Ukraine: Caligulas Kampf-Dackel

Dirk Löhr

Der unerschrockene Reporter Stefan Stuchlik findet unter Einsatz seines Lebens (er ist immerhin einer der Reporter, die auch mal ihr Hotel verlassen) für den Weltspiegel den einzigen verbliebenen Aufrechten (Rent-Grabber) auf der Krim, der sich noch gegen die russische Okkupation sträubt. Prompt wird er von einem Kampfhund bedroht (mit russischen Bändern), der sich hinterhältiger Weise auch noch als ein Dackel-Schäferhund-Mischling tarnt. Satire? Nein, der Weltspiegel vom 9.3.2014.

Natürlich, es ist richtig: Putin ist kein Engel. Seine Angst vor einem weiteren Auseinanderfallen des ehemaligen Sowjet-Territoriums mag man als “Großmachtgelüste” interpretieren. Und der Moskau willfährige Janukowitsch war zugleich ein Kleptokrat reinster Sorte. Bis hier hin völlige Zustimmung.

Allerdings hat die Timoschenko-Sippschaft diese Disziplin schon lange vorher zur Meisterschaft gebracht. Berichte der westlichen Medien hierzu? Fehlanzeige. Statt dessen vergleichen sie Putin mit Caligula – offenbar soll ihm ein Psychopathen-Image angeklebt werden. Dass die blonde Unschuld Timoschenko die ukrainischen Ressourcen genauso plünderte wie der russische Kleptokrat Chodorkowski die russischen an den Westen verscherbeln wollte – hierzu lautes Schweigen der westlichen Medien. Lediglich lauter Jubel, wenn das besagte Traumpaar wie Phönix aus der Asche wieder aufersteht. Und, wenn Timoschenko endlich Linderung für ihr Rückenleiden durch deutsche Kliniken erfährt – die Geldsäcke waren wohl doch zu schwer.

Endlich sind sie wieder da, die vertrauten Muster. Gut und böse. Amerikaner und Russen. Und, nicht anders als früher: Keine Rede über die früheren amerikanischen Reaktionen der USA als – egal ob in Kuba, Chile, Nicaragua, Argentinien – jedes Mal die US-Hinterhöfe mit brutalster Gewalt gekehrt wurden, wenn der Feind vor deren Schwelle stand. Die tausenden Toten in Argentinien oder Chile, die “schmutzigen Kriege” der USA sind dort bis heute nicht vergessen. Die Medien faselten auch damals vom Kampf der freien Welt gegen den Kommunismus. Im Lichte der Geschichte sieht es freilich ein wenig anders aus. Im Falle Kubas waren die USA sogar bereit, einen dritten Weltkrieg in Kauf zu nehmen, um die Russen auf Distanz zu halten. Das alles war und ist offenbar für die westlichen Medien “Selbstverteidigung”. Kennedy war damals der leuchtende Held, Putin ist dagegen heute der finstere Schurke oder der größenwahnsinnige Psychopath. 

Es kann doch schließlich für Väterchen Russland nicht verkehrt sein, wenn die NATO ihm auf den Pelz rückt. Und natürlich nicht für die Ukraine, wenn sie die Chance bekommt, endlich am westlichen Wesen zu genesen. Hier ist ein Wort des Lobes an die Journaille angebracht: Ihr macht den Job der kalten Krieger im Westen wirklich gut.

Anlässlich der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde Russland zugesichert, dass sich die NATO nicht nach Russland hin zubewegt. Was passierte seitdem? Die Grenzen der NATO verschoben sich bis an die russischen Grenzen: Polen, Tschechei, Litauen etc. George W. Bush wollte gleich ganz Georgien und die Ukraine noch dazu der NATO einverleiben. Die damalige Schwäche Russlands wurde vom Westen rücksichtslos ausgenutzt. Und nun die aktive Unterstützung der antirussischen Opposition der Ukraine im Vorfeld des Sturzes der Regierung Janukowitsch (welcher genauso wenig legal war wie die derzeitige Besetzung der Krim durch Russland es ist) – mit dem Griff nach dem strategisch wichtigen Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Wenn Putin so langsam die Faxen dicke hat und der NATO und den Zusicherungen der westlichen Politiker nicht weiter vertraut, leidet er nach Einschätzung der westlichen Medien jedoch offenbar an paranoiden Umzingelungsphantasien (übrigens ähnlich wie die chinesische Führung, bei der sich unter dem Eindruck der immer mehr zählenden und immer näher rückenden US-amerikanischen Militärbasen eine ähnliche psychische Krankheit eingestellt hat – sie scheint ansteckend zu sein).

