung des Diesel-Privilegs schon seit vielen Jahren in der Diskussion ist und sich die Bauern auf eine Abschaffung hätten einstellen können (so Prof. Lars Feld). Das Gegenargument: Brauchbare E-Traktoren sind nun mal nicht verfügbar.

Es geht den Bauern jedoch nicht nur um die Rücknahme der Subventionen – vielmehr besteht eine hohe Unzufriedenheit mit den allgemeinen Rahmenbedingungen. Mehr noch: Es geht um ein Demokratiedefizit.

Dennoch: Auch die wirtschaftliche Lage der Landwirte ist problematisch, wenn nicht dramatisch. Dies betrifft nicht nur die Besteuerung, sondern z.B. die Bürokratie, nicht zuletzt in Gestalt von naturschutzrechtlichen Auflagen. Bürokratiebefolgungskosten sind faktisch erhöhte Fixkosten, die regelmäßig (nicht nur in der Landwirtschaft) von größeren Betrieben leichter zu tragen sind als von kleineren.

Ein wichtiger Aspekt wurde bei der Diskussion über die Abschaffung der Subventionen kaum vorgebracht. Ca. 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen sind gepachtet. Die Eigentümer der Flächen sind teilweise ehemalige Landwirte, die ihren Betrieb aufgegeben haben – aber auch Nicht-Landwirte (darunter auch Investmentsfonds) dürften eine Rolle spielen. So kontrollieren Unternehmensgruppen 11 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen. Dies führt z.T. zu einer „ungesunden Bodenverteilung“, die eigentlich u.a. durch das Grundstücksverkehrsgesetz verhindert werden sollte. Der Osten Deutschlands dürfte hier stärker als der Westen betroffen sein. Wie ungesund jedoch diese Bodenverteilung genau ist, kann niemand genau sagen – der deutsche Grundstücksmarkt ist auch im landwirtschaftlichen Segment sehr intransparent.

Egal ob Unternehmen oder ehemalige Landwirte: Die Grundstückseigentümer haben faktisch eine wirtschaftliche Machtposition inne. Bis zu 40 Prozent ihrer Einnahmen beziehen Landwirtschaftsbetriebe aus Subventionen. Ein hoher Teil hiervon wird als Flächenprämie bezahlt (im Rahmen der Direktzahlungen). Ca. die Hälfte der Agrarsubventionen wird in Gestalt erhöhter Pachten abgeschöpft. Dies bedeutet:

  • Von höheren Subventionen profitieren zu einem erheblichen Teil die Grundeigentümer, nicht die das Land bewirtschaftenden Bauern. Ein hoher Teil der Subventionen landet also nicht bei der Zielgruppe. Dass es nicht noch mehr als oben beschrieben sind, dürfte an Unvollkommenheiten des Pachtmarktes liegen. V.a. die Flächenprämien stützen insoweit die Bodenrenten und könnten zugunsten leistungsbezogener Zahlungen an die Bauern (Landschaftspflege, Umweltschutz) zurückgeführt werden.
  • Umgekehrt würde – längerfristig – eine Rücknahme der Subventionen zum entsprechenden Teil zu einer Reduktion der Pachtzahlungen führen. Kurz- und mittelfristig wäre bei einer Rücknahme der Subventionen allerdings mit erheblichen Anpassungsschwierigkeiten bei den bewirtschaftenden Betrieben zu rechnen.
  • Von den Subventionen profitieren die Bauern also nur insoweit vollständig, als sie zugleich Grundeigentümer sind.

Hier könnte die Landwirtschaftspolitik reagieren, indem sie den Versuch unternimmt, den Anteil der Pachtbauern zu verringern und dafür die Eigentumsquote zu erhöhen. Der Weg dahin ist allerdings steinig, da die Verpächter nicht einfach enteignet werden können (Art. 14 GG). Zudem bleiben klassische Probleme bestehen, wie beispielsweise die Verkleinerung der Betriebe aufgrund von Erbteilungen etc. – was vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Agrarpolitik die Überlebenschancen der verkleinerten Betriebe nicht erhöhen würde.

Die Alternative wäre mehr öffentliches Bodeneigentum, das an die Bauern zu tragbaren Pachtkonditionen abgegeben werden könnte. Hierzu wäre das im Reichssiedlungsgesetz enthaltene Vorkaufsrecht zu stärken. Die Verwaltung der Pachtgrundstücke könnte im Auftrag über gemeinnützige Siedlungsunternehmen ausgeübt werden, damit die staatliche Bürokratie möglichst aus dem Spiel genommen wird. Der Haken: Es dürften schnell Bedenken mit Blick auf Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) und auch Europarecht (Kapitalverkehrsfreiheit) aufkommen.

Der leichter durchführbare, aber auch teurere Weg wäre ein verstärkter Aufkauf von Flächen durch die öffentliche Hand auf dem freien Markt – bei Vergabe der Auftragsverwaltung bei wirtschaftlich tragfähigen Pachtzinsen durch gemeinnützige Siedlungsunternehmen.   

Die Bauern werden jedoch auch noch absatzseitig in die Zange genommen. Die Big Four – Aldi, Netto, Edeka und die Schwarz-Gruppe – zahlen oftmals keine fairen Preise. Die Vorgabe von Mindestpreisen, wie es von der Linkspartei vorgeschlagen wird, ist aber mit Skepsis zu beurteilen.

Auch das Wettbewerbsrecht stößt schnell an seine Grenzen; möglicherweise ist der intensive Wettbewerb zwischen den Supermarktketten ja ein Teil des Problems. Andererseits ist es eben auch richtig, dass die Marktmacht der Big Four mit einem Marktanteil von zusammen 76 Prozent gegenüber den Bauern zu groß ist. Hier bietet sich eigentlich nur der Ausweg an, dass die Bauern mit Gegenmacht reagieren, indem sie ihre eigenen Vertriebsstrukturen stärken und eine Gegenmacht bilden. Doch auch dem sind derzeit aufgrund des Kartellrechts (unerlaubte Preisabsprachen) enge Grenzen gesetzt. Es stellt sich die Frage, ob eine Lockerung an dieser Stelle nicht angemessen wäre – schließlich hat Deutschland ja, verglichen mit den Nachbarländern, ein sehr niedriges Preisniveau bei den Lebensmitteln. Die Deutschen geben mit 11,5 Prozent am verfügbaren Einkommen weniger als die anderen Europäer für Nahrung aus (Frankreich: 13,3 Prozent, Italien: 14,4 Prozent, Polen: ca. 19 Prozent).

Die politische Gemengelage wurde vorliegend gar nicht adressiert.