Doch wie gut, dass unabhängige westliche Medien die Bürger aufklären – so anders als in Russland. Die westlichen Medien lassen sich nämlich nicht im Spiel der Mächtigen instrumentalisieren. Das haben sie immer wieder bewiesen. Im Irak-Krieg, in Afghanistan, in den Kriegen vorher. Apropos Afghanistan: Die Früchte ihrer Einmischungspolitik hat die NATO gerade in Afghanistan geerntet. Wie eifrig berichtete die Journaille über Soldaten, die Brunnen bohren und Mädchenschulen schützen! Lästige Details wie die Doppelpipeline und die Eindämmung der russischen Einflusssphäre angesichts der Öl- und Gasvorkommen in der Region waren hingegen nicht der Schlagzeilen Wert. Auch nicht, wie zuvor die afghanischen Freiheitskämpfer gegen die russische Armee aufgerüstet wurden, die dann merkwürdigerweise auf einmal aus heiterem Himmel zu feindlichen Taliban mutierten. Und ebenfalls nicht, wie diese blöderweise völlig falsch und irrational auf die amerikanische Frage antworteten, ob sie für den Zugang des Westens zu den Ressourcen der Region Dollars oder Bomben auf den Kopf vorziehen würden. Die deutschen Medien teilten uns statt dessen die von Herrn Struck (Gott habe ihn selig) verfasste Direktive mit, Deutschland müsste am Hindukusch verteidigt werden. Eine Geschichte mit ungefähr derselben logischen Schärfe wie die Geschichte von der Jungfrauengeburt – es ist vor allem Glaubenssache. Und es glaubt sich leichter, wenn es die Massenmedien immer wiederholen. Ein Bundespräsident las jedoch aus Versehen laut aus dem Weißbuch der Bundeswehr vor, dass es um die Sicherung von Ressourcen ging, und musste darauf zurücktreten. 

Dieselben Medien berichteten kaum von der finanziellen Unterstützung der hiesigen Konservativen für die Partei Klitschkos, oder davon, dass die Swoboda-Partei ein Sammelbecken von Rechtsaussen ist, denen Europa an einem wertvollen hinteren Körperteil vorbei geht. Auch nicht von der Kleptokraten-Vergangenheit Timoschenkos, deren Partei den derzeitigen Übergangspräsidenten stellt. Und Berichte über das Ausmaß der US-amerikanischen Unterstützung für dieses merkwürdige Dreigestirn überschwemmten auch nicht gerade Zeitungen und Bildschirme.

Und die deutsche Politik? Klar, man ist zögerlich, Russland an den Pranger zu stellen. Das ist auch gut so. Nicht, weil zu viel Exporte auf dem Spiel stehen (Deutschland hat hat hier ähnliche Interessen wie Großbritannien, das prächtig vom Geld der russischen Rent-Grabber lebt). Es ist gut, weil wir auch Russland moralisch verpflichtet sein sollten – ähnlich wie Israel (und auch das ist gut so!). Russland bzw. die UdSSR hat über 30 Millionen Leben im Zweiten Weltkrieg gelassen. Kein anderes Land hat so unter der deutschen Aggression gelitten. Ist es zu viel verlangt, wenn man hier Rücksichtnahme auch auf russische Befindlichkeiten in Punkto Sicherheit anmahnt?

Gute Nacht, Deutschland. 

Ireland: Breeding a Failed State

Fred Harrison

Ireland is a breeding factory. It exists to export cattle and people, to feed the culinary and commercial needs of other nations. To brand the Republic a failed state is to be courteous. The truth is ugly to behold, and painful to the sensibilities of decent people on that island.

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Officially, religion was downgraded during the making of the modern nation-state because science was supposed to provide a superior approach to public policy. This shift in the mind-set concealed the evil motive: the quest to create the psychological space for an ideology of corruption. For the general theory, see my Theses #1 and #2. For a documented overview of how whole populations became the collateral damage, Ireland symbolises the statecraft of greed.

Over the past four centuries, the Celts of Ireland were mentally and institutionally reshaped to serve as an adjunct to the acquisitive materialism of Britain’s landed aristocracy. Colonialism formally ended in the 1920s, but independence is an ironic application of the word to describe the new Republic. Her leaders retained the values, laws and institutions of the UK. So the people did not recover from the trauma of their land-loss. That is why its gift to new-born babies is cruel: “You will be educated at home, and then expelled to London, Boston or Sydney to find jobs and mates”.

Emigration as a survival strategy goes back to the “famine” of the 1840s. People starved to death while English landlords exported boatloads of food. Migration became the way of life. During the hallucination of the Celtic Tiger years, migration went into reverse. People came home. It was a mirage. Out-migration has resumed with a vengeance.

Catalogue of Cultural Crimes

To brand the Republic as little more than a breeding ground is an appalling charge. It implicates a creative people whose contributions to science, the arts and civil service around the world has been second to none. So what is wrong with the communities from which the youth are expelled?

For a courageous critique, turn to the fine journalism in Ireland’sSunday Independent. In two issues, on February 23 and March 2, 2014, reporters and columnists surveyed “How Our Institutions Have Let Us Down” under the banner headline: Bishop, Banker, Boardroom, Spy. Here, in readable format, is documented the catalogue of cultural crimes that disgraces this nation. From….

– The state which fails to enforce its laws: trust is so low among citizens because those guilty of wrongdoing are getting off scot-free

– The Catholic Church: evades its responsibilities for child abuse and the exploitation of indigent girls

– A police force: represses whistle-blowers

– The financial sector: escaped the accountability of a public enquiry

– Politicians: taking back-handers from businessmen

– Rural communities: the appropriate metaphor is raped, with villages losing their souls as they haemorrhage their inhabitants and public properties – from post offices to police stations – sold to pay off international creditors

The list goes on; and on. The public in general does not escape censure: people demand unlimited social services without accepting the corresponding responsibilities.

Other countries are similarly victimised by the statecraft of greed that was implanted by colonialism. I have yet to see a comparable, comprehensive soul-searching examination by the media in those other countries.

Who or What must we Blame?

The Sunday Independent does not identify the structural roots of Ireland’s tragedy. Fingers are pointed at individuals like the cowboy builder and felon Tom McFeely: he threatened to slash a female reporter’s face with a shard of glass. But all the evidence constitutes an indictment of a culture that breeds the incentives that corrupt people who seek to serve their communities. Economists are failing to inform the public debate.

Colm McCarthy lectures in economics at University College Dublin. He contribution to the Sunday Independent claimed that the charge of corruption could not be levelled against Irish capitalism. He then added:

“There is just one area in which corruption has been shown to be widespread and that is local government planning and zoning. This could be termed designer corruption…and the recent prosecutions will prove an inadequate response unless the incentives are changed. Planning corruption is common in many countries which otherwise have low tolerance for abuse of public office.”

McCarthy fails to understand how the flow of rents out of the land market pollutes the whole fabric of society. When social rents are privatised, people abandon morality in the scramble to grab a slice of that unearned income. McCarthy was supposed to be blinkered: neo-classical economics blindfolds its practitioners.

Ireland’s Prime Minister, Enda Kenny, reveals that in the boom years 80,000 to 100,000 houses were built annually when the need was for 30,000. What were the developers after? Not a competitive return on bricks and mortar. They were after the rent that made many of them rich – and then crushed everybody in the crash.