Es bleibt festzuhalten: Wege sind zu ersinnen, wie die Bauern aus der Zange zwischen den Supermärkten (Nachfrageseite) und den Pachtaufwendungen genommen werden können. Dies wird nicht ohne das Schlachten einiger liebgewonnener heiligen Kühe möglich sein.

Liebe Leser: Haben Sie Vorschläge?

Habeck guckt ins Loch: Wieder fehlen 60 Mrd. Euro!

Dirk Löhr

Die Energiewende, so der ehemalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin im Jahre 2004, werde den Durchschnittshaushalt umgerechnet nicht mehr als eine Kugel Eis im Monat kosten. Damals waren dies 50 Cent.

Die Hoffnung der Protagonisten war, dass viele Erneuerbare Energien (EE) mit geringen Grenzkosten arbeiten. Eine zusätzliche Kilowattstunde, die von einem Windkraftwerk erzeugt wird, kostet fast nichts. Ähnliches gilt für Solarstrom.

Das ist allerdings bestenfalls die halbe Wahrheit. EE-Strom hat eine ganz andere Qualität als der Strom aus grundlastfähiger Erzeugung (Kernkraftwerke, Steinkohlekraftwerke). Manchmal weht der Wind, manchmal scheint die Sonne, manchmal nicht. Im Gegensatz zum Grundlaststrom handelt es sich also um Flatterstrom. Das Gegenargument: Über ein intelligentes Management könnte die Stromnachfrage dem volatilen Angebot an EE-Strom angepasst werden. Beispielsweise könnten Smart Grids feststellen, wann das Angebot hoch ist – dann könnten Kühlschränke und Waschmaschinen laufen oder E-Autos betankt werden. Diese Geräte könnten zudem als Stromspeicher dienen und in Zeiten der Angebotsschwäche Strom ins Netz geben. Bis dorthin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Die betreffende Technik steht nicht zu leistbaren Preisen und flächendeckend zur Verfügung. U.a. ist Lithium knapp. Das Rennen um die bolivianischen Lithiumvorkommen machten Russland und China , die Herrschaft über die Vorkommen in der Ukraine ist angesichts der prekären Lage der ukrainischen Armee ungewiss. Das wichtigere Argument, u.a. von Hans-Werner Sinn immer wieder hervorgebracht ist jedoch, dass weniger die kurzfristigen Angebotsschwankungen Sorge bereiten, sondern die langfristigen, saisonalen. Im Winter kann es Wochen und Monaten der Dunkelflaute geben, Phasen also, in denen weder der Wind weht noch die Sonne scheint. Die Abfederung einer solchen Dunkelflaute über Kohlekraftwerke führte dazu, dass im Oktober und November 2023 die deutsche Stromproduktion eine der dreckigsten in ganz Europa war.

Eine Anpassung der Nachfrage an das schwankende Angebot ist derzeit in umweltverträglicher Weise faktisch nicht machbar. Hier bedürfte es immenser Speicherkapazitäten. Mit der derzeitigen Speicherkapazität könnte ganz Deutschland allerdings gerade einmal eine Stunde lang mit Strom versorgt werden. Technisch denkbare Alternativen sind derzeit ökonomisch nicht tragfähig.

An dieser Stelle geht es nicht ohne mit Gas arbeitenden Backup-Kraftwerke, welche in die Lücke springen müssen. Gaskraftwerke sind klimafreundlicher als Kohlekraftwerke; ggfs. lassen sich sich auch später auf Wasserstoff umrüsten (was auf absehbare Zeit jedoch ebenfalls noch unwirtschaftlich ist). An dieser Stelle könnte viel über die unsinnige Sanktionspolitik gegenüber Russland und andere fehlgeleitete Bereiche der Energiepolitik geredet werden. U.a. wird US-amerikanisches Frackinggas zu enormen Preisen hierzulande verwendet, ohne dass eine Einflussnahme auf die Art und Weise der Förderung besteht (während hierzulande Fracking aus Gründen des Umweltschutzes verboten ist). Das Thema der abgeschalteten AKWs und der hier zurückgenommenen Forschungsförderung kann vorliegend nicht ausgewalzt werden.

Interessant ist nun, dass derzeit der Bedarf an neuen fossilen Backup-Kraftwerken (Gas) bis 2030 auf rd. 50 Stück eingeschätzt wird. Angesichts der erratischen Energiepolitik ist es jedoch kaum wahrscheinlich, dass private Investoren diese Lücke ohne entsprechende Subventionszusagen füllen werden. Eine Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Uni Köln (EWI) für das Handelsblatt zeigt, dass „für den Neubau von Kraftwerken in Deutschland rechnerische Deckungsbeiträge in Höhe von rund 60 Milliarden Euro fehlen“ (so EWI-Experte Philipp Kienscherf).

Neben das durch das Karlsruher Urteil erzeugte 60 Mrd. Euro-Loch tritt nun, schön symmetrisch, also noch ein zweites 60 Mrd. Euro-Loch hinzu. Dies stellt auch den Kohleausstieg bis 2030 noch stärker als bisher infrage. Heute kostet eine Kugel Eis ca. 1,60 Euro. Jeder der ca. 41 Mio. Haushalte Deutschlands müsste bis 2030 monatlich ca. 13 Eiskugeln konsumieren, um allein auf diesen Teilbetrag der Kosten der Energiewende zu kommen.  Wenigstens hält Habecks Politik die Bürger schlank.

Es sind jedoch nicht nur die zeitlichen, sondern auch die regionalen Spitzen, die ausgeglichen werden müssen. Angesichts eines für die Energiewende unzureichend ausgebauten Netzes muss an Engpässen gegebenenfalls auf- und abgeregelt werden. Die vor dem Engpass stillgelegten Kraftwerke bekommen jedoch eine Entschädigung für den Ausfall, und die hinter dem Engpass hochgeregelten Kraftwerke erhalten ebenfalls eine Kompensation für das bloße Stand-by. Allein diese Redispatch-Maßnahmen verschlingen pro Jahr fast drei Mrd. Euro. Ein Marktdesign, das über unterschiedliche Preiszonen (Market Splitting, Nodal Pricing) Anreize für einen “automatischen” Ausgleich gibt und den Subventionsbedarf reduziert, ist derzeit noch nicht in Sicht.

Dies alles beschreibt indessen noch nicht den gesamten Finanzbedarf. Der durch den EE-Flatterstrom notwendige Netzausbau und die erforderliche Netzverstärkung kostet ebenfalls Geld. Dies wird allerdings auf die Netzentgelte umgelegt.

Insgesamt dürfte die Energiewende – wenn sie denn bis 2045 gelingen soll – ungefähr 1,1 Billionen Euro kosten. Dies sind insgesamt ca. 16.700 Kugeln Eis pro Haushalt – oder, gleichmäßig verteilt auf die 252 Monate bis 2045 ca. 66 Eiskugeln zu 1,60 Euro pro Haushalt und Monat.