Lessons have not been learnt by those who administer Ireland – from its law-makers to the civil servants and religious leaders. So a vast under-populated land continues to haemorrhage its children, a society crucified to preserve the statecraft of greed.

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See the Fred Harrison blog: http://www.sharetherents.org/

Blutsauger Schulden-Bremse

Dirk Löhr

Bremsen (Tabanidae) sind laut Wikipedia eine Familie aus der Unterordnung der Fliegen (Brachycera) in der Ordnung der Zweiflügler (Diptera) und gehören zu den blutsaugenden (hämatophagen) Insekten (Insecta). Sie beißen Menschen und andere wechsel- und gleichwarme Tiere Warmblüter (Wikipedia-Artikel “Bremsen”). Die Schulden-Bremse ist ein ganz besonders lästiger Vertreter dieser Art. Seine Existenzberechtigung ist v.a. deswegen umstritten, weil er in der Retorte des Finanzministeriums ausgebrütet wurde. Sicher: Die Entwicklung der Staatsverschuldung ist seit 1950 dramatisch angestiegen. Die Staatsschulden müssen bedient werden. Dies geschieht zu Lasten künftiger Generationen. Doch schon heute wird die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte dramatisch eingeschränkt.

1950 10
1960 29
1970 64
1980 239
1990 538
2000 1.211
2010 2.012
2012 2.065

Tabelle: Staatsverschuldung in Mrd. Euro (Quelle: Statista)

Beide politischen Flügel (Sozialdemokraten wie Konservative) reagierten koordiniert mit besagter „Schuldenbremse“, die 2009 in das Grundgesetz übernommen wurde. Die Schuldenbremse zielt im Kern auf die Beseitigung der sog. „strukturellen“ Neuverschuldung ab. Konjunkturbedingte Neuschulden sind nach wie vor in Grenzen erlaubt. Die Höhe und die Methode der Ermittlung der strukturellen Neuverschuldung sowie die Abgrenzung zur konjunkturell bedingten Neuverschuldung sind allerdings umstritten. Zur Erfassung bedient man sich v.a. statistischer Methoden. Eine allgemein anerkannte Theorie zur Erklärung der strukturellen Neuverschuldung gibt es nicht. Wie auch, wenn die  Ursachen, die in der Rentenökonomie liegen, vom finanzwissenschaftlichen Mainstream beharrlich ignoriert werden. Dies gilt jedoch auch für die Minorität derjenigen Ökonomen, die das lästige Insekt am liebsten totschlagen möchten. Ihre Klatsche traf nämlich oft genug daneben und hat dabei erheblichen Flurschaden im Mobiliar angerichtet: Weiterhin soll Vater danach kräftig das Geld ausgeben, das er nicht hat.

Das Grundproblem der strukturellen Verschuldung ist aber zugleich das Grundproblem der Rentenökonomie, die wiederum unsere gesamte Wirtschaft prägt. Wir haben das Muster in anderen Blogbeiträgen wiederholt dargestellt; es erschließt sich am besten über das sog. „Henry George-Theorem“ („Golden Rule of Local Public Finance“), das u.a. vom Nobelpreisträger und früheren Weltbank-Chefökonomen Joseph Stiglitz zusammen mit Richard Arnott (1979) formalisiert wurde.

Volkseinkommen als Funktion der Bevölkerung (eigene Darstellung)

Zusammensetzung

 

Verteilung

Private Güter und Dienstleistungen

<=>

Löhne (Produktionsfaktor Arbeit)

Zinsen (Produktionsfaktor Kapital)

Öffentliche Güter und Dienstleistungen

<=>

Renten (Produktionsfaktor Land i.w.S.)

Abbildung: Das Henry George-Theorem (vereinfacht)

Die Bodenrenten in Agglomerationen werden demnach erst durch die öffentlichen Leistungen erzeugt; der Staat ist also eine „rent creating institution“. Der Staat handelt insoweit wie ein fiktiver Developer, der ein Gemeinwesen erst einmal in Wert setzt.

Das Henry George-Theorem kann von links nach rechts und umgekehrt interpretiert werden: Die öffentlichen Güter (Infrastruktur, Sicherheit, Bildung, Gesundheitseinrichtungen) können unter bestimmten Bedingungen (v.a. optimale Bevölkerungsgröße) vollständig aus den Bodenrenten finanziert werden. Demnach ließe sich also der gesamte Staat aus den ökonomischen Renten bequem finanzieren – und das ohne Steuern! Wie ein Developer könnte der Staat die Bodenrenten und Bodenwertzuwächse einfangen, um die Kosten der Inwertsetzung zu decken. Nicht wenige private Developer haben sich damit bekanntlich ja schon eine goldene Nase verdient.

Allerdings steht unseren kommunalen Developern (also den Kommunen) die Möglichkeit der Abschöpfung von Bodenrenten und Bodenwertzuwächsen nicht zur Verfügung. Sie haben zwar die Kosten (Aufwendungen der Inwertsetzung der Gemeinwesen) zu tragen, die Nutzen (Bodenrenten und Bodenwertzuwächse) werden aber von den privaten Grundstückseigentümern abgeschöpft. Durch diese Privatisierung der (Boden-)Renten wird aber der durch das Henry George-Theorem beschriebene sachgesetzliche Zusammenhang durchbrochen. Dabei werden Kosten und Nutzen der Inwertsetzung der Gemeinwesen entkoppelt. Eigentlich sollten Ökonomen wissen, dass überall dort, wo solche Entkopplungen (bzw. Externalisierungen) stattfinden, etwas mächtig in die Hose geht.

Unsere fiktiven Developer (die Kommunen und ihr Übervater Staat) müssen daher auf eine andere Weise auf ihre Kosten kommen. Und Übervater Staat hat anscheinend die Macht dazu: Nämlich über die Festsetzung von Zwangsabgaben, also Steuern. Diese belasten am Ende v.a. Kapital und Arbeit, die Belastung des Faktors Boden ist hingegen in der Rentenökonomie minimal . Dabei ist Kapital im Gegensatz zu Arbeit hoch mobil – der schwarze Peter bleibt somit meist beim Faktor Arbeit kleben.

Mit der Einführung von Steuern reißt Vater Staat aber – man verzeihe mir die deftige Ausdrucksweise – mit dem Hintern wieder ein, was er mit den Händen zuvor mühsam errichtet hat. Die Bodenrente ist nämlich ein Residuum. Sie kann als sozialer Überschuss interpretiert werden – als das, was bleibt, nachdem die anderen Produktionsfaktoren (und auch Vater Staat) bezahlt wurden (Löhr 2013). Durch die Besteuerung von Arbeit und Kapital wird dieses Residuum aber gleich mehrfach geschmälert:

Der amerikanische Ökonom Mason Gaffney (2009) analysierte dieses Phänomen und gab dem Kind einen Doppelnamen. Den ersten Teil bezeichnete er als „ATCOR“: All tax comes out of rent. Eine höhere Besteuerung bedeutet also eine geringere Zahlungsbereitschaft der Steuerbürger für die Leistungen des kommunalen Developers. Damit aber nicht genug: Eine höhere Besteuerung entmutigt auch wirtschaftliche Aktivitäten. Ökonomen sprechen hier von steuerlichen Zusatzlasten – auf neudeutsch „excess burden“ – die die erzielbaren Einkommen schrumpfen lassen. Gaffney (2009) nannte diesen Effekt „EBCOR“:Excess burden comes out of rent. Per Saldo sinkt die Zahlungsbereitschaft der Steuerbürger für in Wert gesetzte Wohn- und Standorte aufgrund des Zusammenspiels von ATCOR- und EBCOR-Effektes stärker, als die finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand durch die Steuereinnahmen anwachsen!