All die genannten Kosten (Netzausbau und -verstärkung, Reservekraftwerke, Redispatch, Speicher) müssten in einem marktwirtschaftlich funktionierenden System eigentlich dem Verursacher angelastet werden – dies sind die Erneuerbaren Energien. Entgegen dem Märchen von den billigen EE würden diese damit aber aus dem Markt geworfen; sie könnten kostenmäßig nicht mehr konkurrieren. Also werden sie subventioniert. Der bessere Weg, um die relativen Preise zwischen EE und fossilen Energieträgern zu beeinflussen, wäre eine Verteuerung der fossilen Energieträger über ein entsprechend ausgebautes Emissionshandelssystem. Dieses müsste allerdings über ein entsprechendes Klimageld sozial abgefedert werden, wofür nach dem Karlsruher Urteil vom November 2023 jedoch das Geld fehlt. Die Frage, was anstelle des Klimageldes gestrichen bzw. aufgeschoben werden könnte, kann mangels Raum vorliegend nicht behandelt werden. Es ließe sich jedoch auch über Subventionen diskutieren, wenn diese in ihrer Belastungswirkung transparent wären. Tatsächlich findet aber ein intransparentes Subventionsgeflecht statt, das einmal auf Kosten des Staatshaushalts, dann wieder zu Lasten der Verbraucher (mit Unterschieden) geht und z.B. über die Erhöhung der Netzentgelte auch andere Energieträger mittelbar mitbelastet. Von „Kostenwahrheit“ der Klimawende kann somit keine Rede sein. Die Politik des Bundeswirtschaftsministeriums ist chaotisch wie intransparent, eine Planwirtschaft ohne Plan.

Das 60 Mrd. Euro-Loch kommt für das Bundeswirtschaftsministerium genauso überraschend wie der Winter für die Deutsche Bahn AG. Eine erneute Haushaltsnotlage auszurufen, um das Loch an der Schuldenbremse vorbei doch noch zu stopfen, dürfte Karlsruhe nicht mitmachen. Die betreffenden Notlagen beschränken sich auf solche aus externen Einflüssen wie Naturkatastrophen, nicht aber auf intellektuelle Notlagen aufgrund mangelhafter Planung und schlechter Politikkonzeptionen.

Deutschland hat eine der energieintensivsten Wirtschaften auf der ganzen Welt. Ein großer Teil der energieintensiven Wirtschaft hält sich angesichts der derzeitigen Politik und der von ihr gesetzten Rahmenbedingungen mit Ersatzinvestitionen zurück und verlagert Neuinvestitionen in andere Teile der Welt.

Ohne eine leistungsfähige Wirtschaft wird Deutschland auch politisch bedeutungslos. Dennoch wird Deutschland mit seiner Energiepolitik ein Vorbild sein – es zeigt, wie man es auf keinen Fall machen sollte.

Christian Rieck über die EU-Gebäuderichtlinie

Dirk Löhr

Explodierende Baukosten, gestiegene Zinsen, Fachkräftemangel – und dann auch noch die ambitionierten Energiestandards: Gebäudeinvestoren werden erdrosselt, die im Koalitionsvertrag angestrebten 400.000 Neubauwohnungen rücken in weite Ferne. Dies haben auch Kanzler Scholz, Bundesbauministerin Geywitz und auch Wirtschaftsminister Habeck erkannt. In ihrem 14-Punkte-Plan rudern sie von dem einst ambitionierten Vorhaben des Energiestandards EH 40 zurück bzw. legen diesen einstweilen auf Eis. Gut so. Noch besser: Der eigentliche Hammer, die EU-Gebäuderichtlinie, stößt mittlerweile in der Bundesregierung auf Ablehnung. Noch besser. Was nämlich drohen könnte, wenn die EU-Kommission ihr Vorhaben durchsetzt, beschreibt eindringlich Christian Rieck in einem sehenswerten Youtube-Beitrag: https://www.youtube.com/watch?v=nTNzYpr-jTo

Teilenteignung durch EU-Gebäuderichtlinie: Wenn der Wahnsinn zur Methode wird

Dirk Löhr

Man kann sich ja darüber streiten, ob eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz Seitens Deutschlands und/oder der EU klug ist – oder ob wir am Ende nicht damit der Welt demonstrieren, wie Klimaschutz besser nicht gemacht werden soll. Tatsache ist, dass der Bürger ziemlich gefordert wird.

Zuerst das umstrittene, aber am Ende entschärfte Gebäudeenergiegesetz, das am Freitag von Bundestag verabschiedet wurde. Dann bald die Überführung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) in ein eigens für Gebäude und Verkehr neu geschaffenes Segment des Europäischen Emissionshandels (EU ETS 2). Die größte Sau wurde indessen noch nicht medial durch’s Dorf gejagt, wenngleich die ersten Medien schon vor dem drohende Unwetter warnen: Brüssel arbeitet an einer neuen EU-Richtlinie zur Verbesserung der Gebäudeenergieeffizienz (nachfolgend: „Gebäuderichtlinie“). Die Richtlinie ist Teil des EU-Klimapaketes „Fit for 55“. Hiermit sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 gesenkt werden. In technischer Hinsicht wurden Regeln zur Einordnung der verschiedenen Gebäude in Effizienzklassen geschaffen. Im Sinne des Erfinders sollen diese zwar einheitlich sein – allein, dem saarländischen Schornsteinfegermeister fehlt der Glaube daran, wenn er über die französische Grenze blickt. Die Energieeffizienzklassen reichen von A+ bis G. In Deutschland befinden sich derzeit 42% der Wohnimmobilien in den schlechtesten Energieeffizienzklassen E bis H. Bis 2030 sollen allerdings alle Wohngebäude mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 zumindest die Energieklasse D erfüllen. Hierzu müssen die Eigentümer einen Plan vorlegen und entsprechende Sanierungsmaßnahmen ergreifen.

Eine überschlägige Berechnung (dargestellt in Anhang 1) ergibt, dass die Sanierungsaufwendungen für die betroffenen 42% der Wohngebäude ungefähr genauso hoch sind wie deren gegenwärtiger Wert – etwa 2 Billionen Euro. Dabei sind Nicht-Wohngebäude, die ja ebenfalls noch saniert werden müssen (wenn auch in geringerem Tempo – der Staat nimmt die Anforderungen für sich selbst herunter!) nicht eingerechnet.