Gerade die raumwirtschaftliche Peripherie ist betroffen (Löhr / Harrison 2013). Hierzu zählt heutzutage nicht nur Ostdeutschland, sondern – dank einer jahrzehntelangen verfehlten Raumwirtschaftspolitik – z.B. auch Teile des Ruhrgebiets. Schon ohne Steuerorgien können hier gerade einmal die Kosten des Wirtschaftens gedeckt werden. Schlägt dann noch Übervater Staat mit Zwangsabgaben zu, wird die Peripherie durch die Mehrfachbelastung von ATCOR und EBCOR wirtschaftlich stranguliert. Ist die Zahlungsbereitschaft der Steuerbürger für öffentliche Leistungen durch ATCOR und EBCOR so weit gesunken, dass die Kosten für die notwendigen öffentlichen Leistungen nicht mehr gedeckt werden können, entsteht ein strukturelles Defizit. Und obwohl Vater Staat mit den Steuern Zwangspreise für die öffentlichen Leistungen diktieren kann, verleiht ihm dies nämlich keineswegs unbeschränkte Macht: Die Gemeinwesen stehen nämlich untereinander in Wettbewerb, Bürger und Unternehmen können abwandern. So blutete u.a. Ostdeutschland binnen weniger Jahre aus, und ein ähnliches Schicksal erleiden auch immer weitere Teile der westdeutschen Peripherie.

Die Überbeanspruchung der Zahlungsbereitschaft der Bürger lässt sich nicht nur an Bevölkerungsverlusten ablesen, sondern auch am Bodenpreisniveau: In der Peripherie, wo die wirtschaftlichen Aktivitäten erdrosselt wurden, gibt es keinen sozialen Überschuss mehr. Dort, wo die strukturellen Defizite besonders hoch sind, befinden sich die Bodenrenten auf einem Minimum. Ein Quadratmeter PVC-Boden ist in manchen peripheren Lagen oft teurer als ein Quadratmeter Land.

Und es kommt noch doller: Nachdem die raumlenkende Kraft der Bodenrente durch administrative Mindestpreise weitgehend außer Kraft gesetzt wurde und diese v.a. in der raumwirtschaftlichen Peripherie ihr desaströses Werk verrichtet haben, versucht Übervater Staat Kraft der Weisheit seines Beamtenapparates mit regional- und strukturpolitischen Maßnahmen gegenzusteuern: Das Resultat sind kaum genutzte Straßen und Autobahnen, vor sich hin siechende Regionalflughäfen oder Binnenhäfen, an denen kein Schiff anlegt. Diese zentral administrierten Investitionsruinen kosten wieder Steuergelder – und bringen kaum etwas für das Gemeinwesen ein.

Um dem Ganzen Sache dann noch die Spitze aufzusetzen, wird das Gebräu den Bürgern als „Marktwirtschaft“ verkauft. Wahrscheinlich dauert es noch länger, bis auch die zeitgenössischen Ökonomen endlich begreifen: Die Privatisierung der Bodenrente (über Privateigentum an Grund und Boden) ist die tiefere Ursache der strukturellen Verschuldung.

Die Schuldenbremse alleine wird das Problem nicht lösen. Sie saugt den letzten Tropfen Blut aus den Wirtschaftstätigkeiten der Peripherie. Man muss wirklich kein Prophet sein, um die Folgen zu erkennen: Eine Reduktion öffentlicher Leistungen, der zunehmende Verfall von Infrastruktur, Ausweichreaktionen in Gestalt von Public Private Partnerships etc. Und die Rechnung wird zukünftigen Generationen präsentiert.

 

Literatur:

Gaffney, M. (2009): The hidden taxable capacity of land: enough and to spare, in: International Journal of Social Economics 36, Nr. 4, S. 328-411.

Löhr, D. / Harrison, F. (2013): Ricardo und die Troika – für die Einführung einer EU-Bodenwertabgabe, in: Wirtschaftsdienst 93, S. 702-709.

Löhr, D. (2013): Prinzip Rentenökonomie: Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Metropolis: Marburg. Online: http://www.metropolis-verlag.de/Prinzip-Rentenoekonomie/1013/book.do

Wikipedia (2013): Artikel zu “Bremsen”. Online: http://de.wikipedia.org/wiki/Bremsen