Pessimisten würden hier von einem wirtschaftlichen Totalschaden für die betroffenen Eigentümer sprechen; die Befürworter der energetischen Sanierung setzen entgegen, dass die Energierechnung geringer ausfallen wird. Dies würde dazu führen, dass der Gebäudewert erhalten bleibt. Schließlich könne ein Vermieter aufgrund der geringeren Mietnebenkosten ja eine entsprechend höhere Kaltmiete einfordern; für selbstgenutztes Wohneigentum gelten ähnliche Überlegungen hinsichtlich der kalkulatorischen Mieten. Wer hat nun Recht?

Wir wollen einmal davon absehen, dass angesichts der Marktverhältnisse in peripheren Regionen die Durchsetzung höherer Mieten infolge geringerer Nebenkosten allenfalls nur teilweise möglich ist. In der in Anhang 2 dargestellten Überschlagsrechnung unterstellen wir jedoch kontrafaktisch die volle Durchsetzbarkeit. Die Berechnung ergibt dennoch, dass dann nur die Hälfte der Sanierungsinvestitionen i.H.v. 2 Billionen Euro werthaltig sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Wert von 42% der Wohnimmobilien halbiert wird.

Eine bessere Wahlkampfhilfe für die hiesige AfD könnte sich die Brüsseler Blase nicht einfallen lassen. Die Gesellschaft würde noch mehr gespalten, als sie es ohnehin schon ist. Betroffen sind nicht zuletzt ältere Menschen, die kaum mehr an einen Kredit kommen. Und betroffen sind v.a. die peripheren Regionen. Arm und Reich, Jung und Alt, Land und Stadt würden aufeinander losgehen, wenn die Pläne aus Brüssel Realität würden. Die Eigentümer der ärmeren Gebäude werden allerdings eine solche de facto-Teilenteignung nicht unwidersprochen hinnehmen. Die Mieter werden die Mieterhöhungen, die eigentlich erforderlich sind, nicht aufbringen können. Die Gebäuderichtlinie ist, wie sie derzeit angelegt ist, nicht nur unintelligent, sondern auch gesellschaftspolitisch gefährlich.

Der klügere Weg wäre, das immer noch überkomplexe deutsche Gebäudeenergiegesetz und auch die Gebäuderichtlinie einzustampfen bzw. gar nicht erst in die Welt zu setzen. Stattdessen sollte der CO2-Handel des EU ETS 2 in die Rolle des Leitinstruments gesetzt werden. Der CO2-Handel hat den Vorteil, dass er es den Gebäudeeigentümern überlässt, wie hoch die Sanierungsaufwendungen ausfallen sollen – oder ob es angesichts der kurzen Restnutzungsdauer eines Gebäudes nicht sinnvoller ist, das Meiste beim Alten zu belassen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass das Verbrennen von Geld auch mit einem aus ökologischer Sicht ineffizienten Ressourcenverbrauch einher geht. Und: Im Gegensatz zu den wenig kontrollierbaren Konsequenzen des geplanten Bürokratie-Kuddelmuddels steht der maximal mögliche Emissionsausstoß fest – höchste ökologische Zielgenauigkeit.

Bei der Weiterentwicklung des Emissionshandel sollte das EU ETS 2 mit dem EU ETS 1 verschnitten werden. Die bottom up-Regel des EU ETS 2, dass die Emissionen bereits mit einem Zertifikat belegt werden, wenn sie in den Verkehr gebracht werden, sollte verallgemeinert werden. Dann könnten beispielsweise auch Baustoffe miterfasst werden. Die Zertifikate sollten generell verkauft (wie für das EU ETS 2 vorgesehen), und nicht verschenkt werden. Die Erlöse sollten an die Bürger zu gleichen Teilen zurück verteilt werden; alle Bürger sind zu gleichen Teilen Berechtigte an der Atmosphäre. Da Einkommensschwächere einen geringeren CO2-Fußabdruck als „Reiche“ haben, wäre dies ein wesentlicher Beitrag zur sozialen Kompensation und auch zur Klimagerechtigkeit (s. auch: Blogbeitrag “Klimagerechtigkeit und Klimageld: Keine halben Sachen!“). Der gegenwärtige Transformations- und Klimafonds, aus dem alle möglichen öffentlichen Aufgaben finanziert werden, ist insoweit eine Fehlkonstruktion. Hoffnung macht Bundesbauministerin Geywitz, die das Problem offenbar erkannt hat und sich bezüglich der EU-Gebäuderichtlinie quer stellt.

Anhang 1: Überschlägige Berechnung der Sanierungskosten für die betroffenen Wohnimmobilien

Die Wohngebäude (ohne Grund und Boden) dürften in Deutschland in etwa 7 Billionen Euro wert sein. 42% hier von wären ca. 3 Billionen Euro; allerdings handelt es sich bei den Gebäuden der Energieklasse E bis H zumeist um unterdurchschnittlich werthaltige, oft in ländlichen Regionen belegene Gebäude. Geben wir den betreffenden Gebäuden also einen überschlägigen Wert von vielleicht 2 Billionen Euro. Nun gehen wir von einer (überdurchschnittlichen) Wohnfläche von ca. 160 qm (auf dem Land wird großzügiger gebaut, da die Bodenpreise geringer sind) und von konservativ angesetzten Sanierungskosten von 1.000 Euro/qm aus (1.500 Euro/qm dürften realistischer sein). Die gesamte Wohnfläche beträgt in Deutschland 3,87 Milliarden Quadratmeter. Weil aber die durchschnittliche Wohnfläche auf dem Land eben größer als in der Stadt ist, muss diese grob adjustiert werden. Hierfür nehmen näherungsweise einmal den Faktor 160/130, angelehnt an die Flächenrelation Land-Durchschnitt bei Einfamilienhäusern. Die Multiplikation der Sanierungskosten von 1.000 Euro/qm mit 42% von 3,87 Milliarden Quadratmetern, gewichtet mit dem o.a. Anpassungsfaktor ergibt ziemlich genau 2 Billionen Euro, also den gegenwärtigen Wert der betreffenden Immobilien.

Anhang 2: Werthaltigkeit der Sanierungsinvestitionen für die betroffenen Wohnimmobilien

Nehmen wir an, dass durch den Übergang von Energieklasse H zu D ungefähr 36 Euro/qm Energie gespart werden können. Es werden wieder Sanierungskosten von ca. 1.000 Euro/qm hierfür zugrunde gelegt. Um sauber zu rechnen, müssen die Ersparnisse an Energiekosten abgezinst werden. Hierfür legen wir 3,5% zugrunde – ein Wert, der sich an den Liegenschaftszinssätzen in eher peripheren Regionen orientiert. Es muss beachtet werden, dass gerade auch in ländlichen Regionen die meisten schlecht sanierten Immobilien schon viele Jahre auf dem Buckel haben. Gehen wir von durchschnittlichen 80 Jahren wirtschaftlicher Gesamtnutzungsdauer und 20 Jahren Restnutzungsdauer aus, so beträgt nach 20 Jahren (dem Ende der wirtschaftlichen Nutzungsdauer) der Kapitalwert der Investitionsmaßnahmen ca. -500 Euro /qm. Für die gesamten 42% betroffenen Wohngebäude bedeutet dies einen negativen Kapitalwert von einer Billionen Euro.  

Klimagerechtigkeit und Klimageld: Keine halben Sachen!

Dirk Löhr

Zur Begrenzung der CO2-Emissionen soll der CO2-Handel perspektivisch ausgeweitet werden. Das Brennstoffhandelsgesetz soll in ein weiteres Handelssegment überführt werden, dass auch die Bereiche Verkehr und Wärme (Gebäude) enthält (sog. EU ETS 2). Im Gegensatz zum schon bestehenden Emissionshandel (EU ETS 1) handelt es sich hierbei um ein „bottom up-System“ – d.h. die potentielle Emission muss schon dann mit einem Zertifikat unterlegt werden, wenn der Kohlenstoff in den Verkehr gebracht wird. Hierdurch ist das EU ETS 2 zugleich weitgreifender und (hoffentlich) unbürokratischer als das EU ETS 1. Baustoffe u.ä. werden allerdings noch nicht vom EU ETS 2 umfasst.

Der Sinn solcher ökonomischen Instrumente des Umweltschutzes ist letztlich die relative Verteuerung umweltschädlicher Produkte (mit hohen CO2-Emissionen). Der Konsument als letztlicher Verursacher soll belastet werden.

Was allokativ sinnvoll ist, kann sich allerdings zu einem verteilungspolitischen Problem auswachsen: Einkommensschwache Haushalte haben typischerweise eine deutliche höhere Konsumquote (Anteil des Konsums am Haushaltseinkommen) als einkommensstarke und werden daher von den betreffenden Regelungen besonders stark getroffen.

Zur sozialen Kompensation hat sich daher die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag auf ein sog. Klimageld verständigt. Im Kabinett ist v.a. Bundeswirtschafts- und Klimaminister Habeck der Anwalt dieses Vorhabens. Beim Klimageld geht es um eine Rückverteilung der Einnahmen, die durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten und der Verteuerung fossiler Energien durch anderweitige Abgaben der öffentlichen Hand zufließen („atmosphärische Renten“). Die Rückverteilung soll pro Kopf in gleichen Teilen zufließen. Dies lässt sich mit dem Gedanken der „Klimagerechtigkeit“ begründen, denn jedem Bürger steht ein gleicher Anteil an der Atmosphäre zu. Würden die gesamten Einnahmen aus der CO2-Bepreisung wieder an die Bürger in gleichen Teilen zurück verteilt, ergäben sich folgende Effekte:

  • Nimmt ein Bürger mehr “atmosphärische Lagerfläche” als der Durchschnitt seiner Landsleute in Anspruch, zahlt er über die Produktpreise mehr Umweltabgaben als diese, bekommt aber nur ein durchschnittliches Aufkommen zurück. Per Saldo zahlt er drauf.
  • Liegt ein Bürger mit seinem CO2-Ausstoß im Durchschnitt, zahlt er so viel an den Staat, wie er wieder zurückbekommt.
  • Ist der Umweltverbrauch eines Bürgers geringer als der Durchschnitt, bekommt er mehr zurück, als er an Umweltabgaben gezahlt hat. Er profitiert.

Würden die gesamten Einnahmen aus der „künstlichen“ Verteuerung der Nutzung fossiler Energieträger an die Bürger in gleichen Teilen zurückgegeben, wäre die durchschnittliche Nutzung der Atmosphäre durch CO2-Einlagerungen frei. Einen positiven Zahlungssaldo haben aufgrund ihres höheren CO2-Fußabdrucks tendenziell einkommensschwächere Haushalte, einen negativen Zahlungssaldo eher einkommensstarke.

Die gesamthafte Rückverteilung der Einnahmen würde die einkommensneutrale durchschnittliche Nutzung der Atmosphäre auch dann absichern, wenn sich die Zertifikate im Zuge einer strengeren CO2-Kappung verteuern. Denn dann steigt auch die Ausschüttung an die Bürger. Die Akzeptanz einer rigideren Klimapolitik durch die Bürger würde erhöht, was für die demokratische Durchsetzung von immenser Bedeutung ist. Zumindest die älteren Grünen-Mitglieder dürften den Magdeburger Parteitag nicht vergessen haben, auf dem eine Verteuerung des Liter Benzins auf 5 DM gefordert wurde. Während die Umweltwissenschaftler Beifall zollten, watschte der Wähler die Grünen in den darauffolgenden Landtagswahlen ab.

Bei aller Sinnhaftigkeit der Rückverteilungsidee gibt es jedoch auch Einwendungen. Diese beziehen sich zunächst darauf, dass eine Politik der CO2-Einsparung auf nationalem, sogar europäischem Niveau nur beschränkt sinnvoll sein kann (Sinn 2022). Dieser Einwand bezieht sich jedoch auf die Sinnhaftigkeit einer nationalen Vorreiterrolle und hat nicht direkt etwas mit dem Rückverteilungsgedanken zu tun, der auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene zur Anwendung gelangen kann.

Ein technischer Einwand ist, dass eine Rückverteilung an die Bürger derzeit gar nicht möglich ist, weil der Staat die betreffenden Daten der Bürger nicht kennt – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit für einen sich als „entwickelt“ verstehenden Staat. Ein Weg, mit diesem Problem umzugehen wäre die Aufforderung, dass sich jeder Bürger, der das Geld in Anspruch nehmen will, mit seinem Ausweis online registrieren soll. Es bestehen auch andere Wege – das Problem ist also lösbar.

Die größte Herausforderung ist aber, dass ein Euro auch durch den Staat nur einmal ausgegeben werden kann. Nach derzeitigem Stand sollen eben nicht die gesamten Einnahmen an die Bürger zurückgegeben werden, wie in den obigen Überlegungen postuliert. Tatsächlich fließen die atmosphärischen Renten in den Klima- und Transformationsfonds (KMTF), aus dem neben der Rückverteilung auch und vor allem andere Dinge finanziert werden sollen. Mit anderen Worten wird die Grundidee der gleichen Partizipation an den atmosphärischen Renten nur teilweise verwirklicht – ein beträchtlicher Teil der Einnahmen finanziert stattdessen originär staatliche Aufgaben. Damit wird aber die Idee der Rückverteilung der atmosphärischen Renten an die Bürger korrumpiert. Diese beruht auf dem gleichen Recht aller Bürger an der Atmosphäre – der Staat als “Mitesser” ist in der Gleichung nicht vorgesehen.

Es muss daher gefragt werden,

a. ob die weiteren Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds überhaupt notwendig wären, wenn die Grundidee des CO2-Handels als Leitinstrument und der vollständigen Rückverteilung der Einnahmen konsequent durchgezogen würde. Für das das Bedarfsfeld Wohnen würde dies in überschlägiger Rechnung bedeuten: Derzeit werden hier ca. 200 Mio t CO2 pro Jahr emittiert. Die CO2-Bepreisung ist derzeit noch viel zu tief, um die gewünschte Lenkungswirkung zu entfalten. Hier müsste man eher auf ein Niveau von ca. 100 €/t CO2 und später höher gehen. Dies würde zunächst pro Kopf der Bevölkerung einer Belastung von mindestens 240 € pro Jahr entsprechen, die auch bei einer konsequenten Durchsetzung des o.a. Regimes wieder zurück verteilt würde. Für eine dreiköpfige Familie wären dies mindestens 720 Euro/Jahr. Setzen wird einmal 35% staatliche Förderung bei der Umstellung auf eine Erdwärmepumpe mit Anschaffungskosten von 20.000 Euro dagegen, ergibt sich einmalig ein aus dem KMTF ausgezahlter Förderbetrag von 7.000 Euro. Sofern keine weiteren Arbeiten auszuführen sind (Austausch von Heizkörpern etc.), wäre dieser Förderbetrag nach 10 Jahren Rückverteilung auch erreicht. Rechnet man noch die energetischen Ersparnisse gegenüber der alten Technologie für den Haushalt ein, verkürzt sich die betreffende Zeitspanne entsprechend. Am Ende stünde der Transformationshaushalt auf der Gewinnerseite des Rückverteilungsregimes. Im Übrigen könnte die Wahl der Technologie vollkommen den Haushalten überlassen und auf einen abschließend formulierten Förderkatalog verzichtet werden – dies wäre ein Beitrag zur Technologieoffenheit. Auch die EU-Gebäuderichtlinie wäre überflüssig – ein weiterer “sozialer Hammer”, der in seiner Tragweite noch gar nicht medial aufgegriffen wurde. Würden die Auszahlungen an die Bürger verlässlich (aus einem Parafiskus ohne Zugriffsmöglichkeit der Politik) ausgestaltet, wäre sogar denkbar, dass die künftigen Einnahmen aus dem Klimageld bei einem Einbau auf Kredit der Bank abgetreten würden (zus. zu einer Kreditversicherung).

b. Genauso wenig ist einzusehen, dass originäre Aufgaben der öffentlichen Hand aus dem KMTF finanziert werden, wenn die Idee der Klimagerechtigkeit ernst genommen wird. Ein Beispiel ist die Infrastruktur der Deutschen Bahn AG (DB AG). Die DB AG ist derzeit defizitär, qualitativ untragbar und für den Nutzer sehr teuer (zumindest im Fernverkehr). Ein Beispiel dafür, dass eine Bahn hochprofitabel, qualitativ hervorragend und gleichzeitig preiswert sein kann, ist die Mass Transit Railways in Hong Kong, die auf einer einzelwirtschaftlichen Anwendung des Henry George-Prinzips basiert. Ich habe an verschiedenen Stellen hierüber berichtet.

Bei aller Kritik weist die Idee des Klimageldes aber in die richtige Richtung. Es ist Robert Habeck zu wünschen, dass er sich in diesem Punkt durchsetzen kann – zumal die Idee auch im wohlverstandenen Interesse seiner Koalitionspartner ist.

Titelfoto: Wikimedia Commons | Ersteller und Urheberrecht: Stephan Roehl | CC BY SA 4.0

Niger: Opfer des Ressourcenfluchs

Dirk Löhr

Im Juli hatten die Militärs im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Bazoum gestürzt. Der westafrikanische Staatenbund ECOWAS verhängte daraufhin am 30. Juli Sanktionen gegen den Niger und setzte dem neuen Regime eine Frist, um den Präsidenten binnen einer Woche wieder einzusetzen – ansonsten erwäge man eine Militärintervention. Die Frist verstrich einstweilen folgenlos. Letzteres wohl auch deshalb, weil das Putschistenregime Beistand von den ebenfalls durch Militärs geführte Nachbarländern Mali und Burkina Faso bekam. Zwar zählt das Militär in Niger nur wenige tausend Soldaten. Wegen der offenbar vorhandenen Unterstützung der neuen Machthaber durch die besagten Nachbarländer und auch weiter Teile der Bevölkerung ist aber abzusehen, dass in Westafrika bei einem Einmarsch ein Flächenbrand entstehen könnte.

Zumal die ECOWAS vom demokratischen und westlich orientierten Nigeria angeführt wird, zeichnet man auch hierzulande gerne das Bild eines Kampfes der Demokratie gegen den Totalitarismus . Die Hintergründe werden selten dargestellt (Negativbeispiel ZDF). Die ECOWAS-Staaten – wie auch Niger vor dem Putsch – sind westlich orientiert. Mali und Burkina Faso haben sich mittlerweile Russland zugewandt. Vieles spricht dafür, dass der Niger denselben Weg geht.

Worum geht es wirklich? Im Vordergrund solcher Konflikte stehen regelmäßig zwei Aspekte: Geostrategie und Rohstoffe. „Demokratie“ ist hingegen das Märchen, um die westliche Öffentlichkeit bei Laune zu halten.

Geostrategie: Für die USA ist der Niger eine wichtige Militärbasis mitten in der Sahelzone, über die auch in die Nachbarländer hinein Kontrolle ausgeübt werden kann. Im Niger haben die USA mit der Air Base 201 eine ihrer größten und wichtigsten Drohnenbasen. Obwohl für die USA also ziemlich viel auf dem Spiel steht, halten sie sich bislang erstaunlich zurück. Bislang versuchen sie offensichtlich, ihre Interessen (u.a. über Victoria Nuland – “Fuck the EU“) auf dem Verhandlungsweg zu wahren.

Rohstoffe: Nicht so Frankreich. Frankreich geht es in erster Linie um das Uran: Mehr als ein Viertel des Nachschubs kam zuletzt aus dem Niger. Würden diese Lieferungen wegfallen, bedeutete dies eine essentielle Gefahr für die wirtschaftliche und politische Stabilität in unserem Nachbarland. Weniger bekannt ist, dass der Niger auch über enorme Erdölreserven verfügt. Schätzungen belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Barrel. Schließlich gibt es auch reichhaltige Goldvorkommen. Es verwundet daher nicht, dass auch Frankreich mehr oder weniger unverhohlen mit dem Säbel (in Gestalt der Fremdenlegion) rasselt. In den hiesigen Nachrichtensendungen hört man hierüber freilich wenig – die Frauenfußball-WM scheint wichtiger zu sein.

Von seinem Ressourcenreichtum hat der Niger indessen nicht profitiert. Das Land ist ein typisches Beispiel für den Ressourcenfluch: Die rohstoffreichsten Länder haben die ärmste Bevölkerung. Von 192 Ländern nimmt der Niger Position 187 ein, mit einem BIP pro Kopf von 1.310 Dollar (zum Vergleich Deutschland: 51.238 Dollar). Die Unterentwicklung ist dabei das Resultat einer Überausbeutung. Wie fast alle Länder in der Region ist auch der Niger eine ehemalige französische Kolonie. Die Entlassung in die Unabhängigkeit geschah um den Preis sehr ungleicher Handelsverträge, die Frankreich das Recht gab, Rohstoffe zu einem deutlich unter dem Weltmarkt liegenden Preis zu beziehen. Die Terms of Trade befanden sich daher von Anfang an in einer gewaltigen Schieflage. Soweit das Land überhaupt von den Rohstoffen profitierte, ging das Geld an die einheimischen Eliten.

Ein Übriges tut dann noch der Franc CFA, eine von der französischen Nationalbank gesteuerte Währung für die ehemaligen Kolonien. Diese ist mit dem Euro fest verbunden – dies macht die ehemaligen Kolonien mit 150 Millionen Menschen zu heimlichen Euro-Mitgliedern, freilich ohne jegliche Einflussnahme auf die Geldpolitik. Die Währung ist nun aber deutlich zu stark für den wirtschaftlich schwachen Niger – das Problem ist sozusagen „Griechenland hoch zehn“. Der ungünstigen Kostensituation der Wirtschaft kann der Niger nicht mit Abwertungen begegnen. Frankreichs Rohstoffimporte ficht das freilich aufgrund der Handelsverträge nicht an. Und: Die Elite bringt das Geld außer Landes, vorzugsweise nach Europa.

Es verwundert nicht, dass das westliche Geschwätz von „Demokratie“ in den betroffenen Ländern als heuchlerisch wahrgenommen wird – als Fassade, hinter der die Ausbeutung der betreffenden Staaten weiter vollzogen werden kann, die es den dortigen Menschen nicht erlaubt, in Würde wenigstens mit dem Existenznotwendigen zu leben. Eine Regierung, die sich de facto an Frankreich verkauft hatte, war für die Putschisten nicht länger tolerabel.

Niger, Burkina Faso und Mali eint, dass sie vom westlichen Neokolonialismus die Nase gestrichen voll haben. Trotz ehemals z.T. enger Verbindungen mit den USA orientieren sich die Führer der drei Länder an antikolonialen, teils marxistischen Vorbildern – mit Blick auf die dortigen Ökonomien sind das freilich auch keine guten Aussichten. Sie wenden sich – als Alternative zum Westen – Russland und China zu. Beide Länder haben auf dem afrikanischen Kontinent schon beachtliche Einflusssphären errichtet – Russland eher militärisch (hier ist auch die Wagner-Gruppe von Bedeutung), China vor allem wirtschaftlich. Russland wird die Chance hier ergreifen, wenn sie sich bietet – ungeachtet dessen, dass es den Militärcoup offiziell verurteilt hat. An den Chinesen wird geschätzt, dass diese mit ihren Investitionen die betreffenden Länder wirtschaftlich voranbringen und auch größtenteils fairere Konditionen als der „wertegeleitete Westen“ offerieren. Zudem gibt es keinen erhobenen Zeigefinger und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betreffenden Staaten.

Man kann nur hoffen, dass der Konflikt um den Niger friedlich beigelegt wird – ansonsten droht in Westafrika die Gefahr eines Flächenbrandes, der die Region noch weiter zurückwerfen kann. Dass die Sache für die ECOWAS gut ausgeht, ist u.a. angesichts des Wagner-Engagements keineswegs sicher. Das mag auch die offenbare Lustlosigkeit der ECOWAS-Staaten bezüglich einer Militärintervention erklären. Potenziell könnte auch Deutschland bei der Beilegung des Konflikts eine Rolle spielen – allerdings nicht mit einer Außenministerin, die offenbar nicht Nigeria von Namibia unterscheiden kann, und die – anstatt die Interessen ihres Landes wahrzunehmen – den USA in Vasallentreue folgt und Staaten mit anderer Kultur und anderem politischen System mit erhobenem Zeigefinder anzeigt, wie am deutschen Wesen die Welt genesen soll.

Quellen und zugleich Lese- und Hörempfehlungen:

B. Norton (2023): US/France threaten intervention in resource-rich Niger: Fears of war in West Africa. Geopolitical Economy vom 05.08. Online: https://geopoliticaleconomy.com/2023/08/05/us-france-intervention-niger-west-africa/?fbclid=IwAR3zyGkHI820Uxh7QTujX2wsSyFO47GgJ7qfrT9amyUb7bWFLFQ0lHMuxJQ

O. Schalk (2023): Niger coup will have global ramifications for the US, France and Canada. Canadian Dimension com 09.08. Online: https://canadiandimension.com/articles/view/niger-coup-will-have-global-ramifications-for-the-us-france-and-canada?fbclid=IwAR1bD-ctMeugR2_pCLwKxja2Z4n2RTE6JovQ3y8mOMfvuSLmM-eUBbu-7fo

B. Schmidt (2023): Niger: Kriegsgefahr in Afrika wächst – aggressives Frankreich und lavierende USA. Telepolis vom 11.08. Online: https://www.telepolis.de/features/Niger-Kriegsgefahr-in-Afrika-waechst-aggressives-Frankreich-und-lavierende-USA-9240968.html?seite=all

Hörenswert als Hintergrundinformation auch: BTO 2.0 (2022): Die 150 Millionen vergessenen Euro-Mitglieder. Podcast/Interview von D. Stelter mit B. Kappeler vom 22.04. Online: https://think-beyondtheobvious.com/stelters-lektuere/die-150-millionen-vergessenen-euro-mitglieder/

S. Ritter (2023): Westen hat keine Ahnung, worauf er sich einlässt”. Gegenpol-Interview vom 11.08. Online: https://www.youtube.com/watch?v=TZENEK5nN1c

Strompreissubvention für die Industrie?

Dirk Löhr

Deutschland ist das industrieintensivste Land in Europa. Mittlerweile ist auch im Bundeswirtschaftsministerium angekommen, dass das Geschäftsmodell Deutschlands durch die hohen Energiepreise – darunter auch die Strompreise – gefährdet ist. Die Antwort Habecks soll eine Heruntersubventionierung des Strompreises für energieintensive Industrien auf 6 Cent/kWh sein. Das ist erstaunlich, weil durch die Subvention auch die Sparanreize außer Kraft gesetzt werden – die grüne Energiepolitik konterkariert sich selbst. Die Pläne wurden aus anderen Gründen auch vom Einzelhandel kritisiert. Es sei zwar richtig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Abwanderung der energieintensiven Industrien zu verhindern. Die Heruntersubventionierung des Strompreises sei allerdings hierfür ungeeignet. Vielmehr müsse die Politik für einen im internationalen Vergleich konkurrenzfähigen Marktpreis in Deutschland sorgen (s. Hellmeyer Report vom 10.05.2023). Bislang nehmen nur wenige große Unternehmen die Strompreisbremse in Anspruch, weil diese mit bestimmten Auflagen verbunden ist (wie einer “Standortgarantie” und der Bezahlung der Mitarbeiter nach Tarif).

Es ist verwunderlich, dass erst ein Problem politisch geschaffen wird (Art und Weise der Sanktionierung Russlands, Abschaltung der restlichen Kernkraftwerke), um es im Nachhinein mit Geld zuzuschütten. Bereits heute existiert eine zweigeteilte Strommarktbremse. Private Verbraucher zahlen bis max. 30.000 kWh Verbrauch 40 Cent brutto pro kWh, Industriekunden haben bis 70 Prozent des prognostizierten Verbrauchs 13 Cent pro kWh aufzubringen.

Mit den Plänen Habecks würde diese Strompreisbremse fortgeführt und für Teile der Industrie sogar verschärft, während sie für private Verbraucher am 30. April 2024 wegfällt. Das Geld für die Subvention soll weiterhin aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen, der Kreditermächtigungen i.H.v. 200 Mrd. Euro beinhaltet. Am Ende finanzieren die Schuldentilgung und Zinsen aber Arbeitnehmer (Lohnsteuern), Verbraucher (Verbrauchsteuern), aber auch der Mittelstand (über die Unternehmenssteuern). Die hohe Abgabenlast hierzulande ist aber ein weiterer Standortnachteil – neben der schwachen Digitalisierung, der maroden Infrastruktur und der Bürokratie. Die Heruntersubventionierung des Strompreises ist nicht langfristig durchzuhalten. Dies wissen auch die Manager der Abwanderungskandidaten. An der Standortverlagerung können auch Standortgarantieren nichts ändern, die mit der Strompreisbremse verknüpft sind. Niemand kann die Industrie daran hindern, Reinvestitionen hierzulande zu unterlassen und statt dessen neue Standorte in attraktiveren Ländern aufzubauen. Die Heruntersubventionierung des Industriestroms schafft sogar ein Zeitfenster, um die schleichende Verlagerung einzuleiten. Sie kann die sich anbahnende Deindustrialisierung Deutschlands nicht verhindern.

Statt der unintelligenten Gebäudesanierungsstrategie der Regierung: Low hanging fruits first!

Dirk Löhr

Die energetische Sanierung im Gebäudebereich ist in den kommenden Dekaden eine zentrale Herausforderung. Bis zum Jahr 2050 möchte die EU CO2-neutral sein, Deutschland sogar bis 2045. Es stellt sich die Frage, ob das Ziel und die eingeschlagenen Wege zur Zielerreichung vernünftig sind.

Denn entgegen dem zur Schau gestellten Zweckoptimismus v.a. aus dem Hause Habeck dürfte die umfassende Sanierung des Gebäudebestands sehr teuer werden. Es droht eine massive Entwertung des Volksvermögens. Hierzu folgende überschlägige Berechnung: Der Wert der Immobilien in Deutschland machte ausweislich der Vermögensbilanzen von Deutscher Bundesbank und dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2021 ca. 10,6 Billionen Euro aus und stellt damit das wichtigste Asset in der Volkswirtschaft dar. Diese Zahl umfasst Wohn- wie Nichtwohngebäude. Gehen wir nun davon aus, dass der durchschnittliche Wohnflächenkonsum 47,6 qm / Person beträgt, rechnen wir mit 82 Millionen Menschen (die Flüchtlingsunterkünfte sollten nicht voll gezählt werden) und setzen wir moderat durchschnittliche Sanierungskosten von 500 Euro / qm Wohnfläche an, so erhalten wir allein für Wohngebäude einen Sanierungsaufwand i.H.v. 1,9 Billionen Euro, was 18% des Wertes des gesamten Gebäudebestandes ausmacht. Wohlgemerkt, die Nicht-Wohngebäude sind in den 1,9 Billionen Euro Sanierungsaufwand noch gar nicht enthalten. Die Sanierungsmaßnahmen führen angesichts des neuen rechtlichen Rahmens aber nicht zu einer Aufwertung der Gebäude, sondern verhindern nur eine Abwertung. M.a.W.: Es handelt sich um puren Aufwand, dem kaum ein einzelwirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht. In dieses Bild passt, dass Immobilien mit einer schlechten Energieklasse schon heute in Vorwegnahme der neuen Anforderungen mit Wertabschlägen von bis zu einem Drittel gehandelt werden (mittlere Differenz).

Das heißt u.a., dass die Altersvorsorge, die viele Menschen in Form von Immobilien getroffen haben, zum Geldgrab wird. Selbst der duldsame deutsche Michel wird einer solchen Politik der kalten Enteignung früher oder später nicht mehr folgen wollen.

Eine neuere Studie des BDI (Klimapfade für Deutschland) besagt jedoch, dass ein 80%-Pfad durchaus noch mit vertretbaren Belastungen machbar ist. Die letzten 20% der klimapolitischen Ziele verursachen allerdings extrem hohe Vermeidungskosten. Goldman Sachs rechnet ebenfalls in einer Studie vor (Carbonomics), dass mit demselben Mitteleinsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich höhere Vermeidungswirkungen zu erzielen wären als hierzulande, weil dort die “low hanging fruits” dort noch gar nicht geerntet sind (s. auch die Argumentation von Daniel Stelter hierzu).

Natürlich kann man – wie die Bundesregierung dies in ideologischer Weise tut – auf eine Vorbildfunktion setzen und mit mit einem 100%-Ziel den sozialen Frieden gefährden. Man kann sich aber auch – wie dies die Schweiz, Japan und Südkorea machen – auf Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens berufen und die letzten 20% der Vermeidungsinvestitionen nicht im Heimatland vornehmen, sondern in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dies entspricht auch dem Pareto-Prinzip, wonach 80% des Erfolges mit 20% der Anstrengungen zu verwirklichen sind und vice versa.